Schein und Sein:

Als die Potters, von Miss Wilshore geleitet, auf dem Bahnsteig 9 ¾ eintrafen fuhr der Hogwartsexpress grade im Bahnhof ein. Seine Eltern hätten es zwar vorgezogen James nicht eine halbe Stunde zu früh hier abzuliefern, doch ihre Arbeit ließ es nicht zu bis zur Abfahrt von James hier zu warten, was besonders Sophie bedauerte. James war zwar auch traurig dass seine Eltern nicht hier bleiben konnten doch war er zu aufgeregt und durch die vielen neuen Eindrücke zu abgelenkt um in Trauer zu verfallen. Nachdem seine Eltern (vor allem seine Mutter) sich unter Tränen verabschiedet hatten, war James in den Zug gestiegen.

Er saß in einem ansonsten leeren Abteil ganz hinten im Hogwartsexpress. In Gedanken hing er den vergangenen Wochen nach und glaubte immer noch teilweise dass dies nicht wirklich passieren könne. Er dachte an seinen Geburtstag. Dieser Tag hatte sein Leben von Grund auf verändert, auch wenn er das erst knappe neun Wochen später festgestellt hatte, als Mr. Fortescue und Miss Wilshore unverhofft im Hause seiner Eltern erschienen waren. So war es aber doch dieser Brief, der ein neues Kapitel in seinem Leben einläutete. Danach schwelgte er in den Erinnerungen an seinen ersten Besuch in der magischen Welt wo er zuerst Gringotts besuchte und in ein Verließ voller Gold und merkwürdiger Gegenstände gebracht wurde. Man erklärte ihm, dass dies alles fortan ihm gehörte. Dort hatte er auch eine Schatulle an sich genommen. Keiner konnte ihm sagen, was sich darin befand, doch so wurde ihm gesagt, war es ihr Auftrag sie ihm zu überreichen. Natürlich hatte er versucht sie zu öffnen, doch als selbst der Versuch mit einer Brechstange scheiterte hatte die Sturheit der Schatulle vorerst über seine Neugier gesiegt. All die wundersamen Läden in der Winkelgasse die so fremdartig und doch faszinierend waren sah James vor seinem geistigen Auge. Der Laden mit magischen Utensilien für ernsthafte Zauber konnte man wohl am ehesten mit einer herkömmlichen Apotheke vergleichen, wobei James sich sicher war, dass nichts was man dort kaufen konnte in einer Apotheke zu finden war. Dann war da Ollivander´s wo man Zauberstäbe erwerben konnte. James konnte sich noch an die kribbelnde Spannung erinnern, mit der er und Mr. Ollivander auf ein Zeichen warteten das ihnen verraten würde, welcher Zauberstab für James geeignet war. Und an all die andern Läden die er, seine Eltern und Miss Wilshore besucht hatten, um die Sachen zu besorgen, die er für sein erstes Schuljahr benötigte.

Danach sprangen seine Gedanken direkt zu den Büchern die sie gekauft hatten. James hatte es nicht erwarten können sie zu lesen.

Minderjährigen Zaubern, die Muggeleltern haben, war, wie Mr. Fortescue ihm erklärt hatte, das Zaubern außerhalb der speziell gesicherten Schule sowie anderen gut geschützten Plätzen wie der Winkelgasse oder dem Hogwartsexpress verboten.

Auf James Frage hin, warum dem so sei, entgegnete er, dass in den Häusern von Magierfamilien alles mit Zauberkraft funktioniert und es dadurch unmöglich sei einzelne Zauber zu lokalisieren. Außerdem lernen die Kinder schon vor Schulbeginn ihre Magie zu kontrollieren und wenn doch mal was schief geht können die Eltern die Schäden beseitigen und die Entdeckung der magischen Welt verhindern. Nach dieser Aufklärung war James etwas flau im Magen. Seine Mitschüler konnten schon zaubern dann würde er wohl der schlechteste Schüler in der Klasse, wenn nicht gar auf der ganzen Schule sein. Teilweise konnte Jonathan Fortescue seine Sorgen entkräften, indem er James versicherte, dass es sehr viele Schüler aus Muggelfamilien in Hogwarts gäbe. Doch trotz dieser Aussage blieb das flaue Gefühl im Magen.

Am selben Abend noch hatte James sich dabei erwischt, wie er in Versuchung geriet, einen Zauber auszuprobieren, doch hatte er sich im letzten Moment bremsen können.

Auch wenn die Versuchung groß war, so war James durch die Broschüre für Muggelfamilien sehr schnell klar geworden, dass zaubern außerhalb von Hogwarts, solang er kein ausgebildeter Zauberer war, ernste Folgen haben würde. Unter anderem würde er noch vor seinem ersten Tag von Hogwarts verwiesen werden, womit er wahrscheinlich Rekordhalter sein würde, aber dieser Chance wollte er sich nicht berauben.

Alle anderen Begebenheiten und Gedanken die er den Sommer über gehabt haben musste waren verblasst. Er konnte sich nicht daran erinnern, was er die restliche Zeit, während der er nicht an das ihm Bevorstehende dachte, gemacht hatte.

Der Bahnsteig füllte sich langsam. Der Geräuschpegel, verursacht durch etliche Eulen, Katzen, Kinder und deren Eltern, die plapperten schrieen und kreischten, schwoll an. In mitten dieses Chaos, dem der Bahnsteig 9 ¾ alljährlich zu Beginn und Ende der Schulzeit in Hogwarts glich, stand ein Junge mit schulterlangem ungepflegtem Haar und einer Hackennase, der trotz der spätsommerlichen Hitze ganz in Schwarz gekleidet war, was seine blasse Haut noch bleicher erscheinen ließ als sie es ohnehin schon war. Auf dem überfüllten Bahnsteig, in dieser fröhlichen Menschenmenge schien der Junge so deplaziert wie Wichtel in einer Bibliothek. Das seine Eltern nun neben ihm erschienen trübte diesen Eindruck nicht. Beide trugen wie auch ihr Sohn schwarze Umhänge, hatten schwarze Haare und hatten beide einen finsteren versteinerten Gesichtsausdruck. Der einzige Unterschied zwischen dem Jungen und seinen Eltern bestand darin, dass es bei ihm nur Fassade war. Innerlich konnte er seine Freude kaum zügeln. Endlich war es soweit. Er konnte seiner persönlichen Hölle, die er zu Hause nannte, wenigstens zeitweise entfliehen. Doch durch diese Gedanken brachen auch Erinnerungen wieder in sein Bewusstsein. Nein nicht einfach nur Erinnerungsfetzen sondern seine bisherige Kindheit. Hätte er gekonnt dann wäre er wahrscheinlich in Tränen ausgebrochen, doch Tatsache war, dass er, seit dem er fünf Jahre alt war, nie wieder irgendeine Gefühlsregung gezeigt hatte. Und das lag an seinem Vater. Mit fünf Jahren hatte er sich völlig verschlossen, nachdem er das erste Mal von seinem Vater fast totgeschlagen worden war, weil er unerlaubt in dessen Labor gewesen war.

Im Laufe der Zeit folgten noch viele derartige Bestrafungen, doch Schmerzensschreie oder noch schlimmer Weinen hatte er sich schnell abgewöhnt, da jegliche Gefühlsregung in ihm seinen Vater in seiner Brutalität noch zu beflügeln schien. Im Laufe der Zeit hatte er gelernt vieles zu ertragen und erst die Bekanntschaft mit dem Cruciatus-Fluch seines Vaters hatte ihn an die Grenze gebracht, die sein Vater ihn allzu gerne zwang zu überschreiten. Verständnis , Geborgenheit oder gar Liebe kannte er nicht. Außer Macht, Respekt und Zorn hatte ihm sein Vater nichts gegeben, außer vielleicht dem Wissen wie man sie erlangt.

Seine Mutter war zwar nicht wie sein Vater, doch hatte sie nie etwas unternommen um ihm zu helfen. Das Einzige, was er überhaupt von ihr sagen konnte war, dass sie es verstand, ihn immer wieder zu heilen. Jedenfalls körperlich, doch gefühlsmäßig war sie genau so abgestumpft wie sein Vater.

„Severus", sagte Mr. Snape der sich vor dem Jungen aufgebaut hatte und erlöste ihn aus seinen Gedanken. „Ja, Sir?", antwortete Severus, der seinen Vater schon seit Jahren so nannte. „ Denk daran wer du bist. Denk daran welches Blut durch deine Adern fließt. Wenn ich höre, dass du dich mit Schlammblütern abgibst, oder, was noch schlimmer ist, nicht dein Bestes gibst, dann kannst du dich auf was gefasst machen", zischte Mr. Snape seinem Sohn zu. „ Und halt dich an die Richtigen. Ich hab die Jungen Rosier, Malfoy und Lestrange gebeten sich um dich zu kümmern, also versau es nicht. Und mach Slytherin alle Ehre", setze Mr. Snape mit einem bösen Funkeln in den Augen hinzu welches Severus sagte, wenn irgendetwas geschehen würde, das sein Vater nicht vorgesehn hatte, würde er es erfahren und er würde dafür bezahlen; hoch bezahlen.

„Ja Sir!", antwortete Severus tonlos womit sich sein Vater offensichtlich zufrieden gab und er und Mrs. Snape disapparierten wortlos.

Severus blickte auf dem Bahnsteig umher. Ein kleines zierliches Mädchen mit grünem Umhang, langem feuerrotem Haar und blassem Gesicht verabschiedete sich gerade unter Tränen von ihren Eltern. Severus spürte wie Neid und Unbehagen in ihm aufstiegen und wendete der Szenerie den Rücken. Sein Blick fiel auf einen schlanken Jungen, der sich, wenn auch nicht ganz so herzlich, ebenfalls von seinen Eltern verabschiedete. Er hatte halblanges braunes Haar, bis auf die graue Strähne die ihm ins Gesicht hing und die Severus irgendwie faszinierte.

Er wendete seinen Blick gerade noch rechtzeitig ab, um einen Schritt zur Seite zu machen, denn eine junge Hexe, die noch einmal aus dem Zug gesprungen war, um ihre Eltern ein letztes Mal zu umarmen, rannte ihn fast über den Haufen. Sie hatte glatte schwarze Haare, große dunkele wenn nicht gar schwarze Augen und einen schwarzen Umhang, auf dem sich im Licht ein dunkelroter Schimmer abzeichnete. Er frage sich gerade wer sie wohl war, als sein Blick auf ihren Vater fiel. Ein Muggel!

Also würde er mit ihr wohl wenig zu tun haben, dachte sich Severus und wollte seinen Blick wieder über den Bahnsteig schweifen lassen als plötzlich hinter ihm jemand sprach. „ Eine Schande. Jedes Jahr werden es mehr Schlammblüter und jetzt wo Dumbledore Schulleiter ist werden es wohl noch mehr werden."

Severus zuckte unmerklich zusammen und fuhr herum. „Du musst Severus Snape sein", sagte der große blonde Junge „ich bin Malfoy. Lucius Malfoy. Komm, wir haben schon ein Abteil reserviert", bedeutete er Severus. Dieser folge ihm zum Ende des Zuges und stieg ein.

Der Zug setzte sich in Bewegung. James der immer noch mit glasigem Blick aus dem Fenster starrte bekam davon nichts mit. Zu fest war er in seinen Gedanken und Erinnerungen gefangen.

Erst als die Abteiltür aufging bemerkte James was um ihn herum geschah.

„ Ist hier noch frei?", fragte der schlanke schwarzhaarige Junge. „Sicher!", antwortete James der sich über die unverhoffte Gesellschaft während der Fahrt freute. „ Ich bin James Potter und du bist?"„Sirius Black", antwortete sein Gegenüber. „Deine Eltern sind wohl keine Zauberer, oder?", setzte Sirius nach. „Nein", entgegnete James etwas peinlich berührt, „ wieso sieht man mir das an?"„ Na ja , du bist erstens nicht zusammengezuckt und zweitens sitzt du noch hier.", sagte Sirius und grinste über beide Ohren. James der nun endgültig verwirrt war erwiderte das Lächeln zögernd. „Wieso sollte ich auch wegrennen? Erstens hast du mir nichts getan und zweitens könnte ich dir in einem Zug wohl kaum entkommen oder?"Das verschlug nun Sirius die Sprache. Er hatte noch nie erlebt, dass jemand so mit einem Black sprach. Er erklärte James kurz was es mit seiner Familie auf sich hatte und erwartete das dieser wie vom Grimm gebissen aufsprang und aus dem Abteil jagte. Doch James blieb sitzen. „Na und?", sagte er trotzig. „Ich glaube nicht das du deine Familie da im Koffer versteckt hast, also mach ich mir wegen der auch keine Gedanken. Und so wie es aussieht hast du auch nicht vor, die Tradition weiter zu führen.", sagte James und grinste Sirius an.

Im Laufe der nächsten 20 Minuten unterhielten sie sich noch über alle möglichen Themen, wobei Quidditch einen Grossteil der Zeit beanspruchte. James hatte noch nie etwas davon gehört, war auf der Stelle begeistert von diesem Spiel und fragte Sirius darüber aus.

Ohne Zweifel hatten die beiden, so unterschiedlich ihre Herkunft auch war, zu viele Gemeinsamkeiten, um nicht auf Anhieb Freunde zu werden. Die Abteiltür öffnete sich erneut. Schüchtern schaute ein Junge in das Abteil. „Ist hier unter Umständen noch frei?", fragte der Junge, „die andern Abteile im Wagon sind voll." „Klar!"sagte James. „Nur immer herein!", stimmte Sirius zu. Erleichtert verstaute der Junge seinen Koffer und setzte sich neben Sirius.

„Ich bin Remus. Remus Lupin", sagte er und blickte abwechselnd Sirius und James an. „ Ist was?", fragte er mit einem kaum merklichen Zittern in der Stimme. „Ähm", setzte James an, „ist da etwas beim Haare färben schief gelaufen, oder war das beabsichtigt?"Sirius kicherte und Remus Wangen wurden rosa. „Nein, das ist ... ähm... eine Pigmentstörung", brachte er leicht stotternd hervor. „Sieht cool aus.", bemerkte Sirius, der sich daraufhin nach unten beugte und ein Kartenspiel hervorzog. „So da wir nun drei sind können wir auch eine Runde spielen bis der Essenswagen vorbeikommt.", sagte er und teilte die Karten aus. So verbrachten die drei die erste Hälfte der Zugfahrt mit Kartenspielen und als der Essenswagen kam kauften sie sich ein paar Kesselkuchen und Schokofrösche.

James und Sirius vertieften sich während des Essens wieder in die Quidditchdiskussion und Remus nutzte die Zeit um ein Buch aufzuschlagen und darin zu Lesen.

Doch las er nicht wirklich. Stattdessen hielt Remus mit Hilfe dieses Buches die beiden, halb bewusst halb unbewusst, auf Abstand. Klar hatte er sich die letzte halbe Stunde mehr amüsiert als er es, seit dem er fünf war, jemals wieder gehofft hatte zu tun, doch wusste er auch, dass für ihn Freundschaft auch Risiko bedeutete. Fast hätte er es geschafft die durchbrechenden Bilder seiner bisherigen Kindheit zu unterdrücken, doch anders als sonst hatten ihn die Erinnerungen kalt erwischt und prasselten nun auf ihn ein.