Die Qual der Wahl:

Auf der Türschwelle erstarrte Remus. Er kannte den Besucher. Dieser war ihm zwar noch nie begegnet, aber durch seine Bücher war ihm dieser Mann vertraut. Er wusste so viel über diesen Mann und doch so wenig. Kein Buch konnte beschreiben was für ein Gefühl es war, denselben Raum wie er zu betreten. Nirgends konnte er nachlesen, wie es war, ihm gegenüber zu stehen. Die Aura, die ihn zu umgeben schien, war fast greifbar, aber es war nicht das Gefühl von Furcht oder Angst das in ihm emporstieg. Er fühlte Güte, Verständnis und Mitgefühl.

„M....Mr. D...D...Dumbledore...S...Sir", stammelte Remus, als er seine Sprache nach dem ersten Schock wieder gefunden hatte.

Albus Dumbledore stand amüsiert mitten im Wohnzimmer der Lupins, ganz so als ob es die normalste Sache der Welt wäre, dass der mächtigste Zauberer der Welt bei ihnen auftauchen würde. Verschmitzt zwinkerte er Remus zu und setzte sich an den Kamin.

„Du wirst einem alten Mann wie mir sicher verzeihen, wenn ich mich wieder am Feuer wärme. Der Winter scheint dieses Jahr gar nicht mehr aufzuhören und es war nicht einfach hierher zu finden.", erklärte Dumbledore sein Tun, wobei er Remus interessiert über die Ränder seiner Halbmondbrille hinweg musterte.

„Wie mir deine Eltern erklärt haben – Remus bemerkte plötzlich wieder, dass nicht nur Dumbledore und er im Wohnzimmer standen, sondern auch Faith und John, die er vorher gar nicht bemerkt hatte. - hat es einen bestimmten Grund, dass es schwierig ist, euch zu finden."

Unsicher warf Remus, der seine Bewegungsfähigkeit wieder gefunden hatte, seinen Eltern einen flüchtigen Blick zu. Normalerweise taten sie alles damit sein kleines Geheimnis nicht bekannt wird, aber diesmal nickten sie Remus nur freundlich lächelnd zu. Trotz der beruhigenden Geste seiner Eltern war Remus noch unschlüssig was von ihm jetzt erwartet wurde. Deshalb sah er auch verlegen auf seine Schuhe und antwortete knapp „ Ja."

Wieder huschten seine Augen über die Gesichter seiner Eltern, die aufgestanden waren und nun auf ihn zukamen.

„Er möchte kurz mit dir alleine sprechen.", erklärte Remus´ Vater.

„Sei ehrlich zu ihm und zu dir selbst. Er kann helfen. Also benimm dich!", setzte seine Mutter flüsternd hinzu und verließ zusammen mit John das Wohnzimmer. Als dir Tür von außen geschlossen wurde, wendete er seinen unsicheren Blick vom weißen Holz ab und ging nun etwas wacklig auf Dumbledore zu. Dieser deutete ihm, sich zu setzen.

„Du fragst dich sicherlich, warum ich hier bin.", begann Albus Dumbledore sogleich und stellte damit die erste Frage, die Remus in den Kopf geschossen war, als er das Wohnzimmer betrat. „Nun, zufällig bin ich natürlich nicht hier vorbeigekommen, wie du dir sicherlich denken kannst. Schließlich ist es nicht gerade einfach, euer Domizil zu finden.", fügte er mit einem klaren durchdringenden Blick auf Remus hinzu. Dann zog er ein langes Pergament aus seinem Umhang, entrollte es und reichte es Remus. Remus nahm das Pergament und überflog die aneinander gequetschten Namen. Sie waren mit smaragdgrüner, schwarzer oder dunkelblauer Tinte geschrieben. Doch als er bei dem Buchstaben „L" ankam stoppte er.

Remus John Lupin

stand dort in feurigem Rot. Überrascht und wieder verunsichert sah er von der Liste auf.

Sein Blick schien den Schulleiter zu belustigen – oder, Remus dachte nach, hatte er nicht eigentlich immer ein Lächeln auf den Lippen?

„Dies ist die Liste aller Zauberer, die dieses Jahr in Großbritannien das elfte Lebensjahr erreichen. Die verzauberte Feder, die die Namen notiert, versieht sie mit einem eingeprägten Farbcode. Grün sind Kinder aus Magierfamilien, schwarz sind die Namen der muggelgeborenen Zauberer und blau sind Squibs. So wissen wir jedes Schuljahr wer welchen Brief erhalten muss.", erklärte Albus Dumbledore ruhig.

„Aber mein Name ist rot geschrieben. Warum?", fragte Remus obwohl er die Antwort schon ahnte.

„Es kommt selten vor – tatsächlich kam es in der Zeit in der ich Schulleiter von Hogwarts bin bisher nur einmal vor, und das war vor zwei Tagen – aber wenn die Feder aus irgendeinem Grund keine eindeutige Aussage treffen kann schreibt sie den Namen rot.", fuhr Dumbledore fort. „Ich hatte nicht geglaubt zu Lebzeiten noch die Gelegenheit zu bekommen, herausfinden zu können, welche spezielle Situation diese Feder veranlassen würde, einen Namen rot zu schreiben. Ich liebe nichts so sehr wie ein Rätsel, das seine Lösung nur widerwillig preisgibt. Aber bevor ich mich in meinen Gedanken verliere sollte ich dich vielleicht mal zu Wort kommen lassen ... denn noch kenne ich die Lösung des Rätsels nicht, da deine Eltern es dir überlassen wollten, den Wissensdurst eines alten Forschers zu stillen.", endete Albus Dumbledore, platzierte die Ellbogen auf den kleinen Tisch am Kamin, legte die Finger aneinander und fixierte Remus mit klarem forschendem Blick über die Halbmondbrille hinweg.

Was sollte Remus jetzt tun? Der mächtigste Zauberer der Welt, der einzige, der es geschafft hat Grindelwald zu stoppen, der renommierteste Schuleiter den Hogwarts je hatte, saß ganz ruhig in seinem Wohnzimmer und wollte seine Geschichte hören. Aber was würde er sagen? Wie würde er reagieren wenn er wüsste das....Sei ehrlich zu ihm und zu dir selbst hallten plötzlich die Worte seiner Mutter in Remus Kopf Er kann helfen. Remus fasste einen Entschluss. Er schluckte alle Befürchtungen und Ängste hinunter und berichtete dem Schulleiter was ihm zustieß als er fünf Jahre alt war. Im Gegensatz zu den Ärzten, denen Remus die Geschichte bestimmt tausend Mal erzählt haben musste und die ihn währenddessen immer mit irgendwelchen Fragen löcherten, blieb Dumbledore stumm.

Als Remus mit seiner ersten richtigen Metamorphose die Geschichte beendete, schien Albus Dumbledore zu spüren, dass das noch nicht alles war, aber er wollte den Jungen erstmal nicht zu sehr bedrängen. Sicher hatte es ihn schon viel Überwindung gekostet sich ihm anzuvertrauen.

„Das erklärt natürlich einiges, wenn auch nicht alles aber einen Teil eines Rätsels zu lösen ist besser als völlig im Dunkeln zu stehen.", schlussfolgerte er schlicht und ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Das lag sehr wahrscheinlich auch an Remus Gesichtsausdruck, der zwar mit einigen Reaktionen auf seine Geschichte vertraut war, doch die Dumbledores hätte gegensätzlicher nicht ausfallen können.

„Remus... Ich muss dir jetzt eine Frage stellen, bevor wir alles weitere besprechen können und du mir vielleicht etwas mehr berichten möchtest. Willst du überhaupt nach Hogwarts?", fragte Albus in ruhigem fast gelassenem Ton. In Remus´ Kopf war es still. Wäre es windig im Wohnzimmer gewesen, hätte man sicher ein Pfeifen vernommen. Er? Nach Hogwarts? Mit den anderen Kindern zusammen? Aber was wenn..?

„Ich....", setzte Remus an doch Dumbledore hob die Hand.

„Ich habe dich nicht gefragt ob du kannst, oder du es für zu gefährlich hältst. Ich habe dich gefragt, ob du nach Hogwarts willst. Der Sicherheitsaspekt wird je nachdem, wie deine Antwort ausfällt, noch erörtert werden müssen. Doch das ist meine Aufgabe und soll deine Sorge nicht sein", unterbrach ihn der Schulleiter.

„Ich will, ja...", sagte Remus daraufhin entschlossen fügte aber hinzu: „Ich will bloß nicht, dass sie wegen mir Schwierigkeiten bekommen. Die anderen Schüler wären bestimmt nicht einverstanden, mit mir zusammen in einem Raum zu sein."

„Das könnte natürlich sein, wenn ich beabsichtigen würde ihnen dein Problem mitzuteilen.", antwortete Albus Dumbledore verschwörerisch. „Sicherlich, einfach wird es nicht werden. Wir müssen uns Gedanken über deine Unterbringung während der kritischen Mondphase machen. Dies wird ein Opfer deinerseits erfordern, da es nicht in meiner Macht liegt, die Entscheidungen des Ministeriums zu widerrufen."- Remus öffnete den Mund um zu fragen, was von ihm erwartet wurde, doch Dumbledore hob wieder die Hand zum Zeichen, dass er seinen Gedanken noch nicht beendet hatte, was Remus irritierte, da Dumbledore ihn nicht angesehen hatte, sondern ins Feuer schaute. – „Es wird mir wahrscheinlich nicht möglich sein, eine Sondererlaubnis für dunkles Mondgestein vom Ministerium zu bekommen. Diese Substanz, so hilfreich sie auch in deinem Fall sein mag, hat einfach zu viele negative Eigenschaften und Wirkungen, als das ich es verantworten könnte, sie nach England zu schmuggeln. Selbst das schottische Ministerium ist gerade dabei, die letzten Lücken in ihren Gesetzen zu stopfen, die die Einfuhr und den Besitz von dunklem Mondgestein erlauben. Das bedeutet für dich, dass ich einen Ort finden muss an dem du während des Vollmonds verweilen kannst, ohne in die Nähe von Menschen zu gelangen. Ich weiß, dass dies ohne die Möglichkeit zu jagen eine sehr schmerzhafte Angelegenheit ist. Ich bedauere, dass ich dir keine andere Alternative anbieten kann, aber wir müssen dich in deiner Bewegungsfreiheit einengen, während du gefährlich für deine Mitschüler bist.", sagte er.

Diese Nachricht beeinflusste die Entscheidung, die Remus kurz zuvor getroffen hatte, nicht im Geringsten. Er wusste zwar, wie schmerzhaft seine Verwandlungen werden würden, wenn er keine Möglichkeiten hätte seine Triebe und Zwänge auszuleben, aber schließlich bot Dumbledore ihm gerade eine Chance an, auf die er nie gewagt hatte zu hoffen.

„Danke, Sir", sagte er deshalb schlicht, weil er das Gefühl hatte, dass es richtig war.

„Zum Dank besteht noch kein Anlass", widersprach ihm Dumbledore doch ein Schmunzeln war in seinem Gesicht zu erkennen. „Noch habe ich meinen Vorschlag nicht umsetzen können. Außerdem wäre es eine Schande dich von Hogwats fern zu halten, wo du doch so nach Wissen dürstest."

Bei der letzten Aussage errötete Remus und strich sich verlegen die graue Strähne aus den Augen.

„Willst du mir noch etwas sagen, das ich wissen müsste, bevor wir deine Eltern wieder hereinbitten und ihnen deine Entscheidung mitteilen?", frage Dumbledore und schaute Remus forschend an. Selbst wenn Remus gewollt hätte, so wäre es höchst undankbar gewesen, Dumbledore jetzt noch etwas vorzuenthalten, wo er sich doch so für Remus einsetzte. Außerdem schien es nicht möglich zu sein, etwas vor Albus Dumbledore zu verbergen.

„Seit ich zehn bin spüre ich ihn früher und länger", platze es deshalb aus Remus heraus.

„Was bedeutet das in deinem Fall?", fragte der Schulleiter interessiert aber freundlich, so als hätte er gewusst das Remus etwas verschwieg.

„Bisher ... na ja ... meine Sinne werden schärfer. Ich höre Dinge die sonst keiner zu hören scheint, rieche Dinge die keiner wahr nimmt und sehe mehr als früher.", erklärte Remus.

„Das ist sicher beängstigend und verwirrend"– Remus nickte – „aber kein Grund zur Besorgnis. Deine Metamorphose ist Vollmond bedingt und so wird es bis ans Ende deines Lebens bleiben, wenn keiner eine Heilungsmethode findet. Weder wirst du, während es Vollmond ist ein Mensch sein, noch wirst du bei Tag oder in einer anderen Nacht zum Wolf werden.", sagte Dumbledore mit Nachdruck.

Beruhigt atmete Remus auf. Eine seiner größten Befürchtungen wurde eben belanglos.

„Nun, ich denke wir haben deine Eltern jetzt lange genug warten lassen.", sagte Dumbledore und erhob sich aus seinem Sessel. Nachdem er die Wohnzimmertür aufgeschoben und freudig verkündet hatte das Remus sich für Hogwarts entschieden hatte – was bei seinen Mutter Freudentränen verursachte – erklärte er ihnen, dass er sich gefreut habe sie kennen zu lernen, aber leider nicht länger bleiben könnte, da er Hogwarts auf einen Werwolf vorbereiten müsste. Er konnte nicht sagen wie lange es dauern würde alle Vorbereitungen zu treffen, aber er würde sich melden sobald er sich sicher wäre, alles in seiner Macht stehende getan zu haben.

Der Winter wechselte zu Frühling, der Frühling zu Sommer und dieser zu Herbst, doch immer noch keine Nachricht von Albus Dumbledore. Remus machte sich langsam Sorgen, dass Dumbledore es nicht geschafft hätte. Als der Herbst verging und der Winter ins Land zog und er immer noch keine Nachricht von Dumbledore hatte, kam in ihm die Befürchtung auf, dass der Schulleiter ihn vielleicht vergessen hätte. Sein zwölfter Geburtstag kam und ging und seine Hoffung, in diesem Leben noch nach Hogwarts zu kommen, schwanden mit jedem Tag der verstrich.

Sechs Wochen später jedoch, als Remus gerade missmutig und enttäuscht in seinem Müsli herumstocherte, flog eine Eule in die Küche und landete auf dem Küchentisch. Den Brief, den sie bei sich hatte, ließ sie neben der Müslischale von Remus fallen und bediente sich daraus. Remus achtete nicht auf den Vogel und riss voller Ungeduld den Brief auf. Die Hoffnung, die er das letzte Jahr über immer tiefer in sich begraben hatte, loderte wieder auf und brachte sein Herz zum rasen.

HOGWARTS-SCHULE FÜR HEXEREI UND ZAUBEREI

Schulleiter : Albus Dumbledore

(Orden des Merlin, Erster Klasse, Hohes Tier, Internationale Vereinig. d. Zauberer )

Sehr geehrter Mister Remus John Lupin,

wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie an der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei aufgenommen sind. Das Schuljahr beginnt am 1. September.

Der Hogwartsexpress fährt am 31 August vom Bahnsteig 9 ¾, Kings-Cross, London ab.

Mit freundlichen Grüßen

Minerva McGonagall

Stellvertretende Schulleiterin

Remus sah verdutzt in den Umschlag und begutachtete die Rückseite des Schreibens. Keine Erklärung, Warnung oder Instruktionen, nur eine Liste der Schulbücher (die Remus schon alle besaß und größtenteils auch schon gelesen hatte) , Zauberutensilien und Zutaten.

KNALL

Unsanft wurde Remus aus seinen Gedanken und Erinnerungen gerissen, wobei er sich so erschreckt hatte, dass er das Buch fallen ließ und sich nur mit Mühe auf der Sitzbank halten konnte. Nach dem er den ersten Schock überwunden und der Rauch sich verzogen hatte, was erst nach Öffnung des Abteilfensters der Fall war, sah Remus wie Sirius und James sich vor Lachen kringelten.

„Das war wohl nichts, James", stänkerte Sirius, der eine komische kleine altmodische Schatulle auf den Knien liegen hatte. Sein geschwärztes Gesicht kämpfte, angesichts des verdatterten Ausdrucks von James, mit einem erneuten Lachkrampf.

„Du .. du hast mir nicht gesagt das das passieren kann.", sagte James mit gespielt vorwurfsvollem Ton und nahm die Schatulle an sich. „Los, versuch du es mal, vielleicht hast du mehr Erfolg. War immerhin mein erster Zauber und viel Übung hab ich auch nicht."

„Aber bei den Schokofroschverpackungen hat es doch auch geklappt. Die Bewegung und der Spruch waren richtig", entgegnete Sirius. „Aber eine Herausforderung habe ich noch nie abgelehnt", fügte er begeistert hinzu und zog seinen Zauberstab aus seinem Umhang.

Alohomora! "

KNALL

Wieder glich das Abteil der drei einer Räucherkammer und als der Rauch sich verzogen hatte war es an Remus zu grinsen. Wie auch vorher schon bei Sirius, war nun auch das Gesicht von James schwarz gefärbt. Im Gegenzug dazu machte Sirius denselben ungläubigen Gesichtsausdruck wie James eine Minute vorher.

„Wenigstens bin ich nicht der Einzige der nicht zaubern kann.", feixte James.

„Ja, ja lach du nur.", entgegnete Sirius gespielt gekränkt.

„Ich würde mir da keine Sorgen machen.", sagte Remus schlicht. „Es scheint wohl eher so, dass ein Zauber auf der Schatulle liegt, der es verhindern soll, dass sie geöffnet wird. Woher hast du die eigentlich?"

„Die hab ich aus meinem Verließ bei Gringotts, man hat mir gesagt, dass alles was darin ist mir gehören würde.", sagte James schulterzuckend. „Aber bisher habe ich es nicht geschafft sie zu öffnen. Ich habe es schon mit einem Brecheisen versucht und habe bestimmt drei Bohrer meines Vaters auf dem Gewissen."

Sirius sah James verwundert an und fragte ihn was eine Brechstange oder ein Bohrer sei.

James wollte gerade antworten als sich die Abteiltür öffnete.