Kapitel 6: Das Geschenk des Lebens

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Remus wandte sich an Harry. "Bereit? Dann schieß los." Und Harry begann zu erzählen.

Seine Zuhörer waren inzwischen zwar einiges gewöhnt, doch Harrys Erlebnisse waren dann doch zu unglaublich und so wurde er immer wieder ungläubig unterbrochen und mit Fragen durchlöchert. Harry beantwortete alle Fragen geduldig und versicherte immer wieder, dass sich alles tatsächlich so abgespielt hatte, wie er gesagt hatte. Sirius unterstützte seine Erzählung ab der Zwischenwelt, ergänzte hier und da etwas und fügte seine eigene Sichtweise der Dinge hinzu. Als sie schließlich geendet hatten mit ihrem Bericht, war es bereits stockfinster.

Eine Weile sagte niemand ein Wort, dann durchbrach Hermine die Stille mit schwacher Stimme. "Also Harry, ich weiß, dass du das absolut nicht gerne hörst, aber du bist wirklich ein Held." Harry wollte auffahren und etwas erwidern, doch sie schnitt ihm mit einer Geste das Wort ab. "Nein, ich meine es ernst, Harry. Ich... wir alle wussten, dass du dein Leben schon mehrfach ohne zu Zögern riskiert hast, aber... weißt du, die ganze Zeit haben wir geglaubt, dass Voldemort dich umgebracht hätte. Aber dass du dem mit offenen Augen entgegengegangen bist... Danke, Harry. Danke für das, was du für die ganze Welt getan hast."

"Ich habe das für euch getan", antwortete Harry leise. "Ja, für euch", bekräftigte er und hob sachte die Hand, als sie widersprechen wollten. "Und ihr sollt euch deswegen auch nicht schuldig fühlen, ich habe es getan, damit ihr weiterleben könnt und ihr braucht mich auch nicht zu bemitleiden, denn ich werde jetzt meine Eltern wieder sehen. Es ist nur schade, dass ich diese friedliche Zeit nicht mehr miterleben kann, aber was soll's. Auch ich möchte mich bei euch bedanken. Für eure Freundschaft. Ihr alle seid meine Familie und nur der Gedanke an euch hat Voldemort schließlich in die Knie gezwungen. Tom hat so etwas Wunderbares leider nie erleben dürfen. Wer weiß, vielleicht wäre er sonst nicht so geworden. - Apropos, was ist eigentlich mit seiner Leiche geworden?", endete er, um das Thema zu wechseln.

"Sie wurde von Ministeriumsspezialisten genauestens untersucht, dann mit Hilfe von Drachenfeuer fast rückstandslos verbrannt und schließlich über dem Atlantik verstreut, nur um sicherzugehen", antwortete Tonks. Harry lächelte. "Das wäre nicht nötig gewesen. Man hätte ihn sogar ganz normal begraben können, aber in dem Fall kann ich gut verstehen, dass sie auf Nummer Sicher gehen wollten."

Wieder schwiegen sie. Sie alle hatten das Gefühl, dass das nicht alles sein konnte, dass es noch so viel zu sagen gäbe, vor diesem letzten Abschied, doch niemand wusste, wie er anfangen sollte und so wurde die Stille nur von dem regelmäßigen Piepsen, das Harrys Herzschlag anzeigte, durchbrochen. Schließlich sprach Hermine wieder in die Stille hinein. "Das heißt vermutlich, dass wir die Maschinen jetzt abstellen können? Harry?"

Der Angesprochene schreckte aus seinen Gedanken hoch. "Was? Ja, sicher. Das ist nur noch meine Hülle. Sie sollte eigentlich schon längst tot sein." Er stand auf. "Trotzdem Danke, dass ihr so an mich geglaubt habt. Das bedeutet mir sehr viel." Er ging zu seinem scheinbar schlafenden Körper hinüber und starrte auf sich hinab. Es war seltsam, sich selbst auf dem Krankenbett liegen zu sehen. Ihm war nie bewusst gewesen, wie schmal und kantig sein Gesicht geworden war, oder wie wenig die Narbe auf seiner Stirn eigentlich hervorstach. Da alle Leute immer auf seine Stirn gestarrt hatten, hatte er immer das Gefühl gehabt, sie müsse hervorstechen und auffallen. Das war nicht der Fall. Doch sie sah irgendwie komisch aus... anders als sonst - seitenverkehrt. Dann musste er plötzlich leise lachen. Die Narbe war richtig herum. Er hatte sie nur sein ganzes Leben im Spiegel falsch herum gesehen. Ginny war neben ihn getreten. "Was ist so lustig?", fragte sie ihn. "Eigentlich gar nichts", antwortete er, "Ich habe mich nur noch nie von außen gesehen."

Er seufzte. Genau in diesem Moment erschien ihm das alles so ungerecht! Der Krieg war vorbei, neben ihm stand die Frau seines 'Lebens', hinter ihm waren all die Leute versammelt, die er inzwischen als seine Familie ansah, inklusive seines langvermissten Paten, gesund und munter, etwas, woran er schon lange nicht mehr geglaubt hatte. Vor ihm lag sein Körper, offensichtlich noch lebendig, hier stand sein Geist, und das Einzige, was zu seinem absoluten Glück fehlte, war diese Verbindung zwischen Körper und Geist, zwischen Gehirn und Bewusstsein, zwischen Herz und Seele.

Und es war das Einzige, was absolut unmöglich war.

Der einzige Haken an der Sache war die Tatsache, dass er tot war. Er konnte nicht zurück.

Oder?

Nein, das war absurd, sagte er sich selbst, mach dir keine Hoffnungen, so was geht nicht , sagte eine Stimme in seinem Kopf. Und was, wenn es doch geht?, sagte eine andere Stimme, die die Erste zu übertönen versuchte. Zögere nicht so lange, probier es aus, du Idiot, meldete sich nun eine dritte Stimme in seinem Kopf. Harry machte dieser Diskussion ein Ende, indem er seine perligweißen Finger an die Schläfen seines Kopfes legte und mit seinen Gedanken vorsichtig den vor ihm liegenden Körper erforschte. Wie schon im Kampf mit Voldemort drang er mit seinem Geist in den daliegenden Kopf ein - mit dem Unterschied, dass ihm diesmal kein Widerstand entgegengesetzt wurde, da es sein eigener war. Das Gehirn war noch intakt, wie auch der Rest des Körpers, wie er schnell feststellen konnte. Alles war intakt. Seine Hülle war wie eine kürzlich verlassene Wohnung, tiptop aufgeräumt und von den Maschinen instand gehalten, nur war sie leer. Der Bewohner fehlte. Er ging eine Ebene tiefer, mehr ins Detail... auch die Nervenenden waren noch intakt. Doch hatte Harry den Eindruck, dass sie - lose herumflatterten. Ihr geistiges Gegenstück fehlte. Denn sie waren die Verbindungsstelle zwischen Körper und Geist. Harry begriff, dass er als Geist, noch immer die Form seines Körpers hatte, da seine Erscheinung ein exaktes Abbild all seiner Nervenzellen und -Enden war - nämlich ihre geistigen Gegenstücke. Wenn er es also schaffte, Geist und Körper an den Nervenenden wieder zu verknüpfen... Er musste es ausprobieren.

Hastig nahm er seine durchscheinende rechte Hand und legte sie in exakt der gleichen Position in seine tatsächliche, die auf dem Krankenbett ruhte. Er konzentrierte sich auf eine einzelne Nervenzelle und versuchte, ihr Gegenstück zu finden. Es dauerte eine Weile, doch schließlich fand er es. Gott verdammt, waren das viele! Er nahm sie und legte sie exakt aufeinander, auf das Atom genau legte er jedes einzelne Nervenende auf sein Gegenstück. Nichts passierte. Verdammt, verbindet euch! Die Nervenzelle leuchtete kurz auf - und verschmolz mit ihrem Gegenstück. Harry war entzückt. Er wusste noch nicht genau, wie es funktionierte, es war, wie wenn man das erste Mal einen Muskel benutzt, den man bis dato nicht beherrschen konnte, doch er wusste auch, dass es mit ein bisschen Übung wieder klappen würde und wieder und wieder, bis er den Dreh raus hatte.

Er riss seine Gedanken los und hob noch einmal den Kopf: "Hermine?"

"Ja?" Sie trat neben ihn.

"Wenn das, was ich jetzt gleich versuchen werde, funktionieren sollte, versprich mir, nie wieder auf mich zu hören, wenn ich dich dazu auffordern sollte, meinen Körper sterben zu lassen."

Sirius trat ebenfalls an das Bett heran und antwortete an ihrer Stelle, da ihr anscheinend die Worte fehlten: "Versprochen. Und ja, es wird funktionieren. Du hast es schon einmal geschafft."

Harry nickte. "Einen Versuch ist es wert." Mit diesen Worten stellte er sich, ohne seine Hand zu bewegen, um die bereits wieder verknüpfte Zelle nicht zu zerreißen, mitten in das Krankenbett und seinen eigenen Körper hinein. Dann legte er seinen Oberkörper vorsichtig auf dem Krankenbett ab und hob danach seine Beine hinein. Sein Geist lag in seinem eigenen Körper. Aber nicht richtig. Er konzentrierte sich und begann jede Faser seines Geistes genauso hinzulegen, wie ihr Gegenstück auf dem Krankenbett schon lag, erst im Groben, schließlich auf Zellebene. Nach und nach merkte er, dass es in manchen Bereichen seiner Körper so etwas wie 'klick' machte und er wusste, sie saßen auf das Atom genau richtig. Schließlich saß sein Geist wieder in seiner alten Form, so wie er es jahrelang getan hatte und es fühlte sich einfach - richtig an. Begeistert stellte er fest, dass sein zweiter Körper sogar den Herzrhythmus seines eigentlichen aufgenommen hatte - sie schlugen im Einklang. Auch wenn die Frequenz, die ihm von der Maschine vorgeben wurde, nicht wirklich seine eigene war.

Er ging in sich und konzentrierte sich wieder auf die Nervenzellen. Jetzt, wo seine beiden Körper wieder absolut richtig zueinander lagen, war es kein Problem mehr, die richtigen Zellen zu finden. Sogar die Nervenenden flatterten beiderseits an der richtigen Stelle. Als er jedoch versuchte eine zu verknüpfen, gelang es ihm nicht. Verdammt, er hatte es gewusst! Wie hatte er das vorhin gemacht?

Er besah sie sich genauer... Die Zellen waren nicht ganz so intakt, wie er gedacht hatte. Da waren feinste Risse und Reste, die eigentlich zur mentalen Seite gehörten, klebten an der Körperlichen und umgekehrt. Im Prinzip benötigte er einen leichten Heilzauber, um sie wieder zu verschmelzen. Er stellte sich vor, wie er die beiden Teile der Zelle zwischen seine Handflächen nahm und die Magie fließen ließ. Da! Wieder ein kurzes Aufleuchten - und die Puzzleteile waren wieder eins. Und so machte er weiter, Zelle für Zelle. Was er benutzte, war nicht direkt ein Heilzauber, sondern nur sein Prinzip. Für den Zauber selbst hätte er einen Zauberstab und eine Beschwörungsformel gebraucht, außerdem hätte er ihn auf dieser Ebene vermutlich nicht anwenden können. Doch Zauber waren eigentlich nur Symbole um eine bestimmte Art der Magie zu beschwören, und er griff nun auf die Magie selbst zurück. Das war zwar schwieriger, doch die einzige Form der Magie, die er als Geist überhaupt ausüben konnte.

Er fing im Stammhirn an, dem wichtigsten Teil des Körpers. Bald begriff er, dass und wie er mehrere Zellen auf einmal wieder zusammenfügen konnte, erst zwei oder drei, dann ein Dutzend, ein paar Hundert und schließlich Tausende. Als er mit dem Stammhirn fertig war, und sich den anderen Bereichen seines Gehirns zuzuwenden, arbeitete er bereits nicht mehr auf Zellebene, sondern richtete seine Magie auf Teilbereiche des gesamten Organs. Nach einer - wie er vermutete - Ewigkeit, war sein Gehirn wieder mit seinem Geist verbunden und er wanderte mit seiner Aufmerksamkeit das Rückenmark hinunter, dann zu Herz, Lunge, Leber und Niere.

Nach den inneren Organen kamen Arme und Beine, Knochen, Muskeln, Sehnen und schließlich die Haut. Zu dem Zeitpunkt war er sich sicher, dass es keinen Zauberer auf der Welt gab - egal ob tot oder lebendig - der sich besser mit dem menschlichen Körper auskannte, als er. Als er zu seiner Narbe kam zögerte er. Sollte er sie wirklich wieder an sein Nervensystem anschließen? All die Male, die sie geziept und geprickelt hatte oder geschmerzt wie die Hölle, waren ihm nur allzu gut in Erinnerung. Sie repräsentierte so viel, was er war und nie hatte sein wollen, doch trotzdem gehörte dieser Teil zu ihm, so wie Tom zu seinem Leben gehört hatte, und er beschloss diesen Teil nicht zu verleugnen. Also stellte er auch hier die Verbindung wieder her. Es erwies sich als schwieriger, als er gedacht hatte, da an dieser Stelle Körper und Geist anscheinend besonders stark verbunden gewesen waren und so auch die Schäden an den Nervenzellen wesentlich größer. Er ging auf die Zellebene zurück, bevor er seine Heilmagie wieder vorsichtig fließen ließ. Es funktionierte.

Harry bemerkte, dass die wieder verbundenen Nervenzellen in seinem Körper ihre Arbeit erneut aufnahmen und er seinen Körper wieder spüren konnte, überdeutlich sogar. Freudig registrierte er, dass sein Magen rumorte und seine Rippen beim Atmen leicht schmerzten, da sie immer noch gebrochen waren. Er überprüfte, dass sie richtig lagen und heilte sie dann auf die gleiche Weise, wie seine Nervenzellen, er ließ seine Heilmagie fließen. Etwas, das seines Wissens theoretisch unmöglich war. Er schmunzelte innerlich. Das könnte noch nützlich werden. Er ließ seinen Blick noch einmal kontrollierend über sein Werk schweifen und war zufrieden. Alles schien bestens, er war geheilt. Nein, er war wieder lebendig !

Für ein paar Sekunden genoss er einfach das Gefühl, wieder mit seinem Körper verbunden zu sein, und jede einzelne Faser zu spüren. Dann beschloss er, dass es Zeit sei, seine 'Wohnung' wieder in Besitz zu nehmen. Er griff mit seinem Geist hinaus und schaltete mit einem Gedanken die Herz-Lungen-Maschine aus.

Bewusst begann er sein Herz zu schlagen und tiefe, gleichmäßige Atemzüge zu nehmen. Seine Herzfrequenz beschleunigte er leicht, bis sie wieder seiner Natürlichen entsprach und erst als er sicher war, dass seine lebenserhaltenden Reflexe wieder da waren und voll funktionierten, wandte er sein Bewusstsein davon ab und errichtete eine leichte mentale Sperre darum, die dafür sorgte, dass die Reflexe geschützt im Unterbewusstsein lagen und von seinem Denken klar getrennt waren.

Dann versuchte er die Augen zu öffnen. Es funktionierte. Er freute sich wie ein kleines Kind, das etwas Neues gelernt hatte und blinzelte mehrmals, die Bewegung der Augenlider voll auskostend. Merlin, es war so seltsam wieder mit eigenen Augen zu sehen! Er lag still und schaute sich nur um, um sich wieder an ihren Gebrauch zu gewöhnen. Zu seinem Erstaunen stellte er fest, dass es helllichter Tag war. Etwa neun Uhr morgens, danach zu urteilen, wie die Sonne auf sein Bett schien. Darin war er inzwischen definitiv ein Profi, da er unzählige Male in seinen fast sieben Jahre auf Hogwarts in diesem Raum aufgewacht war, ohne zu wissen, welcher Tag oder welche Tageszeit es war und wie er überhaupt hierher gelangt war.

Sein Blick fiel auf Ginny, die anscheinend Wache gehalten hatte, doch jetzt auf ihrem Stuhl eingeschlafen war, den Kopf auf das Krankenbett gelegt und seine linke Hand, die auf dem Bett an seiner Seite lag, mit ihrer umschlossen hielt. Wärme durchströmte ihn und zu seiner eigenen Überraschung zogen sich seine Mundwinkel nach oben zu einem Lächeln. Das funktionierte also auch. Er hatte kein Bedürfnis danach, seine Hand wegzuziehen, ganz zu schweigen davon, dass er nicht genau wusste, ob er überhaupt schon so viele Muskeln auf einmal bewegen konnte, also ließ er sie liegen und genoss das Gefühl ihrer Berührung.

Er sog tief die Luft ein, und nahm die Gerüche hier in sich auf, den typischen Geruch des Krankenflügels, der leichte Geruch von Ozon, der von den elektrischen Geräten ausging, den Duft von Ginnys Haaren, deren Lockenschopf neben ihm auf dem Bett lag - und dieser undefinierbare Geruch nach Magie, den er mit Hogwarts verband.

Er begann zu lauschen. Fast konnte er dabei spüren, wie sich die Härchen in seiner Gehörmuschel krümmten, als er das regelmäßige Piepsen des EKGs, das Vogelgezwitscher, das von außen eindrang und die leisen Atemgeräusche mehrerer Menschen im Raum wahrnahm. Momentan war er hypersensibel, was seinen Körper und seine Sinne anging, er musste einen Weg finden, das zu regulieren. Vermutlich war es reine Gewöhnungssache. Immerhin hatte er vier Tage außerhalb seines Körpers zugebracht.

Er hob seinen Kopf vorsichtig und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Anscheinend waren alle Anwesenden, genau wie Ginny, irgendwann vom Schlaf übermannt worden. Bill lag ausgestreckt mitsamt seinen Klamotten auf einem der Betten neben ihm, Sirius lag mit einer Wolldecke zugedeckt auf einem der Sofas, auf dem er eingeschlafen war, als er nur kurz für fünf Minuten ausruhen wollte. Remus hatte sich zwei Sessel zusammen geschoben und schlief genauso tief, wie Molly auf dem anderen Sofa. Fred und George waren verschwunden, sie mussten sich wohl um den Laden kümmern. Tonks hatte Frühschicht und McGonagall war im Unterricht. Neville und Luna waren ebenfalls nicht mehr da, sie waren irgendwann in der Nacht ins Bett gescheucht worden, etwas wogegen Ron, Hermine und Ginny sich schlichtweg geweigert hatten. Die beiden Letzteren schlummerten friedlich in Hagrids großem Ohrensessel. Ron hatte seiner Freundin den Arm um die Schulter gelegt und ihr Kopf ruhte friedlich an seiner Schulter. Nur Dumbledore saß wach und anscheinend kein bisschen müde auf Remus' Schreibtisch und war in das Protokoll vom Vorabend vertieft.

Harry sank auf sein Kopfkissen zurück. Ihm war, als würde in seinem Innern ein Glücksballon anschwellen, ganz ähnlich wie damals an seinem elften Geburtstag, als Hagrid ihm eröffnet hatte, dass er ein Zauberer war. Er lebte. Der Krieg war vorüber und fast alle, die ihm wichtig waren, hatten überlebt. Er fragte sich, wie es Arthur wohl gerade ging. Vielleicht hatte er sich ja mit seinen Eltern angefreundet. Die Vorstellung gefiel ihm.

Vorsichtig drückte er Ginnys Hand, die noch immer seine eigene umschlossen hielt. "Ginny!", wisperte er. Sie schreckte aus dem Schlaf auf und fuhr hoch. "Harry!", rief sie. "Du bist wach!"

"Ich bin wieder lebendig", erwiderte er und lächelte. "Wach bin ich schon seit ungefähr fünf Tagen." Warum war ihm eigentlich nie aufgefallen, wie sehr seine Stimmbänder vibrierten, wenn er sie benutzte?

Durch ihren Ausruf waren die restlichen Schläfer im Saal aufgeschreckt und bald war sein Gesichtsfeld von müden, aber strahlenden Gesichtern ausgefüllt, die sich über sein Krankenbett beugten. Ginny bemerkte, dass sie immer noch seine Hand hielt und wollte sie unauffällig wegziehen, doch er hielt sie fest. In der Aufregung bemerkten es nicht viele. Es war Ron, der zuerst etwas sagte: "Weißt du Harry, du hast Recht gehabt, damals vor einem Jahr: Du bist wirklich der Junge, der verdammt noch mal, einfach nicht sterben will." Ein amüsiertes Flackern seiner Augen und ein kurzes Zucken seiner Mundwinkel verrieten Ron, dass Harry ihn verstanden hatte.

"Harry, du bist dir hoffentlich bewusst, dass das, was du heute Nacht getan hast, nach allen bisherigen Erkenntnissen der Magie, absolut unmöglich ist, oder?", fragte ihn ein strahlender Dumbledore mit einem vergnügten Zwinkern in den funkelnden Augen, "Sie werden wegen dir alle Bücher neu schreiben müssen."

Harry hob seine freie Hand ein Stück von der Bettdecke und winkte ab. Auch wenn seine Hand ihm widerspruchslos gehorchte, war er dennoch erstaunt, wie viel Kraft ihn das im Moment kostete. Ihm wurde auf einmal bewusst, wie unendlich müde er war. "Sie wissen doch, dass ich mich noch nie an die Regeln gehalten habe, Professor", erwiderte er matt.

"Harry, du solltest jetzt schlafen", sagte Dumbledore, der erkannte, wie müde sein Schützling war. "Und ihr alle übrigens auch", fügte er an die restlichen Umstehenden hinzu. "Ich werde euch für heute vom Unterricht befreien. Wenn ihr unbedingt darauf besteht, wird Poppy euch auch sicher gleich hier schlafen lassen. Ich wünsche euch allen einen erholsamen Schlaf." Mit diesen Worten verschwand der Direktor.

Harry spürte, dass ihm bereits die Augen zufielen, und er wegdöste. "Harry?", fragte eine besorgte Stimme. "Du kommst jetzt aber nicht auf die Idee, hier einfach so wegzusterben, oder? Nach allem was passiert, ist... diesmal bleibst du hier, oder?"

Vage erkannte er die besorgte Stimme als Ginnys. "Klar doch", nuschelte er. "Muss nur... schlafen." Schon halb eingeschlafen, räkelte er sich im Bett zurecht und versank in Gedanken. Ginny wollte ihn also nicht wieder gehen lassen... In diesem Moment beschloss er, dass er es ihr sagen würde. Irgendwann. Bald. Er würde nicht noch einmal warten, bis er gestorben war. Spätestens wenn er aus dem Krankenflügel heraus war und wieder für seine Abschlussprüfungen lernen musste. Ihm wurde klar, dass er die letzten Jahre immer stark bezweifelt hatte, dass er diese überhaupt erleben würde.

Er trieb davon. Er war zu müde, um wie sonst seine Okklumentikschilde aufzubauen, aber das war ja auch nicht mehr nötig. Tom war fort. Weitergegangen. Und er hatte versprochen bald nachzukommen... Egal. Tom würde es verstehen. Er würde es ihm erklären, wenn er ihn wieder sah. In hundertfünfzig Jahren... wenn er sich vor Lachen an einem Hühnerknochen verschluckt hatte... nicht die schlechteste Art zu sterben...

Und mit diesem Gedanken und einem leichten Lächeln, das seine Mundwinkel umspielte, schlief er ein.

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AN: So, das war's! Das war meine Geschichte. Hoffe, sie hat gefallen!
Ich muss ja ganz offen zugeben, an einigen Stellen, habe ich lange mit mir gerungen, ob ich sie nun so lassen sollte oder nicht. Gerade in den letzten beiden Kapiteln hatte ich bei durchlesen das Gefühl, manchmal total schmalzig und übertrieben geschrieben zu haben, hoffe euch ging es nicht so. Auch Ginny ist, fürchte ich, nicht so gezeigt worden, wie ich sie mir eigentlich vorstelle, und sie seit OotP eingentlich dargestellt werden müsste, nämlich mutig, frech und vorlaut, intelligent und selbstbewusst. Andererseits, zeigst du diese Eigenschaften, wenn gerade einer deiner besten Freunde und mehr gestorben ist? Ach, und übrigens, sie hatte nicht vor ihr ganzes Leben auf Harry zu warten, aber sie hat sich darauf gefreut ihn irgendwann wiederzusehen, so wie Harry sich auf seine Eltern gefreut hat.
Tja, und wenn wir schon beim dem Thema sind: Ich denke, dass einige von euch von Anfang geglaubt haben zu wissen, dass Harry am Ende wieder lebendig wird und ich gebe zu, dass war ein bisschen klischeehaft. Allerdings möchte ich zu meiner Verteidigung sagen, dass das von vorneherein keinesfalls feststand. Ich habe lange überlegt, ob ich ihn nun wieder lebendig mache oder nicht und habe meine gesamte Umgebung damit genervt (zu dem Zeitpunkt genau 3 Leute, die meine Sprach verstanden haben #g#), am Ende habe ich mir dann aber doch gesagt, dass er ein bisschen Glück in seinem Leben verdient hat.