Der Klügere gibt solange nach, bis er der Dumme ist.
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Die Hauselfe
Während Sandra auf ihrem Pokal herumwischte ohne wirklich einen Unterschied zu vorher erkennen zu können, schielte sie immer wieder zu Harry hinüber und versuchte im Kopf eine Frage zu formulieren, die sich nicht anhörte, als wäre sie total bescheuert. Schließlich konnte sie nicht einfach sagen: „Hey, gestern war doch noch September, wo ist der Rest des Jahres geblieben?"oder „Erklär´s mir noch mal...Warum war ich noch auf der Krankenstation?"
Irgendwo in den Tiefen ihres Hirns tauchten auch immer mal Fetzen von Erinnerungen auf, die sie aber allesamt eher einem Traum denn einer wirklichen Begebenheit zuordnete. Wie sie versuchte eine Treppe hinauf zu gehen und einfach gegen eine Mauer rannte, was dazu führte, dass sie die Treppe hinunterfiel und sich den Knöchel verstauchte. Unterricht, in dem sie einfach einschlief und erst wieder aufwachte, als alle bereits gegangen waren. Malfoy, der irgendeinen Fluch auf sie abschoss, woraufhin sie nicht mehr in der Lage war zu sprechen, weil nur noch Seifenblasen aus ihrem Mund kamen. Aber das alles schien so weit weg zu sein, als wäre es alles gar nicht passiert.
Schließlich entschloss sie sich, wenigstens über irgendetwas zu reden, denn nachdem Harry seine Quidditch-Geschichten beendet hatte, herrschte eine unangenehme Stille im Raum, die Sandra ziemlich auf´s Gemüt schlug. Aber offensichtlich hatte Harry genau dasselbe beschlossen, so dass sie beide gleichzeitig anfingen zu reden.
„Was ich immer schon..."
„Hast du eigentlich..."
Sie verstummten beide und sahen sich verblüfft an. Dann mussten sie lachen und der Bann war gebrochen. „Nun sag schon, was wolltest du wissen?", prustete Sandra dann, was jedoch nur dazu führte, dass Harry knallrot anlief und irgendetwas vor sich hinmurmelte, das sie nicht verstand. Irritiert sah sie ihn an. „Was ist denn nun kaputt. Habe ich was Falsches gesagt."
„Nein.", gab Harry langsam zur Antwort. „Aber die Frage, die ich dir stellen wollte ist so dumm, dass..."Er verstummte und sah sie zerknirscht an. Sandra fühlte, dass sich ihre Gesichtsfarbe seiner jetzt durchaus näherte. Hatte sie sich etwa getäuschte, was seine Absichten anging? Aber dann fiel ihr ein, dass sie ja nun schon fast zwei Monate da war, aber sich nicht erinnern konnte, jemals viel mit Harry gesprochen zu haben, was bei ihrer löcherigen Erinnerung vielleicht auch nur Zufall war.
„Dann fang ich eben an.", sagte sie fest. „Meine Frage ist nämlich mit Garantie noch viel dämlicher, so dass du siehst, dass du die Peinlichkeit nicht gepachtet hast. Was ist in den letzten zwei Monaten passiert? Ich habe keine Ahnung warum, aber für mich ist gestern der letzte Tag, an den ich mich noch richtig erinnern kann. Danach spuken lediglich Fetzen in meinem Kopf herum, als wäre ich die ganze Zeit benebelt gewesen"
Harrys Augen waren groß geworden, während sie das sagte. „Toll!", schimpfte sie innerlich mit sich. „Mach dich doch einfach mal zum Affen, Sandra."Aber anscheinend hatte sie mit ihrer Frage gar nicht so verkehrt gelegen.
„Und ich hatte immer das Gefühl, dass du gar nicht richtig da bist. Als ich versucht habe, die anderen darauf aufmerksam zu machen, haben sie mich ausgelacht, aber wirklich interessiert hat es keinen. Außerdem warst du ja immer mit Pavarti und Lavender unterwegs. Hermine hat sogar gesagt dass du wahrscheinlich meinst, du wärst was Besseres und deshalb nicht mit uns sprichst."
„WAS?", rief Sandra empört. „Hat die sie noch alle? Ich bin doch hier diejenige, die absolut im Nachteil ist. Ich kann nicht zaubern, meine Erinnerung verabschiedet sich ins Nirwana und ich habe keine Ahnung, ob und wie ich jemals wieder nach Hause kommen soll."Erschreckt unterbrach sie sich. Jetzt wäre ihr doch beinahe etwas rausgerutscht, das sie verraten hätte.
Misstrauisch sah Harry sie an. „Was meinst du damit, du weißt nicht, wie du nach hause kommen sollst? Ich denke, deine Mutter ist irgendwann wieder aus dem Krankenhaus raus und dann fährst du einfach wieder zurück."
Sandra sah, dass es so wohl keinen Zweck mehr hatte. Also versuchte sie zu retten, was noch zu retten war. „Meine Mutter ist nicht im Krankenhaus. Selbst wenn es so wäre, wären meine Ferien doch schon längst zu Ende, oder? Ich habe mit Professor Dumbledore eine Vereinbarung, dass ich hier bleiben darf so lange, bis wir einen Weg gefunden haben, wie ich wieder zurückkomme. Ich sollte ihn vielleicht mal fragen, was es damit auf sich hat, denn so ein Gedächtnis-Verlust ist bestimmt nicht normal, auch wenn hier alles ein wenig anders ist, als bei mir zu hause."
„Wo kommst du denn nun eigentlich her?", fragte Harry verwundert über diese Eröffnung. „Warum sollte es so schwierig sein, wieder zurück zu fahren, wenn du nicht mehr hier sein möchtest."
„Ich bin aus Deutschland, aber in meiner Familie gibt es gar keine Zauberer und wenn ich ehrlich bin, bezweifele ich, dass irgendjemand, den ich kenne, jemals die Chance hätte einen zu treffen."
„Warum nicht? Schließlich gibt es auch bei euch Zaubere, oder nicht?".
„Nein, eher nicht.", murmelte Sandra „Außerdem kann ich eben nicht so einfach in den Zug steigen und bin wieder zu hause. Das ist aber etwas, über das ich nicht so gerne reden würde."Als sie so daran dachte, ob sie wohl jemals wieder nach hause kam, wurde sie ein wenig traurig. Sie war gerne hier, das stimmte, aber es wäre schöner gewesen, wenn man gewusst hätte, dass dieser Ausflug auch irgendwann zu Ende war.
„Naja", unterbrach Harry ihre Gedanken. Mit dem Putzen hatten beide schon längst aufgehört und so setzten sie sich auf Harry Geste hin zwei der vorhandene Sessel. „Eigentlich passt das ziemlich gut zu meinen Beobachtungen. Ich sagte dir ja bereits, dass sich keiner so recht darum kümmert. Außerdem weiß ich, dass du letzte Woche bereits mit Professor Dumbledore gesprochen hast. Wenn er eine Möglichkeit sähe, dich wieder zurückzuschicken, wüsstest du doch jetzt davon. Allerdings schien er auch nicht wirklich interessiert an dir zu sein, denn ich habe versucht mit ihm über dich zu reden, doch er fand immer wieder Gründe, warum es nicht ging oder hatte gar ganz vergessen, dass du da bist."
Sandra sah ihn fassungslos an. Er hatte quasi eben behauptet, dass sie tatsächlich durch die Schule gelaufen war, sich mit Leuten unterhalten hatte, aber weder sie noch die Betreffenden eine Erinnerung daran hatten, beziehungsweise irgendetwas merkwürdig daran gefunden hatten. Er rutschte ein bisschen auf dem Stuhl umher und fügte dann an. „Wenn ich ehrlich bin, fällt mir das auch schwer, sobald du nicht mehr im Raum bist. Wenn ich mir nicht einige Sachen aufgeschrieben hätte über dich, wüsste ich es auch nicht mehr. Aber heute waren meine Aufzeichnungen mit einem Mal verschwunden."
„Wie verschwunden?", fragte Sandra erstaunt. Das Ganze gab so langsam überhaupt keinen Sinn mehr. Dann fiel ihr noch etwas anderes auf und sie fragte ohne nachzudenken: „Warum schreibst du dir überhaupt Sachen über mich auf?"
Er wurde wieder rot, betrachtete ziemlich interessiert das Muster im Teppich und nuschelte dann: „Ich weiß nicht. Du bist irgendwie anders. Dann warst du aber die ganze Zeit immer mit Pavarti und den anderen Mädchen und ich habe es wieder vergessen. Aber manchmal schaust du so komisch, da habe ich mich gefragt, warum das so ist. Vielleicht in ich auch einfach zu neugierig."
Sandra blinzelte und wusste nicht so recht, was sie jetzt darauf antworten sollte. Sie schaute komisch? Diese ganze Welt war komisch, da durfte man ja wohl als normaler Mensch mal ein bisschen komisch schauen, oder nicht? Dann stutze sie bei diesem Gedanken. War das, was Harry bemerkt hatte, die Tatsache, dass Sandra eigentlich gar nicht Bestandteil dieser Welt war? „Was genau ist anders", fragte sie ihn neugierig.
„Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll.", fuhr Harry fort. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass du gar nicht richtig da bist und dann wieder ist es, als ob du mehr da bist als alle anderen, meine Freunde und Dumbledore mal ausgenommen. Ich weiß auch, dass ich dich immer mal danach fragen wollte, aber wenn du nicht im Raum warst, habe ich es einfach immer wieder vergessen."
„Lass mich das mal eben zusammenfassen.", sagte Sandra trocken. „Ich habe keine Erinnerung an die vergangene Zeit, keiner von euch kann sich besonders gut an mich erinnern und eigentlich ist es die meiste Zeit so, als wäre ich nicht da und keiner außer dir stört sich daran, was aber auch nur daran liegt, dass wir uns beide im selben Raum befinden. Stimmt das soweit?"
Er nickte. „Ist doch alles ziemlich seltsam, findest du nicht?"
„Seltsam?", schnaubte Sandra. „Das ist so, als wäre ich eigentlich gar nicht hier. Wir müssen einen Weg finden..."
Sie wurden in ihrem Eifer gebremst als mit einem Mal die Tür aufging und eine Hauselfe hereinspaziert kam. Aus irgendeinem Grund kam sie Sandra bekannt vor, doch sie konnte den Finger nicht darauf legen, warum das so war. Vielleicht sahen Hauselfen aber auch alle gleich aus, so dass das nicht weiter verwunderlich schien.
„Ich habe ihnen eine kleine Erfrischung gebracht. Sie müssen beide sehr hungrig sein."Dabei wies das kleine Wesen auf ein Tablett mit köstlichem Kuchen, bei dem Sandra normalerweise das Wasser im Munde zusammen gelaufen wäre, zu mal sie beim Frühstück aufgrund von Harrys Versprechen nicht mehr besonders viel runterbekommen hatte. Aber jetzt war ihrer Kehle wie zugeschnürt und sie war viel zu aufgeregt zum Essen.
„Nein danke, aber ich möchte nichts.", sagte sie deshalb. Als ihr Blick auf Harry fiel, meinte sie jedoch ermunternd: „Du siehst aber aus, als könntest du was vertragen. Du siehst schlecht aus." Normalerweise fiel ihr so was zwar nicht auf, aber Harry war wirklich ziemlich blass.
„Danke, ich hatte in der letzten Zeit öfter mal keinen Hunger, aber jetzt geht es wieder.", meinte er, nahm das Angebot an und mampfte so glücklich auf seinem Kuchen herum, dass Sandra gerade überlegt, ob sie nicht doch ein Stück nehmen sollte, als sie den Blick der Hauselfe bemerkte, die näher getreten war und ihr ein Glas Kürbissaft hinhielt. „Dann nehmen Sie etwas Saft, Miss Sandra. Tippsy würde sich so darüber freuen, wenn es ihnen gut geht."
Alles hätte Sandra von einem Wesen mit so großen treuen Augen genommen, aber keinen Kürbissaft, denn der war nun wirklich widerlich. „Nee, lass mal.", sagte sie deshalb entschuldigend und hob abwehrend die Hände. „Ist nicht so mein Fall."
Doch die Hauselfe schien nicht gewillt sich so abspeisen zu lassen und bestand förmlich darauf, dass sie ein Stück nahm. Grummelnd ließ sich Sandra den Teller füllen und verzog sich in ihren Sessel. Das konnte sie ja leiden. Andererseits sah der Kuchen wirklich gut aus.
Als sie sich so eben ein Stück von dem Kuchen in den Mund schieben wollte, merkte sie, wie still Harry geworden war. Sie warf einen Blick in seine Richtung und betrachtete fasziniert, wie er drei Stücke Kuchen verschlang und sie dabei von einem Ohr zum anderen angrinste. Darüber vergaß Sandra völlig selber zu essen und zerbröselte geistesabwesend lediglich das Stück auf ihrem Teller.
Da meinte die Hauselfe mit einem Mal. „Ach Tippsy ist ja so vergesslich. Harry Potter muss sehr entschuldigen, dass Tippsy so dumm ist, aber er soll ja zu Professor Dumbledore kommen."
„Super!", sagte Sandra. „Dann können wir ihn gleich mal nach meinem Problem fragen, meinst du nicht?", fragte sie Harry und stand auf.
„Harry Potter soll alleine kommen, hat der Schulleiter gesagt.", mischte sich die Elfe ein. Sie sah ein wenig gehetzt aus, fand Sandra. Wenn sie sich doch nur erinnern könnte, wo sie sie schon mal gesehen hatte. Das war doch...
„Du warst im Gryffindor-Turm.", erinnerte sie sich plötzlich und die Elfe legte unglücklich die Ohren an. „Genau an meinem ersten Tag hier; also für mich sozusagen gestern. Du hast total verängstigt gequiekt und bist dann weggerannt."
Die Hauselfe trat nun von einem Fuß auf den anderen und wickelte ihr Geschirrtuch um die langen, dürren Finger. „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, Miss. Ich bin nie im Gryffindor-Turm in ihrem Schlafzimmer gewesen."
„Aha, vom Schlafzimmer habe ich auch nie was gesagt. Du lügst doch wie gedruckt."Sie machte einen schnellen Schritt auf das kleine Wesen zu und baute sich vor ihm auf. „Was hast du mit dieser ganzen Sache zu tun. Ich will jetzt endlich mal eine gescheite Antwort. Was ist hier los?"
Tippsy schien jedoch nicht besonders erpicht darauf zu sein, irgendeine von Sandras Fragen zu beantworten und schaute nur Harry unglücklich an. „Harry Potter muss jetzt sofort alleine zu Professor Dumbledore gehen, sonst bekomme ich großen Ärger. Harry Potter muss jetzt gehen."
Langsam setzte sich Harry in Bewegung. „Ich sollte vielleicht wirklich gehen.", murmelte er und setzte mechanisch einen Fuß vor den anderen.
„Harry.", quiekte Sandra. „Du kannst doch nicht einfach gehen. Wir müssen zusammenbleiben, sonst war das ganze Gespräch eben umsonst, weil du wahrscheinlich alles wieder vergisst. Ich bleibe hier auf keinen Fall alleine mit der lügenden Elfe."Sie lief zu ihm hin, stellte sich vor ihn und packte ihn am Arm, doch sein Blick war leer und er schien sie gar nicht zu hören. Er wich ihr aus, wand seinen Arm aus ihrem Griff und ging weiter auf die Tür zu
Die Elfe kümmerte sich ebenfalls gar nicht um Sandra Einwürfe, sondern konzentrierte sich nun voll auf Harry, der sich immer weiter zur Tür bewegt, und wiederholte immer wieder, dass er nun zum Schulleiter gehen müsste. Schließlich sah Sandra keine andere Möglichkeit mehr. Sie nahm sich einen der Pokale, murmelte kurz eine Entschuldigung und zog der Hauselfe damit eins über den Schädel.
Harry blieb stehen und sah sie verwirrt an, als wüsste er schon wieder nicht, was gerade geschehen war. „Was hast du gemacht? Die Elfe ist bewusstlos. Wenn Hermine das sieht, wird sie dich erschlagen."
„Ist mir schnuppe.", schnaubte Sandra böse. „Diese Elfe hat etwas mit dieser seltsamen Sache zu tun und ich bin nicht bereit mir meinen einzigen Trumpf einfach so aus der Hand nehmen zu lassen. Ich will jetzt endlich Antworten und sie ist mein einziger Anhalts-Punkt. Die geht nirgendwo hin."Damit suchte sie den Raum systematisch nach etwas ab, um die Hauselfe zu fesseln, doch als sie wieder auf die Stelle sah, an der sie gelegen hatte, war das kleine Wesen verschwunden.
„AHH!", schrie Sandra. „Jetzt hab ich die Schnauze aber gestrichen voll. Wir gehen jetzt zu Dumbledore. Der weiß doch sonst immer alles."
Mit diesen Worten nahm sie Harry einfach am Arm und zog ihn aus der Tür, damit er ihr nicht schon wieder entwischen konnte.
