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Kapitel 1: Gute Planung ist alles
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Als Alfred am nächsten Abend eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang seinen Sargdeckel beiseite schob, fand er die Gruft leer und die anderen Särge verlassen vor. Es dauerte eine Weile, bis ihm wieder einfiel, warum er so schlechter Stimmung war.
Der Nachwuchswissenschaftler wanderte durch die ruhigen Korridore des Schlosses, bis er aus dem Salon Stimmen hörte. Er schob die Tür auf und erblickte Magda und Herbert, sie hockten in den gemütlichen Sesseln vor dem Feuer und Magda hielt ein Klemmbrett und einen Stift in den Händen.

"Okay, was ist mit den von Schlottersteins?", fragte Magda gerade.

Herbert schüttelte den Kopf. "Nein, Paps hat sich vor 50 Jahren mit Dorothee gestritten, und die hat dann Sabine auf ihre Seite gezogen, und die hat das Sagen in der Familie. Außerdem haben die drei Kinder, die im realen Alter höchstens 13 sind. Die würden nur nerven."

Magda strich etwas auf dem Klemmbrett durch, schaute auf - und entdeckte Alfred. "Komm doch rein", rief sie und winkte ihn zu sich.

Alfred betrat unsicher den Raum und ließ sich in einem Sessel zwischen den beiden Vampiren nieder. "Was macht ihr da?", fragte er. Es wunderte ihn, dass Herbert so eifrig mit Magda zusammenarbeitete, war er doch gestern noch vehement gegen diese ganze Heiratsangelegenheit gewesen.

"Wir schreiben die Gästeliste", antwortete Magda glückseelig.

"Gib mal her." Herbert zog ihr das Klemmbrett auf der Hand und ging die Liste durch. Alfred hörte gelegentlich ein gemurmelter "...die nicht...die nicht...die auch nicht... oh Gott, die erst recht nicht..."

Magda und Alfred wechselten einen Blick und dachten genau dasselbe: Verstand sich Graf von Krolock überhaupt noch mit irgendeiner Vampirfamilie? Da stieß Herbert ein lautes "Aaah!" aus.

"Die aber auf jeden Fall", sagte er zu Magda und zeigte ihr einen Namen auf der Liste.

"Die Catines? Wer ist das denn?", fragte die junge Magd mit gerunzelter Stirn.

"Cousine meines Vaters mit Mann, den vier Kindern, der einen dazugebissenen Cousine, Großeltern und Schwester. Meine Lieblingscousinen", fügte er hinzu

Auf ein verwirrtes "Aha" von Seiten Magdas - Herbert hatte bis jetzt über jedes Familienmitglied eine lästernde Bemerkung gemacht, nur jetzt nicht - riss Herbert ein Blatt aus dem Klemmbrett, kritzelte schnell etwas drauf und rief nach Koukol.

"Koukol, könntest du das hier Tante Titania und Onkel Jonathan überbringen?", fragte er und reichte ihm das Papier. Koukol machte eine tiefe Verbeugung und verschwand. Herbert las sich den Rest der Vorschlagsliste durch.
"Wegen den anderen musst du meinen Vater fragen", verkündete er Magda. "Keine Ahnung, ob er sich mit denen wieder vertragen hat."

"Okay, dann seh ich mal zu, dass ich ihn finde." Magda erhob sich. Bei der Tür angekommen, drehte sie sich noch einmal um. "Ach ja, kommt doch bitte morgen Nacht sofort nach dem Aufstehen in den Ballsaal."

Damit verschwand sie.

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Die Nacht verging wie im Flug, der Tag - verständlicherweise - wie im Schlaf. Der arme Chagal bekam tagsüber im Sarg mehr als einmal Magdas Hände ins Gesicht, die junge Magd schien davon zu träumen, wie sie eine Eröffnungsrede hielt.

Am Abend, kurz nach Sonnenuntergang, verließen Alfred und Herbert zusammen die Gruft - allerdings erst, nachdem sie eine äußerst neugierige Sarah davon abgehalten hatten, ihnen zu folgen - und trafen zwei Flure weiter auf Chagal und den Professor, welcher sich alle möglichen Bedenken Chagals über sich ergehen lassen musste, wie schädlich diese Heirat für seine kleine Sarah war.

Im Ballsaal hatten sich schon die meisten 'Teen-Vampire' versammelt und auch einige der gut erhaltenen Ewigkeitsvampire (das bedeutete, dass sie sich nicht so steif bewegten. Alle, die Probleme damit hatten, ihre Gliedmaßen ohne Zucken zu koordinieren, waren von dem Treffen ausgeschlossen. Ein großer, schlanker 'Teen-Vampir' kam auf die kleine Gruppe zu und begrüßte sie alle mit einem Händedruck - alle bis auf Herbert. Der bekam einen Kuss auf die Wange.

"Na, was sagt ihr zu den Heiratsplänen?", fragte er und blickte gespannt in die Runde. Er bekam ein uneinheitliches Murmeln zur Antwort.
"Ah ja", machte der Vampir mit gerunzelter Stirn, lächelte aber eine Sekunde später wieder breit. "Na dann, wir seh'n uns!" Damit verschwand er wieder im Gewühl.

Herbert schaute sich um. Dann zupfte er an Alfreds Ärmel. "Komm, ich zeig dir die Catines!" Bevor Alfred etwas dagegen sagen konnte, hatte der silberhaarige Vampir ihn zu einer Gruppe Frauen geschleift. Chagal und der Professor folgten ihnen. Herbert umarmte eine junge Frau mit langem gewelltem Haar, die in einem roten Kleid steckte, von hinten. Sie drehte sich blitzschnell um und erwiederte die Umarmung. Herbert löste sich grinsend von ihr und wandte sich Chagal, Professor Abronsius und Alfred zu.

"Darf ich vorstellen? Ardora von Catine-Rose, meine angebissene Lieblingscousine."

Inzwischen hatten sich auch die anderen Frauen zu ihnen umgedreht und Alfred konnte auch zwei männliche Wesen erkennen.

Herbert begann, ihnen seine Verwandten vorzustellen. "Das hier ist meine Tante Titania, ihres Amtes Schlossherrin im Familienschloss der Catines-" Eine große Frau mit langen schwarzen Haaren winkte ihnen. "- Jonathan von Catine, mein Onkel und ein Experte auf sehr vielen Gebieten-" Ein sehr großer Mann warf ihnen einen freundlichen Blick zu. Er sah Graf von Krolock nicht unähnlich, allerdings waren seine Haare etwas kürzer. "- Lena, genannt Lee, von Catine, die Älteste-" Eine junge,braunhaarige Frau, die Alfred nicht älter als 27 schätzte, lächelte mit Augenaufschlag. "-Lorenzo von Catine, bevorzugt den Spitznamen Lommel-" Ein eher kleiner, schwarzhaariger Junge, der etwa wie 16 Jahre alt aussah, grinste. " - Bella Stella von Catine, die magisch angehauchte", meinte Herbert spöttisch. Ein blondes, mittelgroßes Mädchen, dass man auf 25 Jahre schätzen konnte, winkte. "Und Freya, die lieber French genannt wird, das Nesthäkchen." Freya war klein, auch wenn sie mit ihren zotteligen, dunklen Haaren und den Schatten unter ihren Augen ebenfalls wie eine 16-jährige wirkte.

In diesem Moment zog Magda die Aufmerksamkeit auf sich. Sie hatte sich oben auf die Treppe gestellt und bat nun um Ruhe.

"Also", begann sie, "hier befinden sich ja nun ausschließlich Leute, die mir im Laufe der letzten Nacht fest zugesagt haben, dass sie helfen würden. Deshalb habe ich eine Liste erstellt. Ich werde jetzt vorlesen, wer für welche Aufgaben zuständig ist."

Alfred und Chagal wechselten einen schnellen Blick. Sie hofften, dass Magda sie mit den richtigen Leuten zusammengesteckt hatte.

Magda räusperte sich. "Für die Geheimhaltung der ganzen Sache würde ich gerne die Ewigkeitsvampire engagieren, der Graf und Sarah sollen überrascht werden. Ihr bekommt nachher einen Plan, was wann wo stattfindet und müsst dann aufpassen, dass die beiden dann dort nicht auftauchen." Sie stupste einen jungen 'Teen-Vampir' an, der zu den Ewigkeitsvampiren stolperte und eine Menge Zettel austeilte. Sie räusperte sich, bevor sie weitersprach.

"Dann brauchen wir natürlich einen Priester, der die beiden traut. Ich habe verschiedene Kandidaten Kontaktiert, aber ich brauch Hilfe, um ein passendes Exemplar auszusuchen, sozusagen eine Jury. Dafür habe ich Herbert, Alfred, Ardora und Julian Toulus Delius ausgesucht. Wir treffen und morgen Abend hier im Ballsaal mit den Kandidaten."

"Sag mal", murmelte Alfred Chagal zu, "wann hat sich das alles gemacht?"

"Sie hat gestern bis nach Sonnenaufgang geplant", antwortete der dicke Wirt. "Danach hat sie noch bis zehn Uhr morgens in den Katakomben gehockt und alles mögliche aufgeschrieben, bis Koukol sie wieder irgendwie in die Gruft geschafft hat."

"Weißt du, wer Julian ist?", fragte jemand hinter Alfred. Der junge Wissenschaftler fuhr herum.

Es war Ardora. Sie hatte ein schmales Gesicht mit feinen Zügen und große Augen. Alfred schüttelte den Kopf.

"Er ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Kummerkastentante", lachte Ardora. "Es ist der komische Typ, der vorhin kurz bei euch war. Ich glaub, er tröstet Herbert des Öfteren bei Liebeskummer."

Magda hatte in der Zwischenzeit bekannt gegeben, wer für das Essen und die Getränke zuständig war (eine Hand voll 'Teen-Vampire' sollten Essen für den Professor, Koukol und Rebecca (die einzigen Lebenden bei dem Fest, die Brautmutter durfte selbstverständlich nicht fehlen) besorgen, und Lena, Lorenzo und Freya waren für die Getränke - inklusive Blut - zuständig).
"Beim Brautkleid und dem Anzug für den Bräutigam", verkündete Magda gerade, "verlasse ich mich auf Titanias und Jonathans Sinn für Stil. Die Kleidung für Trauzeugen, Brautjungfern und so weiter übernimmt Bella Stella. Im Klartext heißt das: Ihr geht alle am Samstagabend Shoppen!"
Jubel brach im Saal aus. Nur Alfred, Lorenzo, die Ewigkeitsvampire und Chagal sahen nicht allzu begeistert aus, und der Professor stöhnte innerlich beim Gedanken an eine Nacht im Shoppingcenter.

Magda verkündete noch einige Aufgaben und die Namen derer, die sie ausführen durften.

"UND", rief sie abschließend, "ich hoffe, ich kann mich auf Julian als DJ am Polterabend und auf der Hochzeitsfeier verlassen!"

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"Wann findet die Hochzeit eigentlich statt?", fragte Alfred Herbert, als sie sich durch die Menge Richtung Ausgang bewegten.

"In zweieinhalb Wochen", brummte Herbert. "Viel zu schnell, meiner Meinung nach."

Alfred nickte abwesend.

Die beiden liefen gemeinsam nach draußen in den Schlossgarten und ließen sich dort auf einer niedrigen Mauer nieder. Herbert musterte seinen Alfred. Dieser wirkte am Boden zerstört.

"Du hättest nicht gedacht, dass Sarah meinen Vater wirklich heiratet, oder?", fragte er leise.

Alfred schüttelte den Kopf.
Herbert schaute ihn eine lange Zeit nur an. Dann sprach er wieder.

"Du magst sie sehr, oder?"
Der junge Wissenschaftler nickte. Dann fiel ihm etwas ein. "Warum warst du eigentlich so gegen diese Heirat?"

"Dafür gibt's 100 Gründe!", sagte Herbert. "Außerdem hab ich eigentlich nicht damit gerechnet, dass Sarah so lange hier bleibt. Und Vater lässt ihr sowieso schon alles durchgehen. Wenn die beiden erstmal verheiratet sind, darf sie mir wahrscheinlich auch noch Verbote erteilen oder sowas." Er zögerte, bevor er weitersprach. "Und außerdem hab ich auch gemerkt, dass du sie magst. Sie wird, wenn sie verheiratet ist, nicht mehr so einfach verschwinden können. Und dann..." Der Grafensohn seufzte. "Dann habe ich wohl gar keine Chance mehr bei dir."
Er wollte seine Hand auf Alfreds legen, aber der war aufgesprungen. "Was meinst du dam-"

Bevor er weitersprechen konnte, wurde er von einer weiblichen Stimme unterbrochen.

"Hallo, ihr beiden! Oh, stör ich?"
"Hi, Dora", murmelte Herbert. Ardora schlug sich durch die Büsche zu ihnen durch.

"Ich geh wohl besser wieder..." Sie wollte sich umdrehen, aber Herbert hielt sie mit einem "Nein, nein, passt schon" davon ab.

"Ich wollte nur bescheid sagen, dass ich erstmal hier bleiben werde. Magda hat mir noch ein paar andere Aufgaben auf's Auge gedrückt, es lohnt sich nicht, wieder mit in unser Schloss zu gehen."

"Okay. Weißt du schon, wo du schlafen kannst?"
Ardora nickte und wandte sich zum Gehen. Sie merkte anhand von Alfreds Miene, dass sie die beiden doch irgendwie gestört hatte. "Wir sehen uns." Damit war sie verschwunden.
Herbert wandte sich sofort wieder an Alfred.

"Tut mir leid, ich wollte sich nicht erschrecken."

Alfred schluckte und riss sich zusammen. Er musste jedes mal, wenn er mit Herbert allein war, an diesen Zwischenfall im Badezimmer denken. Herbert war zwar nett, aber irgendwie erschreckte er ihn immer wieder. Er wollte für den Grafensohn einfach nicht mehr als ein normaler Freund sein. Aber jetzt, wo der ältere Vampir ihn so geknickt anschaute, fasste sich der Nachwuchswissenschaftler ein Herz und setzte sich wieder neben ihn.

"Schon gut."
Herbert wirkte erleichtert.

"Sag mal, wer ist diese Ardora überhaupt?", wollte Alfred wissen, allerdings eher, um überhaupt etwas zu sagen.

"Naja..." Herbert räusperte sich. "Bella, meine Lieblingscousine, ist... naja, sie steht auf Männer und Frauen. Damit hat eigentlich alles angefangen. Sie hat sich in Ardora verliebt, umgekehrt genauso. Und irgendwann hat Bella sie dann gebissen. Ardora war genau so ein Sternkind wie Sarah. Hat sich nach der Nacht und der Dunkelheit gesehnt. Deshalb haben Tante Titania und Onkel Jonathan sie auch bei sich aufgenommen. Das 'Rose' an ihrem Namen kommt von dem Nachnamen, den sie vor dem Biss hatte. Sie ist noch nicht alt, gerade mal 84 Jahre. Sie und Bella sind meine Lieblingscousinen."

Alfred nickte. "Und dieser Julian? Ardora meinte, er wäre so eine Art Kummerkastentante..."

"Stimmt", nickte Herbert, "im wahrsten Sinne des Wortes. Er ist so gepolt wie ich. Er war früher mal Page, glaub ich... Aber er ist ein bisschen ausgeflippt. Er ist der älteste 'Teen-Vampir' den ich kenne, mit seinen 420 Jahren."

Alfred nickte nochmal. Dann fiel ihm noch etwas ein.

"Bei... bei den Lebenden gibt es bei Hochzeiten immer so etwas wie einen J-"

"HUHUUUU!"

Eine laute Stimme unterbrach den jungen Wissenschaftler. Magda kam auf sie zu.
"Hallo, ihr beiden, ich hab noch 'ne Bitte, das hatte ich vorhin vergessen."

"Worum gehts?", fragte Alfred.

"Ich dachte, es wär nicht schlecht, Junggesellenabschiede zu organisieren. Für Sarah übernehmen wir Frauen das, aber es wär gut, wenn ihr das Ganze für den Grafen planen könntet. Ihr Männer, mein ich."

"Genau das, was ich gerade fragen wollte", murmelte Alfred.

Herbert nickte begeistert. "So richtig, mit fiesen Aufgaben?", wollte er wissen.
Magda nickte grinsend.

"Aber immer!" Herbert sprang von der Mauer und nahm Alfreds Hand. "Komm", rief er übermütig, "lass mal sehen, ob wir nicht noch andere Vaterquäler finden!"

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Okay, das war's. Reviewt schön, ich leg wirklich Wert auf eure Meinungen. :-)

eure Aisa