Kapitel 3

Tortuga

Miranda wachte auf und das erste, dass sie wahrnahm, waren schreckliche Kopfschmerzen. Es lag wohl daran, dass sie am Tag zuvor das erste mal in ihrem Leben Alkohol getrunken hatte und davon auch nicht zu wenig.

Miranda erhob sich und verließ ihr Zimmer. An Deck strömte ihr die frische Meeresluft in das Gesicht und zu ihrer Überraschung linderte es ihre Kopfschmerzen um einiges. Sie stellte sich an die Reling und schaute hinaus auf das weite Meer. Es war ein schöner und windiger Tag und ein bisschen musste Miranda sich eingestehen, dass es ihr hier besser gefiel, als an Lande bei ihrer Familie. Das war sowieso so eine Sache. Ihre Familie erwartete viel zu viel von ihr, sie sollte ganz so werden wie ihr toller Bruder. Sie sollte einen reichen und angesehenen Mann heiraten und den Rest ihres Lebens an seiner Seite zu Vorführungszwecken bei Feiern und besonderen Anlässen dienen. Doch diese Zukunft war so gar nicht nach Mirandas Geschmack. Sie hatte schon immer ein Leben in Freiheit bevorzugt und so ein Leben auf See war ganz nach ihren Vorstellungen. Miranda dachte über Jack Sparrow nach. Dieser Mann hatte irgendwie etwas, fand sie. Er lebte genauso, wie sie es sich immer erträumt hatte.

Wenn ich ehrlich bin, habe ich sogar einen Grund, Jack dankbar zu sein. Er hat mich aus meinem goldenen Käfig befreit´, dachte sie. Im selben Moment ertönte eine Stimme hinter ihr.

„Na, Liebes, wieder nüchtern?", fragte Jack Sparrow und stellte sich neben sie.

Miranda nickte. Jack blickte auf das Meer.

„Tut mir echt leid, dich hiermit reingezogen zu haben. Ich habe schon zig Menschen aus ihrem Leben gerissen, ob absichtlich oder nicht, doch bei dir ist es etwas anderes. Du bist ja noch so jung", sagte er. Miranda nahm sich ein Herz. „Wisst Ihr", begann sie, „um die Wahrheit zu sagen, es ist gar nicht mal so schlimm für mich. Daheim hatte ich überhaupt keine Freiheiten. Ich war die Schwester des angesehenen Commodores, mehr nicht. Ich durfte nie ohne Begleitung das Haus verlassen, man hätte mich ja entführen können."An dieser Stelle unterbrach sie, denn Jack grinste sie unschuldig an. Miranda lachte.

„Ich merke, wie ich aus meiner Gefangenschaft erwache. Ich fange an zu atmen, buchstäblich zu leben..."Jack sah aus, als wäre ihm ein Stein vom Herzen gefallen.

„Es freut mich, dass zu hören, es lindert mein schlechtes Gewissen", sagte er.

„Wohin geht unsere Reise jetzt?", fragte Miranda ihren Entführer.

„Nach Tortuga. Ich denke, wir werden dort erst mal einige Zeit bleiben. Kannst du mit dem Schwert umgehen, Miranda?", fragte Jack.

„Ich habe es vor ein paar Jahren beherrscht, ich weiß nicht, ob ich es jetzt noch kann", antwortete Miranda nachdenklich.

„Lass es und testen!", schlug Jack vor.

„Aye!", antwortete Miranda, die sich von Sekunde zu Sekunde wohler fühlte. Zudem waren ihre Kopfschmerzen längst vergangen. Jack drehte sich um und kam wenig später mit einem dem prächtigem Schwert wieder, mit dem Miranda am Abend zuvor Gibbs bedroht hatte. Sie nahm es in die Hand und stellte sich ungefähr mit anderthalb Metern Abstand gegenüber von Jack auf. Er zog sein frischgeklautes Messer mit dem blutroten Griff aus der Scheide und nahm kampfbereit Position ein.

„Fertig?", fragte er Miranda.

„Fertig!", erwiderte sie.

Der Kampf begann und Miranda zeigte ihr ganzes Können. Links abgewehrt, rechts abwehrt, mittiger Stoß. Nach einer Weile brachten sie Beinarbeit mit in den Kampf und es wurde schneller.

Will und Elizabeth gingen aufs Deck und erblickten überrascht den Kampf zwischen Miranda und Jack.

„Oje, was soll das denn?", keuchte Will.

„Also, entweder streiten sie sich, oder Jack überprüft Mirandas Können", schloss Elizabeth. Mit großen Augen beobachtete das Paar die Beiden. Nach schier einer Ewigkeit wich Miranda zurück und blieb außer Atem stehen.

„Ich kann nicht mehr", konnten Will und Elizabeth sie keuchen hören. Jack hielt inne und musterte Miranda beeindruckt.

„In Gottes Namen, dass du so gut bist, hätte ich nun auch nicht erwartet!", rief er.

„Ihr kennt meinen Bruder. Selbstverteidigung steht bei ihm an erster Stelle", erwiderte Miranda.

Will und Elizabeth gingen auf die Beiden zu.

„Na, habt ihr euch endlich zusammengerauft?", fragte Elizabeth grinsend.

„Wie du siehst, ja", antwortete Jack.

„Nun gut, Ihr wisst jetzt, dass ich den Schwertkampf beherrsche. Aber ich hätte da noch eine kleine Bitte: drückt mir nie wieder auf irgendwelche lebenswichtigen Blutgefäße, das ist mir zu unangenehm", sagte Miranda.

„Ich werde mein Bestes geben, aber garantieren kann ich nichts. Das ist eine nützliche Art der Verteidigung, hilft allerdings auch in anderen Lebenssituationen", gab Jack zurück. Miranda grummelte irgendetwas vor sich hin.

„Ihr seid ja wie Vater und Tochter", lachte Will amüsiert. Jack und Miranda sahen einander an. „Kann sein", sagten sie im Chor.

Am Abend legten sie in Tortuga an. Niemand bemerkte sie, was Miranda ausgesprochen schade fand; sie hätte gerne die Reaktionen der Bürger angesichts der Pearl gesehen. Aber hier in Tortuga hatte wohl niemand Zeit, sich Schiffe anderer Leute anzugucken, bemerkte sie recht schnell. Die Leute waren eher damit beschäftigt, sich zu prügeln und zu saufen.

„Uargh, wo sind wir denn hier gelandet?", fragte Miranda an Will gewandt.

„Auf der schlimmsten Insel der Karibik", antwortete er und Miranda nickte stumm. Neben ihr zuckte Elizabeth zusammen; ein großer Bierkrug war soeben haarscharf an ihrem Kopf vorbeigesaust. Sie drehte sich empört um, doch Will hielt sie zurück.

„Sag besser nichts, Liz, sonst bekommst du nur noch mehr Ärger", riet er ihr. Elizabeth öffnete gerade den Mund, um zu widersprechen, doch Anamaria kam ihr zuvor. „Er hat Recht. Hier kannst du mit niemandem reden."

Miranda blickte sich suchend nach Jack um, doch er war weit und breit nicht zu sehen. „Er ist mit Gibbs in einer Kneipe. Wahrscheinlich saufen sie sich gerade um den Verstand", antwortete Ana, nachdem Miranda sie gefragt hatte.

Die Gruppe ging ebenfalls in eine der Kneipen und ließen sich an einem Tisch nieder. „Sie wünschen?", fragte eine dicke Frau, offenbar die Kellnerin.

Ana sah in die Runde. „Okay, ich bestell jetzt einfach für euch mit. Also, ein Wasser für unsere Kleine – "

Miranda unterbrach sie.

„Ich hätte gerne ein Glas Wein", korrigierte sie. Ana zog eine Augenbraue hoch.

„Na gut, dann noch drei Gläser Wein."Die Kellnerin notierte sich die Bestellung und ging. Miranda sah sich erneut um und sah Jack mit Gibbs und einem Mann, den sie nicht kannte, an einem Tisch an der anderen Seite des Raumes sitzen. Der Anblick beruhigte sie und sie fühlte sich etwas sicherer als zuvor.

Nach ein paar Minuten wurden die Getränke gebracht. Miranda schnappte sich einen der Kelche und nahm einen kräftigen Schluck.

„Was würde denn deine Familie dazu sagen, dass du hier einfach so Wein trinkst?", fragte Will. Miranda zuckte mit den Schultern.

„Es ist mir im Moment ziemlich egal, was meine ach so tolle Familie denkt."

Die anderen sahen sich verwundert an, sagten aber nichts dazu. Wenig später waren Will, Elizabeth und Ana in ein Gespräch über den weiteren Verlauf der Reise verwickelt. Miranda sah sich interessiert um. Jack und die anderen saßen noch immer an dem Tisch und es machte den Eindruck, als wären Jack und der fremde Mann am verhandeln. Plötzlich ertönte ein Schuss und Miranda fuhr erschrocken zusammen, aber Ana beruhigte sie. „Das ist hier normal."Miranda ließ sich misstrauisch zurück auf ihrem Stuhl sinken. Nach einer halben Stunde jedoch glaubte sie Ana, da ungefähr alle fünf Minuten ein Schuss fiel.

Miranda hatte ihren Kelch gelehrt und saß zufrieden zwischen Elizabeth und Anamaria. Eine wohlige Wärme hatte sich in ihr ausgebreitet, was, wie sie vermutete, höchstwahrscheinlich an dem Alkohol lag.

Nach weiteren fünf Minuten erhob Miranda sich.

„Wo willst du hin?", fragte Ana sie.

„Ich muss mal gerade zur Toilette", antwortete sie. Während sie sich zwischen den Tischen hindurchschlängelte, wurde ihr unangenehm bewusst, dass sie von vielen der Männern begierig angestarrt wurde. Sie beschleunigte ihre Schritte und erreichte das Bad. Als sie sich die Hände wusch, sah sie in den gesplitterten Spiegel. Das gepflegte und brave Mädchen von einst war verschwunden, anstatt ihrer guckte ihr ein wildes Mädchen entgegen. Ihre schwarze Mähne war durcheinander und die Farbe ihres prachtvollen Kleides war merkwürdig blass geworden. Trotzdem fühlte Miranda eine seltsame Befriedigung, sie war nicht mehr das kleine Mädchen von früher, nein, die Bezeichnung Frau passte nun besser zu ihr.

Das wurde ihr dann noch bewusster, als sie wieder zum Tisch zurückwollte. Die Männerblicke häuften sich und wurden immer begieriger. Noch waren es viele Meter bis zum Tisch. Miranda bekam Angst, Ignorier es einfach, sieh weg´, sprach sie sich Mut zu. Der Lärm wurde um sie herum wurde ihr immer bewusster und lauter, Niemand wird es sehen, wenn du gepackt wirst´, drang es in ihr Bewusst-

sein. Als ihre Angst ihren Höhepunkt erreicht hatte, spürte sie einen Griff an der Hüfte. Ein ekelhafter, nach Alkohol stinkender Mann hatte sie gepackt und wollte sie fortzerren. Miranda wehrte sich verzweifelt, doch sie entkam den Griff nicht und da der Mann seine dreckige Hand auf ihren Mund gelegt hatte, konnte sie nicht nach Hilfe schreien. Das kann doch nicht sein, irgendjemand muss es doch bemerken!´, dachte sie verzweifelt, doch nach fünf Metern war ihre Hoffnung bereits erloschen. Leute, Männer und Frauen, sahen sie, doch niemand unternahm etwas. Miranda betete schon an Gott, als sie Jack erblickte. Er saß nur zehn Meter entfernt mit Blickrichtung zu ihr am Tisch, doch er schien sie nicht zu sehen. Als Miranda vor Angst ihre Augen schloss, hörte sie seine Stimme.

„HEY! Dreckiger Hund, lass das Mädchen los!", rief er durch den Raum. Miranda öffnete wieder ihre Augen und sah Jack auf sie zuschreiten kommen. Er zog drohend sein Schwert und sagte:

„Lasst sie los! Ihr könnt sie nicht als Geisel nehmen, ich werde zur Not auch sie töten, das ist besser, als von einem Nichtsnutz wie dir missbraucht zu werden!"

Der Griff um Mirandas Hüfte und die Hand vor ihrem Mund lösten sich, sie war freigelassen worden. Verängstigt rann sie zu Jack, der sie beschützend in seine Arme schloss.

„Beim Fluch der Karibik, man darf doch wohl mal Spaß haben", maulte der Mann und verschwand. Miranda ließ sich geschockt neben Jack auf der Bank bei Gibbs und dem fremden Bekannten nieder und konnte nur mit Mühe ihre Tränen zurückhalten.

„Immer dieser John! Taugt zu nichts, hat nur Kraft, aber keinen Verstand!", schimpfte Jack.

„Du ... du kennst ihn?", fragte Miranda zitternd. Jack nickte bitter.

„Entschuldigt mich einen Moment", sagte er zu den anderen. „Komm, Liebes, ich bring dich in eines der Mietzimmer."Er half Miranda auf und führte sie durch mehrere dunkle Gänge in ein kleines Schlafgemach. Sie ließ sich erschöpft darauf nieder und schlief sofort ein. Jack ging hinaus und wandte sich wieder seinem Rum zu.

Gegen vier Uhr wurde Miranda wach. Sie hatte zu ihrer Erleichterung keine Kopfschmerzen von dem Alkohol, trotzdem fühlte sie sich sehr matt.

Müde erhob sie sich und ging durch den leeren Flur in das Badezimmer, wo sie sich ausgiebig wusch und ein Bad nahm. Das warme Wasser verwöhnte ihre Sinne und der ganze Raum war voll Wasserdampf, sodass sie nicht mehr viel um sie herum erkennen konnte. Die Kräuteressenz, die sie dem Wasser beigefügt hatte, verbreitete einen verführerischen Dampf.

Nach einer Stunde; das Wasser war nur noch lauwarm, stieg Miranda aus der Holzwanne und zog sich ihr Schlafgewandt an.

In ihrem Zimmer ließ sich wieder in ihr Bett sinken. Es war mollig warm und angenehm und nach ein paar Minuten war sie schon im Halbschlaf.

„Du Idiot, ich sag doch, sie zieht sich nicht hier um!"

Miranda öffnete ihre Augen einen Spaltweit.

„Jaah, ich habs ja nur vermutet!"

Wer sprach da? Miranda setzte sich hin und bemerkte, dass es seltsam kalt um sie geworden war. Ein eisiger Hauch lag in der Luft, von der Wärme war nichts mehr zu spüren. Sie blickte zur Tür, doch nichts war zu erkennen.

Wo waren die Stimmen hergekommen? Sie drehte den Kopf und sah auf den Raum rechts neben sich. Doch anstatt eine dunkle Leere zu entdecken, schrie sie auf.

Zwei weiße, durchsichtige Geister schwebten da und schauten sie an.

„Seid still, oder es wird das Letzte sein, was Ihr in eurem Leben gesagt habt!", zischte der kleinere der Beiden und griff sie drohend am Arm.

In diesem Moment machte sich mal wieder deutlich, dass Miranda in ihrem goldenen Käfig nie auf gefährliche Situationen vorbereitet geworden war.

Ihr wurde schwarz vor Augen und die Dunkelheit verschluckte sie.

REVIEWS AN DIE MACHT!!!