„Was...?"
Heroth hatte alles mögliche erwartet, nur auf diesen Anblick war er nicht gefasst gewesen. Vor ihm auf dem Boden der Halle lag ein Bündel, einem Tier mehr ähnelnd als einem Menschen, doch handelte es sich bei näherer Betrachtung um eine Frau.
Zusammen gekauert umklammerte sie ihre Knie, die langen, zotteligen Haare hingen ihr wirr ins Gesicht, von dem man nicht mehr viel sehen konnte. Ihre Kleidung bestand nur aus verdreckten und zerrissenen Lumpen, wie im Wahnsinn versuchte sie, sie fester an sich zu ziehen, wobei sie ihre zerschunden Hände entblößte. Als sie bemerkte, dass Heroth sie anstarrte, hob sie den Kopf und traf seinen Blick, die Klarheit ihrer Augen erschreckte ihn, wodurch sie wiederum zusammen zuckte und sie Gesicht in den Armen vergrub.
„Sie lag einfach da, wir dachten erst, es wäre ein Tier, doch als wir näher kamen, erkannten wir, dass es ein Mensch war.", vernahm Heroth die nervöse Stimme Uthains neben sich. „Ich nahm sie auf meinem Pferd mit, aber als sie nach einer Weile aufwachte, fing sie an sich zu wehren und mich zu beißen...", er zögerte kurz, „wir hatten keine andere Wahl, als sie festzubinden..."
„Ihr habt was?!"Heroth konnte sich endlich von dem Geschöpf losreißen und Uthain ungläubig anschauen.
„Wie...wie hätten wir ihr denn ansonsten helfen sollen. Wir mussten sie doch mitnehmen, sonst wäre sie da draußen verreckt..."
„Gut, du brauchst dich nicht zu rechtfertigen...", Heroth gebot Uthain ungeduldig zu schweigen.
„Was sollen wir nun mit ihr tun, sie lässt sich von niemandem anfassen..."
Der König kniete sich vor die Frau und versuchte, ihr in die Augen zu schauen.
„Könnt ihr mich verstehen? Wenn ja, hebt den Kopf..."
Langsam, aber zögernd, hob sie das Kinn, doch seinen Blick vermied sie immer noch.
„Schaut mir in die Augen.", er versuchte, soviel Wärme wie möglich in seine Stimme zu legen, noch nie hatte er liebevoll mit einer Frau gesprochen, und er fühlte sich nicht wohl in dieser Situation.
Endlich schauten ihre Augen in die seinen und er sah, dass sie grün waren. Er zwang sich zu einem Lächeln.
„Gut,... hört mir zu. Hier wird euch kein Leid widerfahren, ich werde ein paar Ammen beauftragen, euch zu verarzten und zu reinigen. Ihr werdet neue Kleidung bekommen und ein Bett, in dem ihr euch solange ausruhen könnt, wie ihr wollt. Ihr könnt den Frauen vertrauen, sie sind sehr nett und werden euch mit Vorsicht behandeln, versteht ihr mich?"
Es kam ihm fast wie eine Ewigkeit vor, bis sie leicht nickte.
„Gut..." Er schaute ihr noch einige Sekunden lang in die Augen und stand dann wieder auf.
Die zwei Ammen, nach denen er geschickt hatte, kamen nach ein paar Minuten und streichelten die Frau wie ein kleines Kind. Während die eine weiterhin beruhigend auf sie einredete, wurde die andere von Heroth zu sich gewunken.
„Wascht sie und kleidet sie ein. Gebt ihr ein Bett und... versucht, wenn möglich, etwas aus ihr rauszukriegen, wer sie ist und wo sie herkommt."
Die Amme lächelte ihn mütterlich an.
„Wir werden sie zu nichts drängen, wenn sie nicht reden will..."
„Ja, ja...", er winkte ärgerlich ab. Diese Frau kostete ihn jetzt schon Nerven, wenn er an seine ganzen anderen Probleme dachte.
„Dann kümmert euch eben nur um sie und erstattet mir später Bericht."
„Sehr wohl, mein König."Sie machte einen Knicks und ging der anderen zur Hand, um der Frau beim Aufstehen zu helfen.
Als sie den Raum verließen, ging eine Welle der Erleichterung durch die Männerreihe. Ihre Anwesenheit hatte für Verwirrung unter den Kriegern gesorgt.
Heroth war noch über sie in Gedanken versunken. Was hatte dies zu bedeuten. Kam sie aus Edoras und wurde überfallen? Nein, sie stammte bestimmt nicht aus Rohan, ihre Haare waren zu dunkel und auch meinte er, dass ihre Haut unter dem Schmutz dunkler schimmerte, als bei den Frauen Rohans. Wenn sie einer Reisegruppe angehört hätte, wären auch andere dort gewesen, also wie kam es nur zu ihrem Zustand?
Er gähnte herzhaft. Die Lösung müsste bis morgen Zeit haben, ein müder Kopf würde ihn nur unvernünftig denken lassen.
Die Männer warteten immer noch darauf, von ihm entlassen zu werden.
„Geht zur Ruhe, damit ihr morgen wieder bei Kräften seid.", sagte er nur noch und machte sich dann selbst auf den Weg zu seinem Gemach. Es war eine lange Nacht und der morgige Tag würde nur noch länger werden.
