Danke an SilverRose17 und Eldawen für die Reviews! :-D
1. Kapitel: Freunde und Fremde
DZ 2709, Lothlórien
"Also weißt du es nun sicher." Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
Elenion ließ sich in einen Sessel fallen und blickte Anuron seufzend an. "Es ist, wie ich glaubte. Lissiel muss vor sehr kurzer Zeit gestorben sein. Und Yeku mit ihr."
Anuron nickte nachdenklich. "Ich dachte es mir. Solche Gefühle hast du schließlich nicht ohne Grund." Dann runzelte er die Stirn. "Wie hieß er? Lissiels Mann, meine ich."
"Yeku... nun, eigentlich Lacunye. Wir nannten ihn jedoch immer nur Yeku."
"Yeku scheint aber nicht die Abkürzung zu sein."
"Ist es auch nicht... Er war an den Namen einfach mehr gewöhnt als an seinen richtigen. Sein Vater nannte ihn schon so."
Anuron dachte kurz nach, dann streckte er sich auf dem Diwan, auf dem er zuvor gesessen hatte, aus. "Es war wohl voraussehbar", meinte er. "In dieser anderen Welt existieren nun mal weder Elben noch unsere Magie, also altern die Elben, die dorthin gehen, wie die Menschen. Somit war es nur eine Frage der Zeit, bis Lissiel starb."
Elenion lächelte schwach. "Ich weiß. Das brauchst du mir nicht zu erklären."
Anuron warf ihm einen raschen Blick zu und erwiderte das Lächeln. "Das wollte ich auch nicht - ich denke nur laut."
Elenion nickte leicht, dann senkte er den Blick. "Ich wünschte..." Er hielt inne und seufzte leise. "Ich wünschte, ich hätte sie noch einmal gesehen. Aber ich kam zu spät..."
Anuron wandte den Kopf und blickte Elenion an. "Wenn es ihr sehr wichtig gewesen wäre, hättest du es gewusst. Ihr hattet eine so starke Verbindung zueinander, dass du es gespürt hättest, dass sie dich brauchte. Aber offensichtlich wollte sie dich gar nicht bei sich haben, oder zumindest nicht um jeden Preis."
Elenion dachte einen Augenblick darüber nach, dann zuckte er die Schultern. "Wahrscheinlich hast du recht. Und ich weiß auch nicht, ob ich selbst es wirklich gewollt hätte. Ich meine, sie ist... war meine Tochter. Und doch muss sie nach all der Zeit dort weit älter gewesen sein, als ich es bin. Als ich sie das letzte Mal sah, war sie eine erwachsene Frau, dabei war sie gerade erst fünfundzwanzig. Ich glaube, damit hätte ich nicht so einfach umgehen können."
Anuron verzog das Gesicht. "Wer könnte das schon? Wenn die Tochter plötzlich älter ist, als du selbst? Bei Eru, das muss vielleicht ein seltsames Gefühl sein." Anuron dachte einen Moment nach, dann blickte er Elenion an. "Wieso hast du sie eigentlich nicht mit hierher genommen? Wenn doch ihre Mutter früh gestorben ist..."
Elenion zog die Augenbrauen hoch und bemühte sich, eine überraschte Miene aufzusetzen. "Was heißt hier früh gestorben? Lissiel war zu dem Zeitpunkt erwachsen - jedenfalls für Menschenverhältnisse - und verheiratet." Er konnte nicht verhindern, dass seine Stimme einen nervösen Klang bekam.
Anuron warf ihm einen raschen Blick zu, und Elenion wusste, dass ihm nichts entgangen war. Doch der schwarzhaarige Galadhrim strich sich nur ein wenig verärgert ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. "Ich sollte sie wieder flechten", schimpfte er. "Das strapaziert meine Geduld."
Der blonde Nandor war über den Themenwechsel erleichtert und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. "Also, wenn du mich fragst hat Forondir recht - mit offenen Haaren siehst du schon hübscher aus."
Anuron verdrehte die Augen. "Dies ist möglich. Aber dennoch strapaziert es meine Geduld. Wie hältst du das eigentlich aus?"
Elenion lachte. "Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich hab ich mich einfach bereits daran gewöhnt."
Der schwarzhaarige Galadhrim seufzte. "Ich trage meine Haare offen, seit ich mit Forondir zusammen bin, und das sind schon an die fünfhundert Jahre. Aber lästig finde ich es immer noch."
Elenion sah ein paar Momente schweigend aus einem der Fenster, auf die Äste des Mallorns, auf dem der Talan gebaut war. Dann wandte er sich wieder an Anuron. "Ich wollte gar nicht erst versuchen, Lissiel mit hierher zu nehmen. Sie wurde in diese andere Welt hinein geboren und auch wenn sie ein wenig Elbenmagie besaß, so weiß ich doch nicht, ob es ihr damit gelungen wäre, nach Mittelerde zu kommen. Schon allein, weil diese Welt hier von unserer Magie durchdrungen ist. Und wenn es ihr nicht möglich gewesen wäre, wer weiß, was bei einem solchen Versuch hätte passieren können?" Elenion schwieg ein paar Momente, dann fragte er: "Wieso glaubtest du, Sabine sei früh gestorben?"
"Sabine, das war der Name – ungewöhnlich, findest du nicht?"
"In ihrer Welt völlig normal. Würdest du jetzt bitte meine Frage beantworten?", mahnte Elenion sanft. Anuron konnte manchmal recht redselig sein.
Der Elb strich sich ein weiteres Mal die Haare aus dem Gesicht und überlegte. "Das hat mir jemand erzählt... Warte... Ich hatte mich sowieso gewundert, weil ich glaubte, über dich immer noch besser Bescheid zu wissen als er... Wer war es jetzt... Ach ja, Barven."
Von Elenion kam ein Laut zwischen einem Auflachen und einem Schnauben. "Und ihm glaubst du? Von ihm hörte ich schon des öfteren Unwahrheiten."
Der Galadhrim unterdrückte mühsam ein Kichern. "Seit wann sprichst du denn so über andere? Noch dazu hinter deren Rücken?" Dann wurde er wieder ernst. "Wirklich, Elenion, so schlimm ist Barven nicht. Er glaubt viel von den Ungenauigkeiten, von denen Taragion so gern spricht, darin liegt das Problem."
Elenion zuckte die Schultern. "Dies mag sein. Taragion und ich können uns so wenig leiden, dass ich nicht sagen kann, was er erzählt - wenn er kommt, gehe ich und umgekehrt. Dies ist so."
Anuron lachte leise. "Denkst du, ich hatte das noch nicht bemerkt? Auch wenn ich nicht verstehe, warum dem so ist, es ist eure Angelegenheit."
Über Elenions Gesicht huschte ein Lächeln. Das war einer der Gründe, warum er den jungen Galadhrim mochte: Er sagte offen, was er dachte. Manchmal war dies zwar anstrengend, dennoch gefiel es Elenion.
Anuron runzelte einen Moment die Stirn, dann blickte er den Nandor fragend an. "Wie ist es in dieser Welt, Elenion? Ist sie wirklich so anders als unsere?"
Der Elb nickte. "Vollkommen anders." Dann schwieg er, da er nicht wusste, was er weiter sagen sollte.
Anuron schien nachdenklich. "Manchmal würde ich auch gern hinübergehen." sagte er mit einem Seufzer. "Aber wir Galadhrim haben zuviel Magie im Blut."
Elenion lächelte traurig. "Dir entgeht nicht viel. Schon früher war mir das Verhalten der Menschen dort oft unangenehm, aber..." Der blonde Nandor hielt einen Moment inne und seufzte. "Ich muss gestehen, mir war es unheimlich. Als ich in dieser Kleinstadt war, spürte ich so viele misstrauische und feindselige Blicke, wie hier in meinem ganzen Leben noch nicht. Ich kann dir nicht sagen, was dort geschieht, aber sie scheinen allem und jedem Fremden zu misstrauen. Ich war froh, als ich zurück kam, hier fühle ich mich sicherer. Gewiss, die Tatsache, dass ich mitten in einer Gruppe Orks landete, machte meine Situation nicht besser", fügte er mit einem Schmunzeln hinzu, "aber da sie ohnehin dabei waren, sich gegenseitig umzubringen, haben mich die meisten gar nicht bemerkt."
Anuron nickte mit einem schwachen Lächeln. "Das kann ich mir vorstellen... Auch wenn sie Lothlórien lange nicht mehr angegriffen haben, die Orks vermehren sich immer mehr... Ein Glück für uns, dass sie sich oft gegenseitig töten."
"Allerdings vermehren sie sich schneller, als dass sie sich töten", antwortete Elenion bitter. "Es liegt wieder ein Schatten über dieser Welt, auch wenn ich nicht sicher bin, was das bedeutet..."
Einen Moment schwiegen beide, dann stand der Nandor auf. "Ich sollte nun wohl zu Haldir gehen und ihm melden, dass ich zurück bin."
Anuron erhob sich ebenfalls. "Ich begleite dich ein Stück. Forondir müsste gerade vom Grenzdienst kommen, dann begegnen wir uns vermutlich."
Zusammen verließen die zwei Elben den Raum.
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Während sie die Leiter hinunter kletterten, warf Anuron einen kurzen Blick zu Elenion, der unter ihm kletterte. "Haldir ist ein guter Hauptmann. Ich denke, wir können froh sein, dass wir ihn haben."
Elenion schmunzelte. "Dies ist richtig. Auch wenn er manchmal etwas... nun... wie nenne ich es... arrogant ist."
Der Galadhrim lachte. "Pass auf, dass ihm das nicht zu Ohren kommt, dies würde ihm nicht gefallen. Aber du hast recht, er übertreibt es manchmal."
"Wobei ich nicht sicher bin, ob wir das nicht alle einmal tun", erklärte Elenion nachdenklich. "Und wenn ich darüber nachdenke... Er hat genug Gründe, stolz zu sein, oder?"
'Anders als manch anderer', fügte er in Gedanken hinzu, sprach es aber nicht aus.
Ein paar Momente schwiegen beide, dann fragte Anuron: "Erzählte ich bereits, dass mich eine Elbenmaid nach dir gefragt hat? Sie wollte wissen, ob du ungebunden wärst."
Elenion zog die Augenbrauen hoch. "Und? Was hast du geantwortet?"
"Ich erklärte ihr, dass deine Frau schon länger gestorben ist und du, nun, im Moment kein Verlangen nach einer Anderen zu haben scheinst. Ist dir diese Antwort recht?"
Elenion nickte. "Absolut."
Anuron zögerte kurz, dann fragte er: "Weiß Haldir, wo du gewesen bist?"
Der Nandor schüttelte den Kopf. "Ich habe ihm gesagt, dass ich das Gefühl habe, dass meine Tochter mich braucht, aber nichts näheres. Es hat ihm auch genügt, er meinte, solange ich nicht Jahre fort bin, ist dies in Ordnung."
Anuron nickte. "Ja, er ist ein guter Hauptmann. Er begreift, was wichtig ist und was nicht." Er überlegte kurz. "Willst du es ihm nicht sagen? Es würde ihn bestimmt interessieren, dass du in eine andere Welt wechseln kannst... die Herrin Galadriel ebenso."
Elenion zögerte. "Vielleicht erzähle ich es ihnen irgendwann. Aber nicht jetzt."
"Warum?"
"Ich weiß es nicht." Elenion runzelte die Stirn. "Es scheint mir einfach nicht der passende Zeitpunkt zu sein."
Inzwischen hatten sie den Fuß der Leiter erreicht und die beiden Elben machten sich auf den Weg zum Übungsplatz, wo sich Haldir um diese Zeit meistens aufhielt. Schweigend gingen sie nebeneinander her, bis Anuron einen Augenblick stehen blieb und dann strahlend einem anderen Elb entgegeneilte. "Forondir!"
Die beiden begrüßten sich herzlich und liebevoll. Elenion näherte sich langsam um ihnen Zeit zu lassen. Forondir hatte silberblonde Haare und hellgrüne Augen. Anurons schwarzes Haar bildete einen interessanten Kontrast dazu, als die beiden so dicht beieinander standen. Nach Elenions Meinung passten sie dadurch nur umso besser zueinander.
Schließlich wandte Forondir sich an Elenion. "Nun, du bist auch wieder zurück? Wie ist es dir ergangen?"
Elenion warf Anuron einen kurzen Blick zu. "Kurz gesagt, meine Befürchtung hat sich bestätigt. Lissiel ist tatsächlich gestorben. Und jetzt sollte ich zu Haldir gehen. Weitere Einzelheiten kann dir Anuron erzählen, und wir kommen sicher noch zu einem Gespräch."
Forondir nickte mit einem Lächeln. "Wenn du Haldir noch sprechen willst, solltest du dich ein wenig beeilen. Er sagte, die Herrin hätte ihn für den Nachmittag zu sich gebeten und er wollte bald gehen."
"Oh, gut - dann werde ich mich wohl besser auf den Weg machen. Auf bald!"
Elenion winkte den beiden noch einmal zu, dann ging er raschen Schrittes auf den Übungsplatz zu. Nicht, dass es ihm wirklich so eilig gewesen wäre, Haldir zu begrüßen - er hatte vor allem das Gefühl, dass Anuron und Forondir ganz gerne eine Weile unter sich sein wollten, und im übrigen verspürte er kein großes Verlangen, noch einmal alles zu erzählen. Wie er Anuron kannte, würde er Forondir alles so genau berichten, dass dieser die Sache gar nicht mehr anzusprechen brauchte.
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Dann trat Elenion aus dem Wald hervor auf den Platz, auf dem sich einige Elben im Schwertkampf übten. An der gegenüberliegenden Seite erkannte er das silberblonde Haar und die Gestalt des Galdhrimhauptmanns. Raschen Schrittes ging er hinüber.
Haldir stand neben einem dunkelhaarigen Elben, der Elenion bekannt vorkam, auch wenn er nicht sagen konnte, woher er ihn kannte. Wenn er ihm schon begegnet war, dann sicherlich nicht in den letzten hundert Jahren.
Als er sich näherte, wandte Haldir den Kopf, sah ihn an und lächelte kühl. "Elenion, Ihr seid zurück?"
Elenion neigte höflich den Kopf zur Begrüßung. "Ja. Ab morgen stehe ich Euch wieder zu Diensten, Haldir."
Haldir nickte. "Wie geht es Eurer Tochter?" erkundigte er sich höflich.
Elenion war verblüfft, als er bei dieser Frage des Galadhrim wieder Traurigkeit in sich aufsteigen fühlte, welche er bei seinem Gespräch mit Anuron nicht mehr empfunden hatte. "Sie ist nicht mehr am Leben."
Als Haldirs erstaunter Blick ihn traf, sah Elenion rasch zur Seite und blinzelte, da ihm Tränen in die Augen stiegen. Er verstand es nicht. Warum schmerzte es ihn, dass der Galadhrimhauptmann nach Lissiel fragte, wenn er bei dem Gespräch mit Anuron dabei nichts gespürt hatte? Auf der anderen Seite - Haldir war nicht Anuron.
Der Galadhrim trat neben ihn und legte ihm die Hand auf den Arm. "Das bedaure ich sehr", sagte er freundlich. "Falls Ihr Euch dem Dienst noch nicht wieder gewachsen fühlt..."
Elenion schüttelte rasch den Kopf. "Das ist kein Problem, im Gegenteil. Ich werde es genießen, wieder tun zu können, was ich seit vielen Jahren gewöhnt bin." Der Elb hatte sich wieder gefangen und blickte nun ruhig zu dem Galadhrim auf.
Haldir betrachtete ihn ein paar Sekunden aufmerksam, dann jedoch nickte er. "Nun, wenn dies so ist. Es wäre gut, wenn Ihr morgen Früh an der Südgrenze wachen könntet, zusammen mit Laindir und Ríon..." Haldir runzelte einen Moment die Stirn, nickte anschließend aber erneut und sah Elenion fragend an.
"Ja, dies wäre mir recht. Ich werde da sein." Er neigte abermals den Kopf vor dem Galadhrimhauptmann und wandte sich dann zum gehen. Als er noch einen kurzen Blick zurückwarf, sah er, dass Haldir wieder mit dem dunkelhaarigen Elben sprach. Woher kannte er ihn nur?
TBC...
A/N: Wenn keine Reviews kommen, nehme ich an, dass kein Interesse mehr besteht und werde mir nicht weiter die Mühe machen, neue Kaps hochzuladen.
