2. Szene Tal der Könige/ neues Grab

Professor Ginger schaute über die Köpfe der kleinen Gruppe und schätzte in Gedanken, wie viele von seinen Schützlingen da waren. Er verzog das Gesicht. Sein Blick fuhr über die Anwesenheitsliste und blieb unter einem der 20 Namen stehen.

Karen Paperman schien sich nicht würdig, ihnen bei der heutigen Expedition Gesellschaft zu leisten. Die quirlige New Yorkerin tanzte, wann immer es ihr möglich war, aus der Reihe und schien sich mit Niemanden so recht angefreundet zu haben.

Der Professor seufzte. Leider teilten nicht alle seiner Schüler das Interesse für das Land am Nil. So war das eben. Die Meisten der hier Anwesenden waren zu der Reise regelrecht verdonnert worden, was nicht unbedingt unberechtigt war, und würden sich jetzt viel lieber in den amerikanischen Großstadtdschungel, mit all seinen Kasinos und Jugendclubs werfen, als hier in der 40 Grad heissen Wüste zu stehen .

Ein Blick in die Gesichter bestätigte seine Vermutungen. Erneut kam ein Seufzer über seine Lippen. Die Gruppe würde in mindestens 5 Minuten so unruhig wie eine Horde 12 jähriger Kinder sein, deshalb beschloss er den Erkundungsgang in das neuentdeckte Grab lieber vorzuziehen. Wie auf Kommando erschien auch ihr Grabführer, ein kleiner freundlich blickender Mann, der in seinem Galabea und Jesuslatschen das typische Image seines Landes darstellte. Liz drückte sich, mit Bud im Schlepptau, durch die Mitschüler und bekam gerade noch mit, wie ihr Ausflugsleiter die üblichen Regeln festlegte.

Sie waren verspätet, weil Bud unbedingt seinen ewigen Hunger an einem Dönerladen stillen musste. Döner in Ägypten! Liz verdrehte die Augen. Wer hat sich das wohl ausgedacht?! Ihr blieb jedoch wenig Zeit sich aufzuregen, denn die Gruppe setzte sich in Bewegung. Sie hielten auf den Eingang des Grabes zu, als sich jemand von hinten näherte. Die Schüler wendeten neugierig die Köpfe und verhinderten so ein Weiterkommen. Natürlich merkte dass der Professor und fragte leicht genervt, was denn so interessant sei.

Die Frage erübrigte sich von selbst.

Sein Blick viel auf die Person, die nun gegenüber der Klasse stand. Es war ein junger Mann, der sich wahrscheinlich der Expedition anschließen wollte und erst später angekommen war. Er hatte seltsam helle Haare und eine Haut wie Porzellan. Doch das Seltsamste waren seine Augen. Professor Ginger ertappte sich dabei, ihn anzustarren. Sein linkes Auge war von einem türkiesen Ton, während das Andere Goldgelb war.

Der Fremde lächelte. „ Bin ich schon verspätet? Sie sind doch Professor Ginger und, er warf einen Blick auf die gaffende Gruppe Jugendlicher,... die Klasse der New Boston High?"

Das zweite, was an ihm komisch war, war seine Sprache. Die sanfte Dunkelheit seiner Stimme betonte die Wörter weicher und fast fließend. Wie Wasser. Der Angesprochene räusperte sich, um seine Neugierde zu verbergen und trat auf den Mann zu. Er machte einen erstaunten Ausdruck und verschränkte erwartungsvoll die Arme. „ Und sie sind?!"Wieder fuhr ein geheimnisvolles Lächeln über die Lippen des Fremden. „ Keiner, vor dem sie sich so aufbauen müssten."Professor Ginger stockte.

Er hatte sich selbst nur demonstrieren wollen, doch sein Unterbewusstsein, dass wusste er, hatte eine Art Abwehrhaltung gegen den Neuankömmling eingenommen.

Er hatte ihn sofort durchschaut!

Ein ertapptes Lachen. „ Wie bitte?"

„ Allen. Nennen sie mich Allen, wenn es ihnen gefällt."Nun verstand er gar nichts mehr. Dieser Allen war nicht nur seltsam, sondern... Er kam nicht auf eine Umschreibung diese Benehmens. Jedenfalls wollte dieser fragwürdige Allen nun mit ihnen kommen und gesellte sich einfach zu den Neugierigen. Die fanden sein Auftreten toll. Sie fingen an, Smalltalk zu halten und Allen war nicht abgeneigt den interessierten Fragen zu antworten. „ Was isn das für ne ausgefallene Haarfarbe, Alter?"wollte Bud wissen, „ Muss ja n ziemlich abgefahrener Laden sein, wo de so was kriegst!"Es war klar, dass sich Bud Venollis für die helle Farbe der Haare dieses Allen begeisterte. Er war ein ausgesprochen experimentierfreudiger Mensch. In allem.

Sätze wie: Krasses Outfit!, Woher haste die Kontaktlinsen? oder Wie alt bist du eigentlich?!, machten die Runde und Allen tat jeder der Fragen Antwort, bis auf die, wie alt er ist. Die Mädchen waren hellauf begeistert über die offene Art von Allen und ausserdem sah er hinreißend aus. Sein schlanker Körper war in einen schwarzen Mantell gehüllt, was im wunderbaren Kontrast zu seiner Haut stand und seine weichen langen Haare, gefielen der jungen Frauenhorde. Die Herren der Schöpfung beäugten diese Schwärmerei zwar mit Argwohn, und Rico Sanders hatte ihn leise eine "Schwuchtel"genannt, aber sein Charme fand auch bei der Männlichkeit guten Anklang. Liz und Professor Ginger bestaunten die Szenerie. Noch nie hatte es ein Einzelner, zudem noch Fremder, so einfach geschafft die Klasse in seinen Bann zu ziehen. Doch Allens Zauber war auch an ihnen nicht vorbeigegangen. Der Professor räusperte sich ein zweite Mal, diesmal heftiger, und lenkte somit die Aufmerksamkeit wieder auf sich. „ Wollen wir?"fragte er, mit einer Kopfbewegung auf den Eingang der Gruft. Erstaunt sahen die Jugendlichen ihn an, als wenn sie ihn erst jetzt bemerkt hatte.

Doch sie folgten seiner Aufforderung sofort. Wie ein aufgeregter, sabbelnder Haufen Grundschüler, schritten sie durch den Eingang, der etwas unterhalb des Sandpegels lag und bahnten sich ihren Weg durch die neu angelegten Schächte, die ins Innere der Grabanlage führten.

Die Situation war eine vollkommen andere, als vor der Gruft. Der Professor musste verwundert den Kopf schütteln, als er in die aufgeweckten Gesichter seiner Klasse schaute. Kaum Wiederzuerkennen! Liz, die nun neben ihm ging, lächelte ihn teilhabend an. Was er nicht geschafft hatte, war diesem Allen gelungen. Der lief mit einem ständigen Lächeln zwischen den Jugendlichen und schien sich regelrecht über ihre Neugierde zu amüsieren. Gerade wollte sich auch Liz vorsichtig an seine Seite gesellen, um mitzukriegen was Allen so zu erzählen hatte, da drängelte sich Rico Sanders zwischen sie und Allen und stellte eine tückische Frage. „ Warum sind Sie denn hier, Mister?"er beäugte ihn scharf, als er auf das Wort " Mister"etwas verdutzt reagierte, „ Sind Sie ein Wissenschaftler, oder so?"Allen rollte mit den Augen. Er schien zu überlegen. Doch dann sah er Rico ins Gesicht. „ Was heisst Mister?!"Rico stockte. Sein Gegenüber hatte ihn vollkommen ernst gefragt, doch er schien es nicht recht zu glauben. Auch Liz schaute ihn verwundert an. Sanders wollte diese entdeckte Unwissenheit Allens nutzen, um sich seinen Platz als Beliebtester zurückzuholen und fragte herablassend: „ Wollen Sie mich verarschen, Mister?!"Wobei er das "Mister"besonders betonte. Liz merkte die gehässige Falle und tat Rico einen Strich durch die Rechnung. „ Das ist eine Höflichkeitsformel, Herr Allen!"

Mit einem siegreichen Blick auf Rico fügte sie hinzu, „ Die Engländer und wir Amerikaner benutzen so was. Sie sind nicht aus England, oder?"

Allen schüttelte den Kopf, wobei er Ricos zornigen Blick übersah. „ Ich komme von einer Insel, wo man eine andere Sprache spricht."

Rico lachte. „ Welche Insel? Atlantis?!"Die Klasse kicherte. Liz warf Rico böse Blicke zu, dann wendete sie sich wieder an Allen.

Er sagte nichts, zu solcher Frechheit, sondern setzte sein höfliches Lächeln wieder auf. Doch seine Augen lächelten nicht mehr.