4. Szene: Hauptkammer

Der Raum war gewaltig.

Mindestens 10 der großen Stützsäulen waren in die Kammer eingearbeitet.( Die Wände waren mit blau, Gold, weiss und roten Farbtönen geschmückt und zeigten Szenen aus dem Leben des hier Liegenden.

Denn wer hier ruhte, wusste niemand.

Keine Namensangaben an den Mauern, keine Täfelchen und persönlichen Gebrauchsgegenstände mit seinen Inizialien. Nichts.

Die anderen Wissenschaftler hatten vergebens versucht ihren unbekannten Toten zu identifizieren und hatten sich nun damit abgefunden, die Grabbeigaben sorgfältig zu katalogisieren und ins naheliegende Museum zu bringen. Jedenfalls schien es die letzte Ruhestätte eines hohen Menschen gewesen zu sein.

Allen, der Professor und Liz hatten sich wieder in die Gruppe gefügt und der Reiseführer erklärte dass das Grab nicht so neu war, wie zuerst angenommen. Ein paar Japaner hatten es 1960 entdeckt, die Meisten von ihnen sind aber spurlos verschwunden. Man vermutete, dass sie den zahlreichen Grabfallen zum Opfer gefallen sind.

Auch, fügte der kleine Mann hinzu, sei das hier nur die gefälschte Kammer. Ein geheimer Gang führte durch ein riesiges, unterirdisches Labyrinth und schließlich zum wirklichen Grab. Die Klasse lauschte gespannt. Eine der Wissenschaftler, eine junge Frau, trat neugierig an die Gruppe und fragte, ob sie wüssten wer hier liegt.

Diese Frage beruhte auf der Position der Person, doch das schnallten nicht alle gleichzeitig. Vor allem nicht Rico Sanders.

Der lachte hässlich. „ Klar Ma´m, das ist die Gruft von Michael Jackson!"

Die Klasse quiekte. Leider schaffen es die Idioten immer, die Lustigsten zu sein, dachte sich Liz und verzog den Mund.

Die Wissenschaftlerin lächelte. Dann erblickte sie Allen. Liz konnte sehen, wie das Feuer der Interesse in ihren Augen aufflammte, schließlich war er sehr attraktiv.

„Und was vermuten sie ?"Ihre Stimme ließ Allen aus seinen Gedanken aufschrecken. Er schaute sie verwundert an. Doch dann beantwortete er ihre Frage kühl. „ Das Grab eines Pharaos aus der Vordynastie."

Die Antwort passte, wie die Faust aufs Auge. Ein erkennendes Staunen ging durch die Schüler. Professor Ginger schaute etwas finster, als er merkte, wie sehr seine Beschreibung passte. Liz wartete nicht lange. Sie löste sich von den Mitschülern und untersuchte die Wand mit ihren Augen. Genau vor ihr war eine Kindheitsszene abgebildet. Der bearbeitete Stein zeigte eine reichgeschmückte Frau, wie sie ihrem Sohn, der vor ihr auf einem Schemel saß, Blumen überreichte.

Liz Blick fiel auf das Kind. Es hatte die idealistischen Züge, wie sie die hohe Gesellschaft in vielen Epochen zeigte. Schöne, schwarze Augen, eine gerade Nase und weiche Lippen. Dann schaute Liz auf die Kinderlocke. Sie machte ein verblüfftes Geräusch. Der Unbekannte musste der erste Punker in der Weltgeschichte gewesen sein! Sie starrte ungläubig auf die Kinderlocke, wie sie der Nachwuchs damals zu tragen pflegte.

Sie zählte die Farben. Schwarz, Rot, Gold!

Wieder entfuhr ihr ein verblüfftes Geräusch. Das war wirklich seltsam. Hatten die Maler hier einen Scherz mit ihrem Herren getrieben? Liz überlegte, ob die damaligen Bewohner Ägyptens solch einen groben Humor hatten. Nein! Dies musste die Haarfarbe, oder besser Haarfarben, des Toten gewesen sein. Sie blickte sich suchend um. Wo ist nur dieser verdammte Geheimeingang?! Hinter ihr fing Bud plötzlich an zu lachen. Er stand an der gegenüberliegenden Seite und machte sich über eine der Wandbemalungen lustig.

Typisch Bud, dachte sich Liz. Wenn Venollis etwas fremdartig Aussehendes findet, kann er sich stundenlang darüber amüsieren. Mit einem genervten Blick nach oben, trat sie an ihn heran und fragte, was denn so lustig sei.

Bud zeigte auf ein Bild in der Steinwand: „ Guck dir das mal an, der Typ da hat n Dildo in der Hand!"

Kaum fiel das obszöne Wort in den Raum, quetschten sich die Mitschüler, wie sensationsgeile Fotographen, an das uralte Relief in der Mauer.

Ein paar der Mädchen kreischten unverhalten los, als sie sahen, was Bud Venollis als Dildo bezeichnet hatte.

Der Professor und Allen starrten verständnislos auf das Geschehen.

Da drückten sich 20, der hochbegabtesten Schüler der New Bosten High, wie aufgedrehte Kleinkinder an die geschichtsträchtigen Wände eines Pharaonengrabes.

Professor Ginger verdrehte die Augen.

„ Ich hoffe der Geist des Pharaos sieht nicht, was hier gerade abgeht.", flüsterte Allen mehr für sich, als für seinen Nebenmann.

Ginger nickte heimlich. Er würde sich im Grabe umdrehen....

Gerade versuchte sich Liz nach Kräften aus dem wirren Mob aus Menschenleibern herauszuzwängen, als jemand sie am Arm packte und mit sanfter Gewalt herauszog.

Es war Allen. Er schaute mit einem fast herablassenden Blick auf den quirligen Haufen Jugendlicher. „ Sie hetzten sich wegen irgendeiner Kleinigkeit immer gleich so auf."Sein Ton klang leicht verstimmt. Liz schaute zu ihm hoch. Natürlich war das Benehmen der Klasse höchst unpassend, doch seine Worte hörten sich sehr abwertend an. „ Wie?"

Im Inneren schallt sie sich für diese Frage. Was fragst du so blöd?!

Allen schaute sie nicht an. „ Die Menschen."

Es war ein Hauch kalten Windes, doch Liz hörte die Worte trotzdem viel zu deutlich. Er ließ sie los. Etwas verwirrt schaute sie abwechselnd auf seine Hände und sein Gesicht. Es wollte nicht so recht zueinander passen. Seine Züge waren kalt und ausdruckslos, doch seine Finger warm und geschmeidig. Wieder trat die Röte in Liz Gesicht. Sie hasste das, weil es sie wie eine Tomate aussehen ließ.

Liz war nicht sonderlich hübsch.

Nicht hübsch in dem Sinne, wie es die meisten Leute sehen. Sie legte keinen Wert auf Schminke. Das stundenlange schön machen ihrer Mitschülerinnen verstand sie erst recht nicht. Warum sollte man die morgendliche Zeit damit verbringen, vor dem Spiegel zu stehen und sich mit Pasten, Pudern und Fetten die Poren zu verstopfen?! Nur um sich danach in viel zu enge, viel zu teure Kleidchen zu zwängen und auf seinen Highills unsicher zur Schule zu gacksen, (sicher: staksen) damit man sich sicher war, die halbe Männerwelt verrückt zu machen?? Ihr rundes Gesicht hatte noch mädchenhaften Charakter und ihre dünne Gestallt unterstrich diesen Eindruck geradezu. Sie trug ihre brauen Haare gerne zu einem lockeren Zopf, oder steckte sie nach oben, weshalb sie von den männlichen Artgenossen wenig beachtet wurde und demnach auch nicht das Glück hatte, viel Kontakt mit der Liebe gehabt zu haben. Zu Professor Ginger hatte sie eine liebevolle Beziehung. Da sie erst spät erfahren hatte, das sie ein ungeschlechtlich gezeugtes Kind war und das ihre Leihmutter, welche schon verstorben war, sie gebar, konnte sie eine Zeit lang keinen Kontakt zu Menschen aufbauen. Gary Ginger war der Einzige, dem sie ihren Schmerz mitgeteilt hatte, weshalb sie eine besondere Bindung zu ihm hatte. Er war so etwas, wie ihr großer Bruder. Nur zu alt, um es wirklich hätte sein zu können.

Sie gingen noch eine Weile in der Grabkammer herum. Der Reiseleiter und die junge Wissenschaftlerin erklärten das Eine oder Andere, doch über den geheimen Gang, noch das unterirdische Labyrinth wurde kein Wort verloren. Vielleicht eine halbe Stunde dauerte dieses Frage-Antwort-Spiel, bis sie sich wieder auf dem Weg zu Tageslicht machten. Allen schwieg während der ganzen Zeit. Niemand schien es zu stören, doch hin und wieder schaute Professor Ginger argwöhnisch in seine Richtung. Er konnte es nicht abwarten, endlich wieder an der Sonne zu sein, weshalb er das Tempo immer ein wenig erhöhte.

Schon bald wurden die Schüler müde und überlaunig, doch das störte ihren Lehrer nicht. Er wollte nach draußen um endlich diese verdammte Schriftrolle zu sehen, die ihm dieser Allen versprochen hatte.