5. Szene: Traum

Liz schreckte hoch.

Der Regen prasselte gegen das Fenster in ihrem Zimmer und der düstere Himmel ließ ab und zu gleißende Blitze niederzuckend, die er dann mit donnernden Lärm verabschiedete.

Sie war wieder 7 Jahre alt.

Vor ihr wölbte sich das weiche Kissen ihres Bettes in die Höhe und lud zum Hinlegen ein. Doch sie konnte nicht schlafen.

Nicht, das sie Angst vor dem Gewitter dort draußen hatte, es war eher die Dunkelheit welche sie aus ihrem Schlaf geholt hatte und nun wach hielt.

Die Dunkelheit, welche manchmal in ihr Zimmer schlich, sich in eine Ecke setzte und wartete.

Wartete.

Sie wusste nicht warum, aber sie spürte das die Dunkelheit sie anstarrte. Aus neugierigen Schattenaugen, die schon vieles gesehen hatten.

Die Dunkelheit war nicht böse. Sie saß nur in der rechten Ecke des Zimmers und beobachtete das kleine Mädchen, was dort im Bett saß.

Liz Füße erreichten den Boden, als sie aus dem Bett krabbelte. Wie alle kleinen Kinder hatte sie ein viel zu großes Bett und musste manchmal aufpassen, nicht runterzufallen.

Sie trappelte über den Holzboden zu ihrem Schreibtisch. Haufenweise Bücher stapelten sich auf ihm und kleine Kritzeleien hingen an der Pinwand über dem Tisch.

Es waren fröhliche, unkomplizierte Kinderbildchen, auf denen sich Liz mit ihren Eltern und dem Hund verewigt hatte. Andere Zettel waren völlig weiß, lediglich mit einem großen A beschrieben.

Liz liebte das große A.

Die Lehrerin im Grammantikunterricht hatte sie oft ausgeschimpft, weil sie es anders schrieb, als es erlaubt war. Es sah aus wie eine Pyramide.

Die anderen Kinder hatte sie deswegen oft ausgelacht und als "dumm"bezeichnet. Sie war jedoch alles andere als dumm. Mit 5 hatte sie ihren ersten Geigenunterricht genommen und im Kindergarten, wie auch in der Schule, zeigte sie überdurchschnittliche Leistungen. Sie schaute nun auf das weiße Blatt vor sich. Ein paar Buntstifte lagen griffbereit und sie begann einfach drauf loszukritzeln. Während sie malte, lugte die Dunkelheit neugierig aus ihrer Ecke hervor. Sie wunderte sich über sich selbst, als sie wie selbstverständlich mit der Dunkelheit sprach.

Möchtest du sehen was ich gemalt habe?"

Der Schatten schwieg.

Liz schaute in die schwarze Wolke in der Ecke ihres Zimmers. Sie legte den Stift beiseite und holte ein großes, schweres Buch aus ihrer Sammlung. Es war ein altes Exemplar in edlem Blau und mit goldener Schrift verziert. Liz las den Titel des Buches laut vor und Stolz schwang dabei in ihrer Stimme. „ Atlantis!"

Mit leuchtenden Augen blicke sie in die Dunkelheit. Nun fiel ihr Blick in die Reihe der anderen Bänder. Mobby Dick, Oliver Twist, eine sehr alte Ausgabe von Steven Kings "Albtraum", Biografien von Galilei, Elisabeth der 1., Katharina der Großen , Platon, Homer, Herodot und Liz ganzer Stolz: eine Erstausgabe des Antiken Atlas! Ihre Eltern waren geschockt, als sie merkten, das ihr Kind nicht mit Puppen, sondern mit Mathematikformeln spielte. Sie ging eigenständig ins Museum, schaute sich Theaterstücke an und lachte beim Kabarett.

Liz schaute betrübt.

Ihre Mutter hatte ihr einmal gesagt, das ihre Intelligenz ihr Angst mache.

Angst!

Weißt du," begann sie, „ das Atlantis von Gott bestraft wurde, weil die Menschen dort so verschwenderisch lebten?"

Die Dunkelheit lauschte.

„ Sie hatten Straßen aus Gold und einen Palast, ganz aus Lapislazuli!"Nun schlug sie das schwere Buch auf, suchte eine beliebige Textstelle und las sie dem Schatten an der Wand vor. Es verging eine Weile, in der das Mädchen voller Elan in den Schriften sprach, als plötzlich ein greller Blitz das Zimmer erhellte! Auf einen Schlag, war alles in helles Licht gehüllt und....... ....

Liz fuhr mit einem leichten Schreck aus ihrem Bett.

Ihr Herz klopfte aufgeregt in ihrer Brust und sie merkte, wie ihr der Schweiß kalt über den Rücken lief. Es war wieder der Traum! Sie versuchte sich zu beruhigen, doch es gelang ihr nicht sonderlich gut.

Dann kreisten ihre Gedanken, um die letzten Geschehnisse, bevor sie zu Bett ging.

Als erstes fiel ihr ein, dass Bud und der Rest der Klasse am Abend noch in eine Kneipe gegangen sind. Sie waren ziemlich fertig von der Expedition und wollten das Kairoesche Nachtleben kennen lernen. Natürlich tauchte dann auch Karen Paperman wieder auf. Sie entschuldigte sich mit dem Satz, sie habe sich des morgens im Basar verirrt und hätte die Gruppe dann nicht mehr rechtzeitig erreichen können. Die Mitschüler murrten nur, da sie wussten, was in Wirklichkeit passiert war. Karen hatte sich demnach ordentlich gehen lassen, wäre in die teuersten Läden spaziert, sie halb leer gekauft und hätte ihren Nachmittag dann mit irgendeinem hübschen, jungen Mann verbracht.

Das sah ihr zumindest ähnlicher. Liz seufzte.

Frauen wie Karen Paperman sahen zwar unglaublich gut aus, jedoch besaßen sie nicht viel inneren Stolz, geschweige denn etwas mehr von der sogenannten Selbstkritik, wofür sie Liz aber manchmal beneidete.

Sie stand auf, zog sich einen Mantel über den Pyjama und machte die Tür zum Flur auf. Unten waren Stimmen zu hören. Es waren Zwei und Liz wusste auch wer.

Allen hatte dem Professor, der vor Ungeduld fast platzte, nicht gleich die Rolle gezeigt, die er ihm versprochen hatte. Erst am Abend, nachdem die Schüler in die Kneipe verschwunden waren, legte sie der junge Mann auf den Tisch. Liz war dabei gewesen, als er den alte Papyrus ausbreitete und so den Anwesenden ein erstauntes Geräusch entlockte. Wie kleine Kinder vor einem Süßwarenladen, beschauten sie und Ginger das Fundstück. Das Papier war alt, sehr alt, aber dennoch wunderbar gut erhalten. Der Professor schätzte es auf mehrere tausend Jahre vor Christi, worauf in Allen eine genaue Zahl nannte, die aber unglaublich schien.

45. Millionen Jahre!

Sie starrten Allen eine Weile an, bis sie sich mit dieser Altersbestimmung anfreunden konnten. Allen erzählte, dass sie noch in der Cheops-Pyramide Auswertungen gemacht haben, die das Ergebnis bestätigten. Professor Ginger schüttelte verstört den Kopf. Dieses Stück Papier, dort vor ihm, sollte so alt sein wie die Erde selbst?!

Allen setzte wieder sein geheimnisvolles Lächeln auf.

„ Ich möchte Sie, als führender Sprachwissenschaftler, der archäologischen Universität, darum bitten dieses Schriftstück zu übersetzten!"

Verdutzt starrte ihn der Professor an. „ W..Wie bitte?", entkam es ihm. Allens Aufforderung war zwar klar gestellt, doch nicht leicht zu verdauen. Liz konnte regelrecht sehen, wie die Mühlen im Kopf ihres Lehrers ächzten und verzweifelt versuchten Logik in diese Bitte zu bringen.

Allen legte den Kopf schief. Seine zweifarbigen Augen schauten erwartungsvoll in Richtung des Professors, doch der war zurzeit mit sich selbst beschäftigt.

„ Deswegen bin ich extra aus Athen hierher gereist, nun verlange ich zumindest eine Antwort!"

Seine Stimme lag ein wenig vorwurfsvoll in Liz Ohren. Jetzt wusste sie zuminderst, woher er ungefähr kam. Von einer der Inseln vor Griechenland.

Jedenfalls glaubte sie das.

Der Professor lehnte sich mit einem leisen Stöhnen im Sitz zurück. Er schaute Allen aus abschätzenden Augen an, doch dann gab er eine deutliche Antwort.

„ Sie verlangen viel, Allen, aber ich werde es mit Freude versuchen!"Ein leichter Sarkasmus hatte sich in den Satz geschlichen. Liz bemerkte es schon, als sie diesen seltsamen Mann das erste Malt trafen. Ihr Lehrer war nicht sonderlich gut auf Allen zu sprechen, weiß der Geier warum.

Sie wusste, Ginger mochte geheimnisvolle Leute noch weniger, als Schokopudding mit Vanillesoße.

Und die hasste er, wie die Pest!

Er musste wenigstens etwas über Jemanden wissen und er sah es als unhöflich, wenn man sich nicht wenigstens ein bisschen bekannt machte. Allen hatte sich einfach nur mit seinem Vornamen vorgestellt und das hatte bei Professor Ginger gleich eine Abwehrreaktion hervorgerufen.

Liz ging die Treppe runter. Sie versuchte dabei, so wenig Geräusche wie möglich zu machen, doch eine der Stufen knarrte laut unter ihren Füßen und ließ die Beiden im Aufenthaltsraum aus ihrem Gespräch aufschauen.

Allens Augen taxierten sie, wie zwei verschiedenfarbige Leuchten, was ihr einen schwachen Schauer über die Haut fahren ließ.

Aber sein Lächeln erwärmte sie sofort wieder.

Ginger bot ihr einen Stuhl an und sie setzte sich wortlos an den großen, runden Holztisch. Immer noch lag das sagenhafte Schriftstück auf der Tischplatte und wartete geduldig. Liz blickte auf die feine, fremdartig Schrift, die sich quer über den Papyrus zog. Es waren Symbole, sauber zu Papier gebracht und noch unentziffert in ihrem Sinn.

Plötzlich hielt sie inne. Verwundert und mit neuer Forschungslust, untersuchte sie die eigenartigen Zeilen. Dann fanden ihre Augen das, was sie eben grad aufmerksam gemacht hatten.

Eines der Symbole sah aus, wie eine vereinfachte Form eines großen A. Das Zeichen könnte man, bei näherem Betrachten, für eine Pyramide halten, der die Grundfläche fehlte.

Liz erhob sich ruckartig aus ihrem Sitz und beugte sich über die antike Rolle. Allen verfolgte die Szene, wobei in seinen Augen wieder dieses blaue Feuer loderte. Professor Ginger blieb dies nicht unbemerkt und er blickte abwechselnd auf Liz und Allen, doch mit etwas Skepsis im Gesicht.

Der angebliche Grieche plante irgendetwas. Er brauchte nur Zeit und Beweise, um ihm auf die Schliche zu kommen.

Ein hämisches Lächeln trat auf die Lippen des Professors.

Liz war ganz hingerissen, denn Allen musste sie zweimal laut fragen, was denn so interessant sei. Sie blickte verwirrt auf. „ Oh, da ist nur ein Symbol, was mir bekannt vorkommt.", murmelte sie, während Allen ein neugieriges Stück näher an sie und das Papier heranrückte. Auch Professor Ginger kam um den Tisch herum und begutachtete die Schrift auf dem Papyrus.

Er hob die Augenbrauen und fragte, welches der Zeichen Liz schon einmal gesehen hatte. Mit ängstlichen Fingern, um dem geschichtsträchtigem Stück auch nichts anzutun, deutete sie auf das A. Allen bekam große Augen.

„ Hmmm."

Liz schreckte ein wenig hoch, als sie merkte wie nahe das Geräusch, welches Allen gerade gemacht hatte, neben ihr war. Dann schaute sie in Allens Richtung. Beinahe wäre die Spitze ihrer Nase in die weichen Haare des Mannes verschwunden.

Ein angenehmer, frischer Duft umspielte Allens Haut, was erneute Röte in Lizs Wangen jagte. Seine Augen lagen fest auf dem Symbol, welches das Mädchen wiedererkannt hatte, doch beiläufig huschten sie auch in das Gesicht der Schülerin.

Dann bemerkte Liz etwas, was ihr vorher nicht aufgefallen war.

Das war eine Kette, die Allen um den Hals trug und die er unter seinem Hemd versteckt hielt. Sie verfolgte die silbrige Schnur bis zu dem Teil, wo sie unter die Kleidung verschwand und musste sich zusammenreißen, nicht nachzufragen, ob sie, sie einmal sehen könnte. Sie schämte sich. Was ist so interessant an seiner Kette?, fragte sie ihre Stimme im Kopf. Du willst doch bloß wissen, was er darunter an... Schnell gebot sie sich, den Gedanken nicht zu beenden. Es war unschicklich so etwas zu denken, belehrte sie sich selbst.

Außerdem gibt es weitaus Wichtigeres, endete ihr alter Ego.

Ihre Aufmerksamkeit wendete sich wieder dem Papyrus zu, der noch immer vor ihr lag und von allen Seiten bestaunt wurde. Der Professor hatte in den letzten Minuten nichts gesagt.

Er war krampfhaft damit beschäftigt die Schrift in eine Epoche einzuordnen, was sich angesichts des Alters der Rolle, aber als unmöglich herausstellte.

Wieder schüttelte er hilflos den Kopf.

Noch nie hatte er es mit so einem kompliziert aufgebauten System aus Symbolen und unbekannten Angaben zu tun gehabt, geschweige denn, dass er irgendetwas als Nachschlagewerk zu Hand hatte. Ein böser Blick flog auf Allens Gestalt. Was dachte sich dieser Kerl eigentlich?! Er schaute direkt in Allens lächelndes Gesicht. Vollkommen überrumpelt trat er einen Schritt zurück.

Hatte er etwas gemerkt? Das Licht der Lampe beschien die helle Haut, des jungen Mannes und für den Bruchteil einer Sekunde blitze etwas unter seinen Sachen auf.

Ginger blinzelte.

Das kurze Funkeln war verschwunden.

Er seufzte. Bestimmt nur ein Streich, dem ihm seine überanstrengten Nerven gespielt hatten.