Nach sehr langer Zeit mal wieder. Für all die Menschen, die ich liebe und die mich aufgefangen haben, als ich gefallen bin. Sie wissen schon, wer gemeint ist.
Er
Sei gegrüßt, meine Liebe.
Über die ersten Worte denke ich am längsten nach, wenn ich dir schreibe. Sie sollen dir sagen, dass ich in Gedanken bei dir bin und dich vermisse. Was sie nicht sollen ist, dich zum zurückkommen überreden. Sie sollen dir lediglich meine Liebe zeigen.
Meine Liebe, ja. Ich habe es dir niemals gesagt. Ich wusste es bis vor kurzem nicht einmal. Aber eigentlich hätte es mir schon bei meinem Abschied vor dem Krieg klar sein müssen. Vor dem Krieg habe ich geschrieben? Nun, damals wussten wir beide nicht, dass es einer werden würde. Damals. Bevor ich ging, schien alles besser. Was wäre wohl geschehen, wenn ich nicht gegangen wäre? Hättest du, hätten wir, dennoch noch viel leiden müssen? Wärst du auch dann gegangen? Hätte ich jemals entdeckt, was ich für dich empfinde? Wären wir glücklich? Ich weiß es nicht.
Aber du, meine Liebste, wunderst dich sicher über meine Zuneigung. Denn wie hättest du sie erahnen können? Du besaßest früher die Gabe, in den Augen anderer so viel zu lesen, aber in den letzten Jahren warst du mehr und mehr in dir selbst gefangen. In deinem Schmerz, deiner Trauer und deiner Verzweiflung. Ich nehme es dir nicht übel, denn ich konnte dich davor nicht retten. Du gingst gnadenlos unter. Und ich glaube, das tust du auch jetzt noch. Dass du gegangen bist, war nur das letzte Auflehnen vor dem bitteren Ende. Das bittere Ende wird sein, dass du zurückkommst und wir hier, bis in die Ewigkeit, nebeneinander vor uns hinleben werden. Nicht miteinander, sondern aneinander vorbei.
Ich denke sehr viel an dich. Wenn ich ihn anblicke, dann kommt mir wieder dein glückliches Gesicht vor Augen und ich kann nicht anders, als durch die Galerie zwischen Großem Saal und unseren Privaträumen zu gehen und dich zu betrachten. Einige Bilder habe ich gemalt. Jene kennst du bis heute nicht. Ich habe dich oft beim Schlafen gezeichnet, glückliche Stunden oder Minuten mir immer wieder vor Augen geführt, um dann deine Anmut zu Bilde zu bringen. Erst nach deinem Gehen wurden sie aufgehängt. Er kommt oft hierher und schaut dich an. Manchmal steht er Stunden vor einem einzigen Bild. Manchmal würdigt er dich keines Blickes.
Ich glaube, für ihn ist es noch schwerer, als für mich oder deinen Vater. Oder für meinen Vater. Hast du jemals gewusst, dass auch er dich liebte? Jeder liebte dich, mein Schatz, jeder, der dich anblickte. Denn du gabst jedem das Gefühl, wichtig zu sein. Einzigartig. Geliebt zu werden.
Früher, als du ein Kind warst, gabst du auch jedem, der dich sah, ein besonderes Gefühl. Nämlich das, fähig zur Liebe zu sein. Dass die Welt perfekt sei, dass alles in Ordnung wäre, solange es dir gut ging. Dir ging es nicht immer gut, aber in deinen Augen standen dennoch meistens Freude und Liebe zum Leben. Jedes Kind ist etwas Besonderes. Kinder sind etwas Besonderes. Sie sind so rein.
Ich schreibe dir hier auf einer Reise. Es ist nicht leicht, zu schreiben, da wir zu Pferde reisen. Und gestern Nacht hat es zu allem Überfluss auch noch begonnen zu regnen. Du liebst den Regen, das weiß ich. Ich mag ihn auch. Aber ich will, dass diese Blätter mit meinen Gedanken an dich nicht nass werden und meine Schrift verschmiert. Also stecke ich sie während dem Reiten immer in mein Hemd hinein. So spüre ich am Anfang immer die leichte Kälte an meiner Haut. Und die Feuchte. Ich trage die Briefe auf der linken Seite, an meinem Herzen. So fühle ich mich dir immer ein wenig näher.
Erschwerend zum Wetter kommt hinzu, dass er immer wieder fragt, was ich hier tue. Ich will es ihm nicht sagen. Ich will dieses Geheimnis für mich behalten. Und ich glaube auch nicht, dass er es verstehen würde. Es würde eher alte Wunden aufreißen. Wen von uns vermisst du mehr? Ihn oder mich? Oder vielleicht doch deinen Vater? Das würde ich gerne wissen. Und um wie viel mehr vermisst du dann den, den du am meisten vermisst?
Meine Liebste, gerade ist etwas sehr seltsames geschehen: die Kerze, die ich eben entzündete, ging wie von Geisterhand wieder aus. Warum erzähle ich dir das? Weil ich dich an meinem Leben teilhaben lassen will.
Wir werden noch eine Etappe reiten, bevor wir auf freiem Gelände nächtigen werden. Es ist zwar mittlerweile nicht mehr so gefährlich, wie vor dem Krieg, aber sicher ist es nicht. Also werden wieder Wachen aufgestellt.
Mittlerweile ist es Nacht. Es ist dunkel und kalt. Nur am Feuer kommen die Erinnerungen an den Sommer. Kannst du dich noch an deine Kindheit erinnern? Damals hast du die Dunkelheit gefürchtet. Das tun alle Kinder, ich weiß, aber du hast nicht die Dunkelheit an sich gefürchtet, sondern die Dunkelheit, die sich in den Herzen ausbreitet. Den Schatten, der damals doch noch so fern war. Du hast ihn gespürt.
Auf einer Reise nach Lothlorien waren an einem Abend unsere Väter verschwunden. Zumindest dachtest du das. Alle anderen, mich eingeschlossen, wir wussten, dass sie sich nur ausgiebig unterhalten wollten und daher das Lager mieden. Du warst noch sehr jung. In Menschenjahren vielleicht fünf. Überall waren nur fremde Elben. Bis auf mich. Also kamst du zu mir hinüber geschlichen. Ich erinnere mich noch sehr genau an dein Gesicht. Deine großen grünen Augen blickten mich ängstlich und fast schon panisch an. Du warst blass und übermüdet, das sah ich an deinen Augenringen. Mit zitternder Stimme fragtest du mich, ob ich Angst hätte. Zuerst wollte ich verneinen, doch dann begriff ich. Du wolltest nicht zugeben, dass du aus Furcht nicht schlafen konntest. Also sagte ich ja und bat dich, bei mir zu bleiben. Du kuscheltest dich an mich und schliefst fest in meinen Armen.
Rein pädagogisch betrachtet war es vielleicht nicht so klug von mir, von dir nicht zu verlangen, dass du zu deinen Gefühlen stehst, aber ich wollte dich ja nicht erziehen.
In dieser Nacht habe ich meine Augen nicht geschlossen. Ich hielt Wache über dich und deinen Schlaf. Mehr als einmal wurdest du von einem Alptraum gequält und jedes Mal weckte ich dich und bat dich, mir zu erzählen was geschehen war. Nach unseren Gesprächen schliefst du zufrieden ein.
Seit dieser Nacht schliefst du auf Reisen immer bei mir. Auch noch, als du älter warst. Doch im Alter von ungefähr siebzig Jahren (1) wurde es seltener, bis du schließlich mit achtzig (2) völlig damit aufhörtest.
Beim nächsten Mal, bei dem wir in einem Bett lagen, waren wir verheiratet und hatten unsere ehelichen Pflichten zu erfüllen.
Was haben wir getan, dass uns die Valar nicht gut gesonnen sind? Diese Frage überkommt mich immer häufiger seitdem du weg bist. Sie kommt, zusammen mit der Verzweiflung und ich weiß nicht, wie ich mich vor ihr retten soll. Rette mich! Ich glaube, du bist die Einzige, die das kann.
Früher habe ich über meinen Freund gelächelt, wenn er sagte, dass ihm die Zeit, die er ohne seine Geliebte verbringe, ihm die Luft abschnüre. Heut kann ich ihm nachfühlen. Es geht mir nicht immer so, weißt du. Manchmal geht es mir sehr viel besser, als in den Jahren, in denen wir ein Bett geteilt haben. Dann sehe ich ihn an und meine Welt scheint in Ordnung. Oder ich bin an Regierungsgeschäften beteiligt. Schlecht geht es mir selten. Aber dann meine ich den Schmerz, der sich in meiner Brust ausbreitet, nicht überleben zu können. Meine Lungen werden dann so schmerzhaft zusammengepresst, dass sich scheinbar keine Luft mehr in ihnen befindet, sondern nur noch Schmerz.
Mein Herz bricht nicht. Du lebst. Ich lebe. Er lebt. Diese drei Dinge bedeuten, dass nichts gewiss ist. Vielleicht bin ich ein Narr, dass ich noch hoffe, aber lieber bin ich ein Narr, als einfach aufzugeben. Du wirst zurückkehren, das weiß ich. Irgendwann wirst du wieder da sein. Irgendwann werde ich wieder in deine Augen sehen. Und vielleicht wirst du auch irgendwann wieder glücklich sein.
Vielleicht bist du auch glücklich. Was weiß ich denn schon? Ich weiß genau, seit wie vielen Jahren, Monaten, Tagen wir uns nicht mehr gesehen haben. Vielleicht hast du dein Herz verschenkt. An einen Menschen, einen Elb, einen Hobbit oder einen Zwerg. Nein, letztere beiden glaube ich nicht. Früher, da hast du sofort ins Herz sehen können. Aber jetzt? Diese Gabe ertrinkt mit dir.
Egal, wie du jetzt aussiehst, egal ob du trinkst oder rauchst oder sonst etwas tust, es ist egal. Irgendwo in meinem Herzen fühle ich, dass es für meine Gefühle zu dir keine Auswirkung haben wird. Ich würde trauern um all deine zerbrochenen Träume, um dich. Meine Liebe aber würde bestehen.
So vieles hat seine Bedeutung verlornen. So vieles hat eine Bedeutung bekommen. So viele Tode bin ich gestorben. So viele Male wieder geboren worden. So viele unglückliche Augen, in die ich geblickt habe und so viel Freude in meinem Herzen.
So viel hat sich geändert.
Wenn du einst in meinen Armen liegen solltest, wird all das für einen Moment keine Bedeutung mehr haben. Einfach verschwinden. Ich werde nur noch deinen Geruch nach Sommer wahrnehmen, deinen warmen Atem an meinem Hals spüren, deine Arme um mich bemerken.
Aber nach diesem Moment, was wird dann geschehen? Werden wir lachen oder weinen oder uns nur anschauen? Werden wir danach wieder auseinander gehen, als sei nichts gewesen oder werden wir unsern Schwur, diesmal nicht als Zeremonie sondern als ehrliches Geständnis, erneuern? Das wage ich kaum zu hoffen.
Oder werde nur ich dich wieder sehen? Deinen kühlen Körper in meinen zittrigen Armen halten und weinen, weil ich dir nie gesagt habe, was du mir bedeutest? Was würde ich ihm sagen? Daran will ich nicht denken.
Aber würdest du vom meinem Ende hören, würdest du kommen? Würdest du mich in die Arme nehmen in meinen letzten Stunden? Würdest du weinen? Was würdest du dann tun? Wieder gehen?
Oder würdest du erst gar nicht kommen. Erfreut sein, nun endlich auch einen Grund zu haben, der vor allen besteht? Einen Grund haben, dich zu töten?
Der Tot. In den letzten Jahren musste ich schmerzlich erfahren, was Unsterblichkeit bedeutet. Nämlich das Nicht- Sterben- Können. Ich kann mir dein höhnisches Gelächter, deine verletzenden Bemerkungen über diesen Satz vorstellen, aber diese Tatsache ist mir wirklich erst vor kurzen so bewusst geworden. Ich werde immer weiter leben. Ich werde meine Freunde sterben sehen. Jeden Einzelnen, oder von ihrem Tot hören, aber auf meine Unsterblichkeit wird das keine Auswirkungen haben.
Ich werde sehen, wie Lothlorien zerfällt, wie Bruchtal von Menschen besiedelt wird und wie der Düsterwald immer düsterer wird, aber mein Leben wird dennoch weitergehen.
Nicht nur mein Leben. Dein Leben, das Leben deines Vaters, meines Vaters, sein Leben. Wie viel leichter wäre die Ewigkeit mit dir zu ertragen? Wie viel könnte sie uns geben?
Warum ist das Alles so gelaufen? Warum haben wir geheiratet? Warum habe ich dir nie gesagt, wie viel Angst ich hatte? Vor der Hochzeit, vor dir, vor dem Krieg, im Krieg, vor meinen Gefühlen? Warum habe ich geschwiegen?
Wann ist unser Gespräch verebbt? Warum haben wir es nicht mehr aufgenommen?
So viele Fragen schwirren mir in meinem Kopf herum. So viele Fragen, die auf eine Antwort warten. Auf eine Antwort, die sie wahrscheinlich nie bekommen werden.
In Liebe
Fußnoten:
ca 14 Jahre für uns, wenn meine Rechnung stimmt.
ca 16 Jahre
Umrechnungsfaktor: 20:100. Sprich, ein Elb der 100 Jahre alt ist, ist für Menschen gerade mal so reif wie ein 20- jähriger. Ich beschließe einfach mal, dass man erst mit 20 erwachsen ist Elben mit 100.
Was denkt ihr jetzt?
Was soll im nächsten Brief stehen?
Wer soll schreiben?
Bitte reviewt doch! bettel büddebüddeüddebüdde!!!
Rina
