4) Rückschlag
Langsam und umsichtig witternd kehrten sie zu den Zellen zurück. Die gefangenen Uruks waren wieder in ihre lethargische Haltung verfallen, doch schien dies mehr Schein als Sein, denn als die drei Frauen wieder bei ihnen anlangten, kamen sie neugierig an die Gitter.
Rasha musste erkennen, dass ihr Plan, den Sklaven zur Flucht zu verhelfen daran scheitern würde, dass sie und die beiden anderen nicht mehr als schmutzige Lendentücher trugen und die Zellen mit massiven Schlössern gesichert waren. Ohne entsprechendes Werkzeug würden sie hier nichts ausrichten können.
Der Uruk, der schon vorher mit ihr gesprochen hatte, ergriff nun auch wieder das Wort, als er Rashas Blick auf die Schlösser bemerkte.
„Du brauchst einen Schlüssel…wenn du sie…öffnen willst." Seine Worte kamen nun schon flüssiger, doch in seinen Augen war keine Hoffnung. Rasha nickte langsam. „Scheint so…wo könnte ich den wohl finden…sollte ich sie öffnen wollen?" sinnierte sie halblaut. Der Ork zuckte die Schultern. „Der Aufseher hat einen am Gürtel, wenn er herkommt."
Phera mischte sich nun ein. Ihre Neugier wollte befriedigt werden. „Wie konnten diese Menschen euch fangen? Habt ihr euch auch zu sicher gefühlt?" Der große Ork schnaubte leise. „Ist es nicht immer so, dass wir sie nicht kommen hören? Sie sind gut, diese Sklavenjäger, denn alle die schlecht sind, sind tot. Ein Jäger, der erwischt wird, überlebt nicht."
Sein Zellengenosse nickte zustimmend, mit leisem Knurren, während sein Blick über Phera glitt. Sie konnte es riechen, er war leicht erregt und insgeheim fragte sie sich, wann er das letzte Mal mit einer Frau zusammen gewesen war. Doch lange konnte sie nicht darüber nachdenken, denn Rasha stieß sie unsanft in die Seite. „Also, was meinst du? Gehen wir diesen Gang weiter? Irgendwo müssen wir ja rauskommen. Und wenn wir zufällig über diesen Aufseher stolpern, schnappen wir uns den Zellenschlüssel und holen unsere Brüder hier raus." Phera nickte leicht. „Klingt doch gut, der Plan und wenn Dogra deiner Meinung ist, dann bin ich doch eh überstimmt, wenn ich was anderes vorhätte. Aber keine Sorge, mich verlangt es nicht weiter durch die Abwasser zu waten."
Ein kurzes Nicken zum Abschied und sie schlichen den Gang weiter, an den Zellen vorbei bis zu der Stelle, wo der Weg abzweigte, sowohl nach links, als auch nach rechts. Rechts waren weitere Zellen, links nur nackte Felswände, ehe der Gang in einer schweren Holztür endete. Rasha ging voran und witterte, doch die Zellen hier waren leer. Allerdings konnte sie auch keine Menschen in der Nähe riechen.
Sie ließen den Gang rasch hinter sich und hielten an der Tür. Rasha presste ihr Ohr gegen das Holz und lauschte. Dann schüttelte sie den Kopf und ihre Freundinnen atmeten auf. Ein kurzer Druck auf die massive Klinke und die Tür öffnete sich nach innen in den dahinter liegenden Raum. Auch dieser war trübe erleuchtet mit Öllampen und in einem grob gemauerten Kamin flackerte ein kleines Feuer. Es war warm hier, aber so ganz konnte diese Wärme die Feuchtigkeit nicht vertreiben, so dass es eher schwül als behaglich war.
Neben dem Kamin befand sich eine weitere Tür, und in der Mitte des Bodens war ein Gitter eingelassen, welches wohl ebenfalls in die Kanalisation führte. Der Raum war spärlich eingerichtet, ein roh gezimmerte Holztisch und zwei ebensolche Stühle. Eine hölzerne Banktruhe stand an einer Wand und darüber hingen an eisernen Haken verschiedene Werkzeuge und auch eine Nagelpeitsche. Phera grollte leise, als sie diese erblickte. Noch zu frisch waren die Erinnerungen an die Schmerzen, welche dieses Folterinstrument ihr verursacht hatte. Sie ging zu den Haken rüber und nahm die Peitsche widerwillig in die Hand. Von dem ledernen Griff hingen sechs breite Lederstreifen herab, jeder mit spitzen Nägeln gespickt, welche sich beim Opfer bei jedem Schlag tief ins Fleisch bohrten. Dogra hatte inzwischen die Truhe geöffnet und einen nützlichen Fund gemacht. Sie zog drei Tuniken in schlichtem dunklem Braun hervor, dann drei Hosen aus einem Wollstoff. In der Truhe lag noch mehr Kleidung, alle von derselben Art. Es schien sie um Sklavenkleidung zu handeln, denn die Stücke hatten alle dieselbe Größe und waren sehr einfach gearbeitet. Dogra vermutete, dass dies die Sachen waren, welche die Sklaven trugen, wenn sie zum verkauf gebracht wurden. Gerade wollte sie die anderen darauf aufmerksam machen, doch da hörte sie es. Auch die anderen beiden wandten ihre Köpfe in Richtung der zweiten Tür. Schritte näherten sich, es waren zwei Personen. Fast panisch blickten sie sich um, aber außer der Truhe gab es keine Verstecke und darin war höchstens Platz für eine von ihnen. Also blieb nur ein Weg, zurück ins Abwasser. Zu ihrem Glück ließ es sich öffnen, aber die Schritte kamen rasch näher. Dogra warf die Sachen zurück in die Truhe, während Phera und Rasha das Gitter beiseite schoben. Die Männer waren fast an der Tür, also gaben sie alle Vorsicht auf und ließen sich ohne große Vorsicht in die stinkende Brühe fallen. Dogra zog das Gitter über die Öffnung zurück, keinen Augenblick zu früh, denn schon hörten sie, wie sich die Tür öffnete und zwei Männer den Raum betraten. Sie unterhielten sich halblaut und ihr Gespräch drehte sich tatsächlich um die drei Urukfrauen. Sie hatten das offene Gitter im Folterraum entdeckt und durchkämmten nun den Kanal nach ihnen.
Als die drei unfreiwilligen Zuhörer dies hörten, hielten sie unwillkürlich den Atem an, um auf vermeintliche Verfolger zu lauschen, aber außer ihrem eigenen Herzschlag und den sich entfernenden Stimmen der beiden Männer über ihnen hörten sie nichts. Eine andere Tür wurde geöffnet und dann wieder geschlossen, Stille kehrte ein. Phera und ihre Freundinnen atmeten auf und kletterten wieder nach oben, wo sie sich beeilten die saubere Kleidung aus der Truhe zu
Alle drei kleideten sich rasch an, ehe sie den Raum weiter untersuchten. Doch es ließ sich sonst nichts finden. Also wandten sie sich der zweiten Tür zu. Wieder lauschte Rasha zuerst, doch sie konnte keine verdächtigen Laute vernehmen. Auch diese Tür schwang nach außen auf und führte zu ihrer Überraschung in einen kleinen quadratischen Hof. Es war ziemlich dunkel hier, auch wenn es Tag war, denn der Hof war von hohen Mauern eingeschlossen, die hier und da vergitterte Fenster aufwiesen. In der Mitte des Hofes war ein ebensolches Abflussgitter, wie in dem Raum, aus dem sie geflohen waren. Hier verlief der Kanal also auch. Vorsichtig schauten sie sich um und auch in die Höhe, doch auch hier war das Glück ihnen hold, wie es aussah, denn es war niemand zu sehen.
Sie huschten über den Hof auf eine Tür an der gegenüberliegenden Seite zu, wobei sie sich eng an die Mauer pressten. Auch an dieser Tür lauschten sie und nickten sich dann erleichtert zu. Rasha betätigte die Klinke und knurrte enttäuscht. „Sie ist verschlossen, verdammter Mist, das darf doch nicht wahr sein." Sie rüttelte an der Klinke, aber Dogra schlug ihr auf die Pranke. „Lass das, es könnte jemand hören. Wir gehen zurück in den Kanal…was bleibt uns sonst übrig?"
Sie deutete auf das Gitter, unter welchem sie das Abwasser riechen und auch hören konnten.
Rasha schnaufte frustriert, zog sich aber von der Tür zurück. Phera und Dogra zogen sie einfach mit sich, bis zu dem Abflussgitter, welches sich wenigstens öffnen ließ. Langsam glitten sie abwärts in die stinkende Dunkelheit und Phera, welche die Letzte war zog das Gitter über ihren Köpfen zu. Behutsam ertasteten sie sich einen Weg, wobei sie wieder der Fließrichtung des Wassers folgten. Es erschien ihnen endlos, wie sie so dahinwateten, den ekelhaften Geruch in den Nüstern und unsägliche Dinge, die ihre tastenden Hände streiften. Dann hielt Dogra inne, die an der Spitze ging: „Da vorne wird es heller, und das Wasser fließt auch schneller finde ich. Lasst uns hoffen, dass dort ein Weg nach draußen auf uns wartet."
Tatsächlich nahm die Helligkeit nun stetig zu und sie kamen an eine Art Fallgitter, welches den Kanal verschloss an dieser Stelle. Durch das Gitter konnten sie eine Art natürliche Grube erkennen, einen See voller Abwasser sozusagen, an dessen Rand mehrere kleine Hütten standen. Die Fundamente waren aus grob behauenen Steinblöcken, darüber bestanden die Häuschen aus Holz. Dahinter schien ein Weg zu verlaufen, denn zwei Menschen zogen dort einen Wagen, um wie es aussah ein Ochsengespann einzuschirren.
„Am besten warten wir, bis es dunkel wird, das dauert nicht mehr lange…" Phera deutete zu Himmel, an dem sich die Abenddämmerung bereits zeigte. Dogra schnaufte nervös. „Sie müssten unsere Flucht inzwischen bemerkt haben, also ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie unseren Weg hierher verfolgt haben. Das offene Gitter lässt ja gar keinen anderen Schluss zu. Also sollten wir vielleicht eher versuchen dieses verdammte Gitter hier aufzubekommen und uns aus dem Staub machen. Die Menschen da sollten doch kein Problem darstellen, sie sind nicht mal bewaffnet, soweit ich sehe."
Phera schüttelte den Kopf. „Das ist nicht ganz richtig, Dogra. Wir sehen nur diese beiden Menschen, aber das heißt nicht, dass in den Häusern keine weiteren sind. Aber zurück können wir auch nicht, da wir dann auf unsere Verfolger treffen. Eine verzwickte Sache…aber ich würde auch sagen, dass wir es mit dem Gitter versuchen, ich kämpfe lieber im Hellen, als in stinkender Dunkelheit."
Zu ihrem Erstaunen saß das Gitter nicht besonders fest in der Felswand in die es eingelassen war und sie konnten es mit vereinten Kräften nach außen weg drücken. Das Rauschen des herausfließenden Wassers verschluckte das Gurgeln, mit dem der eiserne Verschluss in die Tiefe glitt. Langsam traten sie in die Freiheit der Grube hinaus und Dogra, die zuerst ging tauchte unter, als ihr der Boden unter den Füßen verloren ging. Das Auffangbecken fiel hier steil nach unten ab. Prustend kam sie wieder an die Oberfläche, wo sie in die schadenfroh grinsenden Gesichter der anderen beiden blickte. Nun vorgewarnt bewegten sie sich schwimmend und so leise wie möglich auf den Rand der Grube zu. Die Menschen auf dem Weg hatten nichts bemerkt, sie waren ja auch ein gutes Stück entfernt. Die drei Orkfrauen erreichten unbehelligt den Rand der Grube und kletterten an Land, wo sie hinter einem Felsen Deckung fanden. „Wir dürfen hier nicht lange bleiben…nicht anhalten, immer weiter in Bewegung bleiben." mahnte Phera die anderen. Inzwischen wurde es immer dunkler und bald würde es Nacht sein. Zögernd verließen sie die schützende Deckung, blieben aber im Schatten des nahen Hauses.
Die Männer mit dem Ochsengespann waren inzwischen ein Stück den Weg weiter hinunter gegangen, nachdem sich das Tier endlich in das Geschirr einschirren ließ. Angestrengt lauschten die drei Flüchtlinge, aber außer dem gelegentlichen Fluchen der Ochsentreiber und dem Schnaufen des Tieres war nichts zu vernehmen. Dogra war die erste, die sich vorwagte und in Richtung des Weges schlich. Sie umrundete die Hütte und warf wachsame Blicke auf die kleine Baumgruppe, die sich etwa zwanzig Schritt vom Weg entfernt befand. Hier würden sie den nächsten Halt einlegen. Doch bis dahin gab es keine Deckung. Sich auf ihr Glück und ihre Schnelligkeit verlassend sprang sie aus dem Schatten und eilte in Richtung des Weges. Phera und Rasha waren inzwischen dicht hinter ihr und mit schnellen Sprüngen überquerten sie fast gleichzeitig den schmalen Weg. Keine von ihnen vernahm das feine Sirren, so dass Phera und Rasha mehr als erschrocken innehielten, als Dogra urplötzlich mit einem leisen Aufschrei zusammenbrach und reglos liegen blieb. Pheras Warnung an Rasha ging in einem Schmerzenslaut unter und ehe sie auf den Boden prallte ging ihr noch durch den Kopf, dass sie die Menschen wohl unterschätzt hatten.
Langsam schob Asham das Blasrohr zurück in den Gürtel und trat dann aus dem Schatten des Fensters. Es hatte also geklappt. Die drei Frauen mussten ja irgendwo an einem der Auslässe des Kanals auftauchen. An jedem hatten sie Wachen postiert und ein kleines Ablenkungsmanöver. Hier waren es der Ochse und die Menschen gewesen, so hatten die Uruks ihn nicht wittern können. Nun würden sie ihre Strafe empfangen, denn Lekhamzaam schäumte vor Wut. Er ging nach draußen und betätigte einen Gong, der neben der Tür des Wachhäuschens hing. Bald darauf kamen die beiden Männer mit dem Ochsenkarren zurück. Sie luden die drei Frauen auf und fuhren sie davon. Asham wandte sich an einen von ihnen.
„Ulkhim, sage Lekhamzaam, dass wir sie haben. Wir bringen sie in die untere Folterkammer, ich denke, dass ist in seinem Sinne."
Der andere Mann nickte mit einem abartigen Grinsen. Jeder von ihnen wusste welche dunklen Geheimnisse diese Räume bargen und jeder wollte zu gern dabei sein, um dem Sklavenhändler zur Hand zu gehen. Er schlenderte davon…
