6. Exempel

Er war fort. Sie war allein. Nur bruchstückhaft konnte sie sich an die letzten Stunden erinnern. Wie schon die beiden Tage zuvor hatte er sie ausgepeitscht und dann die aufgeplatzte Haut mit Salzwasser übergossen. Wieder und wieder hatte entweder der Sklavenhändler selber oder einer seiner beiden Handlanger die Peitsche geführt. Aber jetzt konnte sie keinen der drei Männer wittern. Nur der Geruch ihrer Exkremente biss ihr in die Nase und die Witterung von Rasha, die nicht weit entfernt angekettet war. Dogra war nicht bei ihnen, aber die Männer hatten von einer „Sonderbehandlung" gesprochen, welche ihre Freundin erfahren hatte und dabei hämisch gelacht. Irgendetwas in ihr sagte ihr, dass es Dogra vermutlich noch schlechter ging, als ihr. Immerhin war sie es gewesen, die dem ekelhaften Kerl ein neues Aussehen verpasst hatte. Nun konnte er seine Rachegelüste ausleben.

Sie hatte nicht nachgeben wollen, sie hatte sich geschworen, dass dieser Kerl sie nicht brechen würde. Aber so langsam schwand ihre Standhaftigkeit. Wieder waren sie ausgedörrt durch das lange Hängen in der Gluthitze des Ofens. Sie hatten kein Wasser bekommen, keine Nahrung und ihr Körper war ein einziger Kessel gefüllt mir Schmerzen. Sie schien keine heile Stelle Haut mehr zu haben. Alles in ihr sehnte sich nach Ruhe, niederlegen können, frisches Wasser trinken und etwas frisches Fleisch dazu, dass wäre der Himmel auf Erden. Doch der Preis war hoch. Sie musste sich beugen, sich ergeben, doch war sie bereit diesen Preis zu zahlen?

Eine Bewegung neben ihr, ließ sie aufschauen, riss sie aus ihren Überlegungen. Rasha war wieder wach und schaute sie an. Phera versuchte trotz der Schmerzen zu lächeln, aber es wurde eine eher klägliche Grimasse. Mit einiger Anstrengung begann Rasha zu sprechen. „Phera…ich glaube nicht,…dass wir das hier noch lange…aushalten…" Sie machte eine Pause, um wieder Kraft zu sammeln, für den nächsten Satz. „Wir könnten den ursprünglichen…Plan versuchen…zum Schein fügen…vielleicht können wir…später fliehen…an einem anderen…Ort…" Sie hatte lange gebraucht für diese Frage. Nun sank ihr Kopf auf die Brust und sie atmete schwer. Phera dachte über diesen Vorschlag nach. Was würde sie erwarten, wenn sie sich zum Schein ergaben? Sicher würde der Händler sie verkaufen, doch wohin würden sie dann kommen? Würden sie zusammen bleiben oder getrennt werden? Irgendwie war ihr das zu unsicher, aber sie sah auch kaum mehr eine Möglichkeit, diese Torturen hier unbeschadet zu überstehen. Immer mehr schwanden ihre Kräfte und vielleicht würden sie, selbst wenn sich eine neue Fluchtmöglichkeit bieten würde, nicht mehr in der Lage sein, diese zu nutzen. Sie traf eine Entscheidung. „Ja, du hast Recht Rasha, es nutzt uns nichts, wenn wir solange kämpfen, dass wir gar keine Kraft mehr haben. Lass uns sehen, ob wir an anderer Stelle nicht mehr Glück haben." Ihre Freundin nickte nur als Antwort.

Die Stunden vergingen und Phera begann sich zu fragen, ob es nun eine neue Quälerei geben würde, denn es kam niemand mehr zu ihnen. Das Holz im Ofen war heruntergebrannt, aber niemand kam, um es nachzulegen. Eine gewisse Unruhe ergriff Phera, sie konnte es nicht erklären, aber sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass etwas passiert war, das die Männer davon abhielt, sich weiter um sie zu kümmern. Rasha tat diese Verschnaufpause gut, sie kam wieder zu Atem, hatte den Kopf nun wieder erhoben und schaute hin und wieder zur Tür. Sie sprachen nicht, hingen ihren eigenen Gedanken nach. Doch diese trügerische Stille wurde jäh unterbrochen, als sich nun die schwere Tür öffnete. Lekhamzaam kam mit mehreren Männern herein, er sah unglaublich wütend aus, seine Stimme klang bellend, als er seinen Leuten befahl die beiden Frauen herunterzulassen und sie in den Hof zu bringen. Sein Gesicht war stark gerötet, zumindest konnte man das an den Stellen sehen, die nicht von Verbänden bedeckt waren und seine Augen funkelten. Es schien nicht viel zu fehlen und er würde aus dem Mund schäumen. Die Männer befolgten seine Befehle umgehend und Phera und Rasha wurden grob aus dem Raum geschleift. Die Untergebenen von Lekhamzaam waren gut, denn sie achteten sehr genau darauf Klauen und Zähnen fern zu bleiben. Dann legten sie den beiden Frauen eine Art Maulkorb an. Weiter ging es nun, einen schmalen dunklen Gang entlang und dann in die unerbittliche Helligkeit eines Hofes in der Mittagssonne. Phera kniff die Augen zusammen, als das Licht ihre empfindlichen Augen traf. Zu lange waren sie im Halbdunkel gefangen gewesen, so dass es nun mehr als unangenehm war. Es dauerte recht lange, bis sie zuerst noch blinzelnd, dann langsam klarer die Einzelheiten der Szene erkennen konnte. In der Mitte des Hofes war ein großer Bock aus Holz aufgestellt, der im Boden befestigt war. An den Seiten hingen schwere Ketten herab. Hier sollte also nun wohl die Tortur weitergehen, dachte sie sich, aber warum nur ein Bock, wo sie doch zu zweit waren? Diese Frage beantwortete sich, als nun ihnen gegenüber eine Tür geöffnet wurde. Zwei Männer kamen heraus und zogen Dogra hinter sich her. Phera erschrak, als sie ihre Freundin erblickte. Dogra war nackt und sie war abgemagert, deutlich sah man die Knochen unter der dunklen Haut. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen und sie wirkte zunächst sehr apathisch, doch Phera roch selbst über die Entfernung hinweg die aggressive Erregung der Urukfrau. Dogra bewegte sich eher vorsichtig, soweit die beiden Männer das zuließen, als würde jeder Schritt ihr unsägliche Schmerzen bereiten.

Auf ein Zeichen von Lekhamzaam wurde Dogra zu dem Bock geschleift und darauf festgeschnallt, wobei sie es schaffte einem der beiden Männer in den Arm zu beißen. Dieser schrie zwar zuerst auf, doch dann stieß er ihr brutal den Ellenbogen ins Gesicht. Schwarzes Blut rann aus der aufgeplatzten Lippe, aber sie gab keinen Laut von sich. Das Gesicht des Sklavenhändlers verfinsterte sich noch mehr, falls das möglich war. Er trat neben den Bock, als Dogra nun fest angekettet war. Seine Stimme war eiskalt und voller unterdrückter Wut, als er nun sprach. „Es gibt immer wieder Ausfälle, das bin ich gewohnt. Einige von euch Viechern sind einfach unbelehrbar. Hier haben wir eines dieser Biester. Nicht nur, dass sie mich angegriffen und verunstaltet hat, nein, heute Morgen hat sie meinen langjährigen Gehilfen Ulkhim getötet, als dieser sich ihr unvorsichtig näherte. Damit ist das Maß voll."

Er schaute zu den anderen beiden Frauen herüber. „Ihr werdet nun sehen, was mit Orks geschieht, die nicht kooperieren, die sich nicht formen lassen. Seht dieses kleine Exempel als Abschreckung. Ich glaube es zwar nicht, aber vielleicht seid ihr ja lernfähiger als dieses Stück hier."

Damit streckte er die Hand aus und einer seiner Männer reichte ihm eine gespannte Armbrust. Phera hielt unbewusst den Atem an, als der Sklavenhändler nun die Spitze des Bolzens an Dogras Schläfe hielt und ohne zu Zögern abdrückte. Dogras Schrei zerriss die Mittagsstille und die Herzen ihrer Freundinnen. Doch es dauerte nicht lange an, dann senkte sich das Schweigen des Todes über den Platz. Der Aufprall der Armbrust auf dem Pflaster klang unnatürlich laut in diese Still, als Lekhamzaam sie einfach achtlos fallen ließ. Ohne die tote Orkfrau noch eines Blickes zu würdigen stapfte er auf eine Tür hinter sich zu. „Schafft das weg!" reif er den Männern zu. „Und bringt die beiden anderen zurück!"

Wie in Trance erlebte Phera den Rückweg in das Verließ. Reglos ließ sie sich wieder anketten und erst als die Männer wieder gegangen waren stieß sie ein frustriertes Heulen aus, in welches Rasha einstimmte. ‚So ein sinnloser Tod' ging es ihr durch den Kopf, aber sie empfand auch Bewunderung, denn Dogra hatte bis zum letzten Moment gekämpft. Sie würde es nie vergessen und sich nun verstärkt bemühen eine Möglichkeit zur Flucht zu finden. Das war sie Dogra schuldig.

In dieser Nacht fanden die beiden Frauen kaum Schlaf, nicht durch die Ketten oder ihre unbequeme Haltung, sondern weil ihnen immer wieder der Bolzenschuss in den Ohren hallte, gefolgt von Dogras Todesschrei. So waren sie am Morgen noch ermatteter und leisteten kaum Gegenwehr, als die Männer kamen um sie abermals abzuholen. Dieses Mal wurden sie nicht in den Hof gebracht, sondern durch mehrere lange Gänge in ein recht großes Zimmer in dem Holzwannen standen, mit Wasser gefüllt. Truhen, deren geöffnete Deckel den Blick auf verschiedene Kleidungsstücke freigaben und ein Tisch mit Kämmen und Bürsten. Ingesamt sechs Männer standen hier bereit, vier davon mit Peitschen und gespannten Armbrüsten bewaffnet. Als nun die beiden Orkfrauen in diesen Raum gebracht wurden, betrat Lekhamzaam das Zimmer durch eine gegenüberliegende Tür. Er trug keine Verbände mehr auf dem Gesicht, aber die frischen Wunden, die gerade anfingen zu verheilen ließen ihn in keinster Weise freundlicher erscheinen.

Er trat vor Phera und Rasha hin, einen sicheren Abstand einhaltend. „Jetzt hört mir mal zu ihr Miststücke. Ich bin es leid meine Zeit mit euch zu vergeuden. Ich stelle euch nun vor eine Wahl, aber lasst euch nicht zu lange Zeit mit der Antwort. Ihr könnt euch endlich in euer Schicksal fügen und einsehen, dass ihr keine Möglichkeit habt uns zu entkommen, dann werde ich euch für den Markt herrichten lassen. Oder ihr bleibt stur und kämpft weiter gegen mich an. In diesem Falle erwartet euch dasselbe Schicksal wie eure widerspenstige Freundin."

Abwartend ruhte sein Blick auf ihnen, während Phera und Rasha sich nur kurz ansahen. Ihr Entschluss stand fest, gefestigt durch Dogras Tod. Also nickte Phera und sprach mit leiser Stimme, auch wenn es ihr sehr schwer fiel. „Wir werden uns fügen und uns nicht länger wehren. Du hast gewonnen…" ‚Aber nur für den Moment.' Fügte sie in Gedanken hinzu.

Lekhamzaam grinste gehässig, schien aber ein wenig überrascht, dass sie sich so schnell fügten. „Macht sie fertig…ich will sie in zwei Stunde vorzeigbar haben." Schnappte er zu seinen Männern, dann verließ er den Raum wieder.

Die Männer packten sich Phera und Rasha unsanft und stießen sie in die Wannen, welche mit heißem Wasser gefüllt waren, versetzt mit irgendwelchen Ölen, deren Geruch den Orkfrauen unangenehm in die Nase stieg. Aber sie hatten nicht viel Zeit darüber nachzudenken, denn die Männer begannen sie unsanft mit groben Schwämmen abzureiben, zuerst das Gesicht, damit sie ihnen dann wieder Maulkörbe anlegen konnten. Die bewaffneten Wächter standen achtsam dabei, bereit jeden Anflug von Gegenwehr im Keim zu ersticken. Die Männer ließen keine Vorsicht walten und behandelten die Frauen grob, zerrten sie aus dem Wasser und trockneten sie ab. Dann mussten sie sich hinsetzen, während ihnen die Haare gebürstet wurden und mit Öl eingerieben. Dabei rissen sie ihnen ganze Büschel von Haaren aus, doch keine der beiden gab einen Laut von sich, was ihre Peiniger noch mehr anzustacheln schien.

Als dieses überstanden war, wurden Phera und Rasha in grobe Kleider gesteckt, die ihnen bis an die Knie reichten. Dann wurden sie durch die andere Tür nach draußen gebracht, wo ein Wagen wartete. Dieser war ähnlich dem Wagen, mit dem sie hier her gebracht worden waren. Unsaft wurden sie hinten heraufgeschleift und dann festgekettet. Nach kurzer Zeit erschien Lekhamzaam in Begleitung von Asham und beide kletterten auf den Kutschbock. Der Sklavenhändler ließ die Peitsche knallen und der Wagen setzte sich in Bewegung.

So verließen Phera und Rasha den Ort ihrer größten Pein und Qual und fuhren auf unbekannten Straßen einer unbekannten Zukunft entgegen.

---- So, nun komme ich auch hier wieder weiter. Mein Inspirationsknoten scheint endlich wieder geplatzt. Ich hoffe, die lange Wartezeit hat euch nicht abspringen lassen. Würde mich über eure Meinung zum Fortgang der Geschichte freuen. ----