8. Pheras Schicksal

Rauch…sie konnte Rauch riechen. Mit diesem Gedanken erwachte sie aus ihrem unruhigen Schlummer. Das nächste, was ihr auffiel war, dass der Wagen stand. Es war dunkel und durch die Plane konnte sie das Knistern eines Lagerfeuers hören, dessen Rauchgeruch sie geweckt hatte. Sie rappelte sich schwerfällig auf, bis sie zum Sitzen kam und sah sich im Wagen um. Der große Ork saß ebenfalls aufrecht, sein Blick war wachsam und er schien keine Müdigkeit zu spüren. Die Frau lag auf der Seite, ihr Kopf ruhte auf seinem Schoß und er strich ihr mit den Krallen durchs Haar. Er bemerkte Pheras Blick und schaute auf, musterte sie lange, dann stieß er die Luft mit einem leisen Grollen aus, welches den mächtigen Brustkorb erbeben ließ. Seine Stimme war tief wie ein fernes Donnergrollen.

„Du redest im Schlaf…sie verstehen es nicht, keine Sorge, aber wenn du an Flucht denkst, dann stell es dir nicht zu leicht vor…ihre Hunde sind gut, sehr gut. Die finden dich…" Er machte eine kleine Pause, dann neigte er leicht den Kopf, sie immer noch intensiv betrachtend. „Ich bin Darok…das ist Sashra, meine Tochter…" Er strich der jungen Frau noch einmal über den Kopf und sie seufzte schwer im Schlaf. Phera war etwas überrascht, hatte sie nicht erwartet Vater und Tochter vor sich zu haben. Aber dass er von Flucht gesprochen hatte ließ sie aufmerksam werden. Hatte er es versucht? Stammte daher seine Augenverletzung? In ihrem Kopf begannen Fragen zu wirbeln, und es dauerte einen Moment, bis sie sich wieder richtig konzentrieren konnte. „Darok…" sie nickte leicht, als sie sich den Namen einprägte. „Ich bin Phera und ja, du hast Recht, ich denke an Flucht, ja, ich will fliehen, mehr als alles andere. Bitte sag mir, wenn du irgendetwas weißt, was mir helfen könnte. Welche Gefahren gibt es?" Der Uruk grollte wieder lang anhaltend, während er damit fortfuhr seiner Tochter die Haare zu entwirren. Schon meinte Phera, er würde ihr nicht antworten, da erhob er wieder die Stimme. „Gefahren? Du wirst den Tod finden…mit ziemlicher Sicherheit. Entweder schon beim Versuch, weil dich die Aufseher erwischen. Oder später, wenn sie die Hunde hinter dir herhetzen. Und wenn du das alles überlebst, dann wird dein Besitzer ein Exempel statuieren, wenn du wieder in seinen Besitz gebracht wurdest, um die anderen Sklaven abzuschrecken."

Phera nickte nur, irgendwie hatte sie keine andere Antwort erwartet. Doch all das würde sie nicht von ihrem Entschluss abbringen. Sie würde eher auf der Flucht sterben, oder schon beim Versuch dazu, als ein Leben in Sklaverei zu führen. Sie verfiel wieder in tiefes nachdenkliches Schweigen. Darok schloss die Augen und bald kündeten seine gleichmäßigen Atemzüge davon, dass er eingeschlafen war. Sashra lag wie vorher schon da, den Kopf auf seinem Schoß gebettet und schlief ebenfalls. Während Phera noch darüber nachdachte, was diese Frau so apathisch sein ließ und warum sie noch kein Wort gesprochen hatte, übermannte auch sie der Schlaf und sie erwachte erst wieder, als der Wagen mit einem harten Ruck zum Stehen kam. Die Helligkeit um sie herum sagte ihr, dass es Tag war und sie konnte frisches Wasser riechen. Dieser Geruch war am stärksten, aber sie witterte auch Menschen, nicht nur die auf dem Wagen, hier gab es noch mehr. Und dann war da noch eine Witterung, schwach, kaum wahrnehmbar, aber ihr so vertraut, dass sie diese unter hunderten erkennen würde…Uruk-hai…hier gab es Orks. Phera schüttelte den Kopf. Natürlich gab es hier Orks, was hatte sie denn erwartet? Sie waren anscheinend am Ziel ihrer Reise angekommen und nun wurde auch die Plane gelüftet und zwei Männer kamen auf den Wagen, die ihr allerdings fremd waren. Sie hatte Nagelpeitschen am Gürtel und wirkten grobschlächtig und verschlagen. Als erstes ergriffen sie Sashra, die zwar wach war, aber nach wie vor lag. Sie zerrten sie an den Beinen vom Wagen, so dass sie hart auf dem Boden aufschlug. Darok knurrte leise, er spannte sich an und einen Moment lang wirkte es, als wolle er vom Wagen springen. Das wäre ihm wegen der Eisenketten schlecht bekommen und das schien er auch einzusehen und ließ sich wieder zurück sinken. Sein gesundes Auge funkelte allerdings gefährlich und seine riesigen Pranken ballten sich zu Fäusten, so dass sich die Krallen in die dicke Haut bohrten. Die Männer waren schnell und ihre Handgriffe geübt. Sie zogen die Plane vollständig ab und ehe Phera und Darok begriffen, was das sollte, hatten sie den großen Ork bereits an eine Strebe des Wagens angekettet und sie an eine andere. Sie schoben ihnen Maulkörbe über die Köpfe und verschnallten sie fest. Dann wurde zuerst Pheras Kette gelöst und die Männer zerrten sie seitlich vom Wagen herunter. Im letzten Moment schaffte sie es ihre Beine zu strecken. So verhinderte sie hart auf den Boden zu prallen und Sashras Schicksal zu teilen. Die beiden Kerle übergaben sie dann an zwei weitere Männer, die wartend dastanden. Sie konnte einen gepflasterten Weg erkennen, der durch ein Tor führte, hinter dem ein großes Gebäude stand welches hell in der Sonne leuchtete. Gepflegte Hecken säumten den Weg und kleine Beete mit Blumen lagen an der langen Mauer, welche mit roten Ziegeln gedeckt war.

Hinter sich konnte sie das verhaltenen Knurren von Darok hören, welches anschwoll, als die Männer versuchten ihn vom Wagen zu schaffen. Ein Schmerzenslaut ertönte, gefolgt von einem derben Fluch, dann hörte sie das scharfe Zischen der Peitsche, Der Aufprall der mit Nägeln gespickten Lederstreifen zog keinen Schrei nach sich, nicht mal ein leises Knurren. Phera lächelte grimmig unter dem Maulkorb, während die Männer sie weiter mit sich zogen, an Darok würden sie schwer zu knabbern haben, soviel stand fest. Sie hatte keine lange Zeit sich umzusehen, denn sie wurde immer weiter geschoben und gezerrt, durch das Tor hindurch, einen kiesbestreuten Weg entlang und dann durch eine große dunkle Holztür. Im Haus war es angenehm kühl, nach der staubigen Hitze des Wagens. Weiter ging es durch einen dunklen Raum, durch eine weitere Tür in ein helles Zimmer. Der Unterschied der Lichtverhältnisse ließ Phera die Augen zusammenkneifen. Erst nach einem langen Moment konnte sie sich umsehen. Als erstes erblickte sie den Mann, der sie gekauft hatte. Er saß in einem hohen Ledersessel, eine Nagelpeitsche auf den Knien, und betrachtete sie aufmerksam. Neben dem Sessel stand ein weiterer Mann, ein viel jüngerer, welcher eine leichte Ähnlichkeit mit dem Ersten hatte. Der Mann im Sessel erhob sich langsam und trat ein paar Schritte auf sie zu. Dann warf er einen Blick über die Schulter zurück, zu dem jüngeren Mann. „Und da ist sie auch schon. Also Taleph, dies hier ist deine erste Sklavin. Ich mache sie dir zum Geschenk. Es wird Zeit, dass du deine Männlichkeit erforschst und dich weiterbildest, ehe du dir eine Frau nimmst." Er nickt gefällig, während der Angesprochene leicht das Gesicht verzog. Ihm schien dieses Gespräch offensichtlich lästig, aber er leistete keinen Widerspruch. Der ältere Mann fuhr fort. „Also, du weißt, was du zu tun hast. Nimm sie mit dir, ich vertraue dir, dass du weißt, wie du mit ihr zu verfahren hast." Er wandte sich wieder Phera zu, musterte sie noch einmal abschätzend und nickte dann mit spöttischem Lächeln. Die Orkfrau hatte die ganze Zeit den Kopf erhoben gehabt und erwiderte nun stolz seinen Blick. Er lachte nur leise und ging dann zurück zum Sessel, aber ehe er sich wieder setzte, tätschelte er seinem Sohn die Schulter.

„Nun geh mein Junge, probier dein neues Spielzeug aus. Viel Spaß!"

Taleph nickte nur knapp und trat dann mit raschen Schritten zu Phera, ließ sich die Führkette geben und deutete ihr mit einem leichtem Ruck ihm zu folgen. Sie beschloss sich zunächst einmal zu fügen und drehte sich zu dem jungen Mann um, der auf eine Tür deutete, welche wohl in ein anderes Zimmer führte. Sie sollte also voraus gehen, was sie dann auch tat. Die Tür ließ sich nach außen öffnen und führte einen breiten Gang entlang, von welchem etwa ein Dutzend Türen rechts und links abgingen. Der Flur selber war mit dicken Teppichen ausgelegt, an den Wänden hingen Bilder verschiedener Personen und kleine Kristallleuchter erhellten den fensterlosen Gang. Da sie keine neue Anweisung erhielt, steuerte Phera einfach weiter auf die Tür am Ende des Flures an. Dies schien der richtige Weg zu sein, denn sie durfte auch diese Tür öffnen, die wiederum nach außen schwang.

Sonnenlicht fiel auf ihr Gesicht und blendete sie für einen Moment, so dass sie die Augen schließen musste. Doch sie blieb nicht stehen, setzte vorsichtig weiter einen Fuß vor den anderen, ehe sie dann langsam die Augen wieder öffnete. Ein Innenhof, lichtdurchflutet und mit hellem Kies bestreut. Blumen blühten hier an halbrunden Mauern, es gab Holzbänke mit Kissen, die zum Verweilen einluden, und in der Mitte ein Springbrunnen, dessen Wasser sich in glitzernden Kaskaden in der Luft brach. Aber Phera hatte nicht viel Zeit sich umzublicken, denn der Mann zog leicht an der Kette, deutete ihr an, dass sie nach rechts weiter gehen sollte.

Hier gab es eine große Doppelflügeltür, ebenfalls aus dunklem Holz, auf die sie nun zuschritt.

Durch diese Tür ging es weiter hindurch. Sie kamen in einen kurzen hell getünchten Gang, der ansonsten schmucklos war, bis auf zwei schlichte Öllampen aus Messing. Am Ende dieses Ganges ging eine Tür weiter geradeaus und eine nach rechts ab. Phera spürte den Ruck an der Kette, auch wenn er mit wenig Nachdruck kam. Sie blieb stehen, während der Mann nun an ihr vorbei schritt. Er hatte keine Angst, das konnte sie riechen und es wunderte sie. Sie beobachtete, wie Taleph einen Schlüssel aus einer Tasche zog und dann die Tür aufschloss. Er blieb stehen und deutete ihr, in das Zimmer zu treten, was sie auch unverzüglich tat. Dieses Zimmer war ein Privatgemach, das war deutlich zu merken. Alles hier roch nach dem Mann und die Möbel deuteten darauf hin, dass er hier wohnte und schlief. Taleph ging an ihr vorbei, nachdem er die Tür wieder verschlossen hatte, sie folgte ihm im Abstand der Kette. Diese ließ er jedoch plötzlich zu Boden fallen und setzte sich in einen Sessel.

„Setz dich, bleib stehen, was du willst, es ist mir egal…" sagte er leise. Phera glaubte ihren Ohren nicht zu trauen, doch der Mann betrachtete sie mit einem traurigen Lächeln und wiederholte seine Worte. „Ich meine es so, wenn du dich setzen magst, dann tu es, wenn nicht, dann bleib stehen…ich habe nicht nach einer Sklavin verlangt, ich will kein Spielzeug, ich will mit diesem ganzen Zeug nichts zu tun haben…" Er klang verbittert und zornig. Phera schüttelte leicht den Kopf, es war einfach zu schwer zu glauben, dass er das wirklich gesagt hatte. Unschlüssig blieb sie stehen, schaute ihn einfach weiter an. Er seufzte schwer. „Du verstehst es nicht, nicht wahr? Also, dann erkläre ich es dir. Ich verabscheue die Sklaverei, ich will damit nichts zu tun haben, und ich will auch keine eigenen Sklaven haben. Ich will weg aus diesem Land, sobald ich die Möglichkeit dazu habe. Bislang konnte ich mich gut drücken, aber nun hat sich mein Vater in den Kopf gesetzt, mir eine Sklavin zu schenken, eine Frau, die mir zu Willen sein soll, damit ich mich ausprobieren kann, wie er das nennt. Aber ich will das nicht, ich brauche das nicht. Wenn ich Erfahrungen mit Frauen sammeln möchte, dann suche ich mir eine und mache ihr den Hof… Also, nun weißt du, warum ich so reagiere. Ich betrachte dich nicht als mein Eigentum, also kannst du tun was du willst, leider nur in diesem Raum, denn ansonsten würde mein Vater es als Ungehorsam erachten und dich bestrafen."

Phera schwieg eine Weile, dann fragte sie mit leiser Stimme. „Warum sagst du deinem Vater nicht, dass du keine Sklavin willst, dann schickt er mich vielleicht wieder weg…"

Taleph lachte freudlos. „Ja, er schickt dich auf die Plantage…oder gibt dich an einen seiner Freunde weiter, die dich dann ins Hurenhaus stecken, wo perverse Männer ihre Lüste an dir befriedigen…du scheinst noch recht jung und von daher sehe ich das Zweite Schicksal als deines an…und das will ich noch weniger, als eine Sklavin, Hier kann ich zumindest in gewissem Rahmen dafür sorgen, dass es dir gut geht…"

Phera schauderte bei seinen Erklärungen, wie ihre Zukunft aussehen könnte, doch als er davon sprach, dass er dafür sorgen wollte, dass es ihr gut ginge runzelte sie wieder die Stirn.

„Wie willst du denn deinen Vater täuschen? Wird er nicht merken, dass du mich eigentlich gar nicht haben willst…?"

Taleph schüttelte den Kopf und winkte sie näher heran. Sie trat zu ihm und er legte ihr die Hände auf die Schultern, drückte sie herunter, so dass sie vor ihm hockte. Dann begann er in leisem verschwörerischem Ton mit ihr zu sprechen.

„Das wird nicht passieren, wenn wir zusammenhalten. Also hör gut zu, dies ist mein Plan."

Sie sprachen lange leise miteinander und in Phera begann die Hoffnung zu keimen, dass ihr Los hier erträglich sein würde, bis zu jenem Tag, an dem sie fliehen konnte…