In Medias Lex Kapitel 1
Daily Planet, Ausgabe vom 13.07.1992
„Mysteriöses Doppelkoma nach Selbstmordversuch"
Gestern Nachmittag fand die Polizei von Metropolis nach einem Notruf Diego S. und seine Tochter im kleinen Badezimmer ihrer Wohnung im Koma auf.
Der Notruf bei ging am Nachtmittag bei der Polizei ein. Lucy S., 14 Jahre alt, meldete, daß ihr Vater versucht habe, sich das Leben zu nehmen. Sie bat um Hilfe und legte dann auf. Als die Polizei 15 Minuten später in der Wohnung der Familie S. eintraf, fanden sie Vater und Tochter nebeneinander auf dem Boden des Badezimmers liegend vor. Der Vater, Diego S., 42 Jahre alt, hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten.
„Es war ein furchtbares Bild. Das ganze Badezimmer war voller Blut und Vater und Tochter sahen aus, als seien sie abgeschlachtet worden. Wir dachten zuerst, daß das Mädchen sich aus lauter Verzweiflung ebenfalls das Leben genommen hätte, aber körperlich war sie unversehrt!", so ein Sanitäter, der am Tatort befragt werden konnte.
Erst im Krankenhaus stellte sich heraus, daß das Mädchen nicht ohnmächtig war. Sie lag in einem so tiefen Koma wie ihr Vater, der wegen des hohen Blutverlustes in einen Schockzustand übergetreten war.
Auf einer Kassettenaufnahme, die die Polizei in einem Radiorekorder in der Küche fand, erklärte Diego S. die Gründe für seinen Wunsch zu sterben:
Seit einem Unfall vor vier Jahren, bei dem seine Ehefrau starb, und er sein Augenlicht verlor, sah der Mann keinen Sinn mehr in seinem Leben. Er sah sich nicht mehr in der Lage für seine Tochter zu sorgen und wünschte sich nur noch die Erlösung von seinen Leiden.
Wir werden über die weiteren Entwicklungen in diesem merkwürdigen Fall berichten.
Daily Planet, Ausgabe vom 04.08.1992
„Mädchen aus Koma erwacht!"
Stunden nach dem Tod des blinden Selbstmörders Diego S. erwacht seine Tochter aus ihrem Koma. Nach eingehenden ärztlichen Untersuchungen konnten die Mediziner keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen finden, die das Koma erklären würden. Die Ärzte stehen vor einem Rätsel.
Die 14-jährige Lucy S. weigerte sich mit Reportern zu sprechen und teilte sich auch nicht den Psychologen oder Sozialarbeitern mit, die zu ihrer Unterstützung gerufen wurden. Als Vollwaise wird sie der Jugendbehörde überstellt und vorerst in einem Jugendheim untergebracht werden, da sie in Metropolis keine lebenden Verwandten hat ...
Die junge Frau, die auf dem Sofa saß und ein Fotoalbum in der Hand hatte, starrte blind vor Tränen auf die zwei Artikel, die in das Album geklebt worden waren, als sie gerade 14 Jahre alt gewesen war. Es war der 12. Juli und somit der Jahrestag des Todes ihrer Mutter und des Selbstmordversuchs ihres Vaters. Sie konnte das Grab ihrer Mutter nicht aufsuchen, weil sie in einer Kleinstadt in Kansas begraben lag. Am 03. August würde sie die Grabstelle ihres Vaters auf dem Friedhof von Metropolis besuchen, auch wenn es sie jedes Jahr in eine kleine Depression stürzte. Sie konnte kaum glauben, daß schon zehn Jahre seit dem Tod ihres Vaters vergangen waren, und sie s vollkommen allein in der Welt stand. Aber sie war nicht nutzlos, sie hatte ihre Berufung gefunden und arbeitet mit Kindern, die ihre Hilfe brauchten. Was machte es da schon, daß sie bisher keinen Mann getroffen hatte, mit dem sie sich eine Zukunft vorstellen konnte. Vielleicht war sie dazu bestimmt, alleine zu bleiben und nur durch ihre Arbeit Erfüllung zu finden. Sie schreckte aus ihren trüben Gedanken hoch, als das Telefon anhaltend klingelte. Sie ging erst ran, als sie die Stimme ihres guten Freundes Paco aus dem Anrufbeantworter tönen hörte.
„Los Mädchen! Geh ran, ich weiß, daß Du da bist!" Lucy sprang vom Sofa auf und nahm das Telefon ab.
„Hallo, Paco! Was gibt es?
-Ich will dich ablenken, Chica! Ich weiß, daß Du zuhause sitzt und Trübsal bläst! Du kannst mir im Geschäft aushelfen, eine der Kellnerinnen ist ausgefallen und ich finde keinen Ersatz! Wenn Du also nichts Besseres zu tun hast...
-Nette Ablenkung! In einem knappen Fummel arbeiten, Du bist wirklich ein Freund!"
Lucy verzog den Mund und verdrehte die Augen. Paco war Geschäftsführer in einer Diskothek, dem „Heaven & Hell", wo er Erfahrungen sammelte, bevor er seinen eigenen Club eröffnete. Sie hatte ihn in der Tanzschule, die sie besuchte, kennengelernt. Er hatte eine Tanzpartnerin für Turniere gesucht und in Lucy eine Gleichgesinnte gefunden. Tanzen war für Lucy wie eine Therapie, wenn sie unglücklich war, konnte sie dort ihren Frust abladen und den Kummer vergessen.
„Hey! Das bringt dich auf andere Gedanken! Außerdem sind diese Woche die roten Perücken dran, kein Mensch wird dich erkennen, das macht doch Spaß!
-Und der Rest der Aufmachung?
-Weiße enganliegende Shirts und dazu Pailletten-Hotpants! Bring deine hohen Stiefel mit, das sieht bestimmt heiß aus!
-Okay! Weil Du es bist! Aber ich arbeite nicht bis zum Morgengrauen!
-Du bekommst auch die Frühschicht, ich kenne dich doch! Es reicht, wenn Du von neun bis zwei mithilfst! Ich will dich ja nicht total ausbeuten!"
Lucy trocknete ihre Tränen und bereitete sich mit einem kleinen Schönheits- Programm auf die Arbeit vor. Sie war froh, daß Paco angerufen hatte, so konnte sie ihre trübsinnige Stimmung abschütteln und nebenbei etwas Geld verdienen.
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Wie üblich war im „Heaven & Hell"am Samstagabend die Hölle los. Paco hatte nicht übertrieben, als er meinte, daß ihr Outfit heiß aussehen würde. Alle Kellnerinnen trugen die weißen ärmellosen Shirts ohne etwas drunter und dazu verschiedenfarbige Shorts, ihre waren bronzefarben, und hohe Stiefel dazu. Paco hatte ihr die VIP-Lounge zugeteilt, wo man am meisten Trinkgeld machen konnte, aber auch sehr viel Fingerspitzengefühl brauchte, um Aufdringlichkeiten abzuwehren. Sie lieferte gerade ihre letzte Getränkebestellung an einem Tisch ab, an dem einige reiche junge Männer mit ihren Dates saßen und wunderte sich, daß einer ein großes Wasser bestellt hatte. Die Damen hatten bisher nur Champagner gewollt und die Herren hielten sich an die harten Sachen. Plötzlich wurde sie am Handgelenk gepackt und auf die bequeme Couch gezogen und einer der Männer goß ihr das Glas Wasser über das Shirt, so daß es fast durchsichtig wurde und ihre nun aufgerichteten Nippel gut auszumachen waren. Die ganze Clique lachte ausgelassen und grölte, doch Lucy stand ruhig auf und nahm ihr Tablett wieder an sich. Sie sah kalt auf die Gruppe herunter und drehte sich dann wortlos weg. Sie lief direkt in die Arme eines Mannes, der ihr geschickt sein Jackett um die Schultern legte. Sie blickte erschrocken auf und sah den Fremden mit großen Augen an. Er war wohl Anfang zwanzig und trotz der Glatze, die er trug, unverschämt gutaussehend.
„Vielen Dank! Ich werde Ihnen das Jackett nur ruinieren."
Lucy zitterte auf einmal, weil der Mann das Revers des Jacketts festhielt und somit nur Zentimeter von ihr wegstand. Seine Nähe verursachte ihr eine wohlige Gänsehaut.
Er lächelte nur: „Soll ich es wieder an mich nehmen?"
Lucy schüttelte den Kopf. „Besser nicht! Kommen Sie mit, ich habe Schluß und werde mich jetzt umziehen!"
Er folgte ihr in den Mitarbeiterbereich und sie bat ihn, vor der Garderobe auf sie zu warten. Sie zog das nasse Shirt aus und trocknete sich schnell mit einem Handtuch ab. Sie zog sich dann gleich auch die Sachen an, mit denen sie gekommen war, ein Minikleid mit Blümchenmuster und bequeme Pantoletten mit halbhohem Absatz, die bei dem warmen Wetter angemessener waren als die Stiefel. Die rote Perücke mit den schulterlangen glatten Haaren behielt sie auf, weil sie keine Zeit mit dem Herrichten ihrer Haare verschwenden mochte. Sie wischte nur den dick aufgetragenen Lippenstift weg und trug etwas Lippenbalsam auf, um sich etwas weniger aufgemotzt zu fühlen. Ihr Retter lehnte immer noch an der Wand gegenüber der Tür und sah sie mit aufleuchtenden Augen an, als sie die Garderobe verließ.
„Eine tödliche Kombination aus Lolita und Vamp! Sie sehen umwerfend aus!"
Lucy lächelte ihn errötend an: „Danke! Ich wollte Sie nicht zu lange warten lassen, also ist meine Rückverwandlung nur halb vorangeschritten! Ihr Jackett ist nur ein bißchen feucht, es wird wohl keinen bleibenden Schaden davontragen!"
Sie hielt ihm die Jacke hin, doch anstatt sie zu nehmen, zog er sie an ihrem Handgelenk zu sich und legte den anderen Arm um ihre Taille. Lucy sog erschrocken die Luft ein und sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. In der hellen Beleuchtung des Mitarbeiterbereiches konnte sie erkennen, daß seine Augen blau und von hellen, langen Wimpern umgeben waren. Sie legte ihm eine Hand abwehrend auf die Brust, um Abstand von ihm zu halten. Seine starke Brust bot einen viel zu großen Anreiz, sich dagegen zu lehnen.
„Ich habe dich den ganzen Abend beobachtet und gerätselt, welche Farbe deine Haare wohl haben!" Er strich ihr eine lange rote Strähne aus dem Gesicht.
„Sie sind dunkelbraun, das ist kein Geheimnis! Lassen Sie mich jetzt los?" Ihre Frage klang etwas atemlos, weil seine Nähe ihr unter die Haut ging.
„Nein! Ich halte dich gerne fest! Du bist die aufregendste Frau, die mir seit langem begegnet ist!" Sie sah, wie er ihre Lippen überlegend betrachtete und spürte wie ihr die Knie weich wurden.
„Das kann ich kaum glauben! Nur weil ich hier in dieser Aufmachung arbeite, bedeutet das nicht, daß ich leichte Beute bin!"
Sie versuchte, sich von ihm zu lösen, doch er war unerwartet stark unter seinem Designerhemd, das seine gut durchtrainierten Muskeln verborgen hatte.
„Das ist es ja! Trotz dieser Aufmachung hast Du immer Abstand zu den Männern gehalten und wirkst irgendwie unantastbar unschuldig! Verrätst Du mir deinen Namen?"
Lucy seufzte genervt und gab nach. „Lucy Santiago! Ich arbeite sonst nicht hier, ich vertrete nur eine kranke Bedienung. Ich habe mit so was mein Studium finanziert und ein guter Freund von mir führt den Laden. Und wer bist Du?"
Lex warf den Kopf zurück und lachte amüsiert: „Du weißt nicht, wer ich bin? Interessant, vielleicht sagt dir mein Name etwas, ich heiße Lex Luthor!" Lucy zuckte mit den Schultern.
„Könnte sein, daß ich den Namen Luthor schon einmal gehört habe, aber im Moment kann ich nichts damit anfangen! Ich gehöre nicht zur Schickeria sondern zum einfachen Fußvolk. Muß ich beeindruckt sein?"
Lex Lippen verzogen sich zu seinem typischen hochmütigen Lächeln: „Vielleicht nicht von meinem Namen, aber etwas von mir?"
„Ich gebe zu, daß dein Äußeres sehr beeindruckend ist, aber davon lasse ich mich nicht irreführen! Mein Instinkt sagt mir, daß es sehr gefährlich ist, sich mit dir einzulassen. Ein reicher gelangweilter Junge, der etwas Abwechslung sucht, ist bei mir an der falschen Adresse!"
Lex Grinsen wurde breiter, weil er ihr heftiges Herzklopfen an seiner Brust spüren konnte. Er fühlte sich seit langem wieder lebendig, weil er seine dunklen Gedanken verdrängen konnte, seit er Lucy Santiago im Arm hielt.
„Ein Junge? Wenn Du mich so siehst, bin ich ja keine Bedrohung für dich!", flüsterte er an ihrem Mund und senkte dann seine Lippen auf ihre. Lucy schloß automatisch die Augen, als sie seine festen Lippen auf ihrem Mund spürte, weil ein gleißendes Licht sie blendete. Sie hatte den Kuß eines Mannes noch nie so intensiv empfunden, daß sie am ganzen Körper zitterte und nach Atem ringen mußte. Das nutzte er aus, um mit seiner warmen Zunge in ihre Mundhöhle zu dringen und ihre Zunge verführerisch zu umschlängeln. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und schmiegte sich an ihn, um ihn besser spüren zu können. Seine Arme schlossen sich fest um ihre Taille und seine Hände strichen ihr über den Rücken, wo sie auf ihrem Kreuz liegen blieben, um sie fest an sich zu pressen. Als er ihren Mund freigab, war Lucy vollkommen erschüttert von ihrer heftigen Reaktion auf den Kuß, den ihr ein Fremder gegeben hatte. Lex ging es ähnlich, hätte er etwas sagen müssen, wäre nur ein „Wow!" über seine Lippen gekommen. Jetzt war er es, der beeindruckt war.
„Ich muß jetzt gehen!"Lucy entwand sich aus seiner Umarmung, doch er hielt ihre Hand fest.
„Ich bringe dich nach Hause!"
„Nein! Das ist nicht möglich!"Sie sah ihn fast ängstlich an.
„Keine Angst! Ich werde nicht über dich herfallen, ich fahre dich nur nach Hause! Versprochen!"
Er war froh, daß sie ihm nachgab und sich von ihm zu seinem Auto führen ließ, nachdem sie ihre Sachen aus der Garderobe geholt hatte. Er fuhr zu der Adresse, die sie ihm angab und wunderte sich, was sie wohl beruflich machte, da Wohnungen in dieser Gegend von Metropolis nicht billig waren.
„Da wären wir, Lucy Santiago!" Er hielt vor dem Apartmentkomplex und stellte den Motor ab.
„Ich werde dich nicht hoch bitten, Lex! Ich habe das vorhin ernst gemeint! Ich schlafe nicht mit Fremden! Gute Nacht!"
Sie wollte schon aussteigen, doch Lex aktivierte die Türverriegelung.
„Nicht so schnell! Ich will dich wiedersehen! Vorzugsweise ohne die Perücke!" Er grinste schief. Lucy schloß kurz die Augen und überlegte, was sie machen sollte.
„Ich halte das für keine gute Idee! Was Du von mir siehst, ist nicht die echte Lucy gewesen, das war sozusagen meine Arbeitsuniform. Du gehst von falschen Tatsachen aus!" Lex drehte sich zu ihr und nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände, um ihr forschend in die Augen zu blicken.
„Der Kuß und deine Reaktion darauf waren aber sehr echt! Das sind die einzigen Tatsachen, die relevant sind!" Er küßte sie sanft auf den Mund und war zufrieden, als ihr ein leises Stöhnen entglitt.
„Bitte Lex, nicht! Laß mich gehen, ich kann mich nicht auf jemanden wie dich einlassen!" Sie sah ihn flehentlich an.
„Ich lasse dich jetzt gehen! Wir werden uns aber wiedersehen, das verspreche ich!"
Er küßte sie noch einmal und entriegelte dann die Türen. Lucy warf ihm einen gehetzten Blick zu und stieg dann mit ihrer Tasche in der Hand aus. Sie lief schnell in das Gebäude und war bald hinter einer verspiegelten Glastür verschwunden. Lex ließ den Motor anspringen und überlegte, wie er an Informationen über die widerspenstige Frau kommen sollte. Er hatte das untrügliche Gefühl, daß sie nicht so leicht zu erobern war, wie die anderen Frauen, die er bisher in seinem Leben getroffen hatte.
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Lex Luthor war nach dieser Begegnung wieder nach Smallville gefahren, wo er seit einem Jahr lebte. Dort besaß sein Vater eine Firma, deren Leitung er übernommen hatte. In Smallville hatte er neue Freunde gefunden und begann sich dort sehr wohl zu fühlen. Das gefiel seinem Vater, Lionel Luthor, nicht, dem bekannten Industriemagnat und Milliardär aus Metropolis. Lionel fühlte sich nur wohl, wenn sein Sohn unter seiner totalen Kontrolle lebte, um ihn nach seinem Abbild zu formen, und beschloß die Firma in Smallville zu schließen. Lex bekämpfte ihn jedoch und schloß sich mit den Angestellten von LuthorCorp zusammen, gemeinsam übernahmen sie die Aktienmehrheit und die Firma war jetzt unter Lex Gewalt und hieß LexCorp. Sein Vater war danach in sein Haus gekommen, und sie hatten sich heftig gestritten, während um sie herum ein Sturm in Smallville gewütet hatte. Sie bemerkten den verheerenden Tornado erst, als das Dach des Zimmers einstürzte und Lionel unter einer der Säulen begraben wurde. Seine Verletzungen waren so schwer, daß er in eine Spezialklinik in Metropolis überwiesen worden war. Dort sollte sich sein Vater an seine Behinderung gewöhnen und mit ihr leben lernen. Seit dem Unfall war Lionel Luthor nämlich erblindet.Es war Montag, zwei Wochen nach dem schrecklichen Unfall waren vergangen, und er hatte gerade einen aufwühlenden Besuch bei seinem Vater in dessen Krankenzimmer hinter sich gebracht und war so gedankenverloren, daß er den Aufzug in der falschen Etage verließ. Er bemerkte seinen Fehler erst, nachdem ein Mädchen rückwärts in ihn hineinlief. Um den Aufprall abzumildern, legte er dem Persönchen, das ihm knapp bis zum Kinn reichte, die Hände um die Schultern.
„Ha, Du bist in jemanden gelaufen! Ich hab' gewußt, daß Du die Wette verlierst, Lucy!"Ein Junge, der einen Blindenstock in der Hand hielt, blieb vor ihnen stehen und lachte seine Begleiterin aus. Das Mädchen drehte sich lachend zu ihm um und Lex erkannte trotz der unförmigen Latzhosen und den zwei geflochtenen Zöpfen, die sie trug, daß sie älter war, als er zuerst angenommen hatte.
„Verzeihen Sie bitte! Wir haben ein kleines Experiment gewagt. Ich habe Sie vollkommen übersehen..." Unter dem intensiven Blick seiner blauen Augen, die dadurch betont wurden, daß er eine Glatze trug, verlor Lucy den Faden. Die Aura dieses jungen Mannes empfand sie wie eine Schockwelle, seine Präsenz war schier überwältigend. Ihr Herz klopfte zum Zerspringe, als sie ihn wiedererkannte; es war Lex Luthor, der sie vor etwa einem Monat nach Hause gefahren hatte. Sie starrte ihn an, weil sie Angst hatte erkannt zu werden, doch sie war ja gar nicht geschminkt und die Perücke fehlte. Lex war es gewohnt wegen seiner fehlenden Haare angestarrt zu werden, aber er hatte das sichere Gefühl, daß sein Gegenüber tiefer blickte als andere und ihn deshalb nie auslachen würde.
„Es ist nichts passiert, machen Sie sich keine Sorgen! Ich war selbst unkonzentriert!"
Sie lächelte ihn mit einem sehr warmen Lächeln an, das ihm sofort sympathisch war. Der Junge brachte beide wieder auf die Erde zurück, indem er die junge Frau am Arm zog.
„Du hast die Wette verloren, Lucy! Du schuldest mir ein Eis! Ich warte in meinem Zimmer, während Du es holst!"
Lucy lächelte ihren Schützling an: „Einverstanden, Dave! Ich komme so schnell ich kann nach, mit deinem Eis!" Sie drückte auf den Aufzugknopf und gab dem Jungen einen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken, als er an ihr vorbeiging.
„Auch runter?"
Lex nickte und stieg mit ihr in den Aufzug ein. Sie standen sich in der sonst leeren Kabine gegenüber und Lex fiel wieder ihre ungewöhnliche Aufmachung auf.
„Ist das hier die übliche Schwesterntracht?" Lex Augen wanderten zu ihrer weiten Latzhose.
Lucys Augen blitzten schelmisch auf und sie grinste ihn an: „Nein! Ich arbeite zwar hier im Krankenhaus bin aber keine Schwester. Ich helfe jungen Patienten, die ihr Augenlicht verloren haben, und das grenzt manchmal an sportliche Höchstleistungen. Eine schicke Aufmachung wäre bei meiner Arbeit nur hinderlich. Ihr elegantes Hemd würde keine halbe Stunde überleben!"
Lex mußte lachen und bemerkte daher nicht den faszinierten Blick, den ihm die junge Frau zuwarf. Unten angekommen drückte er ihr einen Zehn-Dollar- Schein in die Hand.
„Kaufen Sie Dave eine richtig große Portion dafür! Wir sehen uns!" Ein letztes Lächeln und er war im Getümmel der Eingangshalle untergetaucht. Lucy stand eine ganze Weile da und starrte ihm hinterher. Irgendwie bedauerte sie, daß sie sich nicht zu erkennen gegeben hatte, weil sie ihn gerne näher kennengelernt hätte. Sie schüttelte den Kopf, um die ungewöhnlichen Gedanken zu vertreiben und ging in Richtung Cafeteria.
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Einem inneren Impuls nachgebend hatte Lex recherchieren lassen, wer die Frau war, die ihn im Krankenhaus bei der kurzen Begegnung so beeindruckt hatte. Obwohl er nur ihren Vornamen und ihren Arbeitsplatz kannte, erhielt er den Bericht innerhalb von 24 Stunden. Er war ziemlich überrascht, als sich herausstellte, daß das Mädchen aus der Diskothek und die Therapeutin aus dem Krankenhaus ein und dieselbe Person waren. Mit dem DINA4-Hochglanzfoto aus ihrer Bewerbungsmappe in den Händen, auf dem Lucy Santiago dezent geschminkt war, fiel ihm das Erkennen leichter. Sie hatte nicht gelogen, als sie ihm sagte, daß ihr Haar dunkelbraun sei, es mußte auch von ungewöhnlicher Länge sein, denn er erinnerte sich genau an ihre langen Zöpfe, die sie bei der Arbeit im Krankenhaus getragen hatte. Offen getragen mußte es ihr wohl bis zu ihrer Taille reichen. Lucy Santiago war 24 Jahre alt und eine Therapeutin mit ausgezeichnetem Ruf. Er wunderte sich, daß sie älter als er war, sie hatte eine so unschuldige Ausstrahlung, daß er sich mit seinen 22 sehr viel erfahrener vorkam. Sie arbeitete ausschließlich mit Kindern und Jugendlichen, die ihr Augenlicht durch Krankheit oder Unfälle verloren hatten. In der Spezialklinik in Metropolis arbeitete sie unter der Voraussetzung, daß sie Fälle von sozial schwachen Familien übernehmen durfte, die sich eine solche Behandlung eigentlich nicht leisten konnten. Der Bericht erwähnte auch, daß sie zu Schwestern und Assistenzärzten ein sehr gutes Verhältnis, aber gelegentlich Probleme mit autoritären Vorgesetzten hatte, die ihre Behandlungsmethoden kritisierten. Lex grinste, als er das las, er konnte sich vorstellen, daß die renommierten Spezialisten der Klinik diese kleine Person nicht ernst nehmen wollten, aber ihre Behandlungserfolge sprachen für sich. Er hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sich einen Plan zurechtzulegen, wie er sie besser kennenlernen konnte, da er die meiste Zeit in Smallville verbrachte, um sich um seine Geschäfte zu kümmern. Wenn er in Metropolis war, dann nur kurz, um seinen Vater im Krankenhaus zu besuchen. Aber jetzt mit seinem Vater unter seinem Dach, hatte er den Bericht über Lucy Santiago wieder hervorgeholt.Er tippte nachdenklich auf das Foto auf dem Bericht, das Lucy Santiago zeigte, und betrachtete ihr lächelndes Gesicht. War sie die Lösung für sein Problem? Er wollte sie näher kennenlernen und was lag näher, als sie nach Smallville zu locken, wo sie ihm nicht so leicht entkommen konnte. Er erinnerte sich noch schaudernd an die Szene, als sein Vater vor ein paar Tagen einfach in seinem Haus in Smallville aufgetaucht war, ohne vorher Bescheid zu geben. Lex hatte sich gerade einen Drink im sogenannten Spielzimmer eingeschenkt, als sein Dad in Begleitung eines Assistenten die Tür polternd öffnete.
„Lex? Lex bist Du hier?"Lionel versuchte, sich mit Hilfe seines Stockes ins Zimmer voranzutasten.
„Ja, Dad, ich bin hier! Tut mir leid, daß ich dich nicht erwartet habe!"
Sein Dad war sehr schlechter Laune und stieß den jungen Mann zur Seite, der ihn am Arm nehmen wollte, um ihm zu helfen.
„Pfoten weg! Gehen Sie!" Lex eilte schnell an die Seite seines Vaters und half ihm sich zu orientieren, bis er sicher in einem bequemen Stuhl saß.
„Alles in Ordnung? Die Ärzte haben mir bei meinem letzten Besuch gesagt, daß Du Fortschritte machst!"
„Das stimmt! So große Fortschritte, daß Dr. Rawlings mir vorgeschlagen hat, mich von den Belastungen der Therapie erstmal zu erholen! Er ist der Meinung, wenn ich mich vorübergehend dem Streß in Metropolis entziehe, dann wird das zwangläufig eine positive Wirkung haben!" Lex verzog den Mund und holte seinen Drink, um sich Lionel gegenüberzusetzen.
„Und dein bevorzugter Urlaubsort ist ausgerechnet Smallville?" Sein Vater nahm seine dunkle Sonnenbrille ab und wischte sich dann mit einem Taschentuch über die Augen, eine Geste, die seine Verletzlichkeit unterstreichen sollte, aber Lex wußte, daß der Mann aus Stein gemeißelt war.
„Ja, wir beide können ein bißchen an unserer Vater-Sohn-Beziehung arbeiten. Die hältst Du doch für verbesserungswürdig, Lex!" Nach diesem Ausspruch seines Vaters nahm Lex einen tiefen Schluck von seinem Drink.
„Wie lange willst Du bleiben?"
„Nur ein paar Tage! Vielleicht eine Woche!"
„Und Du bist sicher, daß es im Strandhaus nicht angenehmer für dich wäre? Die Seeluft würde dir bestimmt guttun!"
„Bei mir stellt sich das Gefühl ein, daß Du mich hier nicht haben willst. Lex!"
„Nein, Vater! Ich will einfach nur das Beste für dich! Du kannst gern länger bleiben!" Lex bekam die Worte fast nicht über die Lippen und schaute schuldbewußt auf den Boden, obwohl Lionel seinen Gesichtsausdruck gar nicht sehen konnte. Es stellte sich heraus, daß Lionel Luthor die Behandlung einfach abgebrochen hatte, weil er mit den Therapeuten der Klinik nicht zurechtkam. Er war ein ungeduldiger und unduldsamer Patient, der sogar einen Heiligen zur Weißglut treiben konnte, zudem machte ihn sein Reichtum unantastbar. Nun wollte er solange bei seinem Sohn wohnen, bis er besser allein zurechtkam. Lex wußte, daß sie sich innerhalb kürzester Zeit an die Kehle gehen würden, wenn nicht ein kompetenter Vermittler zwischen sie trat. Also sagte er seinem Vater, daß er nach Metropolis reisen würde, um für ihn einen Therapeuten zu finden, der nicht gleich wieder seine Arbeit mit ihm aufgab.
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Am nächsten Tag stand er dann vor dem Büro von Miss Santiago und klopfte an. Er hatte veranlaßt, daß seine Sekretärin einen Termin mit ihr vereinbart hatte. Er hatte sich schon einen Schlachtplan zurechtgelegt, Miss Santiago hatte keine Chance, ihm zu entkommen. Ein zerstreutes „Herein" ließ ihn eintreten in eine Art ausgebauter Besenkammer, die mit Schreibtisch, Besucherstühlen und Bücherregalen überzuquellen schien. Sie saß am Schreibtisch und tippte mit rasender Geschwindigkeit etwas in den Bildschirm.„Guten Tag, Miss Santiago!" Beim Klang seiner Stimme blickte sie auf und ihre Hände verharrten bewegungslos über der Tastatur. Sie hatte nicht geglaubt, den anziehenden Fremden je wieder zu sehen und ihre letzte Begegnung lag schon fast vier Wochen zurück. Als man ihr gestern den Termin übermittelt hatte, war sie zutiefst darüber erschrocken, daß Lex Luthor sie nun mit der Frau aus der Diskothek in Verbindung bringen konnte. Sie hatte ihm ja leichtsinnigerweise ihren Namen verraten.
„Guten Tag Mr. Luthor!"Er bemerkte, daß sein Erscheinen sie nervös machte und mußte ein Grinsen unterdrücken. Es schien, als könnte sie seine Verbindung zum Krankenhaus nicht herstellen, was ihn zuversichtlich lächeln ließ.
„Wir sind heute aber sehr förmlich!" Lex setzte sich, lehnte sich vollkommen entspannt in seinem Stuhl zurück und hob spöttisch eine blasse Augenbraue. Lucy riß sich zusammen und sicherte den Bericht.
„Man hat mir ausgerichtet, daß ein Mr. Lex Luthor meine berufliche Hilfe benötigt. Stimmt das oder war das nur eine Masche?"
„Beides! Ich war hocherfreut, als ich festgestellt habe, daß Sie Blinden nach Unfällen helfen, sich mit ihrer Behinderung zurechtzufinden! Und das gibt mir auch die Möglichkeit, Sie wiederzusehen, Miss Santiago!" Er betonte ihren Namen und sie errötete unter seinem neckenden Blick. Er hatte schon mit Dr. Rawlings, dem behandelnden Arzt seines Vaters über Miss Santiago gesprochen. Er hielt Lucy für eine ausgezeichnete Therapeutin und würde gerne öfter mit ihr zusammenarbeiten, aber sie hatte immer abgelehnt, wenn die Patienten erwachsen waren. Wenn es sich um Männer handelte, lehnte sie die Behandlung kategorisch ab.
„Wie alt ist das Kind, um das ich mich kümmern soll?"Sie verschränkte die Arme auf ihrem Schreibtisch und sah ihn interessiert an. Lex verzog keine Miene, als er ihre Frage beantwortete.
„52!" Er sah die Überraschung in ihren Augen und verbiß sich ein Grinsen.
„Der Patient ist mein Vater! Seit einem Unfall vor zwei Monaten ist er blind. Ich habe gehört, daß Sie bei der Eingliederung von Blinden wahre Wunder vollbringen können, deshalb bin ich hier!" Sie sah ihn betroffen an und ihm tat es fast leid, daß er ihr vorspielte, nicht zu wissen, daß sie nur mit Kindern arbeitete.
„Es tut mir leid, Mr. Luthor! Ich arbeite nicht mit Erwachsenen, hat Ihnen das niemand gesagt?" Lex beugte sich in seinem Stuhl vor und die Bewegung erweckte den Eindruck, als nähme er den ganzen Raum in Anspruch. Er wirkte nun wie das, was er war, ein reicher Mann, der immer seinen Willen bekam. Lucy erfaßte seinen maßgeschneiderten Anzug, die Rolex am Handgelenk und den Siegelring einer Elite-Uni an seiner linken Hand. Trotz allem konnte sie ihn nicht unsympathisch finden, seine Ausstrahlung war wie ein helles Licht, das sie zu wärmen schien. Seine Worte rüttelten sie wieder auf.
„Ich zahle Ihnen jeden Preis, nennen Sie mir nur einen Betrag!" Seine Augen schienen sich in ihre Seele brennen zu wollen. Lucy mußte schlucken, bevor sie ihm antworten konnte.
„Geld ist hier nicht ausschlaggebend! Ich kann Ihrem Vater nicht helfen, Mr. Luthor! Aber ich kann Sie bei der Suche nach einem geeigneten Therapeuten für ihn unterstützen!"
Lex kniff die Augen zusammen. „Wollen Sie den Preis in die Höhe treiben? Eine Prämie wie z. B. ein neues Auto aushandeln?"
Lex wollte sie damit nur provozieren und sah seinen Erfolg in den geröteten Wangen von Miss Santiago. Er registrierte erfreut, daß sie kein Make-up trug, so daß er mit Leichtigkeit in ihrem Gesicht lesen konnte, was sie gerade fühlte. Sie mußte ein paar tiefe Atemzüge nehmen, bevor sie sicher war, daß sie nicht schnippisch werden würde. Er brauchte Hilfe für seinen Vater und bekam für sein Geld wahrscheinlich immer alles, was er wollte.
„Ich verlange von jedem Patienten, der es sich leisten kann, das gleiche Honorar, Sir! Ich kann aber nicht mit einem Erwachsenen arbeiten, schon gar nicht mit einem Mann. Bitte akzeptieren Sie das doch!" Sie sah ihn fast flehentlich an, doch er wollte sich nicht von einem Paar seelenvoller Augen, beeinflussen lassen. Er erhob sich und beugte sich über den Schreibtisch, um dann ihr Kinn zu umfassen und ihren Blick festzuhalten.
„Das sind doch Ausreden! Sie sind diejenige, die ich will und ich bekomme immer, was ich möchte!" Lucy entwand sich seinem Griff, konnte ihn nur sprachlos anstarren. Seine Berührung war wie ein Feuer durch sie hindurch gejagt und ihr Herz klopfte wie wild in ihrer Brust. Noch nie hatte jemand in ihrem Berufsleben gewagt, so mit ihr zu sprechen.
„Bitte gehen Sie jetzt, Mr. Luthor! Ich habe nichts mehr dazu zu sagen! Es tut mir wirklich leid, daß ich Ihnen nicht helfen kann!"
Lex lächelte nur süffisant und verließ grußlos ihr Büro. Lucy indessen griff vollkommen aus der Fassung gebracht nach ihrem Wasserglas und trank wie eine Verdurstende. Hatte er wirklich einen kranken Vater oder wollte er sie nur treffen, doch den letzten Gedanken schob sie beiseite. Solche Männer wie Lex Luthor würden sich niemals ernsthaft für sie interessieren. Jetzt da er wußte, wer sie wirklich war, würde er sie bestimmt bald vergessen. Sie stöhnte genervt, weil ihr gerade klar geworden war, daß ihr das Vergessen nicht so leicht fallen würde.
Fortsetzung folgt...
