Chapter 2
Am nächsten Tag hatte sie die Begegnung mit Lex Luthor einigermaßen verdaut und versuchte, sich auf ihre Aufgaben zu konzentrieren. Sie wunderte sich sehr, als man sie nach dem Mittagessen zur Klinikleitung bestellte. Die Sekretärin des Vorstandsvorsitzenden hatte ihr mitgeteilt, daß der Klinikvorstand sie zu sprechen wünschte. Sie zog sich vor dem Treffen kurz um, sie hatte für solche Besprechungen immer einen formellen schwarzen Hosenanzug in ihrem Büro. Es war ein Schock für Lucy, als sie in den Konferenzraum in der Chefetage trat und am Kopfende des Verhandlungstisches Lex Luthor sitzen sah. Man wies auf einen freien Stuhl und sie setzte sich, bevor ihre Knie nachgaben.
„Guten Tag, Miss Santiago! Ich habe eben in unserer Sitzung erwähnt, daß Sie Skrupel hatten, einen längeren Urlaub zu beantragen, um meinen Vater behandeln zu können. Es wird Sie freuen zu hören, daß wir das Problem gelöst haben! Während Ihrer Abwesenheit werde ich der Klinik zwei Vertretungen finanzieren. Sie brauchen sich also keine Sorgen um die Kinderabteilung zu machen. Der Vorstand hat meinem Antrag einstimmig angenommen, Sie sind ab heute freigestellt!"
Luthor! Natürlich, der Luthor Corp. gehörte diese Klinik praktisch. Wie hatte sie das vergessen können? Lex Luthor hatte ihr den Boden unter den Füßen weggezogen und sie hatte keine Chance, seinen Vorschlag abzulehnen, nicht wenn alle Vorstände ihm schon zugestimmt hatten. Die Klinikvorstände sahen sie erwartungsvoll an, deshalb dankte sie den Herren für ihre Hilfe und war dann entlassen.
So schnell sie konnte ging sie zum Aufzug und drückte wutentbrannt den Knopf. Sie haßte es, wenn sie ausgespielt und hintergangen wurde. Noch mehr ärgerte sie, daß sie eine Schwäche für Lex Luthor entwickelte, die besorgniserregend war.
„Warten Sie, Miss Santiago! Ich werde Sie runter begleiten, wir müssen noch einiges besprechen!"
Lex war ihr nachgegangen und stieg mit ihr in die Kabine.
„Wie Sie meinen, Mr. Luthor!"Sie drückte auf den Knopf für die Kinderabteilung und sah dann zu Boden. In ihren Augen brannten Tränen und sie wollte nicht, daß er sie weinen sah.
„Bitte seien Sie mir nicht böse! Ich brauche Sie! Mein Vater braucht Sie!"Er rechnete es ihr hoch an, daß sie ihm keine Szene machte. Er verabscheute Frauen, die ihn emotional zu erpressen versuchten.
„Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen, Mr. Luthor!"Lucy stürmte einfach aus dem Aufzug, als die Türen aufglitten und überließ es ihm, ob er ihr nachkommen wollte. In ihrem Büro zog sie ihre Jacke aus, warf sie achtlos auf einen der Besucherstühle und setzte sich dann hinter ihren Schreibtisch und griff zu Block und Kugelschreiber, um sich Notizen zu machen.
„Wo wohnt ihr Vater? Wenn ich Sie da oben richtig verstanden habe, dann schwebt Ihnen eine häusliche Betreuung vor Augen?"Sie sah fragend zu ihm auf und er konnte die zurückgehaltenen Tränen in ihren Augen schimmern sehen, was ihm ungewollt einen Stich versetzte. Er schob sein schlechtes Gewissen jedoch beiseite, sie mußte ihn begleiten, koste es, was es wolle.
„Richtig! Mein Vater lebt bei mir in Smallville in Kansas. Ich werde Sie selbst in meinem Privatjet dorthin bringen. Dad will kein Krankenhaus mehr betreten!"
Lucy glitt der Stift aus den Händen und sie sah ihn voller Panik an. Smallville in Kansas? Er würde nicht zuhören, wenn sie ihm sagte, daß sie nicht dorthin zurück konnte. Sie war einfach eine Schachfigur, die er nach Belieben auf einem Spielbrett verschieben konnte.
„In meiner Villa ist genug Platz! Es gibt dort über 50 Zimmer und Sie werden eine eigene Zimmerflucht haben. Mein Personal ist sehr diskret und wird Sie natürlich mit allem versorgen, was Sie brauchen!"Er mißdeutete ihr Zögern, indem er ihr unterstellte, daß sie fürchtete keine Privatsphäre bei ihm zu haben.
„Die Behandlung von erblindeten Patienten ist sehr anstrengend und eine Voraussetzung für ihr Gelingen ist eine gewisse Sympathie, die der Patient dem Therapeuten entgegenbringen sollte! Ich kann Ihnen keine Garantien für ein Gelingen der Therapie geben und auch keine Zeitgrenze setzen, es kann Wochen aber auch Monate dauern. Können wir uns darauf einigen, daß Ihr Vater entscheidet, ob er mit mir zusammen arbeiten möchte?"
Lex legte den Kopf schief und sah sie eine Weile abschätzend an.
„Einverstanden! Aber ich kann Ihnen versichern, daß er Sie mögen wird! Ich hole Sie morgen um zehn Uhr ab, reicht Ihnen die Zeit zum Packen?"
„Ich werde pünktlich sein, Mr. Luthor! Die Adresse kennen Sie ja bereits!"Lucy erhob sich, um ihm zu bedeuten, daß für sie die Besprechung beendet war. Wenn sie am nächsten Tag reisefertig sein mußte, war noch viel zu erledigen. Lex gab sich mit ihrer kühlen Verabschiedung zufrieden, wenn sie erst einmal in seinem Flugzeug saß, konnte er sie in aller Ruhe besänftigen.
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Es wunderte Lex nicht, daß Miss Santiago vor der angegebenen Adresse mit ihrem Gepäck an ihrer Seite auf ihn wartete. Lucy hatte einen schwarzen Rock mit einem kleinen Schlitz an der Seite an und dazu eine weinrote ärmellose Bluse, deren Farbe mit ihrem Lippenstift harmonierte. Ihre dunklen Haare hatte sie streng zu einem Dutt am Hinterkopf festgesteckt und ihre Augen verbarg sie hinter einer verspiegelten Sonnenbrille. Die Arbeitskleidung in der Diskothek war aufreizend und enthüllend gewesen, die Latzhosen hatten ihre ansprechende Figur versteckt und der formelle Anzug von gestern hatte sie streng aussehen lassen. Heute wirkte sie sehr weiblich und durch die hohen Absätze ihrer Sandaletten bekam ihr Gang gleich etwas Laszives. Lex war fasziniert von ihren vielen verschiedenen Facetten, es würde aufregend sein, herauszufinden, wie sie wirklich war. Er half ihr beim Einsteigen und überließ es dem Chauffeur, das Gepäck einzuladen. Lex telefonierte während der Fahrt ständig mit Geschäftspartnern und Lucy versuchte, ihn vollkommen zu ignorieren. Sie hatte kaum geschlafen und ziemlich lange geweint, so daß sie sich gezwungen sah, eine Sonnenbrille aufzuziehen, damit man ihre verweinten Augen nicht sah.
Am Flughafen fuhren sie mit der Limousine bis zur Landebahn, wo der Jet von Lex Luthor stand. Er war ganz in Silber gehalten mit dem Emblem der Luthor Corp. versehen und ziemlich eindrucksvoll. Lucy staunte nicht schlecht, als sie das luxuriöse Innere zu sehen bekam. Es kam ihr vor als hätte sie ein elegantes fliegendes Wohnzimmer betreten. Ein Steward wies ihr einen Platz in einem bequemen Ledersessel zu und half ihr, sich anzuschnallen. Lucy sah neugierig aus dem Fenster und sah dem Flughafenpersonal bei der Arbeit zu.
„Sind Sie schon einmal geflogen?"Lex stand auf einmal neben ihr und sein Gesicht war dem ihren ganz nah, weil er sich zu ihr runterbeugte. Lucy fuhr erschrocken zusammen und versuchte, ihr rasendes Herzklopfen, das seine Nähe verursachte, zu ignorieren.
„Nein, das ist das erste Mal!"
Sie hielt ihr Gesicht abgewandt und hielt die Luft an, damit ihr beschleunigter Atem nicht ihre Aufregung verriet. Ihr Arbeitgeber machte sie mit seiner Nähe nervös und gönnte ihr keine Atempause, weil er sich ihr gegenüber setzte.
„Sie brauchen keine Angst haben, die Wetterbedingungen sind optimal und der Pilot sehr erfahren. Der Flug dauert etwa drei Stunden, danach fahren wir vom Flughafen aus mit dem Auto weiter, Smallville hat leider keinen eigenen Flughafen. Sie haben mich noch gar nicht nach ihrem Gehalt gefragt, Miss Santiago."
Lex konnte ihre Augen hinter der Brille nicht sehen, was langsam anfing, ihn zu irritieren. Er wünschte, daß sie sich ihm gegenüber weniger ablehnend verhielt und endlich die Förmlichkeiten fallen ließ.
„Da ich bei Ihnen wohnen werde, brauche ich nur soviel, um die laufenden Kosten in Metropolis abdecken zu können. Ich sagte Ihnen ja schon, daß ich von jedem Patienten das gleiche Honorar verlange. Als Mitglied des Klinikvorstandes kennen Sie sicher den genauen Betrag."
Er konnte nur erahnen, daß sie den Blick senkte.
„Das reguläre Gehalt bekommen Sie auf ihr Konto in Metropolis überwiesen. Für Ihre Ausgaben in Smallville habe ich Ihnen ein Spesenkonto einrichten lassen. Sie erhalten die Kreditkarte in den nächsten Tagen. Es hat keinen Sinn, mir zu widersprechen, Miss Santiago! Ich habe Sie für unbestimmte Zeit aus Ihrer Umgebung gerissen und werde Sie dafür entschädigen. Sie haben nur zwei Koffer dabei und falls etwas fehlen sollte, kaufen Sie es einfach in Smallville."
Lex hatte noch nie erlebt, daß eine Frau schmollte, weil er ihr freie Verfügung über ein Konto anbot. Miss Santiago hatte einen sehr hübschen Mund, der nun noch mehr hervorstach und sehr einladend auf ihn wirkte, weil er ja wußte, wie heftig sie auf seine Küsse reagieren würde.
„Ich habe meine eigene Kreditkarte, Mr. Luthor! Ich komme schon zurecht, wie Sie ja wissen, sind meine Patienten bezüglich meiner Garderobe nicht so anspruchsvoll!"
Sie verschränkte ihre Arme vor ihrer Brust und sah ihn aufgebracht an. Sein Vorschlag war unerhört, sie war doch nicht seine Gespielin!
„Fordern Sie mich besser nicht heraus, Miss Santiago! Ich kann Herausforderungen schlecht widerstehen und versorge Sie womöglich eigenhändig mit einer kompletten Ausstattung! Nehmen Sie mein Angebot lieber an! Mein Vater ist ein sehr wichtiger Mann und es kann sein, daß Sie ihn zu einigen offiziellen Anlässen begleiten müssen, schließlich kümmern Sie sich auch um die Reintegration in das Berufsleben, wie ich Ihren Berichten entnehmen konnte. Bei meinem Vater gehören dazu Meetings, Geschäftsessen aber auch Abendveranstaltungen in gehobenem Rahmen. Er würde es nicht dulden, wenn seine Begleitung nicht angemessen gekleidet wäre! Also fallen diese Ausgaben in den Bereich der Spesen!"
Lex lächelte sie gewinnend an, seine Arroganz war entnervend und anziehend zugleich.
„Sie haben recht, wenn es sich um solche Ausgaben handelt, werde ich das Spesenkonto belasten, Mr. Luthor! Übrigens habe ich vollkommen vergessen, Sie um die medizinischen Akten Ihres Vaters zu bitten! Ich brauche einige Informationen über ihn."
Er bedauerte fast, daß sie so schnell klein bei gab, er hätte sie gerne weiter aus der Reserve gelockt.
„Ich habe alles Nötige dabei! Während des Fluges habe ich einiges zu tun, so daß sie sich dann durch die Berichte durcharbeiten können!"
Er war aufgestanden und griff nach seinem Aktenkoffer, aus dem er eine dicke Akte fischte, die er vor sie auf den Tisch legte.
Nachdem Sie abgehoben waren und die nötige Flughöhe erreicht hatten, schaltete Lex seinen Laptop an und begann, konzentriert zu arbeiten. Lucy vertiefte sich in die medizinischen Berichte und las sie sehr aufmerksam durch. Lionel Luthor war sehr schwer verletzt worden und es war ein Wunder, daß er noch am Leben war, das zeugte von einem starken Überlebenswillen und Kampfgeist, das war sehr wichtig für ihre Arbeit mit ihm. Einige ihrer Kollegen hatten sich nicht sehr lobend über seine Einstellung geäußert, aber sie schienen auch davor zurückzuscheuen, dem einflußreichen Lionel Luthor gegenüber, strenge Maßnahmen zu ergreifen. Sie konnte den Mann jedoch gut verstehen, wer ließ sich schon gerne herumkommandieren, wenn er sonst die Macht hatte, ganze Imperien zu vernichten. Es würde nicht leicht werden, mit Luthor senior zu arbeiten, das stand am Ende für Lucy fest.
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Am Nachmittag fuhren sie mit der Limousine vor der Villa Lex Luthors in Smallville vor. Es war ein imposantes Gebäude, das an einen englischen Adelssitz aus dem letzten Jahrhundert erinnerte und Lucy war von seiner Schönheit und Größe tief beeindruckt. Lex Luthor wies sein Personal an, ihr Gepäck zu versorgen und führte sie in einem kleinen Rundgang durch das Erdgeschoß, der in seinem eindrucksvollen Arbeitszimmer endete, zu dem man einige Stufen des Ostturmes heraufsteigen mußte. Dort überrumpelte er sie mit einer schnellen Handbewegung und nahm ihr die schützende Brille ab. Sie versuchte ihn abzuwehren, doch es war zu spät, denn er hatte schon die Spuren ihrer durchweinten Nacht entdeckt. Lucy wurde rot, als sie seinem durchdringenden Blick begegnete, sie wandte sich ab und trat an das Fenster, von dem man einen guten Blick auf eine gepflegte Gartenanlage hatte.
„Wenn es Sie beruhigt, ich habe nur schlecht geschlafen!"Sie straffte die Schultern und wappnete sich gegen seinen Kommentar.
„Mir wäre lieber, Sie würden mich anschreien oder toben! Ich wollte Ihnen wirklich nicht wehtun!"
Letzteres flüsterte ihr ins Ohr, nachdem er hinter sie getreten war und ihr die Hände um die Schultern gelegt hatte. Augenblicklich zeigte Lucy wieder eine heftige Reaktion auf seine Nähe und wünschte sich fast, sich an ihn lehnen zu dürfen. Seine Aura hüllte sie ein wie ein samtenes Tuch und ihre Haut prickelte am ganzen Körper.
„Ich kann Ihnen nicht böse sein, Mr. Luthor! Wäre es mein Vater, der die Behandlung bräuchte, hätte ich wahrscheinlich auch alles versucht, um ihm zu helfen! Ihre Möglichkeiten sind natürlich nicht so begrenzt wie die eines Normalsterblichen und weil mich das ärgert, muß ich ja nicht gleich ausfallend werden!"
Sie entwand sich seinem Griff und drehte sich lächelnd zu ihm um.
Lex hob überrascht die Augenbrauen.
„Also ist es vorrangig das Geld, das Sie gegen mich aufbringt? Ich schätze Ihre Aufrichtigkeit und bin mir jetzt um so sicherer, daß Sie die Richtige für den Job sind!"
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Lionel Luther hatte sich indessen angeschlichen, da er von seinem Assistenten erfahren hatte, daß sein Sohn in Begleitung einer jungen Frau eingetroffen war. Nachdem er genug gehört hatte, machte er sich mit seinem Stock bemerkbar und trat ins Zimmer. Lucy fand ihn genauso beeindruckend wie seinen Sohn, seine Aura war stark jedoch auch kälter und wegen seines Alters starrer. Er trug eleganten Anzug, der seinen hohen Wuchs und die hagere Gestalt betonte. Sein schmales Gesicht war von kinnlangen sandfarbenen Haaren umrahmt. Und er trug einen Dreitagebart.
„Lex, bist Du das?"Die Frage klang unsicher, doch Lucy merkte sofort, daß Mr. Luthor wußte, daß zwei Personen anwesend waren.
„Ja, Dad! Ich bin nicht allein. Ich habe eine Therapeutin, Miss Santiago, wie versprochen mitgebracht. Sie wird in der nächsten Zeit zur Seite stehen!"
„Guten Tag, Mr. Luthor! Ich hoffe, daß wir zwei gut zusammenarbeiten werden!"
Lucy war, während sie sprach, auf ihn zugegangen, damit er sie besser orten konnte. Lionel streckte die Hand aus und Lucy ergriff sie und drückte sie fest. Sie spürte sofort Frustration und Aggression, die in Wellen von ihm auszuströmen schienen.
„Wir werden sehen, Miss Santiago! Darf ich kurz mit meinem Sohn unter vier Augen sprechen?"
Lucy umfaßte seine Hand nun mit beiden Händen und hielt den Kontakt, um ihm etwas Erleichterung zu verschaffen.
„Natürlich! Ich werde solange meine Unterkunft begutachten! Bis später!" Sie nickte Lex kurz zu und verließ dann das Zimmer.
„Das soll deine berühmte Koryphäe sein, Lex? Sie wirkt eher wie ein Schulmädchen auf mich!"
Lionel setzte sich hinter den Schreibtisch seines Sohnes, weil er wußte, daß ihn das ärgern würde. Lex war jedoch zu sehr von seiner geglückten Mission abgelenkt, als daß er sich jetzt über eine solche Kleinigkeit aufregen mochte. Er setzte sich einfach auf seinen Schreibtisch und genoß es, daß sein Vater durch Miss Santiago Person so überrascht war.
„Sie ist 24 und hat genug Erfahrung, um mit dir fertig zu werden! Sie ist nicht ganz freiwillig hier, also bitte ich dich, deinen Ärger nicht an ihr auszulassen. Entweder sie behandelt dich hier, oder ich schicke dich eigenhändig zurück in die Klinik und veranlasse eine Zwangstherapie!"
Lionel wurde jetzt richtig neugierig auf Miss Santiago, sein Sohn verhielt sich ihr gegenüber sehr beschützend und das war sehr untypisch für ihn. War die junge Frau etwa eine hübsche Larve, die seinen Sohn mit ihrem Aussehen geködert hatte? Nach dem Vorfall mit Desirée Atkins, sah sich Lex' Vater dazu veranlaßt, die Frauen in seiner Umgebung einer gründlichen Überprüfung zu unterziehen. Lionel fühlte sich im Moment nicht so unzufrieden wie in letzter Zeit häufig seit dem Verlust seines Augenlichts und beschloß erst einmal, sich fügsam zu geben.
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Lionel Luthor war wie erwartet kein einfacher Patient, aber seine Fähigkeiten und sein unbeugsamer Wille machten die Arbeit mit ihm interessant aber auch aufreibend. Lucy konnte ihm nur selten so nahe kommen wie ihren kleinen Patienten und wenn es doch gelang, fand sie nicht den üblichen Ausweg, so daß sie nun gelegentlich Schmerzen erdulden mußte, wenn sie Lionel negative Gefühle abnahm. Sie arbeitete nicht ohne Grund mit jüngeren Patienten, bei ihnen fiel es nicht auf, wenn sie sie in den Arm nahm oder sie eine Weile fest an sich drückte, so daß der Energiefluß zwischen ihnen sich ausgleichen konnte. Aber die Vorstellung Lionel Luthor so lange in den Arm zu nehmen, war einfach absurd. Sie wollte lieber nicht in die Situation kommen, wo sie Lionel oder gar Lex erklären mußte, warum sie ihren Patienten umarmte.
„Ich weiß, daß es am Anfang unmöglich erscheint, Blindenschrift zu lernen, aber Sie wollen sich doch nicht immer auf elektronische Geräte verlassen! Denken Sie daran, daß Dokumente in Braille spionagesicher sind!"
Lucy saß neben Lionel in dem Trainingsraum im zweiten Stock, den Lex für seinen Vater nach Lucys Anweisungen hatte einrichten lassen. Sie arbeiteten erst zehn Tage zusammen, doch Lucy hatte ihn gleich am ersten Tag darum gebeten, sie beim Vornamen zu nennen. Entgegen Lex' Erwartungen hatte Lionel nichts gegen Lucys unkonventionellen Therapiestil einzuwenden gehabt, im Gegenteil Lionel entwickelte sich zu einem mustergültigen Patienten.
„Sie können ein ganz schöner Tyrann sein, Lucy! Aber ihr Argument hat etwas für sich, machen wir also weiter!"
Lionel war gnädig gestimmt, weil sein Assistent ihm eine genaue Beschreibung von Miss Santiago gegeben hatte. Er wußte, daß sie etwa 1,65 m groß war, dunkle Haare und Augen hatte, hübsch aber kein Glamour-Girl war, die so oft Lex Weg gekreuzt hatten. Bei den Sitzungen trug sie immer bequeme Kleidung, verzichtete auf Make-up und Parfum, sie wollte seine empfindlichen Sinne nicht damit irritieren. Sein Assistent hatte sich nicht verkneifen können anzumerken, daß Miss Santiago eine durchaus ansprechende Figur hatte, wenn sie sie nicht durch saloppe Kleidung verbarg.
„Sind Sie eigentlich noch sauer auf meinen Sohn, Lucy?", fragte er, um sie etwas aus der Reserve zu locken.
„Nein, ich war wegen seiner Methoden aufgebracht! Seine Motive habe ich nie in Frage gestellt! Bitte lenken Sie nicht ab, Lionel!"
Lucy versuchte, ihre Stimme normal klingen zu lassen, doch Lionel hörte mit seinem feinen Gehör jede Unsicherheit heraus und war ob ihrer Reaktion sehr zufrieden.
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Nach ihrer Sitzung fühlte sich Lucy extrem ausgelaugt und machte sich deshalb auf den Weg in die Küche, wo sie sich einen Kaffee machen wollte. Sie kam dabei an einem Empfangszimmer vorbei, aus dem sie Stimmen hörte, weil die Tür nur angelehnt war. Im Vorbeigehen erhaschte sie den Anblick einer hübschen Blondine in einem teuren taubenblauen Kostüm mit extrem kurzem Rock, der endlos lange Beine freigab. Lex und die Frau standen vor der geöffneten Terrassentür, und sie legte ihm gerade eine Hand auf die Wange, während sie ihm etwas sagte. Lex Antwort, ein kehliges Lachen, ging ihr durch Mark und Bein, seine Worte verstand sie jedoch nicht, da das Blut laut durch ihre Ohren rauschte. Aufgebracht flüchtete sie in das nächstbeste Zimmer und warf sich dort in einen bequemen Sessel.
„Hör auf mit diesem Unsinn! Es darf nicht sein! Es darf nicht sein"
Sie wiederholte diesen Satz in Gedanken wie ein Mantra, bis ihr Herzschlag sich beruhigt hatte. Sie hatte kein Recht, so zu reagieren, nur weil Lex Luthor mit einer anderen Frau flirtete. Er war ein freier Mann, und sie führte sich auf wie ein Teenager, der liebeskrank war. Es half auch nicht, ihm immer wieder zu begegnen, sei es auch nur flüchtig. Sie hatte schon genug Probleme, mit seinem Vater zurechtzukommen. Sie mußte sich zusammenreißen!
„Miss Santiago?"
Beim Klang von Lex Stimme, schreckte Lucy auf und sprang auf die Füße.
„Guten Tag, Mr. Luthor! Ihr Vater und ich sind für heute fertig!"
Sie wollte an ihm vorbeischlüpfen, doch er hielt sie an ihrem Oberarm zurück.
„Einen Augenblick, bitte! Ich wollte kurz mit Ihnen sprechen. Nehmen Sie doch wieder Platz, ich wollte Ihnen einen kurzen Artikel im Daily Planet zeigen!"
Er drückte ihr die Zeitung in die Hand und setzte sich dann neben sie auf die Sessellehne. Die Zeitung war schon so gefaltet, daß ihr das Bild von sich und Lex, wie er ihr beim Einsteigen in seinen Privatjet half, sofort ins Auge stach. Seine Hand ruhte auf ihrem Kreuz und sie lächelte ihn so an, daß man es durchaus als liebevoll interpretieren konnte.
„Millionärssohn und schöne Unbekannte auf dem Weg in sein Liebesnest?" lautete die Bildunterschrift und der kurze Text in der Gesellschaftskolumne erging sich in Vermutungen über seine neueste Eroberung. Lucy konnte das Ganze nur sprachlos anstarren.
„Ich hatte gerade Besuch von Stella Jones, sie ist zuständig für die Gesellschaftskolumne des DP und sie wollte ein Interview mit Ihnen und hat versucht, mir Ihren Namen zu entlocken!"
Lex klang amüsiert und als sie ihn ansah, konnte sie das belustigte Glitzern seiner Augen kaum glauben.
„Das ist nicht lustig! Meine Kollegen werden das lesen und denken, daß etwas Wahres dran sein könnte, das ist schrecklich! Haben Sie dieser Reporterin wenigstens gesagt, daß ich nur für Sie arbeite?"
Lex mußte lachen, weil sie sich dermaßen über einen kleinen Artikel aufregte, daß sogar ihre Wangen rot anliefen.
„Ich habe gar nichts gesagt. Mein Privatleben diskutiere ich nicht mit Reportern! Dementis und Richtigstellungen sind bei Klatschreportern reine Zeitverschwendung, das können Sie mir glauben!"
Lucy starrte das Bild noch einmal an und warf es dann wütend zur Seite, weil es sie verletzte, daß ein Unbekannter ihren wunden Punkt getroffen hatte.
„Sie haben Recht, Mr. Luthor! Ich bin nur so überrascht von diesem Artikel. Es muß schrecklich sein, ständig von der Presse verfolgt zu werden!"
Sie erhob sich aus dem Sessel und Lex ergriff ihre Hand und zog sie zu sich heran. Da er immer noch auf der Lehne saß, waren sie jetzt Augen in Auge.
„Entschuldigen Sie sich nicht für Ihre Gefühle! Ich mag es, wenn Sie sich nicht so kontrollieren und etwas aus sich heraus kommen!"
Er legte ihr seine rechte Hand auf die brennende Wange und streichelte sie zärtlich.
„Könntest Du dich überwinden, mich wieder Lex zu nennen? Bitte?"
Lucy riß die Augen auf und sah gebannt in sein Gesicht, das ihr nun so nah war.
„Ich glaube nicht, daß..."Mit einem Finger auf ihren Lippen, brachte er sie zum Schweigen.
„Bitte!" Er flüsterte das Wort nur und Lucy konnte ihm nicht länger widerstehen.
„Einverstanden, ich werde dich beim Vornamen nennen, Lex!"
Sie sah ihn wieder mit diesem Blick, einer Mischung aus Ehrfurcht und Bewunderung, an, der ihm durch und durch ging. Deshalb gab er dem Impuls nach, sie zu küssen. Vorsichtig berührte er ihre Lippen mit seinen und spürte wie sie erzitterte. Seine Hand in ihrem Nacken zog er sie näher heran und erhöhte den Druck seiner Lippen, bis sie ihm mit einem Seufzen nachgab und ihren Mund öffnete. Sein zärtlicher Kuß war wie eine Offenbarung und riß alle Mauern in ihr nieder, mit denen sie bisher ihr Herz umgeben hatte. Als er den Kuß beendete war sie atemlos, sprachlos und vollkommen überwältigt. Lex erkannte an ihrem verschleierten Blick, daß ihr nicht klar war, wohin die Anziehungskraft, die zwischen ihnen bestand, führen würde.
„Schau mich nicht mehr so an, sonst küsse ich dich gleich wieder und laß dich nicht mehr so schnell wieder los!"
Lex erhob sich und umfaßte ihr strahlendes Gesicht mit beiden Händen.
„Bitte, Lex! Wir sollten das nicht tun! Ich kann das nicht riskieren, bitte..."
Sie wollte sich seinem Griff entwinden, doch er ließ sie nicht los.
„Wir sind beide erwachsen und ungebunden, wieso also nicht? Du gibst mir gerade das Gefühl, als würde ich dich bedrängen, aber was zwischen uns ist, beruht auf Gegenseitigkeit!"
Seine Augen blitzten gefährlich auf und Lucy schluckte, weil er vollkommen Recht hatte.
„Ich weiß, Du hast Recht! Ich kann es dir nicht erklären. Es hat nur mit dem zu tun, Wer und Was ich bin! Außerdem bist Du mein Arbeitgeber, Du hast die Macht, mir das Leben zur Hölle zu machen! Ich bin kein leichtfertiger Mensch und ich spiele niemals um Einsätze, die ich mir nicht leisten kann! Bitte sei mir nicht böse!"
Sie sah ihn flehentlich an und er konnte in ihren Augen erkennen, daß sie wirklich Angst vor ihren Gefühlen hatte, deshalb gab er sie frei und ließ sie gehen.
„Wer und Was ich bin", diese Worte bedeuteten wohl, daß sie ein Geheimnis vor ihm verbarg, das sie ihm nicht anvertrauen wollte. Er hatte noch nie einer Herausforderung widerstehen können und Lucy schon vorher gewollt wie lange keine Frau vor ihr, nun erschien sie ihm nur noch begehrenswerter. Er würde ihr Geheimnis lüften, wenn es zwischen ihnen stand!
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In den nächsten Tagen sah Lucy Lex kaum, sie war erleichtert und frustriert zugleich, daß er ihre Worte ernst zu nehmen schien und ihr aus dem Weg ging. Nach einem schwierigen Tag mit Lionel beschloß Lucy, endlich einmal in die Stadt zu fahren, um etwas Abstand zu den Luthors zu schaffen. Da das kleine Schloß der Luthors etwas außerhalb der Stadt lag, hatte Lucy die Haushälterin gefragt, ob sie sich ein Auto ausleihen dürfe.
„Mr. Luthor junior besteht darauf, daß Sie seinen Wagen nehmen, wann immer Sie möchten, Miss Santiago! Ich zeige Ihnen, wo die Schlüssel hängen!"
Die Haushälterin zeigte ihr den Schlüssel von Lex silbernen Porsche und ließ sie dann allein. Sie verwünschte den arroganten Kerl im Stillen, da er sie wieder in eine peinliche Situation gebracht hatte. Man verlieh doch nicht einen so teuren Wagen an seine Angestellte, ohne Gerede heraufzubeschwören.
Sie konnte sich nicht mehr genau an Smallville erinnern, aber es schien sich einiges auf der Hauptgeschäftsstrasse verändert zu haben. Das alte Kino gab es nicht mehr, sondern war nun ein Café namens „Talon". Sie parkte Lex' Flitzer genau gegenüber und stieß dann die Tür auf, um ihre Beine aus dem Auto zu heben. Ihre Sicht wurde dann plötzlich von einer breiten Männerbrust eingeschränkt und sie mußte ihren Kopf zurücklegen, um ihrem Gegenüber in die Augen schauen zu können.
„Hallo! Ich dachte, Sie seien Lex, aber der hat nicht so hübsche Beine wie Sie!"
Der hochgewachsene Teenager mit der strahlenden Aura um sich, grinste sie breit an.
Lucy mußte zurücklächeln: „Lex hat mir nur seinen Wagen ausgeliehen, ich bin Lucy Santiago und betreue derzeit seinen Vater!"
Der junge Mann ergriff ihre Hand und drückte sie sanft aber bestimmt. Er war sehr groß, über 1,90 m, hatte schwarze Haare und stahlblaue Augen.
„Ich bin Clark Kent, ein guter Freund von Lex! Ich habe noch nie erlebt, daß Lex sein Auto verleiht! Er muß Ihnen wohl sehr vertrauen!"
Lucy lachte: „Ich glaube, er wollte nur testen, ob ich mit einer Gangschaltung umgehen kann! Wie ist der Kaffee im „Talon"? Ich brauche unbedingt einen Schuß Koffein!"
Clark bot ihr seinen Arm an und Lucy hängte sich gerne ein.
„Kommen Sie mit, ich bin auf dem Weg dahin! Meine Schulfreundin Lana Lang führt das Geschäft und der Kaffee ist erstklassig!"
Er führte sie über die Straße und hielt ihr galant die Tür auf, dann erklärte er ihr, daß Lana das hübsche schwarzhaarige Mädchen mit den grünen Augen war, das gerade ein Tablett auf einen Tisch stellte, an dem zwei Jugendliche saßen. Clark dirigierte sie an diesen Tisch und stellte sie seinen Freunden vor, die alle gemeinsamen auf die hiesige Highschool gingen. Da war Pete, ein gutaussehender Schwarzer, der Clarks bester Freund war, Chloe, eine kecke Blonde mit einem schelmischen Gesicht und eben Lana, die typische Highschool-Schönheit. Lucy bot ihnen sogleich das Du an, da sie die vier sehr sympathisch fand.
„Moment mal! Ich habe vor einigen Tagen dein Bild im Daily Planet gesehen, bekomme ich ein Interview?" Chloes Augen leuchteten wißbegierig auf.
Pete lachte laut: „Chloe ist die Chefredakteurin unseres Schülerblattes „Torch"und kann sich nicht zurückhalten, wenn sie eine Story wittert!"
Lucy grinste: „Ich habe das Gefühl, daß Chloe weit unangenehmer werden kann als Stella Jones vom DP! Ich gebe dir gerne ein Interview, wenn Du dich mit blöden Fragen bezüglich meines skandalösen Verhältnisses mit Lex zurückhältst!"
Chloe war begeistert und sie verabredeten sich in der Redaktion der Schülerzeitung, wann immer Lucy Lust hatte vorbeizukommen, da Chloe den größten Teil ihrer Freizeit dort verbrachte. Lucy genoß die Stunde mit den aufgeweckten Jugendlichen, die so voller Hoffnung und Lebensfreude waren, daß sie einen ausgleichenden Gegensatz zu Lionel Luthor bildeten.
Als Clark erwähnte, daß ihn seine Eltern zuhause erwarteten, bot Lucy ihm sofort an, ihn nach Hause zu fahren. Clark ließ sich gern chauffieren und erklärte ihr den Weg zu der elterlichen Farm. Sie hielt vor einem hübschen Farmhaus mit einem fröhlichen gelben Anstrich, vor dem ein roter Pick-up parkte. Beide stiegen aus, weil Clark ihr seine Eltern vorstellen wollte, doch Lucy konnte nur das Haus anstarren und den Wagen davor.
„Clark heißen deine Eltern zufällig Martha und Jonathan?"
Clark sah sie über das Autodach hinweg überrascht an. „Ja, kennst Du sie?"
Lucy atmete zitternd aus. „Du bist der Junge, den sie im Maisfeld gefunden haben! Ich hielt dich damals oft in den Armen..."
Clarks Eltern traten auf die Veranda und sahen sie neben Lex auffälligem Wagen stehen.
„Clark, hast Du Besuch mitgebracht?"
Lucy drehte sich zu den beiden um und sah ein Paar, das noch immer von einer warmen Aura der Liebe umgeben war. Clark mochte nicht ihr leiblicher Sohn sein, aber seine Aura war ein perfektes Abbild dieser Liebe. Sie hätte es schon vorhin bemerken müssen, es gab nicht viele Menschen, die so strahlten wie Clark.
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