Chapter 3
„Guten Abend Mrs. Kent, Mr. Kent! Ich bin Lucy Santiago, Sie werden sich wahrscheinlich nicht mehr an mich erinnern. Nach dem Meteoritenschauer war ich einige Zeit bei Ihnen untergebracht!"
Mrs. Kent war als erste bei ihr und umarmte sie fest.
„Lucy! Mein Gott, ich habe oft an dich gedacht. Was machst Du hier in Smallville?"
Mr. Kent war zu ihnen getreten und nahm beide Frauen in den Arm. Lucy fühlte ein lang vermißtes Glücksgefühl durch sich hindurchströmen und kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an.
„Kommt doch alle rein! Ich glaube, es gibt einiges zu bereden!"
Von den Kents in die Mitte genommen gingen sie in die heimelige Küche und setzten sich um den großen Eichentisch, der schon vor 14 Jahren hier gestanden hatte. Mrs. Kent saß neben ihr und hielt ihre Hand fest, als müsse sie sich vergewissern, daß sie aus Fleisch und Blut war. Clark und sein Vater saßen ihnen gegenüber und dieser legte einen Arm um die Schultern seines Sohnes.
„Mom, Dad? Ich bin etwas verwirrt, woher kennt ihr euch?"
Mrs. Kent lächelte ihren Sohn an: „Du warst nicht das einzige Kind, das nach dem Meteoritenschauer bei uns Unterschlupf gefunden hat. Du warst nur zu klein, um dich daran zu erinnern! Lucys Eltern arbeiteten als Erntehelfer in Smallville und waren auf dem Maisfeld, als die Meteoriten einschlugen, dabei starb Lucys Mutter und ihr Vater wurde schwer verletzt. Wir nahmen Lucy bei uns auf, da man keinen nahen Verwandten finden konnte. Nach etwa vier Monaten wurde ihr Vater nach Metropolis verlegt, weil man eine Großtante gefunden hatte, die Lucy dort aufnehmen sollte. Wir hätten sie auch gerne hier behalten, aber unser Einspruch wurde nicht anerkannt!"
Lucy lief eine Träne die Wange herunter, doch sie lächelte tapfer.
„Ich habe das Gespräch belauscht, das Sie damals mit der Sozialarbeiterin geführt haben. Sie drohte, die Adoption des Jungen einer genauen Untersuchung zu unterziehen, wenn Sie den Einspruch nicht zurücknähmen! Ich konnte nicht zulassen, daß man ihn fortbrachte, er war ein besonderer Junge und gehörte zu Ihnen, weil sie ihn schon nach kurzer Zeit liebten wie ein eigenes Kind! Ich hatte noch meinen Vater, und er brauchte mich. Es war leicht, die Sozialarbeiterin abzufangen, und sie zu bitten, mich nach Metropolis zu bringen!"
Die Kents waren tief betroffen von dieser Selbstaufopferung und Mrs. Kent nahm sie fest in die Arme.
„Ich habe viel zu schnell aufgegeben, weil ich Angst hatte, daß man mir Clark wegnehmen würde! Ich habe mich seither oft gefragt, ob ich richtig gehandelt habe!"
Clark kratzte sich am Kopf. „Es kommt mir vor, als hätte ich soeben eine Schwester bekommen!"
Lucy lächelte ihn unter Tränen an: „Das ist sehr lieb, daß Du das sagst, Clark! Ich hatte solche angst, wieder in Smallville zu sein! Aber Sie wiederzusehen, wiegt alles wieder auf!"
Während des Abendessens, zu dem sie eingeladen wurde, forderten die Kents Lucy auf, sie beim Vornamen zu nennen und fragten sie, warum sie in Smallville war.
„Ich arbeite für Lex Luthor, genaugenommen therapiere ich seinen blinden Vater. In Metropolis arbeite ich in einer Klinik als Therapeutin bei der Rehabilitation von Blinden..."
Sie verschwieg ihnen auch nicht, daß Lex sie mit einem kleinen Trick dazu gebracht hatte, hierher zu kommen.
Die Zeit verflog und Lucy dachte gar nicht daran, daß niemand wußte, wo sie sich aufhielt. Erst als ein Auto mit quietschenden Reifen vor dem Haus hielt, fiel ihr ein, daß sie nicht Bescheid gegeben hatte, daß sie den Abend bei den Kents verbrachte. Ohne anzuklopfen, stürmte Lex in die Küche und blieb abrupt stehen, als er Lucy wohlbehalten am Tisch sitzen sah. In seinem Gesicht spiegelte sich erst Erleichterung und dann blanke Wut.
„Ich habe dich überall gesucht! Wieso hast Du nicht angerufen und Bescheid gesagt, wo Du bist?"
Lex preßte die Worte hervor, weil er sonst womöglich die Stimme gegen sie erhoben hätte. Lucy wurde erst kreidebleich und dann rot, weil alle Blicke auf sie gerichtet waren.
„Es tut mir leid, Lex! Ich habe die Zeit vollkommen vergessen! Ich hab einfach nicht daran gedacht!"
Sie sah hilfesuchend zu Martha, deren Mutterinstinkt sofort erwachte.
„Clark, könntest Du Lucy dein Refugium in der Scheune zeigen?"
Clark verstand den Wink seiner Mutter und nahm Lucy bei der Hand, um sie aus der Schußlinie zu bringen. Lex indessen stemmte die Hände in die Hüften und schüttelte ungläubig den Kopf.
„Schauen Sie mich nicht so vorwurfsvoll an, Mrs. Kent! Lucy ist einfach verschwunden, ich habe mir wirklich Sorgen gemacht und nun sitzt sie hier bei Ihnen und scheint schon ein Teil der Familie zu sein!"
Jonathan verschränkte die Arme vor der Brust und verzog abschätzig den Mund.
„Arrogant wie immer, Lex! Sie haben das Mädchen mit einem miesen Trick in die Stadt gelockt und nicht gefragt, ob sie das auch will, oder was das für Konsequenzen für sie hat!"
Lex warf frustriert die Arme in die Luft.
„Schuldig im Sinne der Anklage, Sir! Aber ich brauchte ihre Hilfe, und sie war meine letzte Hoffnung, daß mein Vater und ich uns nicht gegenseitig an die Kehle gehen!"
Martha zog Lex neben sich auf einen Stuhl und hielt seinen Arm fest
„Lucy war schon einmal in Smallville, Lex! Vor 14 Jahren als die Meteoriten einfielen. Ihre Mutter starb dabei und ihr Vater wurde schwer verletzt und war von da an blind wie dein Vater jetzt! Ihr war wie durch ein Wunder nichts passiert, sie hatte nur ein paar Schrammen. Die Polizei fand sie erst einen Tag nach dem Unglück, sie war nicht von der Seite ihres Vaters gewichen, der unter einem Meteoritenbrocken begraben lag. Ich werde nie vergessen, wie der Sheriff sie zu uns brachte, weil er nicht wußte wohin mit dem Kind. Sie hat nicht einmal geweint, weil sie meinte, daß sie für ihren Vater stark sein müßte. Sie war erst zehn, Lex! Und Du hast das alles wieder aufgewühlt!"
Lex schaute von Jonathan zu Martha und man sah ihm sein Bedauern deutlich an.
„Das tut mir wirklich leid! Ich habe sehr egoistisch gehandelt, aber ich wollte ihr nie wehtun!"
Die Kents tauschten einen kurzen Blick aus, als glücklich verheiratetes Paar hatten sie eine feine Antenne für unterschwellige Gefühle.
„Ich glaube, daß es für heute genug Enthüllungen gab, Lex! Am besten fährst Du sie jetzt nach Hause. Ich denke nicht, daß sie noch Auto fahren sollte! Sie ist hier jederzeit willkommen, richte ihr das bitte aus!"
Lex stand vor der Scheune und rief Lucys Namen. Sie verabschiedete sich von Clark und küßte ihn auf die Wange, dann ging sie runter zu Lex, der einsam im Mondlicht stand und etwas verloren wirkte. Beim Näherkommen erkannte sie, daß er ein schlechtes Gewissen hatte.
„Mach dir keine Vorwürfe, Lex! Du konntest ja nicht wissen, daß ich mit Smallville unangenehme Erinnerungen verbinde!"
Lex umfaßte ihr Gesicht und sah sie forschend an.
„Ich sehe, daß Du geweint hast! Wie oft hast Du geweint, seitdem Du meinetwegen hier bist?"
Lucy biß sich auf die Lippen.
„Lex! Du kannst jetzt nichts mehr daran ändern! Ich bin hier und werde auch bleiben! Vielleicht ist es ganz gut, daß ich mich jetzt der Vergangenheit stellen muß!"
„Verdammt!"
Lex ließ sie los und machte ein paar Schritte von ihr weg.
„Ich verstehe nicht, warum Du mir nicht böse bist! Du solltest mir heftige Vorwürfe machen und mir nicht entgegenkommen!"
Lucy starrte ihn einen Augenblick lang an und stürmte dann an ihm vorbei zu seinem Wagen. Sie hatte glücklicherweise ihren Mantel übergezogen und den Schlüssel in der Tasche, so daß sie den Wagen anlassen konnte. Lex war ihr nachgerannt und wollte die Fahrertür aufreißen, doch Lucy stieß vorwärts, wendete scharf und brauste dann in die Nacht.
Dieser arrogante Mistkerl machte ihr Vorschriften, wie sie sich fühlen und reagieren sollte!
Sie war selten so wütend auf jemanden gewesen und biß die Zähne zusammen, um den Wagen bei dem halsbrecherischen Tempo, das sie fuhr, unter Kontrolle zu halten. Nach zehn Minuten hatte sie vollkommen die Orientierung verloren und blieb mit kreischenden Bremsen auf einer einsamen Landstraße stehen. Sie stieg aus und ging ein paar Schritte in der kühlen Nachtluft, um sich zu beruhigen.
Augenblicke später hielt Lex Limousine hinter ihr an, und er sprang aus dem Wagen.
„Lucy! Hast Du vollkommen den Verstand verloren, so durch die Gegend zu rasen!"
Er baute sich vor ihr auf und sah mit einem finsteren Gesicht auf sie herab.
Lucy sah nur noch rot und das veranlaßte sie dazu, auf ihn zuzugehen und ihm eine schallende Ohrfeige zu geben. Sein Kopf schnellte zur Seite und dann sah er sie ungläubig an.
„Fühlst Du dich jetzt besser? Oder soll ich zu deinem Vergnügen noch ein bißchen herumschreien?"
Lex Lippen teilten sich und er befeuchtete seine Unterlippe, doch er war zu sehr von ihrem Angriff überrumpelt, um auf die Schnelle die passenden Worte zu finden.
Lucy spürte seine Hilflosigkeit und sein leicht geöffneter Mund wirkte so einladend, daß sie einen kleinen Fluch ausstieß und ihm die Arme um den Hals schlang. Sie preßte ihren Mund auf seinen und küßte ihn ohne Zurückhaltung. Sein Schaudern sandte kleine Flämmchen durch ihren Körper, die zu einem Feuer wurden, als seine Zunge in ihren Mund drang und ihre wild umschlang. Seine Arme glitten unter ihren Mantel und preßten ihren Oberkörper fest an seine muskulöse Brust, bis sie fast keine Luft mehr bekam. Sie küßten sich wie zwei Verdurstende, die gerade eine Wasserquelle entdeckt hatten. Nach Atem ringend beendete Lex den Kuß, und sie sahen sich forschend in die Augen. Als sie sich von ihm lösen wollte, reichte es, daß seine Finger leicht über ihre Wirbelsäule strichen, damit sie in seinen Armen verharrte.
„Du steckst voller Überraschungen, kleine Lucy!"
Lex strich ihr über die Wange und fuhr mit den Fingerspitzen über ihre von seinen Küssen geschwollenen Lippen.
Lucy war den Kopf zurück und streckte sich, damit sie sich körperlich nicht mehr so unterlegen fühlte.
„Du kennst mich gar nicht und erwartest von mir bestimmte Reaktionen, das kann ich dir nicht bieten! Nur wegen der körperlichen Anziehungskraft, die zwischen uns besteht, hast Du kein Recht, mir Vorschriften zu machen!"
„Ich will dir keine Vorschriften machen! Ich will mit dir schlafen und kann an nichts anderes mehr denken!"
Lex verstärkte seinen Griff, als er spürte, wie sie sich in seinen Armen versteifte.
„Schlag dir das besser aus dem Kopf, Lex! Ich werde nicht mit dir schlafen!"
Lucys Herz klopfte zum Zerspringen, als er sie wieder küßte und jeden vernünftigen Gedanken aus ihrem Kopf fegte. Er knabberte zärtlich an ihren Lippen, bis sie weich und nachgiebig, seine Zunge in ihren Mund gleiten ließ. Er versuchte, sie mit seiner Zärtlichkeit zu umgarnen, und sie wehrte sich nicht, als seine Hände unter ihren Pullover glitten. Seine heftigen Empfindungen gingen auf sie über und sie war wie berauscht davon, sie empfand sie zehn Mal stärker und ließ sich gehen.
Sie nahm nur durch einen Schleier wahr, daß er sie auf die noch warme Motorhaube der Limousine gesetzt hatte, und er nun zwischen ihren gegrätschten Beinen stand, so daß ihr kurzer Rock hochgeschoben wurde und ihre halterlosen Strümpfe freigab. Lex Augen blitzten auf, als er die schwarze Spitze sah, die dann ein Stück ihrer Schenkel zur Schau stellte. Lucy stöhnte auf, als sie seine Lippen auf dem schmalen Streifen ihres Oberschenkels spürte, der nicht von ihren Strümpfen bedeckt wurde. Lex richtete sich auf und küßte sie heftig und fordernd, bis sie ihre Beine um seine Hüften schlang und sich an ihn preßte.
Dann ertönte in der Fern eine Autohupe, und er kam langsam wieder zur Besinnung. Sie waren hier auf einer öffentlichen Straße und es konnte jederzeit jemand vorbeifahren. Er wollte nicht riskieren, daß jemand sie erwischte, wie sie wie zwei wildgewordene Teenager Sex auf einer Motorhaube hatten.
„Lucy!"
Er wartete, bis er sicher war, daß sie ihm folgen konnte.
„Kleines! Laß mich dich heimbringen, wir können hier nicht weitermachen, wir stehen mitten auf der Straße!"
Sie sah sich verwirrt um, dann an sich herunter und ihm wieder in die Augen.
„Oh, mein Gott!"
Sie zog ihren Pulli herunter und glitt dann von der Motorhaube, um ihren Rock herunterzuziehen.
„Kannst Du mir mit dem Wagen nachfahren? Du folgst mir einfach, okay?"
Lex küßte sie auf die Schläfe und half ihre dann beim Einsteigen. Er zeigte ihr mit der Limousine den Weg und als sie endlich die Autos in der Garage abgestellt hatten, nahm er sie fest bei der Hand und führte sie die Treppe hinauf in sein Schlafzimmer, das sie noch nicht gesehen hatte. Es wurde beherrscht von einem riesigen Himmelbett, das mit seidenen Laken bezogen war und einen Stoffhimmel aus fließendem, dunkelblauem Taft hatte. Lucys Kehle fühlte sich wie ausgedörrt an und all ihre Nervosität kam mit einem Mal zurück und mit ihr auch die Vernunft.
„Lex, das geht nicht! Ich kann das nicht!"
Sie sah ihn angsterfüllt an, weil allein ein Kuß von ihm genügen würde, um ihre Bedenken über Bord zu werfen. Er nahm sie in die Arme und hielt sie fest.
„Ich will dich! Ich sehne mich nach dir, warum hältst Du mich hin?"
Sie sah zu ihm auf und sah keinen Ausweg mehr, als die Wahrheit zu sagen.
„Ich habe noch nie mit einem Mann geschlafen, deshalb!"
Sie wand sich aus seinen Armen, weil sie sich vor seiner Reaktion fürchtete. Sie wollte seine Antwort nicht fühlen, bevor er sie ihr gab.
Lex starrte sie eine ganze Weile an, ohne etwas zu sagen. Nach einiger Zeit, stellte er nur eine kurze Frage.
„Warum nicht?"
„Du triffst immer genau ins Schwarze, Lex! Wie Du heute Abend feststellen konntest, besteht zwischen uns tatsächlich eine starke Anziehungskraft, aber wir kennen uns kaum. Und um deine Frage zu beantworten, müßte ich dir vollkommen vertrauen, verstehst Du das?"
Lex strich sich nachdenklich über seine Glatze.
„Ja und Nein! Ich habe erst gerade erlebt, wie leidenschaftlich Du werden kannst. Und jetzt erfahre ich, daß Du noch unberührt bist! Du bist mir ein absolutes Rätsel und ich möchte wissen, was dahinter steckt!"
Er setzte sich auf sein Bett und wartete auf ihre Antwort. Lucy ging zu ihm und küßte ihn auf die Wange und strich ihm über den Kopf, wo er babyweiche Haut hatte.
„Gute Nacht, Lex! Ich gehe jetzt auf mein Zimmer, wir sehen uns Morgen!"
Lex hielt sie nicht zurück, sondern ließ sie gehen. Er glitt auf sein Bett und atmete tief durch. Er schämte sich fast, wie er sie vorher schier verschlungen hatte, er wollte ihr keine Angst einjagen.
Was war ihr Geheimnis? Er würde seinen Ermittlern gleich Morgen früh Druck machen, damit er endlich Ergebnisse bekam.
Lucy hatte den Besuch auf dem Friedhof die ganze Zeit vor sich hergeschoben, aber das hatte jetzt keinen Sinn mehr, da sie mit ihrer Vergangenheit konfrontiert wurde und sich damit auseinandersetzen mußte. Sie fuhr am nächsten Abend in die Stadt und besorgte einen Strauß Margariten, die Lieblingsblumen ihrer Mutter, und fuhr dann zum Friedhof, wo sie sich mit Hilfe einer Taschenlampe im Dunkeln orientierte. Im östlichsten Bereich des Friedhofs entdeckte sie das einfache Holzkreuz, in das Name und Daten „Teresa Santiago, geb.: 22.10.1958, gest.: 13.07.1988" geschnitzt waren.
Niemand hatte es für Nötig befunden, den Zahlen einen Nachsatz wie geliebte Mutter oder liebende Ehefrau hinzuzufügen. Ihr Vater war viel zu schwer verletzt gewesen, um sich um die Beerdigung kümmern zu können, und sie selbst war viel zu klein gewesen, um sich um solche Dinge, Gedanken zu machen. Lucy ging in die Knie und legte die Blumen auf der Erde vor dem Kreuz ab.
„Ich vermisse dich immer noch, Mama! Ohne dich wollte Dad nicht mehr leben, und ich habe ihn nicht retten können!"
Sie ließ den Tränen freien Lauf, weil sie den Verlust ihrer Mutter immer noch als überwältigenden Schmerz empfand.
„Nicht traurig sein!"
Jemand legte ihr eine Hand auf die Schulter und Lucy drehte sich zu ihm um. Hinter ihr stand ein blasser junger Mann, der sie scheu anlächelte. Sie lächelte unter Tränen zurück und erhob sich langsam.
„Manchmal tut es gut, traurig zu sein. Wer bist Du?"
Sie strich ihm sanft über die bleiche Wange und bemerkte seine Verzweiflung und eine tiefe Traurigkeit.
„Ich heiße Byron und Du?"
Der Teenager schien extrem schüchtern zu sein, was Lucy anrührte.
„Ich heiße Lucy, Teresa Santiago war meine Mom, sie ist bei dem Meteoritenschauer ums Leben gekommen und ich habe seitdem nicht mehr in Smallville gewohnt und sie deshalb nicht mehr besuchen können! Ist das hier deine Zuflucht Byron?"
Lucy machte eine ausholende Bewegung und meinte damit den Friedhof.
Byron lächelte: „Ja, ich komme gern her, es ist so friedlich hier und manchmal treffe ich jemanden wie dich!"
Lucy entdeckte einen weißen Umschlag in seiner Hand.
„Willst Du jemandem schreiben?"
Byron wurde rot und Lucy fühlte seine Scham in ihren Fingerspitzen.
„Ich lege ab und an einen Brief für jemanden auf einen Grabstein, den sie oft besucht!"
Lucy verkniff sich ein Lächeln, als er mit dem Pronomen verriet, daß der Brief für ein Mädchen war.
„Es ist gleich hier, zwei Reihen weiter vorne!"
Er wies in die angegebene Richtung und verstummte dann, weil jemand im Dunkeln auf sie zukam, es war Lana Lang, Clarks Freundin. Byron wollte im ersten Moment weglaufen, doch er blieb dann doch stehen.
„Hallo, Lana! Das ist Byron, ich glaube, er hat etwas für dich!"
Byron gab Lana den Brief und verabschiedete sich dann nur mit den Worten: „Ich muß jetzt gehen!"
Er rannte in die Dunkelheit hinein und war bald nicht mehr zu sehen.
„Byron, heißt er also! Ich bekomme seit einiger Zeit von ihm Briefe und Gedichte."
Lana blickte auf den weißen Umschlag herunter, der ihren Namen trug.
„Er scheint oft hier spazierenzugehen, kennst Du ihn? Er müßte doch auf eure Highschool gehen!"
„Nein, ich habe ihn noch nie gesehen, vielleicht geht er auf eine Privatschule. Was machst Du eigentlich hier auf dem Friedhof?"
„Ich habe das Grab meiner Mutter besucht. Sie ist hier begraben, weil sie beim Meteoritenschauer umgekommen ist. Ich war als kleines Mädchen schon einmal in Smallville!"
„Meine Eltern liegen dort vorne, sie starben auch beim Meteoritenschauer. Ich komme oft her, um sie zu besuchen und mit Ihnen zu sprechen!"
Lana lächelte sie an und sah dabei wunderhübsch aus. Lucy konnte gut verstehen, warum Clark und Byron, sie so anziehend fanden.
„Ich gehe jetzt, damit Du dich in Ruhe mit ihnen unterhalten kannst! Gute Nacht, Lana! Wir sehen uns!"
Lucy ging zurück zu dem geparkten Wagen und fuhr nach Hause. Als ihr klar wurde, daß sie Lex Anwesen im Stillen so bezeichnete, fuhr ein Schauer durch sie hindurch. Sie mahnte sich zur Vernunft, sie mußte ihre Gefühle im Zaum halten. Sie war hier nur angestellt und was immer Lex für sie empfand, sie durfte ihre Zukunft nicht darauf aufbauen.
Die flüchtige Begegnung mit Byron bekam dadurch Bedeutung, daß Clark sie ein paar Tage später bei Lex besuchte und ihr erzählte, daß Lana und er vermuteten, daß der Junge von seinen Eltern mißhandelt wurde. Sie hatten ihn wieder auf dem Friedhof getroffen und ihn dazu überredet, mit in Lanas Café zu kommen. Sie hatten sich lange unterhalten und dabei die Zeit vergessen. Kurz vor Sonnenaufgang hatten sie ihn nach Hause gefahren, wo seine Eltern auf ihn warteten. Lana und Clark wurden von ihnen verjagt und bedroht, so daß sie nicht mehr mit Byron sprechen konnten.
„Dad, Pete und ich waren vorhin mit dem Sheriff dort. Byrons Eltern haben behauptet, daß er tot ist und wir ihnen einen geschmacklosen Streich spielen würden! Wir konnten nichts machen!"
Lucy legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter, er saß neben ihr auf einer Bank, die in Lex Garten stand.
„Er kam mir ziemlich lebendig vor, als ich ihn getroffen habe. Da stimmt etwas nicht! Jemand müßte per Computer Nachforschungen zu dem Jungen anstellen!"
Clark verzog den Mund: „Das erledigt Chloe schon! Sie sammelt alles Ungewöhnliche, was seit dem Meteoritenschauer in Smallville passiert ist. Von den Meteoriten geht scheinbar eine Strahlung aus, die die seltsamsten Veränderungen in Menschen auslösen kann. Wir hatten Vorfälle mit Insekten, Telekinese, Unsichtbarmachen, Feuerblicken und ähnliches. Wenn Du Chloe in der Redaktion besuchst, dann kannst Du dir ja ein Bild von alledem machen, sie sammelt alles auf einer Wand des Wahnsinns, wie sie es nennt. Ich bin nur hergekommen, weil Lana mir erzählt hat, daß Du Byron auch getroffen hast!"
„Wenn ich irgendwie helfen kann, dann brauchst Du es nur zu sagen! Ich muß übermorgen mit Lionel nach Metropolis fahren, aber wir kommen am selben Tag zurück. Sag mir Bescheid, wenn sich etwas tut."
„Mache ich! Ich bin froh, daß Lex dich nach Smallville geholt hat! Es ist schön, so etwas wie eine große Schwester zu haben. Ich habe das Gefühl, daß ich dir alles anvertrauen kann!"
Lucy umarmte Clark fest und schmiegte ihre Wange an seine Schulter.
„Ja, ich bin auch froh! Und Du kannst mir wirklich alles anvertrauen, ich werde dir immer beistehen!"
In dieser innigen Pose fand Lex die beiden im Garten. Es gab ihm irgendwie einen Stich, daß Lucy seinen besten Freund so vertrauensvoll umschlang. Er hatte sich immer nach dieser Nähe gesehnt, seit seine Mutter gestorben war, aber es sich als Erwachsener nicht mehr eingestehen wollen.
„Hallo Clark, ich wußte gar nicht, daß Du hier bist!"
Lex versuchte beiläufig zu klingen, doch Clark hörte doch die leichte Irritation in seiner Stimmer heraus und fragte sich, ob das wohl Eifersucht war.
„Ich wollte Lucy besuchen, wir hatten etwas zu bereden! Ich muß auch schon wieder zurück auf die Farm, Dad braucht meine Hilfe! Wir sehen uns, Lex! Und Lucy, ich melde mich, sobald wir etwas rausbekommen haben!"
Clark gab ihr einen Kuß auf die Wange und klopfte Lex im Vorbeigehen auf die Schulter.
„Worum geht es? Es klingt als hätte Clark ein Problem?"
Lex Stand vor ihr und blickte irgendwie finster auf sie herunter. Lucy sah zu ihm auf und legte den Kopf zurück.
„Nein, es geht um einen Jungen, den wir vor kurzem kennengelernt haben! Er scheint Probleme zu haben und wir möchten ihm gerne helfen!"
Lex runzelte die Stirn. „Was für Probleme? Ich möchte nicht, daß Du dich in Gefahr begibst!"
Lucy erhob sich und stemmte die Hände in die Hüften.
„Lex! Du bist nicht für mich verantwortlich. Ich kann selbst auf mich aufpassen. Ich gehe keine unüberlegten Risiken ein, das könnte ich gar nicht mit meinem Job vereinbaren. Ich weiß genau, was ich tue!"
„Du stößt mich zurück und nimmst Ratschläge von Clark und seinen Eltern an? Erklär mir das mal bitte!"
Lex steckte die Hände in die Hosentaschen und tat ganz lässig.
Lucy seufzte und ließ die Arme hängen.
„Du hast recht, es tut mir leid! Ich werde immer nur nervös, wenn Du in der Nähe bist!"
Lex nahm sie breit grinsend in die Arme. „Das ist mal eine gute Nachricht!"
Er beugte sich zu ihr runter und küßte sie lange. Lucy schlang die Arme um seinen Hals und umfaßte dann seinen Hinterkopf, damit er den Kuß nicht so schnell unterbrach. Schließlich waren beide atemlos und aufgewühlt, weil Gefühle in ihnen geweckt wurden, die sie beide eigentlich unterdrücken wollten.
„Ich muß jetzt zurück zu deinem Vater, Lex! Ich habe nur eine kurze Pause!"
„Schade, versprich mir aber, daß Du das Wochenende für mich freihältst, einverstanden?"
Lex strich ihr die Arme entlang, nahm ihre Hände in seine und hauchte dann auf beide Handrücken einen Kuß. Lucy schluckte und sah gebannt in seine Augen.
„Versprochen!"
Mit klopfendem Herzen ging sie zurück ins Haus, während Lex sich in sein Büro begab.
Er hatte den Bericht, den er über Lucy angefordert hatte, vorhin über einen Kurier erhalten. Er öffnete den Umschlag und zog eine Akte heraus, die Berichte und Fotos enthielt.
Lucys, Eltern waren in die Staaten gekommen, als ihre Mutter hochschwanger war, das Baby kam in Texas zur Welt und deshalb war sie nun amerikanische Staatsbürgerin.
Sie war auf den Namen Lucero, die Erleuchtete, getauft, was Lex sehr passend fand. Ihre Eltern waren Musiker, die durch Amerika tourten und in kleinen Clubs spielten. Wenn das Geld knapp wurde, arbeiteten sie als Erntehelfer oder dergleichen, deshalb waren sie 1988 auch in Smallville.
Lex konnte sich gut vorstellen, daß es schwer für ein Kind war, immer wieder die Schule wechseln zu müssen, wenn die Eltern von Stadt zu Stadt zogen.
Nach dem Tod ihrer Mutter zog sie mit ihrem Vater nach Metropolis, weil dort eine Großtante lebte, die die zwei aufnehmen wollte. Die Frau war nach etwas über einem Jahr verstorben und Lucy blieb allein mit ihrem Vater zurück.
Hier entdeckte er zwei Artikel des Daily Planet aus dem Jahr '92. Lex las sie mit gerunzelter Stirn und wunderte sich genauso wie die Ärzte über das Koma, in dem Lucy gelegen hatte.
Als Vollwaise kam sie in ein Heim und ging auf die staatliche Schule, wo sie so gute Noten erzielte, daß man ihr ein Stipendium verlieh und sie auf eine Privatschule wechseln konnte. Sie gehörte immer zum besten Drittel und wechselte nach dem Schulabschluß mit 17 auf das Metropolis College, dessen Besuch sie mit einem Stipendium und Nebenjobs finanzierte.
Sie schloß ihr Studium mit sehr guten Noten ab und wurde dann in einer Klinik eingestellt, die sich um die Rehabilitation von Unfallopfern kümmerte. Die guten Ergebnisse ihrer Arbeit sprachen für sich, weshalb sie auch von der Spezialklinik in Metropolis für das Projekt der Reintegration von Blinden nach Unfällen sofort eingestellt wurde. Natürlich halfen ihr die Erfahrungen, die sie mit ihrem kranken Vater gemacht hatte, dabei.
Hellhörig wurde Lex erst, als er las, das Lucy noch einen Nebenbeschäftigung hatte. Sie trat gelegentlich als Sängerin in verschiedenen Clubs auf und hatte schon bei einigen Tanzturnieren diverse Pokale mit ihrem Tanzpartner gewonnen.
Lex strich sich über sein glattrasiertes Kinn und schürzte nachdenklich die Lippen. Er hatte bisher nur die korrekte oder saloppe Lucy gesehen und war neugierig darauf, wie sie wirkte, wenn sie ihr Haar offen trug und sich für einen Auftritt kleidete.
Einen kleinen Blick hinter ihre Fassade hatte er ja in jener Nacht in dem Club in Metropolis werfen können. Warf sie auf der Bühne all ihre Scheu ab und ließ sie es da zu, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen?
Aber diesen Gedanken mußte er beiseite schieben. Viel wichtiger waren die Informationen über die Zeit nach dem Unfall. Es war für ihn schon schwer genug mit seinem kranken Vater zurechtzukommen, für ein kleines Mädchen mußte es die Hölle gewesen sein. Und dieser unerklärliche Vorfall nach dem Selbstmord des Vaters machte ihn stutzig, er spürte, daß Lucys Geheimnis damit in Zusammenhang stand.
TBC
