Kapitel 6
Als sie in der Luthor Mansion ankam, ging sie gleich zu Lex' Büro im Turm, wo er die meiste Zeit verbrachte, weil sie mit ihm über die Frau sprechen wollte, die behauptete, Clarks Mutter zu sein.
Sie wollte gerade anklopfen, als die Tür geöffnet wurde und Lex eine rothaarige Frau mittleren Alters hinausbegleitete. Lucy konnte die Verzweiflung deutlich spüren, die die Fremde wie eine dunkle Wolke zu umgeben schien.
„Auf Wiedersehen, Lex! Ich hoffe, Sie überlegen sich die Sache noch anders!"
Die Frau warf den Kopf zurück und ging dann die Treppe herunter.
„Lex? Wer war das?"
Lucy merkte ihm an, daß der Besuch der Frau ihn aufgewühlt hatte. Lex bat sie herein und drückte sie auf den Sessel vor seinem Schreibtisch, an den er sich dann lehnte.
„Das war Rachel Donlevy. Die Frau behauptet, daß Clark ihr Sohn ist, den mein Vater mit ihr vor 18 Jahren gezeugt hat. Sie bat mich zwischen ihr und den Kents zu vermitteln, damit sie ihn besser kennenlernen kann!"
Lucy starrte ihn eine Weile sprachlos an. Sie konnte Lex ja nicht erzählen, daß diese Frau unmöglich Clarks Mutter sein konnte.
„Stimmt das? Hatte dein Vater eine Affäre mit ihr?"
Lex verzog den Mund und sah sie düster an.
„Es ist gut möglich, mein Vater hatte eine Menge Affären! Die Sache mit dem Kind kann allerdings erfunden sein, damit sie an sein Geld kommt! Es wäre Dad jedoch durchaus zuzutrauen, die Frau damals zur Adoption getrieben zu haben."
Lucy nahm seine Hand und drückte sie fest.
„Das muß dich und deine Mutter sehr verletzt haben, wenn er sich so verhalten hat, Lex! Heute wurde von den Kents ein Gentest verlangt, der wird erweisen, ob die Frau recht hat! Wirst Du deinen Dad darauf ansprechen?"
„Nein! Ich warte erst die Beweise ab! Ich lege mich nie unvorbereitet mit meinem Vater an!"
Er zog sie hoch in seine Arme, da ihre Nähe, seine Nerven zu beruhigen schien. Er hielt sie einfach fest, damit seine taumelnde Welt mit ihr zum Stillstand kam.
Zwei Tage später saß Lucy mit Lionel in ihrem Therapieraum und lauschte seinen Fortschritten im Entziffern der Blindenschrift. Sie hatte ihm das Zugeständnis gemacht, sein Handy anlassen zu dürfen, da er ein ziemlich wichtiger Mann war, der immer erreichbar sein mußte. Als es klingelte, ging er ran und lauschte mit erstarrtem Gesichtsausdruck dem Anrufer.
„Rachel mach keinen Unsinn! Laß meinen Sohn aus dem Spiel! Er hat nichts mit der Sache zu tun"
Er hörte zu, was am anderen Ende der Leitung gesagt wurde, dann legte er mit steinerner Miene auf.
„Lionel, was ist mit Lex?"
Lucy sah ihn angsterfüllt an und packte seinen Arm.
„Das war Rachel Donlevy! Sie hat Lex in ihrer Gewalt und verlangt von mir in zwei Stunde eine Pressekonferenz zu geben, auf der ich verkünden soll, daß Clark unser gemeinsamer Sohn Lucas ist! Ansonsten wird sie Lex etwas antun!"
Lionel strich sich mit der Hand über sein hageres Gesicht und atmete tief durch.
„Aber Clark ist nicht euer Sohn! Der Gentest hat doch eindeutig das Gegenteil bewiesen. Clark kann unmöglich von Rachel abstammen!"
„Rachel ist nicht mehr sie selbst, sie gehört in medizinische Behandlung! Sie war vor Jahren schon in psychiatrischer Behandlung! Sie ist von der Idee besessen, daß Clark ihr Sohn ist!"
„Was machen wir jetzt? Wir müssen Lex suchen! Wenn sie so außer Kontrolle ist, wird sie ihm womöglich etwas antun!"
Lucys Stimme klang selbst in ihren Ohren etwas hysterisch und sie versuchte, ihren rasenden Puls zu beruhigen.
„Wir machen gar nichts! Ich werde mich nicht auf ihre Erpressung einlassen! Die Luthors sind nicht erpreßbar, das wird Rachel auf der Pressekonferenz zu spüren bekommen!"
„Bitte, Lionel! Wenn sie krank ist, macht es doch nichts, ihr soweit entgegenzukommen, bis sie Lex frei läßt! Danach kann man doch den Gentest veröffentlichen!"
Lionel schüttelte den Kopf und erhob sich.
„Für heute machen wir wohl am besten Schluß, Lucy! Ich muß eine Pressekonferenz vorbereiten!"
Er ließ sie total geschockt am Tisch sitzend zurück und verließ das Zimmer, um nach seinem Assistenten zu rufen.
Lucy konnte kaum richtig denken und ihr fielen nur die Kents ein, die ihr vielleicht helfen könnten. Sie nahm Lex' Sportflitzer und fuhr zu ihnen. Dieses eine Mal war sie dankbar, daß Lex ihr den schnellen Wagen zur Verfügung gestellt hatte, so war sie innerhalb von zehn Minuten bei den Kents und stürmte in ihr Haus. Martha war in der Küche und backte gerade Muffins, während Clark bei ihr am Tisch saß und ihren Teig stibitzte.
„Lucy! Was ist los?"
Martha stellte das Backblech, das sie gerade in den Herd hatte schieben wollen auf den Tisch zurück. Lucy hielt sich an der nächsten Stuhllehne fest und versuchte, klar und deutlich zu sprechen.
„Lex! Rachel Donlevy hat ihn entführt!"
Martha erkannte an ihren angstgeweiteten Augen, daß sie kurz vor einem Zusammenbruch stand und drückte sie sanft auf einen Stuhl.
„Ganz ruhig! Sie wird ihm nichts tun! Was will sie?"
Martha legte ihr die Hände auf die Schultern und streichelte sie beruhigend.
„Sie hat vor einer halben Stunde Lionel angerufen. Sie will, daß er öffentlich auf einer Pressekonferenz zugibt, daß Clark ihr gemeinsamer Sohn Lucas ist! Aber Lionel wird nicht auf die Erpressung eingehen! Wenn er die Erklärung abgibt und Rachel damit in die Enge treibt, wird sie Lex etwas antun. Lionel hat gesagt, daß sie schon einmal in psychiatrischer Behandlung war!"
Lucy merkte nicht, daß ihr Tränen die Wangen herunterliefen. Clark sprang auf die Füße und ging neben ihr in die Knie, um ihr seinen Arm um die Taille zu legen.
„Ich werde ihn suchen, irgendwo muß sie ihn ja gefangenhalten, Ich lasse nicht zu, daß sie ihm wehtut! Ich gehe zu Chloe, die findet Informationen am Computer am schnellsten! Du wirst sehen, wir finden ihn!"
Lucy nickte und küßte ihn auf die Wange.
„Danke Clark! Ich wußte auf euch ist Verlaß!"
Er tauschte einen kurzen Blick mit seiner Mutter und war dann blitzschnell verschwunden. Lucy war jedoch so in ihrer Sorge um Lex gefangen, daß sie Clarks besonderer Fähigkeit keine große Beachtung schenkte.
„Martha! Ich werde jetzt selbst nach ihm suchen! Ich kann hier nicht untätig herumsitzen! Wozu bin ich übersinnlich begabt, wenn ich ihm in der Not nicht beistehen kann!"
Lucy sprang von dem Stuhl auf und lief aufgebracht auf und ab.
„Gibt es eine Möglichkeit für dich, ihn zu orten?"
Mit ihrer ruhigen Frage brachte Martha sie auf eine Idee.
„Ich weiß nicht genau! Ich werde es versuchen, ich habe das noch nie gebraucht, aber..."
Lucy blieb stehen und schloß die Augen, um sich vollkommen auf Lex zu konzentrieren. Sie spürte, wie sie immer tiefer in eine Trance glitt und ihren sechsten Sinn vollkommen auf Lex richtete. Nach einigen Augenblicken spürte sie seine Aura, schwach aber wahrnehmbar. Er war noch in Smallville, da war sich Lucy sicher. Sie riß die Augen auf, als sie seine Angst und Frustration spürte.
„Ich kann ihn spüren! Er lebt! Martha, ich werde jetzt mit dem Auto losfahren und versuchen, ihn besser zu orten! Wenn Clark ihn schneller findet als ich, soll er mir auf meinem Handy Bescheid geben!"
Martha hielt sie nicht zurück, weil sie erkannt hatte, daß Lucy sehr tiefe Gefühle für Lex hegte und sie selbst für Jonathan dasselbe tun würde.
Sie konnte die Verbindung immer leichter herstellen, wenn sie nach Norden fuhr. Auf ihrer Stirn bildeten sich trotz der Kälte Schweißperlen, denn gleichzeitig Auto zu fahren und ihre Wahrnehmung einzusetzen, war ausgesprochen anstrengend.
Sie versuchte den Gedanken an die bald stattfindende Pressekonferenz wegzuschieben und konzentrierte sich stärker auf Lex Aura. Sie fuhr zweimal an einem Haus vorbei, das unbewohnt schien und in dessen verwildertem Garten Bauzubehör herumlag. Lex mußte hier sein, sie fühlte ihn genau. Sie parkte den Wagen etwas weiter weg und schlich sich zum Hintereingang heran. Dort stand Lex' Porsche in einem alten Schuppen. Lucy hätte fast vor Erleichterung geweint. Sie betrat das Haus und schlich auf Zehenspitzen zu dem Zimmer, aus dem gedämpfte Stimmen drangen.
„..Die Luthors sind nicht erpreßbar! Ich setze eine Belohnung von 500.000,00 Dollar für die Ergreifung der Täter aus! Es hat immer zu den Grundsätzen der Familie Luthor, niemals zu verhandeln..."
Lucy erkannte Lionels Stimme und hörte dann wie Glas zerschlagen wurde und eine kleine Explosion, Rachel hatte den Fernseher wohl in einem Wutanfall zertrümmert.
„Dein verdammter Vater! Das hast Du deinem verdammten Vater zu verdanken!"
Lucy hörte an ihrer sich überschlagenden Stimme, daß sie nicht mehr bei Sinnen war. Sie stürzte, ohne weiter nachzudenken in das Zimmer und erlebte mit, wie Rachel eine Axt schwang, um sie auf den auf einem Stuhl festgebundenen Lex sausen zu lassen.
Sie schrie auf und das lenkte die Frau ab, so daß Lex ihr mit seinen Beinen einen Tritt versetzen konnte. Die Axt verfehlte ihn, doch er fiel auf den Rücken und schlug sich seinen Kopf unglücklich an der Wand an. Er blieb regungslos liegen und Rachel warf sich mit wütendem Gekreisch auf Lucy. Sie landeten auf dem staubigen Boden und Rachel packte ihre Kehle und drückte so fest zu, daß Lucy keine Luft mehr bekam.
Sie versuchte verzweifelt, sich zu wehren, doch Rachel war zu stark in ihrer Raserei. Lucy konnte sie in einem letzten Versuch, sich aufzubäumen von sich stoßen und keuchte nach Atem ringend. Rachel hatte wieder die Axt aufgehoben und kam damit auf sie zu.
„Bitte, Mrs. Donlevy! Ich will Ihnen doch helfen! Ich verspreche Ihnen bei der Suche nach Ihrem Sohn zu helfen!"
Lucy krächzte nur mehr, da ihre Kehle sich wund anfühlte.
„Du verdammtes Flittchen, steckst mit Luthor unter einer Decke! Er wird mich nicht noch einmal von meinem Sohn fernhalten!"
Sie hob die Axt und ließ sie niedersausen. Lucy vergrub das Gesicht in ihren Händen und drehte sich weg und erwartete den Aufprall voller Angst. Doch es kam nicht dazu, weil Clark hereingestürmt kam und sich auf sie warf. Die Axt prallte von ihm ab und Rachel fiel durch den Schwung auf die Knie.
„Clark! Oh, Clark!"
Lucy sah ihn erschrocken an, doch er lächelte sie nur an: „Keine Angst! Mir ist nichts passiert! Du weißt doch, mein Geheimnis!"
Er zwinkerte ihr kurz zu, dann half er Rachel auf die Beine.
„Wer sind Sie?"
Die Frau zitterte am ganzen Körper und sah ihn fragend an.
„Ich bin nicht ihr Sohn! Bitte glauben Sie mir das!"
Rachel Donlevy brach in Tränen aus und Clark hielt sie fest, während Lucy auf allen Vieren zu Lex kroch und seine Fesseln löste. Sie untersuchte seinen Kopf und stellte fest, daß er eine Beule und eine Abschürfung am Hinterkopf hatte, wo er keine schützenden Haare hatte.
„Clark! Hilfst Du mir Lex in sein Auto zu verfrachten? Ich will ihn ins Krankenhaus bringen! Du nimmst einfach den zweiten Wagen und bringst Mrs. Donlevy zum Sheriff."
Lucy hustete, weil das Sprechen anstrengend war. Clark ging zu ihr und sah sich ihren Hals an, wo er genau die roten Striemen von Rachels Fingern erkennen konnte.
„Laß dich auch gleich untersuchen, das sieht schlimm aus und tut bestimmt weh!"
Lucy nickte und sie folgte mit Mrs. Donlevy, als Clark Lex mühelos hochhob und ihn in seinen Porsche verfrachtete.
Lucy hatte sich geweigert von Lex Seite zu weichen, bis er mit fachgerecht verbundenem Kopf in einem Krankenhausbett lag. Erst dann gaben ihre Beine nach und ein Arzt fing sie auf, bevor sie auf den Boden glitt. Sie hatte nur noch die Sicherheit gebraucht, daß Lex nichts Schlimmes passiert war.
Als Lucy die Augen aufschlug, lag sie selbst in einem Krankenzimmer und sah Lex wieder vollständig angekleidet an ihrem Bett sitzen. Lex legte ihr sanft eine Hand auf den Mund.
„Sprich nicht! Die Ärzte sagen, Du mußt deine Stimmbänder schonen! Du willst doch wieder singen können, oder?"
Lucy nickte und setzte sich auf. Lex nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände und sah ihr tief in die schreckgeweiteten Augen.
„Keine Angst! Du wirst keine bleibenden Schäden davontragen, wenn Du machst, was die Ärzte sagen!"
Er küßte ihr die eine Träne von der Wange, die sich von ihren Wimpern gelöst hatte und zog sie an seine Brust.
„Ich danke dir! Du hast dein Leben für mich riskiert, wo selbst mein Vater nicht für mich einstehen wollte! Das war sehr mutig, mein Liebling!"
Sie zitterte und er hielt sie einfach fest umschlungen, weil er wußte, daß die Erkenntnis der Gefahr, in der sie beide geschwebt hatte, ihr erst jetzt richtig zu Bewußtsein kam.
„Alles in Ordnung mit euch?"
Clark steckte den Kopf zur Tür herein, nachdem er angeklopft hatte.
„Ja, ich hab nur eine kleine Gehirnerschütterung und einen Kater von der Droge, die mir verabreicht wurde! Rachel hat versucht, Lucy zu erdrosseln, sie hat Sprechverbot für mindestens eine Woche, damit sich ihre Stimmbänder von der Quetschung erholen können. Ansonsten hat sie nur noch ein paar blaue Flecken davongetragen!"
Lex streichelte sanft Lucys Rücken, die ihr Gesicht an seine Brust gedrückt hielt, als wolle sie sich vergewissern, daß sein Herz noch schlug.
„Danke, Clark! Du hast Lucy gerettet, dafür werde ich dir ewig dankbar sein!"
Clark winkte verlegen ab.
„Ich wünschte, ich hätte dich früher gefunden! Hauptsache euch geht es gut!"
Clark legte Lex eine Hand auf die Schulter.
„Was ist mit Rachel?"
„Sie ist in Gewahrsam und wird Morgen in eine psychiatrische Klinik verlegt. Sie hat den Verlust ihres Kindes nie verwunden und ist seitdem krank. Sie kann sich nicht einmal an den Angriff auf dich erinnern, sie ist total verwirrt!"
Lex blasses Gesicht verzog sich zu einer wütenden Fratze.
„Alles wegen meines Vaters! Er hat Gott gespielt und ihm war egal, ob jemand daran zerbricht! Dein Dad hätte wohl alles gemacht, um dich heil zurückzubekommen!"
Clark sah betroffen, daß in Lex Augen Tränen schimmerten. Er hatte seinen Freund noch nie so verletzlich erlebt.
„Dein Vater wollte es wohl auf seine Art machen! Er hat Rachel wohl unterschätzt und deshalb nicht mitgespielt! Und denk daran Lex, alle deine Freunde hätten ihr Leben für dich riskiert. Nicht nur Lucy und ich! Wir haben alle nach dir gesucht!"
Lex atmete tief durch und schenkte Clark ein dankbares Lächeln. Es war gut, daß sein Freund seine Perspektiven wieder zurecht rückte.
„Du hast recht! Das ist viel wert, ich bin sehr froh, daß ich euch habe!"
Bei diesen Worten hielt er Lucy fest an sich gedrückt, was machte er sich Gedanken über seinen Vater, er hatte Lucy an seiner Seite.
Lex hatte darauf bestanden, Lucy am nächsten Tag nach Metropolis zu bringen, damit sie dort ein Team von Spezialisten untersuchen konnte. Außerdem wollte er zwischen sich und seinem Vater Abstand schaffen und zu Lucy ebenfalls, die ihn ja nicht schweigend therapieren konnte.
Er war immer noch von der Tatsache überwältigt, daß sie ohne zu zögern, sein Leben über das ihre gestellt hatte. Lex sah immer wieder das Bild vor sich, wie Rachel die Axt schwang und Lucy in dem Moment ins Zimmer geplatzt war. Er dankte Gott, daß sie so glimpflich davongekommen waren.
Lex hatte veranlaßt, daß die Spezialisten in die Klinik kamen, in der Lucy sonst arbeitete, erst später wurde ihm bewußt, daß es ein Fehler gewesen war. Es sprach sich schnell in der Klinik herum, daß Lucy Santiago da war und viele ihrer Kollegen kamen, um nach ihr zu sehen.
Wenige unterdrückten ihre Befriedigung, als sie feststellten, daß Lex nicht von ihrer Seite wich und die Gerüchte aus den Zeitungen und dem Büroklatsch somit bestätigt wurden. Als sie die Klinik verließen, liefen sie in eine Schar von Reportern, die ein Interview mit dem Geretteten und seiner Retterin führen wollten.
„Miss Santiago, sehen Sie bitte hierher!"
Es blitzten so viele Kameras auf, daß Lucy keine Chance hatte, ihr Gesicht zu verstecken. Sie war froh, daß die Quetschung, die inzwischen grün und blau war, durch ein Halstuch verdeckt wurde.
„Mr. Luthor, bitte sagen Sie uns, wie Sie sich gefühlt haben, als sie in der Gewalt dieser Verrückten waren!"
„Miss Santiago, wie sind Sie auf das Versteck gekommen, in dem Mr. Luthor gefangengehalten wurde?"
Lex winkte ab und führte Lucy zu der Limousine, die auf sie wartete und half ihr in den Fond des Wagens einzusteigen.
„Bitte meine Damen und Herren! Wenn Sie schon keine Rücksicht auf mich nehmen wollen, dann berücksichtigen Sie wenigstens, daß Miss Santiago noch nicht vollkommen wiederhergestellt ist!"
Er stieg zu Lucy in den fond der Limousine und nahm sie beschützend in den Arm.
„Sie werden doch nicht herausbekommen, wie ich dich gefunden habe?", flüsterte Lucy bang und sah ihn besorgt an.
„Bestimmt nicht! Auf die Idee, daß Du empathisch begabt bist, wird hier keiner kommen! Sie werden es einem glücklichen Zufall zuschreiben! Die Reporter sind nicht an der Wahrheit interessiert, Sie wollen nur eine Schlagzeile! Was haben die Ärzte gesagt?"
„Es sieht alles gut aus, die Schwellung heilt gut ab! Sie meinen, daß ich in drei oder vier Wochen wieder Singen kann!"
Lex atmete erleichtert aus und drückte sie fester an sich.
„Gott sei Dank! Ich könnte mir nie verzeihen, wenn Du meinetwegen darauf verzichten müßtest!"
Lucy schloß die Augen und dachte sich, daß sie gerne Schlimmeres erdulden würde, wenn sie Lex dafür vor Schaden bewahren könnte. In der kurzen Zeit, die sie ihn kannte, war er der Mittelpunkt ihrer Welt geworden und sie liebte ihn von ganzem Herzen.
Er kümmerte sich in dieser Woche zuvorkommend um sie und versuchte, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Sie empfand die Zeit mit Lex wie einen Traum und verdrängte jeden Gedanken an die Zukunft. Sie wagte nicht, ihn darauf anzusprechen, aus Angst er würde ihr mitteilen, daß ihre Beziehung für ihn keine Zukunftsaussichten hatte. Sie war sich nur einer Sache absolut sicher, ein Leben ohne Lex an ihrer Seite wäre absolut unerträglich.
Mitte Oktober fuhr Lucys Patient alleine nach Metropolis, um etwas in seiner Firma zu erledigen und seine Selbständigkeit zu testen, deshalb blieb Lucy mit Lionels Einverständnis bei Lex. Sie wollte ihn gerade am späten Nachmittag in seinem Büro aufsuchen, um ihn zu einer kleinen Pause zu überreden, als sie von drinnen laute Stimmen hörte.
„Clark! Du hast den Jungen entführt? Wo ist er jetzt?"
Lex Stimme war nicht so beherrscht wie sonst immer, als er die Frage stellte. Lucy klopfte kurz an die angelehnte Tür und trat ein.
„Stimmt etwas nicht? Wen hast Du entführt, Clark?"
Beide Männer drehten sich erschrocken zu ihr um und Clark fand als erster die Sprache wieder.
„Es ist keine Entführung, wenn man einen Freund aus den Händen eines Versuchslabors befreit!"
Clark erklärte ihr, daß Ryan, sein kleiner zwölfjähriger Freund, ihn telefonisch um Hilfe gebeten hatte.
„Er ist ein kleiner Junge, der wahnsinnige Angst hatte, was hätte ich tun sollen? Die Polizei konnte nichts unternehmen, weil die Ärzte seine Anwesenheit in den Labors vertuscht haben!"
„Clark, Du hattest recht, ihn zu befreien, auch wenn es dir Probleme bereiten kann! Ich hätte das auch getan! Wo ist er?"
Lex hob in einer resignierenden Geste die Hände und verdrehte die Augen.
„Ihr zwei seid unmöglich! Das Labor wird die Polizei einschalten und Clark der Entführung bezichtigen! Das kann für deine Familie unangenehm werden, Clark!"
„Clark kann den Jungen zu uns bringen, hier wird ihn die Polizei nicht suchen! Damit gewinnen wir ein wenig Zeit, um uns eine Strategie zu überlegen!"
Beide sahen Lex um Zustimmung heischend an, und er konnte nur lächelnd den Kopf schütteln über soviel Naivität. Doch er mußte zugeben, daß er sich wohl bei dem Gedanken fühlte, dem Labor eins auswischen zu können und gleichzeitig würde er Lucy damit glücklich machen, was noch viel wichtiger für ihn war.
„Einverstanden! Bring Ryan erst einmal zu uns. Er ist in Lucys Obhut gut aufgehoben!"
Wie erwartet verstanden sich der sensible Junge und Lucy vom ersten Augenblick an, sie schloß ihn sofort in ihr gütiges Herz.
Lex war ihm ja schon einmal begegnet, doch dieses Mal schien der Junge, sich in seiner Gesellschaft wohler zu fühlen. Am Abend brachte Lucy Ryan zu Bett, auch wenn er dafür eigentlich schon zu alt war, doch sie spürte, daß er noch unter den Folgen des Laboraufenthaltes litt und Angst hatte. Sie setzte sich zu ihm auf das Bett und deckte ihn sorgfältig zu.
„Danke, Lucy! Deine Fähigkeit macht mir keine Angst!"
Ryan legte ihr eine Hand auf die Wange und lächelte sie an. Lucy war erstaunt, daß er ihre Gedanken erraten hatte und dann wurde ihr klar, warum man Ryan im Labor gefangen gehalten hatte.
„Das ist gut! Aber deine Gabe verlangt mir sehr großen Respekt ab! Hatte deine Tante angst vor dir, weil Du ihre Gedanken lesen konntest?"
Ryan nickte stumm und in seinen großen Augen schimmerten Tränen.
„Bei Clark und seinen Eltern und mir ist das anders! Wir hüten alle ein Geheimnis und verstehen, wie Du dich fühlst. Du brauchst keine Angst mehr zu haben, wir lassen nicht zu, daß diese Ärzte dir je wieder zu nahe kommen!"
„Lex hat sich verändert! Das muß an dir liegen, daß seine Gedanken nicht mehr so dunkel sind! Er ist jemand, der einen harten Kampf mit seiner dunklen Seite ausficht, und er braucht dich, um zu gewinnen!"
Lucy küßte den Jungen auf die Wange.
„Danke für deine Worte Ryan, aber Du solltest die privaten Gedanken von anderen respektieren, auch wenn ich mich sehr über deine Worte gefreut habe!"
„Und Du solltest ihm dein Geheimnis mitteilen! Er freut sich bestimmt!"
Lucys Wangen färbten sich blutrot, weil das Geheimnis für sie selbst noch nicht richtig Gestalt angenommen hatte.
„Ich werde es mir überlegen, Ryan! Schlaf schön!"
Sie gab ihm noch einen Kuß und verließ dann das Zimmer.
Lex, der vor dem Zimmer auf sie wartete, hatte den Impuls unterdrückt, an der Tür zu lauschen, obwohl erneugierig war, warum der Junge immer Dinge erwähnte, die in seinem Unterbewußtsein schlummerten.
„Ich denke, daß er eine ruhige Nacht haben wird, Lex!"
Lucy schmiegte sich an ihn und schloß seufzend die Augen.
„Du bist unglaublich mit Kindern! Und ich glaube, das liegt nicht an deiner besonderen Fähigkeit! Ich bin froh, daß Du hier bist!"
Lex hob ihr Gesicht zu sich an und küßte sie sehr zärtlich. Der Kuß wärmte jeden Winkel ihres Körpers und fegte den Schmerz beiseite, der durch ihren Kontakt mit Ryan verursacht worden war. Sie hatte nicht widerstehen können, dem Jungen einiges abzunehmen, damit er ein bißchen Ruhe fand. Lex nahm sie auf seine starken Arme und trug sie in sein Schlafzimmer, wo er sie liebevoll und bedächtig liebte.
Lex hatte das Haus in den frühen Morgenstunden verlassen, um die nötigen Papiere für Ryan zu besorgen, damit ihn niemand mehr aus Smallville wegholen konnte. Lucy hatte mit Ryan gefrühstückt und wartete auf die Ankunft der Kents, die in Begleitung des Sheriffs und eines Wissenschaftlers, einem Mann namens Dr. Garner, aus dem Labor erscheinen würden.
Sie empfing die Leute in einem der prächtigen Salons von Luthor Manor. Der Arzt verlangte die sofortige Herausgabe von Ryan, damit er schnell nach Metropolis zurückfahren konnte.
„Fassen Sie den Jungen nicht an, oder es wird Ihnen leid tun!"
Lucy stellte sich vor Ryan, als der Arzt den Jungen am Arm packen wollte. Sie konzentrierte ihre ganze Wut auf ihn und legte ihre Hand auf seinen Arm. Sie konnte den Schock, den ihm die Schmerzen verursachten, in seinen Augen sehen und er trat hastig einen Schritt zurück. Sein Interesse war geweckt, doch er hütete sich, der jungen Frau noch einmal zu nahe zu kommen.
„Sheriff! Walten Sie ihres Amtes, ich werde den Jungen mitnehmen!"
Jonathan Kent sprang von seiner Sitzgelegenheit auf und trat dicht vor den Arzt, um dem kleineren Mann wütend in die Augen zu starren.
„Das werden wir noch sehen! Er will nicht mehr zu Ihnen zurück, sehen Sie das endlich ein!"
In dem Moment betrat Lex den Raum und schwenkte einige Dokumente mit einem triumphierenden Lächeln.
„Das Sorgerecht für Ryan geht hiermit vorläufig an die Kents! Sie werden den Jungen nicht mitnehmen können!"
Lex reichte die Papiere dem Sheriff, der sehr erleichtert war, nicht gegen seine Freunde vorgehen zu müssen.
„Ich werde den Wisch sofort anfechten! Das wird keinen Bestand haben!"
Lex stellte sich dem Arzt in den Weg und lächelte überheblich: „Versuchen Sie es nur! Im Gegenzug werde ich Ihre sogenannte Forschungseinrichtung an den Pranger stellen. Niemand wird Ihnen mehr Gelder zur Verfügung stellen, wenn ich mit Ihnen fertig bin!"
Der Arzt erwiderte nichts, er drehte ab und verließ wutschnaubend das Haus. Er wußte, daß er verloren hatte, aber der Gedanke an diese Miss Santiago hielt ihn aufrecht. Sie mußte immense Fähigkeiten haben, wenn sie ihn mit der bloßen Macht ihrer Gedanken solch unerträglichen Schmerzen zufügen konnte.
Der Sheriff verabschiedete sich gutgelaunt und Jonathan klopfte Lex anerkennend auf die Schulter.
„Danke, Lex! Das war großartig von dir! Ich bin froh, daß Du auf unserer Seite stehst!"
Lex lächelte erfreut über das Lob, das ihm inzwischen mehr bedeutete als das seines eigenen Vaters.
„Es freut mich, daß ich helfen konnte! Ryan wird bei euch gut aufgehoben sein!"
Sie verabschiedeten sich herzlich voneinander und die Kents gingen zum Wagen vor, damit sich Ryan allein von Lucy und Lex verabschieden konnte. Lucy wurde fest umarmt, dann auch Lex, was ihn etwas überraschte, weil der Junge früher so zurückhaltend ihm gegenüber gewesen war, doch Ryan wollte ihm etwas ins Ohr flüstern.
„Paß auf Lucy auf! Dieser Arzt ahnt etwas von ihren Fähigkeiten, und will sie am liebsten in seine Gewalt bringen!"
Lex drückte den Jungen kurz an sich und bedankte sich für den Hinweis. Dann waren sie alleine.
„Lucy, warst Du leichtsinnig und hast dem Arzt, deine Fähigkeiten offenbart?"
Lucy senkte schuldbewußt den Blick.
„Ich wollte nur verhindern, daß er Ryan nicht zu nahe kommt! Er weiß sicher nicht, wie ihm geschehen ist!"
Lex hob ihren Kopf an, damit er ihr in die Augen sehen konnte.
„Was genau hast Du mit ihm gemacht? Ich dachte, daß Empathie eine Einbahnstraße sei?"
„Nicht ganz Lex! Ich kann Emotionen zurückgeben und wenn ich mich auf negative Gefühle konzentriere und diese an jemanden durch Berührung weitergebe, dann ist das sehr schmerzhaft für den Empfänger! Ich gebe dir eine kleine Demonstration!"
Lucy dachte kurz an den Arzt und spürte schon eine leichte Wut in sich aufsteigen. Sie legte Lex die Hand kurz auf die Brust, um den Kontakt herzustellen. Er zuckte zurück, als ihn ein so etwas wie ein Stromschlag durchfuhr, den er ziemlich unangenehm fand.
„Ich war vorhin viel wütender und dieser Arzt hat bestimmt jetzt noch Schmerzen!"
Lucy konnte sich ein zufriedenes Lächeln nicht verkneifen, weil sie diesem kalten Fisch eine Lehre erteilt hatte. Lex zog die Augenbrauen zusammen und sah sie streng an.
„Das war sehr leichtsinnig von dir! Der Kerl forscht auf diesem Gebiet und hat sicher verstanden, was Du da mit ihm gemacht hast! Ich möchte nicht, daß er auf die Idee kommt, dich zu seinem Versuchskaninchen zu machen!"
„Mach dir keine Sorgen Lex! Wie sollte er mich dazu bringen, an seinen Experimenten teilzunehmen? Ich bin nicht so leicht zu beeinflussen wie ein alleinstehendes Kind! Mach dir also keine Sorgen um mich!"
Lex schüttelte nur den Kopf und behielt seine Gedanken für sich, manche Dinge würde Lucy nie verstehen, weil sie immer auf der hellen Seite des Lebens gestanden hatte und die dunklen Gedankengänge eines kranken Geistes nicht nachvollziehen konnte. Aber das war ja genau das, was ihm an ihr so lieb und teuer war. Er würde alles tun, damit sie niemals mit der dunklen Seite in Berührung kam.
Ryans Gesundheitszustand war durch den Klinikaufenthalt angegriffen, doch niemand rechnete mit der dramatischen Wendung, daß er ernsthaft erkranken würde. Er war nach einer Woche auf der Kent Farm zusammengebrochen und im Krankenhaus wurde ein schnell wachsender Hirntumor festgestellt. Lex hatte zwar einen Spezialisten hinzugezogen, aber der konnte mit einer Operation das Leben des Jungen nur um Tage verlängern. Für alle beteiligten war es ein Schock, daß der Junge sterben mußte und sie taten alles, um ihm die letzten Tage so angenehm wie möglich zu machen.
Es war ein schwarzer Tag für Clark und Lucy, als die Kents und sie Ryan zu Grabe tragen mußten. Es war ein kalter und verregneter Tag im November, der die Stimmung der Trauernden wiederzuspiegeln schien. Lucy liefen die ganze Zeit die Tränen über die Wangen und sie hielt sich an Lex Arm fest, der ihr einziger Anker war und sie davor bewahrte in den Abgrund der Verzweiflung zu stürzen, der sie umgab. Sie war am Ende ihrer Kraft, als sie endlich an der Reihe war, eine Blume in das frisch ausgehobene Grab zu werfen. Sie sah hinunter in die bedrohliche Schwärze und fühlte wie sie nach ihren Knöcheln griff und dann ihre Beine hoch kroch. Die Rose glitt aus ihrer Hand und während sie noch zusah wie die Rose zu Boden fiel, gaben ihre schwachen Knie nach und sie verlor die Besinnung.
Sie erwachte, als der beißende Geruch von Riechsalz in ihre Nase stieg. Über ihr waren die besorgten Gesichter von Martha, Clark und Lex.
„Was ist passiert?"
Lucy sah sich verwirrt um und stellte fest, daß sie bei Lex auf der Wohnzimmercouch lag.
„Du bist ohnmächtig geworden, Liebling! Hast uns einen schönen Schrecken eingejagt!"
Lex setzte sich zu ihr, nachdem Martha den Platz geräumt hatte. Lucy wurde rot und versuchte sich zu erinnern, was passiert war.
„Tut mir leid! Mir war auf einmal so schwindelig, ich dachte, daß ich falle... Ich glaube, daß ich etwas hätte essen sollen!"
Sie setzte sich auf und ließ sich von Lex umarmen, der ihr beruhigend über den Rücken strich. Sie konnte ihm schlecht sagen, daß ihr am Morgen zu übel war, um etwas zu essen. Sie befürchtete, daß sie schwanger war. Lex und sie hatten nie über Verhütung gesprochen und nun hatte sie bemerkt, daß ihre Periode ausgeblieben war. Sie hatte schon einige Zeit vor ihrer Beziehung zu Lex die Pille aus medizinischen Gründen genommen, aber scheinbar etwas bei der Einnahme falsch gemacht. Vor einigen Tagen hatte sie mit einem Schnelltest aus dem Drugstore festgestellt, daß ihr Testergebnis positiv ausfiel.
Sie wußte nicht, was sie machen sollte. Lex hatte nie mit ihr über die Zukunft gesprochen oder gesagt, daß er sie liebte, sie vermutete, daß er ihrer in absehbarer Zeit überdrüssig werden würde. Sie wollte ihn mit der Schwangerschaft nicht unter Druck setzen und auch nicht, daß Lex die Beziehung nur wegen einer Schwangerschaft fortsetze. Die einzige Lösung war, zurück nach Metropolis zu kehren und das Kind alleine zur Welt zu bringen.
Fortsetzung folgt
