Kapitel 1
Irgendwann schaffte ich es dann doch, mich zu überreden, zum Arzt zu gehen.
Es war der dritte Tag der Woche, Mittwoch. Im Wartezimmer saßen nur wenige Leute. Zwei alte Frauen, die sich über ihre Enkelkinder unterhielten, ein etwas älterer Mann, dessen Leben von vielen Narben auf seinem Gesicht gezeichnet wurde, eine Mutter mit ihrer Tochter, wobei die Tochter ein dickes Tuch um den Hals gewickelt hatte und ihre Augen noch relativ rot waren, wahrscheinlich vom Weinen, und schließlich saß da noch ich, ein Junge, dem Tränen in die Augen stiegen, weil er Angst davor hatte, dass es wirklich etwas Ernstes sein könnte.
Das Telefon klingelte ständig und nur selten nahm eine der beiden Sprechstundengehilfinnen den Hörer ab.
Nach einer Weile saßen nur noch der alte Mann und ich im Wartezimmer. Der Alte starrte die ganze Zeit zu mir herüber, doch wahrscheinlich war es nur Einbildung, denn wenn mich meine Sinne nicht täuschten, schielte er ziemlich arg.
Schließlich wurde auch ich aufgerufen und ich trat in das Behandlungszimmer des Arztes. Dr. Delacroix war ein ziemlich kleiner Mann mit einer Halbglatze und vielen Falten auf der Stirn. Er hatte eine seltsame Art, mit seinen Patienten umzugehen, und sein subtiler Zynismus konnte manchmal wirklich verletzend wirken, doch nichts desto trotz war er ein guter Arzt, er war sogar der beste, den es hier in der Umgebung gab.
„Also, Ray, was tut dir denn weh? Hat dich etwa eine Biene gestochen? Haha!", auch wenn ich seinen Scherz nicht witzig fand, lachte ich trotzdem leise. „Nein, meine Freunde haben mir geraten sie aufzusuchen, da ich schon öfters ohnmächtig wurde in letzter Zeit", ich presste die Oberlippe auf die Unterlippe und versuchte ruhig zu klingen. Er runzelte die Stirn und schenkte mir einen zweifelhaften Blick. „Na dann, wollen wir doch mal sehen, was dir fehlt", seine Stimme klang schon etwas sanfter als vorhin. Er untersuchte mich gründlich, konnte jedoch nichts Ernsthaftes feststellen. „Ray, ich denke nicht, dass ich hier die passenden Geräte habe, um festzustellen, was dir nun wirklich fehlt, daher werde ich dich wohl ins Krankenhaus überweisen müssen. Aber mach dir keine Sorgen, es wird schon nicht so schlimm sein", meine Augen weiteten sich erschrocken, als ich die Worte ‚ins Krankenhaus überweisen' hörte. Ich hasste Krankenhäuser. Warum sollte ich sie auch nicht hassen? Auf jeden Fall erledigte der Doktor dann noch einige Telefonate und drückte mir schließlich einen gelben Zettel in die Hand. „Das ist die Überweisung. Am besten gehst du jetzt nach Hause und packst ein paar Sachen zusammen und machst dich danach auf den Weg in das Spital", er sah mich etwas besorgt an, entließ mich dann jedoch aus seiner Praxis, und ich machte mich auf den Weg nach Hause.
Dort angekommen fand ich keinen außer Kai vor. „Wo sind die anderen?", fragte ich ihn geistesabwesend. „Max und Tyson sind trainieren und Kenny ist in die Stadt zu einem Computershop gegangen. Wie geht es dir? Du siehst schlecht aus. Warst du beim Arzt?", noch nie hatte ich Kai so besorgt um irgendjemanden oder irgendetwas gesehen. Schon langsam dachte ich schon, er hätte irgendetwas. „Ich, Kai, ich muss ins Krankenhaus", eigentlich wollte ich es ihm nicht sagen, es rutschte mir einfach so hinaus. Schnell legte ich mir eine Hand auf den Mund und presste die Augen zusammen. Kai kam augenblicklich einen Schritt auf mich zu und sah mich seltsam an. „Was ist los?", doch anstatt ihm eine Antwort zu geben wand ich mich von ihm ab und ging in Richtung Küche. „Ich weiß es nicht. Der Arzt meinte er könnte nichts feststellen, darum müsse ich ins Krankenhaus. Nur zur Kontrolle", schnell drehte ich mich zu ihm um und lächelte ihn an. „Es ist sicher nichts, da bin ich sicher", fuhr ich schnell fort. „Ray, ich würde dich gerne begleiten. Ich mache mir ernsthafte Sorgen um dich", hatte Kai eben gesagt, er mache sich Sorgen um mich? „Du kannst von mir aus mitkommen", ohne dass ich es wollte, rutschten mir diese Worte hinaus. Ich wusste einfach nicht mehr, was mit mir los war.
Zusammen mit Kai packte ich ein paar Sachen zusammen und wir machten uns gemeinsam auf den Weg zum Krankenhaus. Die ganze Zeit über spürte ich Kais Blick auf mir ruhen. Ich hasste es angestarrt zu werden, doch ich ließ es einfach zu. Was sollte ich denn auch schon machen können? Er würde es sowieso nicht lassen.
To be continued...
