Kapitel 2
Im Krankenhaus behandelten sie mich mit größter Sorgfalt. Ich kam mir vor, als sei ich schwerstkrank oder behindert. Am ersten Tag blieb Kai bei mir, und verständigte die anderen, welche gleich am darauf folgenden Tag kamen, um nach mir zu sehen.
„Also ist es doch etwas Ernstes", hörte ich Tyson sagen, doch ich ignorierte sie alle. Es ging mir auf die Nerven, von allen wie ein kleines Kind behandelt zu werden. Normalerweise hätte ich nicht so darüber gedacht, ich wusste selbst nicht so genau, was zu diesem Zeitpunkt mit mir los war.
Um 17 Uhr mussten alle wieder gehen, da die Besucherzeit vorbei war. Und um 18 Uhr 30 holte mich die Schwester mit einem Rollstuhl ab, denn ich musste zum CT.
Ich fand es nicht gerade angenehm die ganze Zeit ruhig dazuliegen, und zum Atmen brauchte ich die Erlaubnis der Schwestern. Doch bereits nach einer viertel Stunde war alles vorbei und ich wurde wieder auf mein Zimmer gebracht.
Ich hatte zwei Zimmergenossen. Meine erste Zimmergenossin war eine junge Frau, ich schätzte sie auf 18. Sie hatte wohl einen Autounfall gehabt, wahrscheinlich war sie gerade in Besitz ihres Führerscheins gekommen. Ihr rechter Arm war gebrochen und sie hatte mehrere Schürf- und Kratzwunden im Gesicht. Irgendwie war sie ziemlich hübsch, doch sie stand wohl noch unter Schock, sie reagierte nämlich überhaupt nicht, wenn ich sie ansprach und bekam andauernd Beruhigungstabletten.
Und die zweite Zimmergenossin hatte Malaria, war aber schon fast wieder gesund. Es war eine Frau Mitte 30, und sie redete die ganze Zeit. Obwohl sie schon fast wieder ganz gesund war, bestand sie auf ihre tägliche Ration Chinin. Wahrscheinlich war sie schon abhängig davon. Während ihres Urlaubs in Tschad wurde sie von der Anophelesmücke gestochen und da sie, so wie sie behauptete, davor kein Geld für eine Impfung hatte, erkrankte sie an Malaria. Jedoch hat sie keine gute Krankenversicherung, und wird daher wohl die Krankenhausrechnung allein zahlen müssen.
Am nächsten Morgen wurde ich von der Schwester geweckt, und nachdem ich gefrühstückt hatte, wurde ich in das Büro des Oberarztes Chamberlane gebeten.
Der Arzt musterte mich mit einem unsicheren Blick, setzte dann zum Sprechen an, ließ es jedoch bleiben. Ich erinnere mich genau, dass er während des ganzen Gesprächs mit einem Stressball spielte. Nach einer Weile stand er auf, ging zum Fenster und beobachtete das Treiben draußen. „Ray, du bist noch sehr jung, daher weiß ich nicht wie ich dir das am besten beibringe", fing er schließlich an, „doch du hast ein Recht darauf zu erfahren, was mit dir los ist", er hielt kurz inne, fuhr dann aber fort, „Du hast einen bösartigen Gehirntumor im fortgeschrittenen Stadium", beendete er den Satz, und sah mich traurig an.
In diesem Moment kannte ich die Bedeutung dieser Worte überhaupt nicht. „Wie bitte?", fragte ich mit zittriger Stimme. Chamberlane versuchte zwar so mitfühlend wie nur möglich zu klingen, doch der Versuch scheiterte kläglich. „Ich weiß das ist schwer zu verstehen für dich, Ray. Und es ist sicher das schlimmste was einem Menschen überhaupt passieren kann. Es tut mir so Leid, Ray!", Chamberlane machte ein paar Schritte auf mich zu, doch ich wies ihn schroff zurück. „Jetzt hören sie mal, sie wissen überhaupt nicht was das bedeutet, und hören sie verdammt noch mal auf meinen Namen am Ende jedes Satzes zu sagen!", Tränen stiegen mir in die Augen, und im nächsten Augenblick tat es mir Leid, dass ich so gemein zu ihm gewesen war. „Ist schon gut Ray. Ist schon gut", den Doktor ließen meine gemeinen Worte kalt. Er kam trotzdem auf mich zu, und er umarmte mich, wie ein Vater seinen Sohn in diesem Augenblick umarmt hätte. Nach nur wenigen Sekunden brach ich in Tränen aus, und konnte eine halbe Ewigkeit nicht mehr mit dem Weinen aufhören. Nach einer Weile löste ich mich aus Chamberlanes Umarmung und sah ihm direkt in die Augen. „Wie kann man den Tumor bekämpfen?", fragte ich so selbstbewusst, wie es mir in diesem Moment nur möglich war. Der Arzt wandte den Blick ab und seufzte tief. „Ray, wie schon erwähnt, ist es ein sehr bösartiger Tumor, und er ist bereits im fortgeschrittenen Stadium. Es gibt... Ray, es gibt leider keine Heilung mehr", die letzten Worte des Doktors wurden immer leise, am Schluss waren sie kaum noch hörbar, doch ich verstand jedes einzelne Wort sehr gut. „Wie lange habe ich noch zu leben?", fragte ich ihn, flüsternd, doch ziemlich selbstsicher.
Chamberlane richtete sich wieder auf und bewegte sich in die Richtung, in der sein Schreibtischstuhl stand. Langsam setzte er sich hin und begann wieder mit dem Stressball zu spielen. „Wie-lange?", wiederholte ich meine Frage, nun schon etwas lauter. „Etwa 8 Monate", kam die zögerliche Antwort des Neurochirurgen.
Nachdem diese Worte gesprochen waren, stand ich blitzschnell auf und verließ den Raum. Chamberlane rief mir noch nach, doch ich hörte nicht auf seine Rufe. Ich ging sehr schnell in Richtung Ausgang. Beim Empfang sprach mich die Schwester, die mir immer das Essen brachte, freundlich an. „Ray, deine Freunde sind hier, sie warten in deinem Zimmer auf dich."Ich ging zügig an ihr vorbei und antwortete nur im Vorbeigehen: „Schicken Sie sie weg, ich möchte heute keinen mehr sehen!"
Ich verließ das Krankenhaus und ging weiter in den nahe liegenden Park. Dort setzte ich mich auf eine Bank, vergrub mein Gesicht in den Händen und dachte über die Worte des Doktors nach. 8 Monate, 8 verdammte Monate. Ich habe doch Träume, Ziele. Wieso? Wieso gerade ich? Das ist nicht fair. Gott, warum tust du mir das nur an?, während ich so nachdachte, rannen mir die Tränen wahrscheinlich literweise die Wangen hinunter. Ich bemerkte gar nicht, wie sich nach etwa einer halben Stunde, jemand neben mich setzte. Erst als dieser jemand seinen Arm um mich legte, fuhr ich erschrocken hoch. Auch der zweite Arm dieses jemands legte sich um mich und drückte mich fest an seinen Körper. Es war Kai. Im ersten Moment war ich etwas verwundert, warum gerade Kai jetzt hier saß und mich fest in seinen Armen hielt, doch später dachte ich nicht mehr weiter darüber nach. Ich konnte die Tränen, so sehr ich es auch versuchte, nicht vor Kai verbergen, und ich begann laut zu schluchzen. „Ist schon Okay, Ray. Der Arzt hat es uns erzählt. Ist schon gut. Pst. Ich bin ja da", hörte ich Kai mit dieser angenehmen, beruhigenden Stimme sagen, und ich fühlte mich nicht so alleine und verlassen.
Noch eine weitere halbe Stunde saßen wir so da, dann machten wir uns auf den Weg zurück ins Krankenhaus. Auch die anderen kamen mit der Zeit und es war vermutlich das erste Mal, dass ich Tyson habe weinen sehen. Alle nahmen mich fest in den Arm und ich war ihnen sehr dankbar, dass sie da waren. Sogar Hilary war gekommen.
Nach einem weiteren Gespräch mit Chamberlane, beschloss er kurzerhand, dass ich am nächsten Tag das Krankenhaus verlassen dürfe. Es hätte keinen Sinn, mich jetzt noch hier zu behalten. Und es konnte mir nur Recht sein, immerhin wollte ich die letzten 8 Monate meines Lebens nicht im Krankenhaus verbringen.
Wieder zu Hause bemutterten mich alle sehr stark, alle bis auf Kai. Wahrscheinlich verstand er mich in dieser Zeit am besten. Er wies auch die anderen zurecht, wenn sie mir sogar verbieten wollten, Erdäpfel aus dem Keller zu holen. Natürlich war ich sehr schwer krank, aber so oder so, ich hatte nicht mehr lang zu leben, und ich wollte den Rest meines Lebens in vollen Zügen genießen, das wurde mir letzte Nacht im Krankenhaus klar.
Es begann gerade zu dämmern, als Kai in mein Zimmer kam. Ich stand am Balkon und beobachtete, wie die Landschaft in goldenes Rot getaucht wurde. Kai legte seinen Arm auf meine Schulter und stellte sich neben mich. Er stand einfach nur da, und gab mir auf eine besondere Art und Weise ein Gefühl der Geborgenheit. Ganz von selbst rückte ich ein Stückchen näher an ihn heran und legte meinen Kopf auf seine Schulter.
„Hör mal Ray, es gibt da eine Sache, über die ich mit dir sprechen muss", begann Kai plötzlich zu sprechen. Ich hob den Kopf und sah ihn erwartungsvoll an. „Wir sind ja schon ziemlich lange in einem Team, und, na ja, ich habe dich auch sehr lieb gewonnen, in dieser Zeit", Kai wurde bei jedem weiteren Wort röter, falls das überhaupt noch möglich war. „Ich, ich, also, na ja, wie soll ich sagen, es ist so...", Kai stammelte nur so vor sich hin. Ich wusste nicht was mit ihm los war. So kannte ich Kai überhaupt nicht. „Nun ja, Ray, ich denke, nein ich weiß es, Ray, ich liebe dich!", man sah es ihm an, dass es ihn sehr viel Überwindung gekostet hatte, das zu sagen, und er war sichtlich erleichtert es hinter sich zu haben.
Es herrschte eine bedrückende Stille, die ich schließlich brach. „Kai, ich denke, ich habe mich auch ziemlich in dich verliebt. Und ich könnte mir auch vorstellen, dass es da etwas zwischen uns gibt, aber ich habe große Angst dir weh zu tun, immerhin lebe ich nur mehr 8 Monate."
Betroffen sah Kai mich an. Doch dann schloss er seine Augen und kam mit seinem Gesicht langsam auf mich zu. Bevor ich realisierte, was geschah, gab Kai mir einen langen, intensiven Zungenkuss.
To be continued....
© K. Th.
