Kapitel 6
Part I
Der heilige Abend verging recht schnell. Tyson, der ja Buddhist war, machte sich schon langsam mit den Bräuchen der katholischen Kirche vertraut, da sie dieses Jahr zum ersten Mal zusammen Weihnachten feierten, um Ray zu gedenken. Für Max war das alles war das weniger schwierig, da er als gebürtiger Amerikaner Evangelist war.
Der erste Weihnachtsfeiertag verging recht ruhig, doch am Stefanietag wurde Tyson unsanft geweckt.
Er war zwar schon wach, doch er döste noch eine Weile vor sich hin. Plötzlich jedoch läutete das Telefon schrill. Schlaftrunken blinzelnd tastete sich der junge Japaner zu dem nervtötenden Gerät. „Hallo? Wer ist da?", murmelte er in den Hörer. „Grüß Gott. Spreche ich mit Herrn Tyson Granger?", meldete sich eine junge, freundliche Frauenstimme am anderen Ende der Leitung. „Ja hier ist Tyson, und wer ist da?", fragte Tyson, der ziemlich verwirrt war. „Hier ist Frau Narumi Ishiga. Ich bin von der Friedhofsverwaltung in Kushiro. Es geht um das Grab von Herrn Raymond Kon", stellte sich die Frau vor. „Ray? Was ist mit Ray?", Tyson wurde nur noch mehr verwirrt. „Nun ja, das wird Ihnen vor Ort erklärt werden. Ich bitte sie daher, so schnell wie möglich nach Kushiro zu kommen, am besten heute noch", Frau Ishiga klang wirklich besorgt, daher willigte Tyson ein und noch am selben Tag flogen sie mit einem billigen Charter-Flug nach Kushiro an die Westküste Hokkaidos. Auch Tala musste gegen seinen Willen mitkommen, er wurde nämlich von Kai dazu gezwungen.
Als sie dann noch am selben Nachmittag in Kushiro ankamen, machten sie sich erst einmal auf die Suche nach einem Hotel, denn das hatten sie ja in aller Eile nicht mehr machen können. Doch die fünf hatten Glück, dass nicht gerade Hauptsaison war, daher waren viele Zimmer frei. Nachdem sie also die Zimmer bezogen hatten, machten sie sich auf den Weg zum Friedhof, wo bereits die Polizei auf sie wartete. „Tja, ich muss Ihnen etwas Trauriges mitteilen. Als der Friedhofswärter heute seine Runde gedreht hat, hat er etwas Furchtbares entdeckt. Jemand hat wohl Rays Leiche gestohlen, denn das Grab ist aufgegraben und leer", beteuerte der Polizist. Kai traute seinen Ohren nicht. Er war einfach geschockt, da er es nicht glauben konnte, dass Ray sogar nach seinem Tod leiden musste. „Jedoch ist etwas an dieser Sache seltsam", meinte der Polizist, nachdem niemand etwas sagte, ging mit den Jugendlichen zum Sarg und bückte sich dort hinunter, „wie ihr seht, ist der Sargdeckel auf der Innenseite total zerkratzt. Wie von einem Tier. Es klebt sogar getrocknetes Blut daran, wie ihr seht. Auch auf der Außenseite ist dieses Blut zu sehen. Außerdem sieht es nicht so aus, als hätte jemand das Grab von außen aufgegraben. Nein, es macht eher den Anschein, dass sich jemand von innen nach außen gegraben hat."Jetzt war es wirklich ganz still. Tyson lief ganz weiß an, da er ihm das alles wirklich ziemlich unheimlich war. Kai wurde das alles zu viel und unbemerkt schlich er sich davon. Nur Tala merkte es und folgte ihm unbeobachtet. Die anderen hingegen hatten noch viel mit der Polizei zu reden.
Kai ging am Strand von Kushiro entlang und dachte nach. Tala merkte, dass er wohl nicht viel ausrichten könnte, daher blickte er Kai kopfschüttelnd hinterher und begab sich zu den anderen zurück.
Kai hingegen kam lange noch nicht zurück.
Erst um ein Uhr morgens betrat er leise das Zimmer, welches er sich mit Tala teilte. Er wollte auf keinen Fall, dass Tala jetzt wach würde, daher bewegte er sich besonders lautlos. Jedoch musste er sich noch das Gesicht waschen, da dieses vom vielen Gehen ganz verschwitzt war. Er schmiss sich etwas kaltes Wasser ins Gesicht und starrte noch eine Weile ins Waschbecken, bevor er in den Spiegel sah. Doch was er da sah, ließ ihn beinahe aufschreien, sofern er das bei diesem Schock überhaupt geschafft hätte.
Part II
Als der junge Russe wieder aufwachte, konnte er nur feststellen, dass er sich definitiv nicht mehr im Badezimmer seines Hotelzimmers befand. Anfangs sah er nur sehr verschwommen, und das grelle Licht erleichterte ihm die Sache nicht gerade. Gefesselt und geknebelt saß er am Boden, so viel bekam er gerade noch mit, als plötzlich eine Person hinter ihm kniete. „Wenn du mir versprichst, nicht zu schreien, dann befreie ich dich von den Knebeln", wisperte die Person, die eindeutig ein junge war. Kais Meinung nach ein Junge, der sich gerade im Stimmbruch befand oder eine schwere Erkältung hatte. Jedoch nickte er zaghaft, was anderes hätte er in diesem Augenblick ja auch nicht machen können. Langsam lösten sich die Knebeln um seinen Mund, und gerade als er zu sprechen beginnen wollte, schlangen sich zwei starke Arme um seine Taille und ein Kopf legte sich auf seine rechte Schulter. Das ließ Kai sehr erschaudern, denn der Junge war wirklich sehr kalt, und sein Gesicht sah auch nicht sehr viel versprechend aus, sofern das, was er im Spiegel keine Sinnestäuschung war, und der Junge immer noch der selbe war. Genau hatte er das Gesicht ja nicht erkannt, dazu war er zu überrascht gewesen, doch das, was dann geschah, damit hätte er in seinen kühnsten Träumen nicht gerechnet. Zögerlich blickte er an sich hinunter, auf die Hände des anderen. Bei dem Anblick der Finger des anderen Jungen, zuckte er stark zusammen, was den Entführer aufmerksam machte. „Was ist?", fragte er behutsam. Nachdem Kai keine Antwort gab, sich seine Augen jedoch immer mehr weiteten, und er immer blässer wurde, wusste der andere Junge, was los war. „Du betrachtest meine Finger? Tja, die Fingerkuppen habe ich mich wohl weggewetzt, als ich mich aus meinem Grab befreien musste. Das ist es doch, was dir Angst macht, oder, Kai?"„R-R-Ray?", stammelte Kai vor sich hin. Die Person hinter ihm erhob sich seufzend und bückte sich über Kai, so dass dieser direkt in seine Augen sehen musste. Doch der junge Russe war geschockt. Diese Augen waren ausdruckslos, kalt, verklärt und voller Zorn und Hass. „Erkennst du denn deinen alten Freund nicht mehr? Tztz, Kai, also das hätte ich nun wirklich nicht von dir gedacht. Hast du mich denn gar nicht vermisst? Ist ja typisch für dich. Hätte ich mir ja gleich denken können", es war tatsächlich Ray. Ray, der Ray, der vor drei Monaten von einem Blitz getötet wurde. Ray sah furchtbar aus. Er war ganz weiß im Gesicht und am ganzen Körper schmutzig. Seine Augenwaren ausdruckslos und alles an ihm war mit Wunden übersäht, besonders seine Hände. Kai konnte es immer noch nicht fassen. „Du bist nicht Ray. Ray ist tot! Tot! Verdammt noch mal RAY IST TOT!", schrie er schon fast. Ray hingegen sah beleidigt drein und ging nicht auf das Geschwafel von Kai ein. „Ich bin hier um dich zu töten. Du hast mein Leben ruiniert. Wegen dir kann ich nicht einmal im Tod meine Ruhe finden. Verstehst du? Ich hasse dich, Kai Hiwatari", Ray war wirklich ehrlich, ehrlich und herzlos. Kai starrte ihn fassungslos an. Erste Tränen suchten sich ihren Weg über seine Wangen. „Und weil du mein ganzes Leben so sehr ruiniert hast, wirst du leiden. Ja, Kai, ich will dich leiden sehen", fügte Ray noch hinzu.
Kai hatte in der Zwischenzeit bemerkt, dass er in der Nähe vom Friedhof sein musste, da er durch ein kleines Fenster ein Kreuz erkennen konnte. Nachdem er sich so halbwegs wieder gefangen hatte und aus seinem Trance-ähnlichem Zustand befreit war, suchten seine Augen Ray, doch dieser war verschwunden. Jedoch nicht für lange, denn nach einer Zeit kam er zurück, mit einer Motorsäge in seinen Händen. „Keine Panik, Süßer. Es wird nicht wehtun. Zumindest mit nicht", meinte Ray zu Kai und lachte dabei laut auf. Kai wurde panisch und erinnerte sich plötzlich, dass er noch sein Taschenmesser im Hosensack einstecken hatte. Das brachte ihn auf die brillante Idee, die Fesseln irgendwie durchzuschneiden. Ray redete auf Kai ein, er redete von seiner Vergangenheit, von den Fehlern die er gemacht hatte. Jedoch merkte er dabei nicht, dass Kai anderwärtig beschäftigt war und ihm überhaupt nicht zuhörte.
Kai hatte es in der Zwischenzeit geschafft, das Messer aus seiner Tasche zu bekommen und rieb die Fesseln bereits eifrig daran. Und gerade als Ray auf Kai zuging, riss der letzte Strang und Kai konnte seine Arme wieder bewegen. Zum Glück waren seine Beine nicht auch noch gefesselt, denn das wäre garantiert sein Todesurteil gewesen. Reflexartig sprang er auf, um der scharfen Motorsäge zu entkommen, und Ray teilte den Sessel, an den Kai angekettet gewesen war, in zwei ungleich große Hälften. „Na du bist ja ein ganz ein Schlimmer. Wie hast du es bloß geschafft, dich so schnell loszumachen?", fragte Ray mit einem Hauch subtilen Zynismus in seiner Stimme. Kai warf einen kurzen Blick zur Tür und rannte dann instinktiv los. Er hatte im Moment kein Ziel vor Augen, er kannte sich überhaupt nicht aus. Doch bereits nach einigen Sekunden, die dem jungen Russen wie eine Ewigkeit vorkamen, war er wieder bei klarem Verstand und er wusste, dass er ins Hotel rennen musste. Doch er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass Ray so schnell war, und ihn schon bald eingeholt und zu Boden gerissen hatte. „Das hättest du besser nicht tun sollen, denn jetzt hast du mich erst richtig zornig gemacht. Und keine Sorge, meine Rache wird gnadenlos sein", Ray klang sehr wütend und gleichzeitig verwirrt. Er hatte wohl eher weniger damit gerechnet, dass Kai es tatsächlich schaffen würde, sich der Fesseln zu entledigen. Vor lauter Zorn schlug er ihm direkt ins Gesicht, das ohnehin schon von vielen Hämatomen und Kratzern gezeichnet war, und Kai verlor wieder einmal das Bewusstsein....
To be continued....
Gut, eigentlich sollte das das letzte Kapitel werden, doch es wird wohl noch ein, zwei geben. Naja...
Werd mit ganz sicher mit Weiterschreiben beeilen, versprochen.
Bis bald,
Ivoire
