Kapitel 4: Spontan
„Klopf, klopf!"
„Ach Horatio, komm doch rein, setz dich!"
Stephanie saß in ihrem Büro am Computer und suchte in einer Datenbank nach dem Sedativum aus Pats Blut.
„Kommst du voran?"
„Sicher, der PC hat mir verraten, dass es sich um das Präparat Sedivermalin handelt, welches nur in Florida erhältlich ist."
„Das grenzt die Suche erheblich ein."
„Richtig, ich werde Morgen mal bei den Apotheken der Umgebung anfragen, wer dieses Mittel verschrieben bekommen hat, vielleicht ist ja jemand dabei, der zum Umfeld der Schule gehört."
„Gute Arbeit."
„Danke und wie läuft es bei dir?"
„Die telefonische Befragung der Eltern und der Mädchen hat nicht s besonderes ergeben..."
„Wie haben Mr und Mrs Ryan es aufgenommen?"
„Beide waren geschockt, sie haben ihre Tochter das letzte Mal vor einem Monat gesehen."
„Wo wohnen sie?"
„San Diego."
„Aha, kommen sie hierhin zum Verhör?"
„Ja, ich erwarte sie Morgen, bist du das auf dem Bild?"
Horatio hatte schon eine gewisse Zeit interessiert auf ein Foto geschaut, welches auf Anies Schreibtisch stand. Es zeigte eine Gruppe von drei Männern und einer Frau vor dem Capitol. Einer der Männer hatte liebevoll den Arm um die Frau gelegt, beide strahlten sich an.
„Ja, das bin ich mit einem Teil meiner Jungs nach einem Einsatz in Washington. Ist etwa vier Jahre her."
„Achso, ein bisschen Freizeit muss auch sein, oder?"
„Richtig, ja, tut auch mal ganz gut...."
„Hmh.", H suchte nach Worten, Stephanie merkte es und schmunzelte.
„Achso, es ist schon neun Uhr, wolltest du nicht mit Calleigh ausgehen?", er hatte seinen Faden wieder gefunden.
„Ursprünglich ja, aber sie hat mich versetzt!"
„Was?"
„Ja, sie hat noch genug mit den Spezialkugeln aus der Turnhalle zu tun."
„Typisch Cal."
„Ach, ein Frauenabend läuft uns ja nicht weg."
„Ja." Horatio schaute zu Boden „dann können wir zwei ja noch auf einen gelungenen ersten Arbeitstag anstoßen."Hatte er das jetzt wirklich gesagt? Es war sonst nicht seine Art so direkt auf Menschen, insbesondere Frauen zuzugehen. Anie biss sich lächelnd, etwas verlegen auf die Unterlippe, sie merkte, wie ihr Puls begann anzusteigen.
„Das könnten wir machen."
Horatios Herz machte einen Hüpfer. Er merkte, dass seine Hände feucht wurden.
„Und wo soll es hingehen?"Er legte den Kopf schief und schaute sie herausfordernd an.
„Was hältst du von Burkmann´s? Das liegt bei mir gleich um die Ecke."
„Klingt gut."
„Ja, ich mache hier eben mal Schluss, dann können wir auch bald los."
„Gut, ähm, wie heute Morgen?"
„Ach, du holst mich ab oder was?"
„Richtig."
„Okay, machen wir es so, bis gleich!"
Horatio erhob sich, er konnte eine gewisse Freude über das eben geschehene nicht verbergen.
„Gib mir 10 Minuten."
„Nur keine Eile H, wir sind doch jung und haben Zeit."
Beide lachten.
Sie betraten die gemütliche Kneipe etwas außerhalb der Innenstadt Miamis und setzten sich an einen Ecktisch.
„Hey Anie!", der Besitzer kam zu ihren an den Tisch um die Bestellung aufzunehmen, „wen hast du uns denn da mitgebracht?"Er musterte Horatio mit einem prüfenden Blick.
„Habe ich dir nicht tausendmal gesagt, dass du nicht so neugierig sein sollst, Berny?!"Sie lächelte ihn an. „Er ist ein Kollege von mir."
„Caine.", stellte sich H selbst vor.
„Gut, wenn das so ist, dann will ich dich mit deinem Kollegen mal nicht länger stören! Was darf ich euch denn zu trinken bringen?"
„Wie immer.", sagte Anie.
„Für mich ein Bier."
„Kommt sofort."
„Wie immer?", fragte Horatio. „Kommst du öfter hierhin?"
„Nicht oft, aber schon lange. Wenn ich meine Eltern hier in Miami besucht habe sind wir immer hierhin gegangen. Kleines Familienritual."
„Achso."
„So,", unterbrach sie Berny, „ein Anie-Special für die Dame und für den Kollegen ein Bier. Zum Wohl!"
Beide bedankten sich.
„Das ist ein Anie-Special?", fragte Horatio skeptisch als er das Glas Wasser mit der Scheibe Zitrone betrachtete, welches Berny Stephanie auf den Tisch gestellt hatte.
„Ja, genau das."
„Wers mag..."Nun schaute er ihr tief in die Augen, griff zu seinem Glas und sagte:
„Also, Prost! Auf eine gute Zusammenarbeit"
„Auf eine gute Zusammenarbeit."
Die Gläser klirrten und Stephanie begann mit dem Gespräch:
„Dein Team ist fantastisch!"
„Unser Team."
„Oh, ich vergaß."
„Sie haben jetzt schon alle einen Narren an dir gefressen!"
„Charmeur!"
„Nein, das ist mein voller Ernst. Speed und Eric sind vorhin zu mir gekommen und haben gefragt, ob sie den nächste Fall mit dir bearbeiten dürfen."
„Das macht mich verlegen. Ich bin doch erst einen Tag da."
„Und schon schwören sie von ihrem Meister ab..."
„Die wollen nur spielen...", murmelte Anie. „Erst einmal schauen, wie sich die Neue so schlägt, kenn ich gut. War beim SWAT nicht anders"
„Anscheinend konntest du dich durchsetzen, sonst wärest du nicht Leiterin geworden."
„Ja, anscheinend konnte ich das."Sie blickte auf die Eiswürfel, die langsam in ihrem Glas schmolzen, das Kerzenlicht spiegelte sich in ihren Augen. Es war ein bezaubernder Anblick.
„Doch irgendwann muss man auch Platz für die Jüngeren schaffen. Mein Nachfolger, Leon, ist 28."
„Warum hast du aufgehört?"
„Eine Verkettung verschiedener Umstände."
„Schieß los."
„Okay, wird etwas länger."
„Wir haben doch Zeit", sagte H, „Wir haben alle Zeit der Welt."
Sie nickte, offensichtlich suchte sie nach Worten:
„Also, vor zwei Jahren hatte ich im Dienst einen Unfall, ähm, ich wurde bei einem Einsatz angeschossen. Es wurde recht knapp, 5 Minuten später im OP und ich wäre vom Hals an gelähmt, oder vielleicht tot gewesen. Als ich nach 5 Monaten in den Dienst zurückkehrte merkte ich zum ersten Mal, wo meine Grenzen waren. Während meiner Abwesenheit ist Leon ins Team gekommen. Ich habe nach meiner Rückkehr schnell gemerkt, dass er das Zeug zum Teamführer hatte. Also habe ich, ohne das mein Chef dies wusste das letzte halbe Jahr damit verbracht ihn auszubilden. Als dann vor zwei Monaten die routinemäßige Anfrage kam, ob ich den Job weiter machen wolle habe ich abgelehnt, vollkommen zur Überraschung meiner Vorgesetzten, und dafür gesorgt, dass Leon mein Nachfolger wird. Ich habe quasi genau so schnell beim SWAT aufgehört, wie ich hier angefangen habe."
Nun blickte sie Horatio wieder in die Augen und sagte:
„Ein weiteres Jahr hätte ich es nicht durchgehalten, ganz ehrlich."
Er musterte sie genau, bevor er sagte:
„Ich bewundere dich."
Schweigen, Anie schaute ihn fragend an.
„Ich hätte so mit viel Ehrlichkeit nicht gerechnet."
„Warum sollte ich nicht zu meinen Schwächen stehen? Ich bin auch nur ein Mensch."
„Ja,... aber ein verdammt bewundernswerter.", brach es aus Horatio hervor.
„Oh, entschuldige, ähm, ich wollte nicht so direkt sein, äh, ich es tut mir leid."Er mied den Blick in ihre Augen, peinlich von dem berührt, was er eben nicht hatte zurückhalten können.
Stephanie merkte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg, dann nach einer kurzen Pause murmelte sie:
„Horatio, ich bewundere dich...Mit so viel Ehrlichkeit hätte ich nicht gerechnet."
Es dauerte eine Weile, dann hatten sie diesen kleinen „Zwischenfall" vergessen. Danach unterhielten sie sich über Horatios Zeit vorm CSI, als er noch beim Bombendezernat gearbeitet hatte, Urlaub und Stephanies ersten Arbeitstag. Diese schaute irgendwann auf die Uhr und erschrak.
„Was ist?", fragte Horatio, der mittlerweile, seiner Fahrtüchtigkeit wegen, auch auf Wasser umgestiegen war und nun an seinem Glas nippte.
„Ich glaube, wir haben uns etwas verquatscht."
„Wieso, wir spät ist es denn?", er blickte auf seine Uhr, „Oh, mein Gott, 23:56 Uhr!"
Komisch, er fühlte sich noch kein bisschen müde, im Gegenteil. Die letzten Stunden waren vergangen, wie im Flüge. Auch Anie empfand dies ähnlich, und sie merkte, dass es ihr Leid tat, dass sie ihr Gespräch bald beenden müsste.
„Jaa.", sagte sie, „dann denke ich, wir sollten mal zahlen."
Gesagt, getan.
„Gehst du schonmal vor? Ich werde mich noch von Berny verabschieden."
„Okay, bis gleich."Sie tauschten ein Lächeln aus.
„Na, ist mit deinem Kollegen wohl doch etwas länger geworden!"
„Ach, Berny, hör auf! Wir kennen uns doch erst einen Tag!"
„Na, dafür, dass ihr euch erst einen Tag kennt, seid ihr mir aber schon sehr vertraut vorgekommen."
Anie rollte mit den Augen.
„Spinner, hör doch einfach mal auf mich mit jedem Mann, den ich mitbringe, ein Techtelmechtel anzudichten!"
„Ich lag nicht immer falsch!"
„Das war doch was ganz anderes! Ich war mit George doch schon verlobt, als ich das erste Mal mit ihm hierher gekommen bin."
„Na gut, der Punkt geht an dich!"
„Also ich muss los, Horatio wartet."
„Pass auf dich auf!"
Er nahm sie in den Arm.
„Das werde ich, grüß Amy von mir!"
„Mach ich."
Sie ging zur Tür.
„Anie?"
„Ja?"
„Schön, dass du wieder in der Stadt bist!"
Sie lächelte ihren alten Freund an.
„Das find ich auch, Berny, das find ich auch...."
Er stand draußen, lässig an den Hummer gelehnt beobachtete er ihre Silhouette, die sich in der Bleiverglasung der Kneipe abzeichnete. Sie schien sich mit dem Kneipier zu unterhalten, dann umarmte sie, was Horatio aufmerksamer werden ließ, diesen und näherte sich der Tür.
„So.", sagte sie, als sie die Tür geschlossen hatte, „man gut, dass ich Zack bei meinen Eltern gelassen habe."
„Wer ist Zack?"Unbehagen verbreitete sich in seiner Magengegend. Hatte sie etwas Kinder?
„Mein Hund. Er ist immer stinkbeleidigt, wenn ich spät nach Hause komme."
Er lachte, vielleicht auch ein bisschen aus Erleichterung.
„Und er ist dein Aufpasser?"
„Genau, sozusagen der Mann im Haus."
„Aha, und der lässt sich so einfach zu den Eltern abschieben."
Gelächter.
„Ja, anscheinend schon."
Nun standen sie zwischen ihren Autos und Stephanie legte liebevoll die rechte Hand auf Horatios Schulter, eine nächtliche Brise trieb ihr eine Haarsträhne ins Gesicht.
„Es war ein netter Abend. Bis morgen dann."
„Jep, das war es wirklich. Also, bis morgen."
Horatio blieb noch eine Weile stehen und schaute, wie sich die Rücklichter des Mercedes langsam entfernten, dann stieg er in den Hummer. So führen beide einer Nacht mit wenig Schlaf und diesem merkwürdigen Kribbeln im Bauch entgegen.
