Harte Zeiten
Fassungslos starrte Harry dem Slytherin hinterher. Ihm war bewusst, dass er gerade eine ziemliche Niederlage erlitten hatte, wusste aber beim besten Willen nicht, wie er sich hätte anders verhalten sollen. Malfoy hatte ja auch irgendwie Recht. Er waran den vielen Toten um ihn herum zwar nicht unbedingt Schuld, aber er war immer anwesend gewesen. Und er hatte nicht helfen können. Das war es, was ihn am meisten störte.
Wie hatten es Voldemort und Snape noch genannt? Hang zum übertriebenen Heldentum. Aber war es denn so falsch, wenn man denen, die man mochte, helfen wollte? Naja, oder wenn man eben nicht wollte, das irgendjemand starb. Malfoy war ein Arsch. Genau! Und Harry hatte sich von ihm dumm kommen lassen. Das würde ihm nicht mehr passieren, schwor sich der schwarzhaarige Junge und dann stapfte er grimmig zum Essen.
Leider entwickelte der Slytherin ein ziemlich gutes Gespür dafür, wo er Harry fand, und wie er ihn an der Stelle erwischte, wo der Gryffindor es am wenigstens erwartete. Manchmal lauerte er ihm in Kerker aus, und ließ ihn von seinen Gorillas festhalten, während er sich in genüsslichen Schilderungen über das Leiden von Harrys Eltern oder wahlweise auch seines Paten oder Cedrics erging. Dann stand Harry da, ballte die Fäuste und wollte dem anderen am liebsten sein blödes Grinsen aus dem Gesicht prügeln, was Crabbe und Goyle aber leider verhinderten.
An anderen Tagen startete der Blonde auch eine Stille-Post-Aktion am Slytherin-Tisch beim Essen. Zum Beispiel: „Potter weint sich nachts in den Schlaf, weil ihn sein Engelchen verlassen hat."Das ging dann zuerst am eigenen Tisch rum, sprang dann über auf die anderen Tische und wenn es am Gryffindor-Tisch ankam, war daraus in etwa geworden: „Harry nimmt illegale Zaubertränke, um überhaupt noch schlafen zu können und hat ein unglückliches Verhältnis mit einem Hippogreifen."
Zwar lachten Ron und Hermine darüber, aber innerlich wand er sich. Er wollte sich an Malfoy rächen, aber der war nie alleine anzutreffen, sondern immer von einer Horde Leute umgeben und seine Freunde erzählten ihm auch irgendwann nur noch, er solle einfach nicht darauf achten und den Slytherin ignorieren. Der würde schon irgendwann damit aufhören.
Tat er aber nicht. Zusätzlich wurde der schwarzhaarige Junge durch die Ereignisse der letzten Jahre und der unglückseligen Verteidigungs-Stunde wieder einmal von abschätzigen bis ängstlichen Blicken durch die Gänge verfolgt, so dass seine Schultage zu einem regelrechten Spießrutenlaufen wurden. Nicht, dass er das nicht schon früher überstanden hatte, doch irgendwie gab Harry auf. Nachdem er Malfoy doch irgendwann mal nur mit Pansy Parkinson zusammen erwischt hatte, ihm einen kräftigen Fluch angehext hatte und dann aber von Snape mit einer Woche Strafarbeiten belegt worden war, reichte es ihm. Teilnahmslos ließ er die immer ärger werdenden Späße über sich ergehen und lachte pflichtschuldig darüber. Wie es in seinem Inneren aussah verriet er niemandem. Nicht einmal Professor Dumbledore, der die Sache wohl beobachtet hatte und ihn zu sich rufen ließ.
Der weißbärtige Schulleiter sah Harry ernst an und bat ihn, sich zu setzen. „Ich sehe, dass du nicht glücklich bist, Harry. Bedrückt dich etwas? Möchtest du mit mir darüber reden."
Doch der angesprochene Junge schüttelte nur den Kopf. „Nein!", gab er ein wenig trotzig zurück. Was interessierte den alten Mann schon die Probleme seines Schülers. Sicher war er schon oft für ihn da gewesen, aber wie sollte er dem Man erklären, dass er sich wünschte, jemanden zu haben, der ihn vor all dem beschützte, Der ihn in den Arm nahm und festhielt, bis es nicht mehr so weh tat. Schließlich war er bereits siebzehn. Das ist kein Alter, in dem Man sich jemand heulend an die Brust schmeißt. Schon gar nicht seinem Schulleiter.
Doch Dumbledore ließ nicht locker. „Wenn es Probleme mit dem jungen Mister Malfoy gibt, solltest du mich darüber informieren. Ich werde dann das Nötige veranlassen, dass so etwas nicht mehr vorkommt."
Da hatte Harry genug. Wütend blitzte er den Schulleiter an. „Ich kann meine Probleme alleine lösen. Ich brauche niemanden, der mir den Hintern abputzt. Vielen Dank, Professor, aber ich denke, ich gehe jetzt lieber. Wenn Sie mich entschuldigen würden?"
Er stand auf und griff nach der Türklinke. „Wie du meinst, Harry. Doch wenn du es möchtest, habe ich immer ein offenes Ohr für dich. Vergiss das nicht. Jeder braucht Freunde, Harry. Auch du. Denn nur in der Gemeinschaft sind wir wirklich stark."
„Danke, ich werde es mir merken.", murrte der Junge noch und polterte dann die Treppe hinunter. Er fühlte den Blick des weißhaarigen Zauberers auf seinen Schulterblättern brennen, doch er drehte sich nicht noch einmal um. Er wollte nicht, dass der andere seine Tränen sah.
Wieder unten auf dem Gang überlegte er, wo er hingehen sollte. Wieder zurück in den Gemeinschaftsraum? Lieber nicht, denn Hermine würde ihn nur an seine noch ausstehenden Hausaufgaben erinner und Ron platzte schon den ganzen Tag vor Eifersucht, weil das Mädchen einen Brief von Viktor Krumm aus Bulgarien erhalten hatte und sich sehr darüber gefreut hatte.
Harry verstand Ron ja. Er wusste inzwischen, dass sein Freund unglücklich in Hermine verliebt war, sich aber nicht traute, es ihr zu sagen. Aber schließlich konnte der Schwarzhaarige ihm da auch nicht helfen, denn seit der Sache mit Cho war bei ihm im Bezug auf eine Freundin auch nichts gelaufen. Also war er da auch noch genauso unerfahren wie Ron.
Er entschied sich Hagrid besuchen zu gehen, der würde keine blöden Fragen stellen und Harry auch sonst in Ruhe lassen. Vielleicht hatte er auch mal wieder eine merkwürdige Idee für den Unterricht, die den Gryffindor ein wenig amüsieren würde. Schon wieder etwas fröhlicher, machte sich der Junge auf den Weg.
Als er bei Hagrid Hütte ankam, erklang von drinnen gerade die tiefe Stimme des Wildhüters. „Nein Fang, AUS! Lass die Schautafel in Ruhe. Das ist doch nur ein Bild."
Als Harry die Tür öffnete bot sich ihm ein komischer Anblick. Hagrid stand auf einem Stuhl und versuchte ein großes Stück Leinwand an die Decke zu hängen, während sein Hund, Fang, eben dieses Bild mit gesträubten Nackenhaaren anknurrte und sich aber zur Sicherheit lieber in seine Korb verzogen hatte. Aus irgendeinem Grund gefiel das Bild auf dem Plakat dem Tier überhaupt nicht.
Als Harry lachend um den Papierwust herumtrat, verstand er auch warum. Auf der Leinwand spuckte ein riesiger Drach eine Feuergarbe in den Himmel und brüllte dann aus seinem aufgerissenen Maul, so dass man sogar die hintersten seiner rasiermesserscharfen Zähne noch erkennen konnte. Instinktiv wollte der Junge schon nach seinem Zauberstab greifen, als ihm auffiel, dass nicht ein Laut zu hören war, da es sich ja nur um ein Abbild der gefährlichen Kreatur handelte.
Dann stand auf einmal Hagrid neben ihm. „Hey, Harry! Schön dass du vorbeikommst. Gefällt es dir?"Er deutete auf das Plakat auf dem das Fabeltier so eben seine Feuer-und-Brüll-Prozedur wiederholte. Ein magisches Foto also.
„N-nett.", stotterte Harry. Wenigstens war es diesmal kein echter Drache. „Wofür ist das?"
„Na für den Unterricht. Wenn wir die ganze Zeit drinnen hocken, klebt uns irgendwann der Hintern am Stuhl fest. Da dachte ich, ich bring mal ein wenig... wie sagte Hermine noch dazu... Beschauungsmaterial mit." Strahlend betrachtete er den immer noch wütenden Drachen.
„Anschauungsmaterial.", berichtigte der Gryffindor seinen großen Freund automatisch. „Wo hast du das her?"
„Ist heute per Post gekommen. Dumbledore hat es für mich besorgt. Guter Mann, dieser Dumbledore. Meinte aber, das wäre besser geeignet als ein Echter. Obwohl das natürlich nur ein schwacher Abklatsch ist. Du kennst dich ja mit Drachen aus.", dann schlug er dem Schwarzhaarigen auf die Schulter, dass der ein ganzes Stück tiefer sackte.
„Ja, wirklich beeindruckend. Wenigstens beißt der einem nicht gleich den Kopf ab. Aber Hagrid, das willst du doch hoffentlich nicht gleich den Erstklässlern zeigen, oder?"
„Hab ich überlegt.", meinte der Halbriese ein wenig geknickt. „Aber der Professor hielt auch das nicht für eine gute Idee. Müssen halt erstmal mit Nifflern und Bowtruckles zufrieden sein, die armen Kleinen."
„Das wird sicher reichen, Hagrid.", versuchte Harry den anderen zu trösten. Wenigstens lenkte ihn Hagrids Problem ein wenig von seinen eigenen ab. „Nicht jeder hat so einen...äh...erlesenen Geschmack wie du, was Haustiere angeht."
Der Wildhüter lachte. "Ich hoffe für dich, Harry, dass das nicht die Beleidigung war, nach der es klang. Denn sonst kann ich dir leider keine von meinen neuen Weihnachtsplätzchen anbieten."
Das allerdings klang danach, als wäre es einen Streit mit Hagrid wert. Dessen Backkünste waren eher berüchtigt, denn berühmt. Und tatsächlich stand kurz darauf eine Schale mit ziemlich verdächtig aussehendem Backwerk auf dem Tisch und verströmte einen intensiven Geruch nach Zimt und Orangen. Aber wenn man sie vorher ungefähr fünf Minuten in heißem Tee einweichte, waren sie fast lecker.
„Aber wieso schon Weihnachtsplätzchen, Hagrid. Weihnachten ist doch noch lange hin.", mampfte der Gryffindor nach einem halbem, tapfer verzehrtem Plätzchen und suchte nach einer Möglichkeit, den Rest an Fang zu verfüttern.
Der große Mann wurde rot um das wenige von seiner Nase, was unter dem buschigen Bart- und Kopfhaaren noch zu sehen war. „Ich will Olympe, also Madame Maxime, wieder welche schicken. Aber ich krieg das Rezept nicht richtig hin. Fang hat den Rest von dem Zettel gefressen und so langsam gehen mir die Zutaten aus. Aber einige Versuche sind ganz gut, um die großen Planen über den Kürbis-Vorräten festzustecken. Etwas schwer verdaulich das Ganze."
Harry stellte sich lieber nicht vor, wie etwas schmeckte, das Hagrid als ´schwer verdaulich´ bezeichnete. Wahrscheinlich hätte man auch kleine Kinder damit erschlagen können.
Stattdessen sah er zu dem Saurüden hinüber, der immer noch knurrend und zitternd zu dem Foto des Drachen hinüber sah. Er schien wirklich Angst zu haben.
„Eigentlich erstaunlich, wo Hunde doch nur zweidimensional gucken können.", wunderte er sich laut. Das hatte Hermine ihm irgendwann mal erklärt.
Aber Hagrid sah seinen Hund nur an und meinte: „Ist ja auch kein normaler Hund. So schissig kann gar kein Hund sein. Außerdem sieht Fang auch Farben, was Hunde ja angeblich auch nicht könne. Die haben noch nie versucht, den Köter aus einem roten Napf zu füttern, wenn er um´s Verrecken nen grünen will. Da ist noch irgendwas anderes in seinem Stammbaum, das glaub mir mal. Wahrscheinlich ne Wühlmaus, so wie der guckt."
Der große Hund sah sein Herrchen beleidigt an. Harry hätte es nicht geglaubt, wenn er es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte. Der Hund schaute eindeutig vorwurfsvoll, erst auf Hagrid, dann auf das Bild von dem Drachen und dann traf ein hoffnungsvoller Blick den schwarzhaarigen Jungen mitten ins Herz.
Er stand auf und sagte zu Hagrid. „Ich gehe noch mal ne Runde mit ihm, wenn ich darf. Es ist zwar schon dunkel, aber wenn wir am Waldrand bleiben, wir uns schon nichts passieren. Dann kannst du ohne Eile das Ding zusammenpacken und Fang hat seine Ruhe."
„Wie du meinst.", brummte Hagrid. „Ich versuch vielleicht noch mal ein paar neue Kekse. Lange ist es ja nicht mehr. Schließlich ist schon Mitte November."
Harry verließ mit einem sichtlich erleichterten Hund die Hütte, schlang seinen Umhang enger um sich und begann am Waldrand entlang zu gehen. Es war schon ziemlich frostig und der erste Geruch nach Schnee begann langsam in der Luft zu liegen. Aber die Nacht war klar und es machte fast Spaß, hier alleine im ruhigen Dunkel herumzuspazieren. Er blickte Vollmond und den Sternen hinauf und sah eine Sternschnuppe über den fast schwarzen Nachthimmel gleiten. Jetzt hatte er einen Wunsch frei, oder nicht? Aber was wünschte man sich, wenn das Leben so beschissen war wie seines? Jemanden zum Reden und Zuhören. Jemanden, der einen verstand. So jemanden wie Sirius, mit dem man Spaß haben konnte und der einen zum Lachen brachte, wenn man mal schlecht drauf war. Aber der auch etwas reifer war als Ron, der ja eigentlich Harrys bester Freund war. Doch wie sollte er dem Rothaarigen jemals erklären, wie es war, wenn man sich völlig alleine gelassen fühlte. Ron hatte schließlich noch seine gesamte Familie, von denen immer jemand da war.
Der große Saurüde schnüffelte hier und da vor Harrys Füßen auf dem Boden herum. Dann blieb er auf einmal stehen und hob die großen Schlappohren ein wenig in die Höhe.
„Was ist denn, Fang?", fragte Harry ein wenig beunruhigt. Schließlich wusste man nicht, was da so alles im Dunkel des Verbotenen Waldes lauerte. „Ist doch bestimmt nur ein Kaninchen, nicht wahr, alter Junge."
Wen versuchte er hier eigentlich zu beruhigen? Sich oder den Hund? Doch das Tier schien gar keine Angst zu haben, denn er knurrte nicht, sondern wedelte im Gegenteil mit dem Schwanz. Neugierig versuchte der Junge im Dunkel was zu erkennen, denn Fang zerrte nun an seiner Leine und wollte unbedingt ins dichte Unterholz vordringen.
„Also gut.", sagte der Gryffindor zu dem Hund. „Aber nicht so weit, dass wir den Waldrand nicht mehr sehen, klar?"Dann fasste er die Leine fester und folgte dem ungeduldig drängenden Tier ins Dickicht. Er sah auf einen Schlag fast gar nichts mehr und musste sich auf Fangs Spürsinn verlassen, da der Wald jegliches Licht zu verschlucken schien.
Doch dann sah er einen sehr schwachen Schein vor sich im Dunkel. Eher ein zartes Leuchten, denn ein richtiges Licht. Was war das? Ein Irrlicht? Nein, dazu war es zu groß. Außerdem musste dazu ein Fluss oder ein Moor in der Nähe sein, und der Boden war trocken.
Vielleicht ein Einhorn? Dann musste er vorsichtig sein, denn diese Wesen reagierten manchmal sehr ungehalten auf ungebetene Besucher. Aber da er diese stolzen Tiere ebenso wie viele Mädchen sehr schön fand, was er aber nie offen zugegeben hätte, schlich er leise näher.
Der anfangs schwache Schein, wurde immer deutlicher und Harry sah, dass er sich auf einer Lichtung befand. Dort stand eine Gestalt im Mondlicht, aber es war kein Einhorn.
Harry hielt den Atem an.
Dort stand ein Wesen auf zwei Beinen, an dessen Rücken sich zwei große, weiße Flügel befanden. Es schien etwas zu suchen. Immer wieder bewegte es den Kopf nach rechtes und links.
Als es sich schließlich umdrehte, weiteten sich die Augen des Gryffindors.
„AH!", machte er noch und dann blieb ihm die Luft weg.
