Kapitel 8: Erster Unterricht
„Grundgütiger! Was ist denn hier los?"
Als Rufus nur wenige Stunden später durch lautes Rufen und einem unsanften Schütteln an seinen Schultern geweckt wurde, glaubte er, sich in einem Alptraum zu befinden.
„Rufus! Wach auf! Rufus! Aufwachen! Was ist denn nur los mit Euch?" Benebelt registrierte er, dass die ziemlich besorgt klingende Stimme zu Melinda gehörte.
„Mum?", murmelte er verschlafen, als er zu seinem Ärger feststellte, dass er keineswegs träumte. „Was ist denn? Warum weckst du mich mitten in der Nacht?" brabbelte er unwillig in seine Decke, und versuchte sich umzudrehen um weiterschlafen zu können.
Doch er kam nicht dazu wieder sanft in das Land der Träume zurückzuschweben, als er erneut gerüttelt, an der Schulter gepackt und wieder auf den Rücken gedreht wurde. Zu allem Überfluss zog sie ihm jetzt auch noch die Decke weg.
„Hast du etwa in deinen Kleidern geschlafen? Mitsamt deinem Umhang… und Schuhen?", kam nun Melindas überraschte Stimme.
Rufus rieb sich die Augen und versuchte sie zu öffnen, doch viel mehr als ein Blinzeln brachte er nicht zustande, denn die fröhlich durch das Fenster lächelnde Sonne schien ihm direkt ins Gesicht. Augenblicklich bekam er davon Kopfschmerzen. Er setzte sich missmutig auf, schlug sich seine Hände vor die Augen, die Ellbogen dabei auf seine Knie aufgestützt und schüttelte ungläubig den Kopf. Nur langsam wurden seine Gedanken klarer.
„Wie spät ist es?"
Melinda saß mit überkreuzten Beinen auf seinem Bettrand, seufzte und schwang ihren Zauberstab. Durch seine Finger hindurch konnte Rufus erkennen, dass sie mit seinen Zimmergenossen weitaus weniger zimperlich umging als mit ihm, denn aus ihrem Zauberstab schoss Wasser, welches sie auf die Gesichter der Noch-Schlafenden spritzte. Vermutlich war es eiskalt, denn seine Kameraden fuhren schreiend in ihren Betten hoch. Sie wuschelte Rufus durch sein zerzaustes Haar, lächelte schelmisch, und stand auf.
„In allerspätestens fünf Minuten seid ihr fix und fertig unten im Gemeinschaftsraum, sonst geht es euch noch weitaus schlechter, klar? Ich für meinen Teil gehe jetzt die Mädchen wecken. Im Übrigen ist es bereits", sie sah kurz auf ihre Uhr, „zwei Minuten nach neun." Sie stand auf und ging hinaus. Kurz nachdem die Tür ins Schloss gefallen und ihre Schritte nicht mehr zu hören waren, drehte sich Rufus erneut zu den anderen um. Sie sahen ihn erschrocken an und er stellte fest, dass auch von ihnen es keiner mehr geschafft hatte, sich am frühen Morgen seine Schlafsachen anzuziehen, geschweige denn die Vorhänge zuzuziehen.
Seamus fing sich als Erster wieder. „Verflucht! Das gibt Ärger!"
Sein Fluchen und die Erkenntnis, das das tatsächlich Ärger bedeutete, an ihrem ersten Schultag zu spät in den Unterricht zu kommen, fielen sie eher aus ihren Betten, als dass sie aufstanden, packten eilig einige Schulsachen in ihre Taschen, und beeilten sich, so wie sie waren, nach unten zu kommen.
Melinda war ebenfalls gerade die Treppe zum Mädchenschlafsaal heruntergekommen und rückte nun mit Hilfe ihres Zauberstabes einige Sessel in einen Kreis um einen Tisch zusammen, schwor eine Platte Sandwichs, eine große Kanne Kaffee und einige Tassen herauf, und bedeutete ihnen mit einem Wink, sich zu setzen. Dankbar und mit äußerst schlechtem Gewissen setzten sie sich und nahmen sich von dem dampfenden Kaffee. Sie sprachen nicht, bis auch die Mädchen herunterkamen, die überrascht darüber waren, die Jungs beim Frühstück vorzufinden.
„Ich gebe euch zehn Minuten, bevor ich euch in euren Unterricht jage", sagte Melinda und teilte ihnen ihre Stundenpläne aus, bevor auch sie sich in einen der Sessel setzte, ihre Beine übereinander schlug und ihre Arme kreuzte. Irgendwie gelang es ihr nie wirklich, einen strengen Gesichtsausdruck hinzubekommen, versuchte es aber dennoch. Sie zog hörbar die Luft ein und seufzte.
„Gut, und nun erklärt mir bitte folgendes: Was, bei Merlins Barte, habt Ihr heute Nacht getrieben? Und wieso war kein einziger von Euch in der Lage wenigstens noch seine Schuhe auszuziehen? Professor McGonagall bat mich nach dem Frühstück darum, nach euch zu sehen, denn sie musste in ihren Unterricht, und… Rufus?" Sie sah ihn erstaunt an, als er ihr in die Augen sah und mit einem gequälten Grinsen eine Hand hob.
„Allerdings, Mum", er wusste, dass es keinen Zweck hatte seine Mutter zu belügen. Und das war auch überhaupt nicht nötig, da es hier nicht allein um ihn ging. Melinda, als Sirius Witwe, war in diese Angelegenheit genauso unausweichlich miteingebunden wie er selbst.
„Ich höre", sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und wartete.
Er seufzte und lehnte sich, seine Kaffeetasse in beiden Händen haltend, auch in seinem Sessel zurück und begann stockend und mit trauriger Stimme zu erzählen.
„Es war alles meine Schuld. Die fette Dame verwechselte mich gestern Abend mit Dad und flüchtete daraufhin laut kreischend. Und du weißt doch, dass Ron Weasley und Hermine Granger die ausdrückliche Anweisung hatten, über die ganze Sache mit Dads Flucht und diesem Hippogreif Stillschweigen zu bewahren. Sie erzählten es lediglich Neville, weil er in der Befragungskammer im Ministerium dabei war. Als Parvati jedenfalls mitbekam, wer mein Dad war, bekam sie doch tatsächlich Angst vor mir und behauptete, Dad sei ein Diener Voldemorts gewesen. Sollte ich das auf sich beruhen lassen? Von Professor McGonagall ließ sich die fette Dame schließlich davon überzeugen, uns einzulassen, und da wir allein waren, bestand ich darauf, dass auch die Anderen nun alles wissen sollten. Nun, es war eine verflucht lange Geschichte… weißt du ja selbst. Wir wir haben die ganze Nacht darüber geredet und sind erst um sechs Uhr heute Morgen schlafen gegangen."
„Ich verstehe", sagte Melinda nur und sah nun beinahe ebenso traurig aus, wie er. Sie wartete einige Minuten, ehe sie mit einem leichten Lächeln wieder aufstand. „Ich weiß, das war nur ein kurzes Frühstück, dennoch muss ich euch jetzt in euren Unterricht scheuchen. Marsch! Marsch!"
Nachdem sie durch das Portraitloch in den Korridor geschlüpft waren, nahm Melinda Rufus noch einmal kurz in den Arm und wuschelte ihm wieder durch sein immer noch zerzaustes Haar. „Bis später, mein Schatz", sagte sie und wandte sich in die entgegen gesetzte Richtung.
Während sie in die Eingangshalle hetzten, drängte sich Seamus neben Rufus. „Wow, du hast echt eine tolle Mum, Rufus."
„Aber es war nicht alles deine Schuld", warf Parvati schnell ein. „Ich bin wirklich sehr froh darüber, dieses Gespräch geführt zu haben. Auch, wenn ich es immer noch nicht so richtig glauben kann, so hat es doch vieles erklärt und…"
„Wir hätten vielleicht schon viel früher darüber sprechen sollen", gab nun auch Ron zu, doch Rufus drehte sich schnell zu ihm um und blieb stehen, so dass Ron beinahe in ihn hineingelaufen wäre.
„Nein, Ron. Ihr durftet nicht darüber sprechen und habt nur Anweisungen befolgt. Ich verstehe, dass dieses Gespräch gestern sehr schwer für euch war, denn das war es auch für mich. Ich verstehe, dass Parvati kurzfristig Angst vor mir hatte, denn ich bin mir durchaus bewusst darüber, dass es noch vielen weiteren Leuten hier in Hogwarts ähnlich gehen wird. Mein Dad gilt noch immer als Massenmörder und niemand weiß, dass er verunglückt ist. Dennoch bitte ich euch", und sah dabei in die Runde, da sie nun alle kurz stehen geblieben waren und Rufus ansahen, „niemandem etwas von unserem Gespräch zu erzählen. Es reicht, dass wir es wissen. Und die Schuld könnt ihr auch beruhigt mir in die Schuhe schieben, das kostet uns vielleicht die wenigsten Hauspunkte. Wollt ihr alle Punkte abgezogen bekommen? Es reicht doch, wenn einer dafür bestraft wird."
„Klingt ja schön und gut, aber ich fürchte, das wird uns niemand glauben", sagte Hermine und schüttelte ungläubig den Kopf.
Rufus grinste sie an. „Kommt auf den Versuch an, meinst du nicht?"
„In Ordnung", sagte nun Neville und trat näher zu ihm heran, „wir sagen es tut uns leid, aber Rufus hat uns aufgehalten. Wir sehen uns dann später in Zauberkünste wieder. Und wenn nicht da, können wir spätestens beim Mittagessen reden. Aber jetzt sollten wir uns beeilen, was habt ihr jetzt?"
Hermine schlug sich die Hand vor die Stirn und stöhnte: „Zaubertränke bei Snape!" Seamus und Rufus nickten und meinten im Chor: „Ich auch."
Ron lachte. „Na, dann viel Spaß. Es scheint, dass du es dir mit Snape schon an deinem ersten Tag verscherzt. Und zwar ordentlich!"
„Damit hat er nicht ganz Unrecht, weißt du? Verdammt", fluchte Hermine nun, „warum hab ich mir bloß meinen verfluchten Wecker nicht gestellt! Snape kann höllisch sauer werden, los renn! Worauf warten wir noch?"
Hermine und Seamus sahen geschockt aus, packten Rufus nun links und rechts an den Armen und rannten los.
Vor dem Kerker angekommen holten sie noch einmal tief Luft, ehe sie zaghaft klopften, nur um augenblicklich fürchterlich zusammenzuzucken, als die Tür mit einem Donnerschlag aufflog. Mit beschämt gesenkten Häuptern gingen sie zögernd hinein und setzten sich eine leise Entschuldigung murmelnd auf die hintersten Plätze. Professor Snape rauschte sofort zu ihnen herüber, während er abermals seinen Zauberstab schwang und die Tür mit einem weiteren Donnerschlag wieder ins Schloss flog. Dicht vor ihrem Tisch blieb er stehen.
Seine finstere Miene erinnerte Rufus zurück an die Zeit, bevor sie sich ausgesprochen und Freundschaft miteinander geschlossen hatten. Der blanke Hass stand ihm in seine tiefschwarzen Augen geschrieben, und ließ Rufus unweigerlich einen kalten Schauer den Rücken hinunterlaufen. Die Blicke aller restlichen Schüler waren nun gebannt auf sie gerichtet.
„Würden Sie mir erklären, wie es drei Gryffindors nur gelingen kann, über eine halbe Stunde zu spät in meinem UTZ-Kurs zu erscheinen; zudem noch an ihrem ersten Schultag?" Betroffen registrierte Rufus, dass es auch die gleiche hasserfüllte Stimme war, an die er sich aus seinem früheren Leben nur noch zu gut erinnern konnte. Ohne es zu wollen, fühlte er sich schmerzlich um Jahre zurückversetzt.
Er hob sofort die Hand und versuchte, Severus tiefer in die Augen zu sehen, um eventuell ein Gefühl ausmachen zu können, aber es war zwecklos; bei ihm hatte er dies bislang noch nicht geschafft. „Es war meine Schuld, Sir. Es tut mir leid, es wird nicht wieder vorkommen." Er meinte es aufrichtig und genau so, wie er es sagte, doch Snape beugte sich nun mit seinem Gesicht so weit zu Rufus herunter, dass er seinen Atem deutlich spüren konnte.
„Dachte ich es mir doch, Black", fauchte er ihm triumphierend entgegen, „wie der Vater, so auch der Sohn, nicht wahr?" Er richtete sich wieder zu seiner vollen Größe auf, drehte sich um und lief mit wehendem Umhang zurück zu seinem Schreibtisch, wo er sich mit einem vernichtenden Blick wieder den Gryffindors zuwandte.
„20 Punkte Abzug für Gryffindor, für unentschuldigtes Zuspätkommen und aufsässigem Verhalten einem Lehrer gegenüber. Für jeden von euch. Und für die nächsten vier Wochen Strafarbeit für Black, jeden Dienstag nach dem Abendessen", schnarrte er leise, doch seine Worte hallten an den Kerkerwänden deutlich wider.
Nun beugte Rufus sich leicht nach vorne, seine Hände in einer verständnislosen Geste vor sich auf dem Tisch liegend. „Sir", meldete er sich entrüstet, während er spürte, wie langsam der alte Zorn auf diese ungerechte Behandlung wieder in ihm aufstieg, „was soll das? Ich allein trage die Schuld für unser Zuspätkommen und habe mich gerade bei Ihnen dafür entsch…"
„Ich kann mich nicht erinnern, Ihre Hand oben gesehen zu haben, geschweige denn Sie zum Sprechen aufgefordert zu haben, Black!", unterbrach ihn Snape. „Aufstehen!"
Rufus fuhr so schnell von seinem Stuhl auf, dass dieser mit einem Knall nach hinten kippte und er Hermine neben sich erschrocken aufkeuchen hörte. Snape kam mit wehendem Umhang abermals zurück an seinen Tisch und nun standen sie sich direkt gegenüber, leicht nach vorne gebeugt, beide ihre Hände auf dem Tisch abstützend und sich dabei wütend anstarrend. Die Luft war zum Zerreißen gespannt, man konnte die Aufregung der anderen Schüler deutlich spüren.
„Dann wollen wir doch mal sehen, wie schlau Sie nun wirklich sind, ich glaube nämlich kein Wort von dem, was mir als Ihr sogenanntes Zeugnis vorgelegt wurde."
„Fein!", giftete Rufus nun zurück in das Gesicht seines Lehrers. Er hatte zwar keine Angst vor diesem Mann, aber er fragte sich nun ernsthaft, ob man derart viel Hass wirklich spielen konnte. Was war nur passiert, mit jenem Severus Snape, der ihm in den vergangenen Monaten immer mehr ein Freund geworden war? Doch es blieb ihm keine weitere Sekunde Zeit, darüber nachzudenken.
„Was kommt dabei heraus, wenn man, gemahlene Fledermauszähne, Mondsteinpulver und Gänseleber miteinander vermischt?"
„Der Wolfsbanntrank. Allerdings wäre einfaches Vermischen völlig sinnlos und es gehören noch..."
„Was ist die wichtigste Zutat zur Herstellung des Veritaserums?"
„Drei Gramm Netzgewebe einer schwarzen Witwe."
„Für welche Tränke wird das Gift eines Basilisken benötigt?"
„Der einzige Trank für den man es überhaupt verwenden kann, ist der Athrymiatrank."
Seine Antworten waren wie aus der Pistole geschossen gekommen und mit Genugtuung stellte er fest, dass seinem Professor nun keine Fragen mehr einzufallen schienen und sämtliche Mitschüler ihn überrascht anstarrten. Selbst den überheblichen Slytherins schien das gehässige Grinsen vergangen zu sein. Doch einen Augenblick später hatte Severus bereits wieder seine Worte gefunden.
„Ausnahmsweise werde ich Sie für Ihre Frechheit heute noch nicht aus meinem Kurs werfen. Doch lassen Sie sich gesagt sein, dass ich dies jederzeit nachholen kann. Zudem fällt der Athrymiatrank unter schwarze Magie, und auch über die Herstellung von Veritaserum dürften Sie überhaupt nichts wissen. Ihre Strafarbeit wird hiermit auf weitere acht Wochen ausgeweitet, außerdem ziehe ich Gryffindor weitere 10 Punkte ab."
„Das können Sie nicht machen!", schrie Rufus ihn nun an. „Bei aller Freundschaft", dachte er sich, „geschauspielert ist das nicht mehr." Was ist nur in Severus gefahren, dass er heute so verdammt viel Hass in seinen Augen hat und ihn, Rufus, derart fertig machen will. Er war nun für einen Moment so zornig auf Snape, dass er nicht einmal bemerkte, wie er seine Hände wütend zu Fäusten ballte, sie abermals auf den Tisch schlug und in diesem Augenblick einige Gläser aus Snapes Vorratsregalen an der Wand explodierten und sich deren schleimiger Inhalt über den Boden ergoss. „Wofür denn?"
„Für Ihre unverschämte Arroganz. Und zügeln Sie gefälligst Ihr Temperament, Black, denn sonst ziehe ich Ihnen noch weitaus mehr Punkte ab! Setzen!"
Sie standen nun so weit nach vorne gebeugt, dass sich ihre Köpfe beinahe berührten. Rufus sah Snape noch immer direkt in die Augen und sein Atem ging so schnell als wäre er gerade gerannt, als etwas passierte, was Rufus für einige Sekunden völlig überforderte und er sogleich sehr froh darüber war, dass er sich gerade auf dem Tisch abstützte. Er war sich im Nachhinein ziemlich sicher, ansonsten umgefallen zu sein, so sehr überraschte ihn das was nun kam. Er hörte eine Stimme in seinem Kopf sprechen, die eindeutig nicht seine eigene war. Im Gegenteil, diese Stimme hörte sich an wie die von Severus, nur, dass dieser in diesem Augenblick keinesfalls seine Lippen bewegte. „Hmmh! Er ist ein besserer Schauspieler, als ich dachte!"
„Ist so etwas möglich?", dachte er für den Bruchteil einer Sekunde, während der aufgestaute Zorn mit einem Mal wieder völlig verschwunden war uns sich stattdessen grenzenlose Erleichterung in ihm ausbreitete. Ohne darüber nachzudenken was er eigentlich tat, strengte er sich an, wie nie zuvor in seinem Leben, und konzentrierte sich verzweifelt darauf, direkt in Severus Augen hineinzudenken. „Oh, ja. Das war eine Glanzleistung, nicht wahr?"
Falls es überhaupt jemals möglich war, Snapes ohnehin schon blasses Gesicht noch Farbe verlieren zu sehen, dann war das hier der Fall. „Darüber sprechen wir später!" hörte Rufus ihn noch einmal in seinen Gedanken sprechen, bevor er sich langsam setzte, ohne jedoch den Blick von Severus abzuwenden. Dieser drehte sich nach einem weiteren Moment mit einer triumphierenden Miene um und ließ seinen Blick über die restliche Klasse schweifen.
„Was ist", blaffte er die anderen Schüler an, „sind eure Tränke denn schon fertig? Ich werde sie später alle benoten!"
Sie zuckten merklich zusammen und machten sich eilig wieder an die Arbeit. Sogar die Slytherins waren zu geschockt über Rufus aufsässiges Verhalten und versuchten nicht einmal ansatzweise einen Witz darüber zu reisen. Snape ließ sich hinter seinem Schreibtisch auf den Stuhl fallen, schwang seinen Zauberstab und die zerbrochenen Gläser erhoben sich wieder wie neu an ihre gewohnten Plätze im Regal, während deren schleimiger Inhalt verschwand. Der Rest der Stunde verlief schweigsam und ruhig, wie es Rufus auch aus seinem früheren Leben gewohnt war. Doch am Ende brachten die Gryffindors ihre Tränke natürlich nicht fertig. Durch ihre Verspätung und die darauf folgende Auseinandersetzung hatten sie einfach zu viel Zeit verloren. Sie gaben lediglich ihre halb fertigen Tränke, die sie feinsäuberlich in kleine Phiolen gefüllt und anschließend beschriftet hatten, bei Snape ab und sahen zu, dass sie den Kerker schnellstmöglich verließen.
„Siebzig Hauspunkte", stöhnte Seamus und klopfte Rufus auf den Rücken, während sie die Treppen aus dem Kerker wieder hinauf in die Eingangshalle stiegen, „aber es hätte schlimmer kommen können. Sei froh, dass er dir für deinen Ausbruch nicht hundert Punkte extra abgezogen hat."
Rufus grinste gequält. „Noch wissen wir nicht, wie die anderen davongekommen sind."
„Oh, Neville und Ron haben bei Professor Toft gute Chancen ungeschoren davonzukommen", sagte Hermine schnell und fand sogleich ihr Lächeln wieder, „ich helfe den beiden immer bei ihren Aufsätzen für Muggelkunde."
„Muggelkunde?" Rufus war überrascht, warum sollte Ron Muggelkunde belegen?
„Ja, nun. Eigentlich wollten Harry und Ron Zaubertränke belegen. Für ihr Aurorentraining… später." Nun war das Lächeln um Hermines Mund wieder verschwunden und sie sah sehr betrübt aus. „Allerdings hat Ron die Anforderungen nicht erfüllt und Harry…"
„Schon gut", fiel ihr Rufus sofort ins Wort und legte einen Arm um sie. Er zog ihn jedoch sofort wieder zurück, als er ihren gequälten und überraschten Blick daraufhin sah. „Es tut mir leid."
„Nein, schon gut." Sie sprach nun schnell mit einem leicht hysterischen Tonfall, den er so gar nicht von ihr kannte. „Du kannst nichts dafür", und wischte sich schnell eine Träne aus dem Gesicht, als wolle sie sich im Moment nicht daran erinnern und versuchte sich zusammenzureißen.
„Was haben wir jetzt?", versuchte Seamus schnell vom Thema abzulenken, was die beiden sofort dankbar aufgriffen.
„Zauberkunst", kam nun von Rufus und Hermine im Chor.
„Oh, bestens, einer der wenigen Kurse, der noch wirklich Spaß macht."
Zauberkunst bei Professor Flitwick verlief ohne besondere Vorkommnisse und war im Gegensatz zu Zaubertränke die reinste Erholung. Sie waren die Ersten gewesen, die das Klassenzimmer erreicht hatten, und Rufus hatte ganz vergessen, dass sie fast alle Kurse mit den anderen drei Häusern gemeinsam hatten. Die Schüler, die während der Zaubertränkestunde dabei gewesen waren, flüsterten nun aufgeregt denen, die den Streit nicht mitbekommen hatten, zu, was sich in der Stunde zuvor im Kerker zugetragen hatte.
Der kleine Professor bemerkte von alledem natürlich nichts und hüpfte entzückt von seinem Bücherstapel, als er sah, dass Hermine und Rufus es schafften, nach nur einem Versuch einen Kelch herauf zu beschwören, applaudierte und wies die anderen an, genau dabei zuzusehen, wie sie ihre Kelche wieder verschwinden ließen. Daraufhin mussten sie eine Tanne, gefüllt mit Tee heraufbeschwören und am Ende schaffte dies nur Rufus, während die Kanne von Hermine leer blieb. Während Professor Flitwick völlig aus dem Häuschen war und ihnen insgesamt 25 Hauspunkte für diese Glanzleistung gab, bedachte Hermine Rufus mit weiteren, äußerst seltsamen Blicken.
Nach Zauberkunst war Mittagspause. Die Gryffindors beeilten sich, schnell aus dem Klassenzimmer zu verschwinden, um zum Mittagsessen in die Große Halle zu kommen. Schon während des Unterrichts hatte man deutlich ihre Mägen knurren hören. Rufus ging etwas langsamer hinter ihnen, als Draco Malfoy ihn einholte und gerade an ihm vorbeigehen wollte, ohne sich umzusehen.
„Hey Draco", sagte Rufus und tat so, als klänge es total beiläufig.
Draco drehte sich mit überraschter Miene zu ihm herum und wurde seinerseits nun ebenfalls langsamer. „Was ist?"
„Wie, was ist? Darf ich dich jetzt nicht mehr grüßen?" Rufus zog seine Augenbrauen hoch, und musterte ihn nun ebenfalls bemüht überrascht.
„Ähm, ich denke, das wäre keine sehr gute Idee. Du bist in Gryffindor!" Aus Dracos Mund klang das nun fast wie eine Anschuldigung, aber Rufus wollte auf jeden Fall und kostete es all seine Beherrschung, in diesem Leben Draco Malfoy nicht als Feind gegenüber stehen. Er war sich sicher, eines Tages würde sich das auszahlen und er musste ihn ja nicht gleich zum Freund haben.
„Na und? Dennoch bin ich ein Mensch, oder nicht? Mehrere Schüler waren stehen geblieben und sahen ihnen überrascht nach. Einen Slytherin mit einem Gryffindor miteinander sprechen zu sehen, endete meistens in einem Duell oder wurde von einem Lehrer gerade noch rechtzeitig vor einem solchen gerettet.
Draco blieb stehen. „Hör mal, ich hätte nicht gedacht, als ich dich das erste Mal im Zug gesehen habe, dass die Wahrscheinlichkeit bestehen könnte, dass der Hut dich nach Gryffindor schickt. Das ist alles. Vergiss es einfach, in Ordnung?"
Rufus wandte sich zu Draco um und baute sich direkt vor ihm auf. Mit einem Finger zeigte er direkt auf dessen Brust; er wusste, er würde nun etwas überzeugender werden müssen.
„Oh, nein. So leicht kannst du mich jetzt nicht mehr abschütteln, klar? Du hast mir die Hand gegeben und ich hab sie genommen. Und deshalb nehme ich mir auch das verdammte Recht raus, mit dir sprechen zu können ohne beleidigend zu werden. Wir sind hier vier Häuser, doch nur eine verdammte Schule. Wir gehen zusammen in einige Kurse und werden uns zwangsläufig über den Weg laufen. Und wenn du nicht gerade auf der dunklen Seite des Krieges in diesem Land stehst, werden wir verdammt noch mal auch an einem Tisch miteinander in der Bibliothek sitzen und unsere Hausaufgaben erledigen können, ohne darauf zu achten, in welches verfluchte Haus wir gehören."
Draco sah sich nun unruhig zu den anderen Schülern um; es war nun vollkommen still geworden in diesem Korridor, obwohl er voller Schüler war. Alle sahen ihnen nun gebannt zu, den Atem anhaltend und darauf wartend, was jetzt passieren würde. „Können wir das ein andermal diskutieren?"
„Nein. Ich will eine Antwort. Und zwar hier und jetzt", ohne Draco die Pistole auf die Brust zu setzen, würden sie hier nicht weiterkommen, das wusste er. Rufus hoffte natürlich, dass Draco zumindest jetzt einlenkte, obwohl er wusste, dass der Slytherin auf Voldemorts Seite stand, auch wenn er das niemals derart öffentlich zugeben würde. Es würde sicher viel Gerede darüber geben, dennoch könnte das das zukünftige Zusammenleben in dieser Schule deutlich erleichtern.
Draco ließ sich Zeit, er überlegte beinahe eine halbe Minute lang, so dass Rufus inzwischen glaubte, die Räder in dessen Kopf bereits rotieren hören zu können. Dann schließlich seufzte der silberblonde Junge vor ihm und legte ihm seine Hand auf die Schulter. „Na gut, Black. Du sollst deine Chance bekommen, aber bilde dir nicht allzu viel darauf ein, klar? Ich stehe hier lediglich zu meinem Wort, kann das aber jederzeit wieder ändern", er machte eine kurze Pause und schüttelte ungläubig grinsend den Kopf, „ich glaub es ja gar nicht, ich rede mit einem Gryffindor. Gehen wir nun zum Mittagessen?"
„Aber sicher doch, ich sterbe fast vor Hunger", sagte Rufus, und nebeneinander liefen sie den Korridor entlang und die Treppe hinunter Richtung Eingangshalle.
„Starke Leistung übrigens", ließ Draco nun aus dem Mundwinkel heraus verlauten.
„Was meinst du?", fragte Rufus überrascht nach.
„Wie du mit Snape gesprochen hast, das hat sich in dieser Schule noch kein Schüler getraut, und deine Beschwörung in Zauberkunst war auch nicht schlecht. Scheinst einen klugen Kopf zu haben, du könntest glatt eine Konkurrenz für die Granger werden."
Die Tische in der Großen Halle waren bereits zum größten Teil besetzt und viele Augenpaare wandten sich ihnen nun interessiert zu.
Es wurde augenblicklich still.
„Aber nicht, dass du jetzt denkst… nun, ich kann auch nicht alles. Und dein Zaubertrank war immer noch um Klassen besser als meiner."
„Ja", begann Draco jetzt zögernd und blieb am Tisch der Slytherins, der näher bei der Tür war, stehen, „du hattest auch nicht annähernd genügend Zeit, oder? Na, wir werden sehen. Guten Appetit."
Rufus grinste. „Bis später dann", wandte sich von ihm ab und ging nun seinerseits an den Tisch der Gryffindors. Augenblicklich setzte ein großes Gemurmel in der Großen Halle ein, und Rufus fühlte sich wie in alte Zeiten seines früheren Lebens zurückversetzt.
„Was war das denn?" fragte Ron mit vollem Mund, den Blick überrascht und angeekelt auf Rufus gerichtet, „du redest mit DEM?"
„Ja, und?"
„Ja, und? Rufus! Er ist ein Slytherin! Denen kann man nicht zwei Meter über den Weg trauen, und sein Vater ist ein Todesser!"
„Weiß ich" Rufus wusste, das Gespräch würde nichts bringen und war deshalb nur kurz angebunden.
„Was hast du vor?", wollte Seamus nun von ihm wissen.
„Nicht hier. Ich habe meine Gründe, das sollte euch vorläufig genügen. Zu was anderem: wie ist es bei euch gelaufen?"
„Ganz gut", meinte nun Neville, „keine Hauspunkte. Professor Toft hat uns die Geschichte abgekauft."
Rufus entging nicht, wie misstrauisch er nun von den Gryffindors betrachtet wurde. „Prima", lächelte er Neville nun gut gelaunt an, „Runde eins ging somit an uns."
„Und was ist dann Runde zwei? Willst du dich mit den Slytherins verbrüdern? Das sind Diener von Du-weist-schon-wem. Willst du auch ein Todesser werden?" fragte Ron nun gereizt. „Ich kenne dich zwar erst seit einem Tag, aber nach gestern hatte ich eigentlich gedacht, ich wüsste, auf welcher Seite du stehst."
Rufus sah Ron nun finster an. Unwillkürlich stieg der Zorn wieder in ihm hoch, als er giftig zurückzischte: „Ich sagte bereits, NICHT HIER! Wie wäre es, wenn wir das Gespräch in unserem Turm fortsetzen, als mitten in der Großen Halle, wo jeder uns hören kann? Wie dämlich kann man eigentlich sein?"
„Hört auf euch zu streiten, Jungs! Wir sind alle nicht ausgeschlafen und gereizt. Und wir haben noch genügend Gelegenheiten uns ungestört zu unterhalten", sagte Hermine beschwichtigend zu Ron, während sie ihn beruhigend am Arm packte und Rufus einen weiteren undefinierbaren Blick zuwarf. Rufus versuchte auch ihr in die Augen zu sehen und ein Gefühl darin auszumachen, konnte jedoch nur Neugier und Unglauben darin sehen.
Während des restlichen Essens sprachen die Gryffindors nur noch belangloses Zeug, aus dem Rufus sich größtenteils heraushielt. Er beeilte sich beim Essen und als sein Teller leer war, stand er auf und ging schnurstracks, ohne sich noch einmal umzudrehen, hinaus. Sein Ziel war die Bibliothek. Hier hatte er in den vergangenen Sommerferien viel Zeit verbracht, doch noch immer nicht gefunden, wonach er so verzweifelt suchte. Erschwerend kam jetzt noch hinzu, dass er nach einem weiteren Buch suchte, um mehr über die Gabe des Trumpfes herauszubekommen. Würde er in dieser Bibliothek denn jemals fündig werden?
Beinahe eine halbe Stunde lang stöberte er durch die endlosen Regale, mit ihren meterhoch gestapelten, verstaubten Büchern. Hier und da zog er ein Buch heraus, blätterte es interessiert durch und stellte es schließlich resigniert wieder hinein. Er seufze und setzte sich lustlos an einen der hintersten Tische. So würde er nicht weiterkommen. Er zog seine Tasche heran und begann gerade seine erste Hausaufgabe, einen Aufsatz über Schlaftränke für Professor Snape, auf ein Pergament zu schreiben, als Hermine sich zu ihm setzte.
„Du machst Hausaufgaben? Jetzt schon?", fragte sie ihn mit ungläubiger Miene.
„Warum nicht? Besser gleich, dann hab ich es hinter mir und mehr Zeit für wichtigere Dinge. Was machst du hier?", erwiderte er beinahe eine Spur zu schroff, was ihm sofort wieder leid tat.
„Dasselbe. Nur, dass ich normalerweise die einzige um diese Zeit hier bin, die das tut."
Rufus sah auf. Sie sah ihn wieder mit diesem undefinierbaren Blick an, den Rufus noch immer nicht wirklich zu deuten wusste. „Schön. Ich hatte schon befürchtet, Hogwarts klügste Hexe kommt zum Abschreiben", grinste er sie an, was ihr wiederum einen leicht beleidigten Gesichtsausdruck entlockte.
„Gerade mal einen Tag hier, und die ganze Schule spricht über dich. Es hat sich herumgesprochen, dass du Thestrals sehen kannst, dass alle Gryffindors der siebten Stufe deinetwegen heute Morgen verschlafen haben. Die Tatsache, dass du Snape in deiner ersten Stunde bei ihm angeschrieen hast, hat beinahe schneller die Runde gemacht, als die Fragen, die du ihm alle scheinbar richtig beantworten konntest. Ich bin vielleicht die klügste Hexe in Hogwarts, mag sein, dennoch hätte ich nicht eine dieser Fragen auch nur annähernd korrekt beantworten können, woher weißt du das? In Zauberkunst beschwörst du ohne Probleme eine Kanne Tee herauf und der ist auch noch heiß. Und zu guter Letzt giftest du Draco Malfoy vor allen Leuten im Korridor an, er solle in deiner Gegenwart gefälligst friedlich sein und das tut er auch noch. Du bist wirklich ein seltsamer Vogel, Rufus Black."
„Mag sein. Und was soll ich dir jetzt darauf antworten? Was willst du wissen?"
„Zum Beispiel wüsste ich gerne, wie viele ZAG´s du hast."
„Ach das ist es. Hogwarts klügste Hexe hat Angst, sie könnte Konkurrenz bekommen? Ich denke, ich kann dich beruhigen, ich bin sicher nicht Hogwarts klügste Hexe."
„Ha ha!", erwiderte sie trocken. „Los, sag schon."
Fortsetzung folgt!
Autornote: Vielen lieben Dank, für Eure lieben Reviews! Ich habe mich wieder sehr darüber gefreut. Ich hoffe sehr, dieses Kapitelchen war diesmal nicht zu kurz und hat Euch auch wieder genauso gut gefallen, wie die Geschichte bislang. Ich knuddel Euch ganz arg!
Review-Antworten
sternchen: Danke, meine Liebe! Ich hoffe, mit dem weiteren Verlauf bist du auch noch so glücklich, und ich übertreibe es nicht zu sehr. gg
Kissymouse: Müssen sie ja, liebe Kissymouse. Vielen Dank für dein liebes Review! Nun ja, aber jetzt darf ich ja noch nicht gleich alles verraten!
flemming: Egal, gg dafür hast du ja dann jedes Mal um so mehr zu lesen! kicher! Ich freu mich sehr, dass es dir gefallen hat, und hoffe, diesmal geht es dir nicht anders! Zu allem Weiteren: Jetzt leider noch nicht, mein Lieber… Geduld, ja?
Fidi: gg Aber gleich am Anfang kann ich dir noch kein Paaring anbieten, Rufus ist doch erst einen Tag an der Schule! gg
Max88: Ja, ja… der Hut. Nun, das war auch mit einer der Gründe, weshalb ich solange dafür gebraucht habe. Was genau sieht der Hut nun? Ja, und da saß ich und grübelte… und das kam dann bei raus. gg Nenne ich jetzt halt mal „Künstlerische Freiheit!" Das mit den Zeitangaben habe ich mir auch eine Weile überlegt und dann sogar die Stelle mit dem Hut laut vorgelesen in „Sprechzeit", kleine Überlegungspausen eingelegt und dabei auf die Uhr gesehen… ich hoffe, bei diesem Kapitel findest du nichts auszusetzen, auf alle Fälle: fühl dich ganz arg von mir geknuddelt, mein Lieber! Danke für dein liebes Review!
