Kapitel 4: Auf dem Spielplatz

                                       „Hallo Zoe, Susan. Ich bin wieder da!"

Meine Stimmer klingt durch Susans Apartment. Ich höre Zoes Lachen und kurz darauf ihre winzigen Füße über den Boden trippeln. Hastig hänge ich meinen Mantel auf den Haken und lege meine Handtasche auf den Tisch neben der Türe. Zoe läuft auf mich zu und springt in meine Arme. Ich hebe sie hoch und wirbele sie herum. Susan stellt sich neben uns und lächelt. Dann frage ich Zoe:

„Wie war dein Nachmittag? Hattest du Spaß mit Tante Susan?"

Sie nickt und antwortet:

„Mm-mh. Wir haben Monopoly" gespielt und dann Kekse gegessen. Was hast du  gemacht?"

„Ich war zusammen mit Dad einen Kaffee trinken und morgen sehe wir ihn wahrscheinlich am Spielplatz. Aber bitte, falle nicht gleich mit der Türe ins Haus, okay?"

„Mom? Was heißt, ich soll nicht mit der Haus in die Tür fallen?"

Ich lache leise und erkläre:

„Nicht mit der Tür ins Haus fallen. Das heißt, du sollst nicht gleich auf ihn zustürmen und „Daddy" schreien, sondern erst mich mit ihm reden lassen. Weiß du was, Schätzchen? Geh' doch noch mal schnell zum Tisch und iss ein paar Kekse. Ich komme dann gleich nach!"

Ich stelle Zoe auf den Boden und sie läuft zum großen Esstisch. Dann wende ich mich an Susan. So leise wie möglich zische ich ihr zu:

„Susan, du hast vergessen mir eine winzige Kleinigkeit zu erzählen! Ich habe Carter fröhlich nach seiner Familie gefragt und stell' dir mal vor, er war es nicht!"

Der Sarkasmus in meiner Stimme ist nicht zu überhören. Sie macht einen zerknirschten Eindruck uns flüstert:

„Oops, das habe ich wohl vergessen dir zu erzählen. Tut mir Leid."

„So ein kleines Detail am Rande, wie eine tote Familie, ist ja auch nicht der Rede wert. Aber egal, jetzt kenne ich ja die ganze Geschichte."

Susan wirkt überrascht und redet jetzt in normaler Lautstärke:

„Er hat dir alles erzählt, ich meine mehr als dass seine Frau sich umgebracht hat und seine Tochter nur ein paar Stunden gelebt hat?"

Ich deute ihr, leise zu sein und rolle meine Augen auf Zoe. Dann flüstere ich:

„Ja, warum? Ich wette, die ganze Notaufnahme kennt sie."

Susan schüttelt energisch ihren Kopf. Zoe ruft nach mir. Ich beruhige sie und sage zu Susan:

„Ich muss mich jetzt um Zoe kümmern. Hast du heute Abend Dienst? Wenn nicht, können wir, nachdem Zoe eingeschlafen ist, weiterreden."

Susan nickt und sagt laut:

„Okay, Abby. Dann reden wir am Abend weiter!"

Ich setze mich zu Zoe und schaue ihr beim Zeichnen zu.  Sie zeichnet 3 Figuren auf einer sonnigen Wiese. Während sie den Himmel blau anmalt erklärt sie mir:

„Das da bist du, das da bin ich und der Große da ist Daddy."

Sie ist so süß! Auf dem Bild legt Carter seinen Arm um mich. Zoe steht vor uns beiden und lächelt. Meine Tochter malt der Sonne ein Gesicht, während sie mich fragt:

„Magst du Daddys Haare anmalen?"

Ich nicke und nehme einen Stift, um Carters Haare braun anzumalen.

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„Zoe ist eingeschlafen. Nachdem ich ihr 5-mal „Streets of London"  vorsingen musste."

Ich lasse mich erschöpft auf das Sofa neben Susan fallen. Sie lacht kurz auf und fragt:

 „"Streets of London" als Schlaflied für eine 4-jährige?"

„Was? Die einzigen Lieder, die ich kenne, sind nun mal aus den 70ern."

„Also, was ist jetzt los mit Carter?"

„Ich war ja mit ihm bei DocMagoo's. Er hat mich nach Zoe gefragt und ich habe nach seiner Familie gefragt. Erst war er ziemlich sauer, aber dann hat er irgendwie zu reden begonnen und nicht mehr aufgehört. Ich habe ihm nur zugehört und seine Hand gehalten. So ein schlechtes Gewissen hatte ich noch nie. Es war die traurigste Geschichte meines Lebens, vor allem weil ich all die Jahre ihm seine Tochter vorenthalten habe und er gelitten hat. Aber ich will nicht Carters Probleme vor allen Leuten breittreten. Dann hat er gefragt, warum ich damals einfach abgehauen bin. Hat irgendetwas davon geschwafelt, dass Luka ihm gesagt hätte, ich wollte ihn nie wieder sehen."

Susan unterbricht mich:

„Das ist auch die offizielle Notaufnahme-Version. Luka hat Carter im Ärztezimmer zugebrüllt, dass du ihn nie wieder sehen willst. Dass du gesagt hättest, Carter wäre eine absolute Niete, in allen Bereichen. Carter hat Luka daraufhin eine blutige Nase verpasst, Luka hat ihn gegen die Wand geschleudert. Die beiden haben weiter gekämpft  bis Weaver Carter ihre Krücke über den Schädel gezogen hat. Hat ihn für ein paar Minuten ausgeschaltet. Weaver hat beiden ein Disziplinarverfahren angehängt und die Sache war erledigt. Carter hat nie wieder ein Wort mit Luka gewechselt."

Mein Gesichtsausdruck muss im Moment ziemlich dämlich aussehen. Ich antworte:

„Aber ich habe nie so etwas gesagt. Ganz im Gegenteil, ich habe Luka mitgeteilt wohin ich ziehe und habe ihn gebeten, es Carter zu erzählen. Heißt das, ich habe mein Leben wegen Luka Kovac verbockt? Wo ist seine Nummer?!?"

Ich greife nach Susans schnurlosem Telefon. Seine Nummer ist im Kurzwahlspeicher. Ich drücke auf den Knopf und höre es läuten. Dann schaltet sich sein Anrufbeantworter ein:

„Hier spricht Luka. Hinterlasse eine Nachricht nach dem Piepton."  *Piep*

„Luka Kovac, ich weiß nicht ob du dich noch an mich erinnerst. Abby Lockhart, die Frau, deren Leben du ruiniert hast. Ich weiß nicht, was du dir verdammt noch mal gedacht hast, aber sei froh, dass ich meine Wut nur an diesem Anrufbeantworter auslasse. Wie konntest du nur solche Lügengeschichte verbreiten? Du hast Carter verletzt, du hast mich verleumdet und du hast die Zukunft unseres Kindes auf das schwerste beeinflusst. Ich würde jetzt gerne dein Gesicht sehen! Ja, wir haben ein Kind. Ich weiß nicht, was ich mir gedacht habe, als ich mit dir geschlafen habe. Aber nachdem du mir die Wörter in den Mund gelegt hast, werde ich sie jetzt auch benützen. Du warst und bist eine Niete und zwar in jedem Bereich. Wie konntest du nur 5 Jahre lang ruhig schlafen, mit der Gewissheit, dass du eine junge Familie zerstört hast? Ich würde dir empfehlen, die nächsten Tage weder Carter, Zoe noch mir zu nahe zu kommen.

AUF NIMMER WIEDERSEHEN!"

Nach dieser Hasstirade drücke ich wütend auf den „Auflegen"-Knopf, lege das Telefon auf den Couchtisch und lehne mich mit einem laute Seufzer zurück. Susan sieht mich geschockt an.

„Ich würde sagen, du informierst Carter so schnell wie möglich. Denn wenn es Luka einmal weiß, dann weiß es das ganze Krankenhaus innerhalb 4½ Stunden."

„Ja, ich habe Carter morgen auf den Spielplatz eingeladen. Ich werde schlafen gehen. Du weiß schon, alles noch mal durchgehen, ich habe noch nie jemandem erzählt, dass er ein Kind hat."

Susan lacht und umarmt mich. Dann gehe ich zu Zoe, die auf einer Matratze neben Susans Bett liegt und gebe ihr einen letzen Gute-Nacht-Kuss. Anschließend putze ich meine Zähne und lege mich auf das Sofa. Ich kann hören, wie Susan die Vorhänge zuzieht. Während ich anfange über morgen nachzudenken, fallen meine Augen zu.

 „Zoe, komm, wir gehen auf den Spielplatz!"

 „Okay, ich komme gleich!"

Ich hole Zoes hellblauen Anorak und meinen schwarzen Mantel vom Haken. Meine Tochter kommt und zieht sich ihre Turnschuhe an. Ich werfe einen letzen Blick in den Spiegel. Die letzen 5 Jahre sind nicht spurlos an mir vorbei gegangen. Früher waren die dunklen Ringe unter meinen Augen nur sichtbar,  wenn ich zuwenig geschlafen habe.  Jetzt sind sie fast immer zu sehen.  Um meinen Mund herum, beginnen sich Falten zu bilden. Auch die Geburt hat ihre Spuren hinterlassen. Nicht nur, dass ich ein paar Kilo zugenommen habe, was bei 152cm Größe schon ziemlich schlimm aussieht, auch die Schwangerschaftsstreifen haben mich nicht verschont. Wenigsten bemerkt die von außen nicht. Ich binde meine Haare mit einem schwarzen Gummi im Nacken zusammen. Sie reichen mir jetzt schon fast bis zur Taille und sie zeigen noch keine grauen Strähnen.

„Mommy, komm gehen wir!"

Ich rufe Susan ein „Bis nachher!" zu und verlasse die Wohnung. Es ist ein ruhiger Vormittag, die meisten Menschen arbeiten und nur wenige Menschen sind auf der Straße. Ich biege bei der zweiten Querstraße ab und öffne die Tür des abgezäunten Spielplatzes. Eine Menge Kinder in Zoes Alter laufen herum und auf den Bänken sitzen einige Mütter und unterhalten sich. Zoe läuft sofort zu ihrem Lieblingsturngerät, dem Rutschturm und ich setze mich auf einen Spielbaumstamm am Rand. Ich beobachte meine Tochter wie sie die Leiter hochklettert und die Rutsche hinunterrutscht, hinaufklettert, hinunterrutscht, wieder hinaufklettert... Nach einiger Zeit bemerke ich, dass jemand neben mir steht. Ich drehe mich zu Seite und sehe Carter.

  „Hallo!"

Ich lächele und sage:

„Schön, dass du gekommen bist! Ich muss etwas mit dir besprechen."

Der Anfang war nicht übel. Er wirft mir einen fragenden Blick zu und lehnt sich gegen den Baumstamm.

„Es geht um Zoe. Wie du weißt ist sie meine Tochter."

Das hätte natürlich niemand vermutet! In Ordnung, versuchen wir es anders.

„Also, ähm...Ich weiß nicht genau, wie ich es dir sagen soll. Okay, es nützt nicht, wenn ich um den heißen Brei herumrede: Zoe ist unsere Tochter!"

Ich stehe auf und gehe ein paar Schritte weiter weg. Wahrscheinlich habe ich keine Kraft mehr, ihm in die Augen zu sehen.

 „Was?"

Seine Stimme klingt verständlicherweise überrascht. Ich seufze und sage:

 „Zoe Millicent Carter ist deine Tochter!"

Carter schweigt. Ich kann sein Gehirn arbeiten hören.

 „Das heißt, du hast mir 5 ganze Jahre mein Kind vorenthalten?"

„Wie gesagt, ich dachte, du würdest ins nächste Flugzeug springen und zu mir kommen. Ich habe gewartet, aus einem Monat wurden zwei, dann drei... Irgendwann war ich dann im 9.Monat und habe die Hoffnung aufgegeben. Aber ich wusste du hast ein Recht zu erfahren, dass du ein Kind hast. 3 Tage nach Zoes Geburt hat mich Susan angerufen. Nachdem sie mir 20 Minuten lang von deiner zauberhaften Verlobungsparty vorgeschwärmt hatte, verließ mich der Mut um dich anzurufen. Ich hatte das Gefühl, eine heile Welt zu zerstören."

 „Mom, schau mal was ich kann!"

Zoes Stimme unterbricht mich, doch ich ignoriere sie. Ich höre, wie Carter aufspringt:

„Warum zum Teufel bist du einfach verschwunden!?!"

 „Ich? Wieso bist du geflüchtet?"

                               „Mommy, Daddy, schaut her, was ich kann!"

„Was meinst du damit schon wieder? Ich habe es langsam satt! Du erwartest von mir, dass ich immer weiß was du denkst, fühlst oder meinst. Was ist los?"

Ich drehe mich um sehe Carter wütend an.

„Ich kann dir sagen, was ich meine! A-F-R-I-K-A Du bist einfach weggelaufen! Ohne Verabschiedung. Du fliegst in ein Kriegsgebiet ohne deiner Freundin eine Abschiedskuss zu geben Du hättest tot sein können! VERDAMMT NOCH MAL, DU WOLLTEST MICH HEIRATEN!"

Ich schreie nun schon so laut, dass die übereifrigen Mütter die Augen von ihren Sprösslingen lassen.

„JA, ALS OB DU DARAUF WERT GELEGT HÄTTEST!"

 „Mom, Dad, hört auf zu streite und schaut euch an, was ich mache!"

Ich ignoriere Zoe ein zweites Mal und brülle zurück:

„WAS UNTERSTELLST DU MIR JETZT SCHON WIEDER? ICH HABE DICH  NUR WEGEN DEINES GELDES GEWOLLT?"

                                           „ZUM BEISPIEL!"

„AAAAAAAAAAAARRRRRRRRRRRRRRRRGGGGGGGGGGGGGGHHHHHHHHHHHHH"

Ich drehe mich um und sehe meine kleine Tochter auf dem Boden liegen. Ihre Beine und Arme in einer unnatürlichen Verrenkung. Aus einer Wunde an ihrem Kopf sickerte Blut…

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