Hoffnung?

„Wenn du den Platz brauchst kann ich gerne ins Hotel ziehen. Ich meine ich kann nicht von dir verlangen, dass du für mich sorgst."

„Abby, zum letzten Mal. Ich lebe in einem 250 m2 Apartment mit 3 Schlafzimmern und 2 Badezimmern. Das ist genügend Platz für uns beide."

„Danke! Ich muss noch in Las Vegas anrufen. Mich vom Krankenhaus beurlauben lassen und meine Vermieterin anrufen. Ich weiß..."Abby räusperte sich. „Ich weiß nicht wirklich, wann ich wieder zurück kann. Kannst du mich, wenn du zur Arbeit fährst, mitnehmen?"

„Ja, natürlich. Ich möchte Zoe auch noch sehen. Was möchtest du frühstücken?"fragte Carter während er am seinem Küchenschrank hantierte.

„Ich habe keinen großen Appetit, nur Kaffee."

John stellte zwei blaue Tassen auf den Tisch und füllte sie mit Kaffee. Das restliche Frühstück verlief in absoluter Stille. Beide mit ihren Gedanken am anderen Ende der Welt. Auch die darauffolgende Autofahrt bestand hauptsächlich aus langen Gesprächspausen. Am Aufzug der Notaufnahme trennten sich ihre Wege. Carter musste zu seinem Spind und Abby auf die Kinderintensivstation.

„Abby, ich denke, ich kann so gegen 15:00 Uhr von hier weg. Vielleicht willst du dann was trinken oder so. Ich kann dich ablösen!" Abby nickte. Carter drückte ihre Schulter kurz aufmunternd und bahnte sich seinen Weg durch die Menge.

Es war, als hätte sich graue Regenwolken über der gesamten Notaufnahme gebildet. Niemand sah sie, aber jeder spürte sie.


„Hallo, Zoe, mein kleiner Rabauke. Ich bin's, Mommy. Schau mal, was ich dir mitgebracht habe!"

Abby machte es sich auf einem Sessel neben Zoes Bett bequem und zog ein kleines Plüscheichhörnchen und Murphy, die Robbe aus ihrer Tasche.

„Ich habe dir Murphy mitgebracht. Und dieses Eichhörnchen, es hat noch keinen Namen, aber ich würde vorschlagen, bis du aufwachst, nennen wir es einfach Ella, das Eichhörnchen."

Eine junge asiatische Ärztin räusperte sich kurz. Abby sah auf und fragte:

„Gibt es etwas Neues? Hat sich Zoes Zustand verbessert?"

„Es tut mit Leid, sie enttäuschen zu müssen, Mrs Carter."

„Lockhart." Korrigierte Abby die Ärztin während sie Zoes Hand streichelte.

„Mrs Lockhart, ich muss ihnen leider sagen, dass der Zustand ihrer Tochter keine Hoffnung auf baldiges Erwachen gibt. Die Chancen, dass Zoe je wieder aufwacht stehen nur 1:50 000. Wir können sie durch moderne Medizin künstlich am Leben erhalten. Theoretisch, können wir das auch für die nächsten Jahre. Wir müssen von Ihnen wissen, ob die lebenserhaltenden Maschinen weiterhin laufen sollen. Ich kann verstehen, dass dies eine schwierige Entscheidung für Sie ist. Es gibt so eine Art Formular..."

„Danke, ich weiß, was eine Patientenverfügung ist! Nein, ich werde sie nicht unterschreiben!", platzte Abby heraus und sprang auf. Die Ärztin sah sie geschockt an. „Entschuldigung, es sind die Nerven."

„Schon in Ordnung, vermutlich würde jede Mutter in ihrer Lage so reagieren. Ich möchte sie dennoch bitten, darüber nachzudenken. Ich bin jederzeit für sie erreichbar. Fragen sie nach Dr. Moore!" Sie nickte Abby aufmunternd zu und ging zum nächsten Bett. Abby setzte sich wieder und ließ ihren Kop auf das Bett sinken. Sie schluchzte leise.


„Sie wollen, dass ich eine Patientenverfügung unterschreibe."

Sagte Abby während sie ihre Hände an einer Tasse Kaffee wärmt. Sie und Carter hatten beschlossen, Zoe den Ärzten anzuvertrauen um die neuesten Entwicklungen bei ‚Doc Magoo's' zu besprechen.

„Wirst du?"

Carter war alles andere als cool, aber es gelang ihm eine einigermaßen gelassene Miene aufzusetzen.

„Werde ich was?"

„Wirst du unterschreiben?"

„Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was das Beste für meine Tochter ist. Ich dachte, Mütter sollten so etwas fühlen. Offenbar bin ich eine Schlechte."

Abby starrte ihre Tasse an als wäre sie ein Beweis für außerirdisches Leben.

„Was redest du da, Abby. Du bist die beste Mutter, de ich kenne und..."

„Ich habe ihr ihren Vater vorenthalten, sie von einem Spielgerät fallen lassen, bloß weil ich zu beschäftigt war zu streiten und jetzt bringe ich sie noch um. Du nennst mich eine gute Mutter?"

„Du nimmst dir Zeit für Zoe. Das ist etwas, dass meine Mutter niemals für mich getan hätte. Soll ich dir erzählen, was sie gemacht hat, als ich mir mit 10 Jahren das Sprunggelenk gebrochen habe?"

Abby sieht auf und nickt.

„Ich war beim Basketball spielen mit dem Fuß umgeknickt. Mein Coach brachte mich zur Notaufnahme im „Mercy". Ich strengte mich so an, nicht zu weinen. Du weißt schon, diese „Männer weinen nicht"– Sprüche. Ein Arzt fragte mich nach der Telefonnummer meiner Eltern. Sie stellten mich in meinem Rollstuhl in die Nähe der Aufnahme. Ich konnte hören, wie der Angestellte meine Mutter anrief. Und ich konnte ihre Antwort hören: „Sind Sie wahnsinnig? Ich war in einer wichtigen Konferenz. Wie kommen sie auf die Idee, dass ich 20 Minuten fahren sollte, wegen solch einer Lappalie? Sagen Sie dem Jungen, er soll sie nicht so anstellen."Und dann hängte sie auf. Einfach so. Eine Ärztin schüttelte den Kopf. Ich musste alleine zum Röntgen, niemand hat meine Hand gehalten als ich den Gips bekommen habe. Die ganze Zeit habe ich nicht geweint. Ein Arzt sagte, dass ich jetzt tapfer sein muss und alleine heimfahren muss. Meine Mutter gehe nicht ans Telefon. Ich bekam Geld aus der Taxikasse und sie riefen mir ein Fahrzeug. Als ich endlich am Rücksitz saß und Fahrer meine Wohnadresse nannte, weinte ich nur noch. Ich wusste, dass meine Mutter sich nicht besonders viel aus mir machte, aber ich dachte soviel wäre ich ihr zumindest wert. Ich habe mir immer eine Mutter wie dich gewünscht."

Carter schob seine Hand über den Tisch und griff nach Abbys. Tränen glitzerten in ihren Augen. Sie löste ihre Hand aus der Umklammerung und griff nach dem Verschluss ihre Kette. Sie nahm sie ab und reichte sie Carter. An der einfachen Goldkette hing ein gleichfarbiges Medaillon Er öffnete es vorsichtig. Es enthielt ein Foto von Abby mit einem Neugeborenen in im Arm. Zoe, wie er vermutete.

„Das sind Zoe und ich kurz nach ihrer Geburt. Sie war immer schon so wild. Sie hat als erstes den entbindenden Arzt getreten und dann erst geschrieen. Die Schwestern haben ihn damit noch Monate aufgezogen. Soll ich von Anfang beginnen?"

Carter nickte und grummelte ein ‚Ja'.

„Kurz nachdem ich nach Las Vegas gezogen bin, haben die „Schwangerschaftssymptome" begonnen. Auf der Wohnungssuche wurde mir schwindlig, in den Frühschichten fing die Morgenübelkeit an. Als dann meine Periode ewig nicht kam, habe ich einen Schwangerschaftstest gekauft. Nach den zwei schlimmsten Minuten meines Lebens hatte ich das Ergebnis: Positiv. Die darauf folgenden Wochen habe ich größtenteils vor dem Telefon verbracht. Mit Schokolade in der linken und Essiggurken in der rechten Hand. Ich glaube, ich habe mindestens 150-mal deine Nummer gewählt und wieder aufgelegt. Dann habe ich Susan angerufen und sie hat mir von deiner Verlobung erzählt. Natürlich weiß ich, dass du ein Recht hattest, zu wissen, dass ich schwanger bin. Aber ich dachte, so wären wir alle glücklich. Du und deine neue Familie und ich mit Zoe. Es war egoistisch und dumm. Jedenfalls habe ich die Schwangerschaft heil überstanden. Obwohl das ganze Krankenhaus in Vegas Wetten über den Vater abgeschlossen hat. Sie tippten auf die unmöglichsten Männer. Vom Chefarzt der Chirurgie bis zum Hausmeister."

Ein winziges Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Das Erste seit Tagen. Dann fuhr sie fort:

„Mit der Zeit gewöhnte ich mich nicht nur an meinen wachsenden Bauch sondern auch an die ständigen Casinogeräusche und die nächtlichen Musiksessions bei meinem Nachbar. Als ich dann im 6. Monat schwanger war, fing ich Briefe an dich zu verfassen und sie anschließend zu verbrennen. Ich schrieb..."

Abbys Stimme erstarb.

„Du hast was geschrieben?"

„Nicht so wichtig. Nach 15 Stunden unerträglicher Wehen kam am 30.April 2004 um 5:47 Uhr Zoe Millicent Carter im Las Vegas General Hospital auf die Welt. Sie wog 3525 g und war 52 cm groß. Sie war das schönste Baby weit und breit. Es war eine ambulante Geburt und ich konnte am selben Tag wieder nach Hause gehen. Ich wusste zuerst nicht, was ich eigentlich machen sollte. Woher sollte ich wissen, wann Zoe Hunger hat oder müde ist? Aber das..."

Carters Handy läutete. Mit einem entschuldigenden Blick an Abby hob er ab.

„Carter...Ja...Was?...Oh mein Gott, wir kommen sofort!"

„Was ist passiert? Geht es Zoe gut?"

„Susan war bei ihr und denkt, sie habe ihre Hand bewegt. Schnell, nimm deine Jacke und lass uns gehen."


Freue mich wie immer über Reviews.