Kapitel 4: Scheidung

„Hey Pablo, wie geht's dir?", sie umarmte ihn fürsorglich.

„Besser, danke, ich weiß, dass der Fall in guten Händen ist."

„Okay, gibst du mir den Brief?"

Er händigte ihr das Dokument aus, sie redeten eine Weile, dann verabschiedete sich Anie von Pablo und auch von Leon. Dieser versprach am Abend noch einmal bei ihr vorbei zu sehen.

Der Brief war in einem Kasten in Miami Beach eingeworfen worden. Er beschrieb den genauen Ablauf der Tat. Anbei lag ein Zettel mit einem handgemalten Symbol, es sollte anscheinend ein Tribal-Zeichen sein und folgendem Spruch:

Der Träger dieses Zeichens sollte den Tag nicht vor dem Abend loben.

„Hmm, vielleicht eine Morddrohung?", fragte Speed. „Diese Tribals sind als Tätowierungen sehr beliebt."

„Aber warum schreibt der Täter es in einem Brief an die Familie des vermutlich ersten Opfers?", dachte Eric laut.

„Entweder er hält der Polizei gegenüber für überlegen, oder er möchte gefunden werden, typisches Serientäterverhalten."

„Meinst du, H? Haben wir diese Tat denn schon mit vorherigen, ungelösten Mordfällen verglichen?"

„Hab ich alles schon gemacht, Eric.", sagte Anie, die wie gebannt auf dieses Zeichen starrte. „Nichts, keine Ähnlichkeiten zu vorhergegangenen Verbrechen. Außerdem hat er Allison anscheinend gekannt. Serientäter handeln so gut wie nie in ihrem näheren Umfeld, das ist viel zu gefährlich, wenn sie nicht auffliegen wollen."

„Aber es ist ja offensichtlich, dass der Verfasser des Briefes entweder der Täter, oder vom Täter eingeweiht worden ist. Vielleicht stammt der Brief von einer vermeintlichen Vertrauensperson, die den Mörder auffliegen lassen will, noch bevor der Tag vorbei ist, d.h. der Täter konnte der träger dieses Zeichens sein.", dachte nun Delko laut vor sich hin.

„Es ist alles möglich."Anie schaute enttäuscht zu Boden. „Es ist verdammt noch mal alles möglich. Wenn die Analyse des Briefes keine Spuren ergibt tappen wir wieder im Dunkeln."

Erschöpft ließ sie sich unter den besorgten Augen der anwesenden Kollegen auf einen nahe stehenden Stuhl fallen.

Er war zu Hause angekommen, hatte sich mit einem Bier erschöpft auf der Couch niedergelassen und zappte durchs TV als sein Handy gegen 22:00 Uhr klingelte. Es war ein Kollege der Nachtschicht, der ihn bat sofort zu einer weiblichen Leiche in South Beach zu kommen. Als er fragte warum sich nicht der Leiter der Nachtschicht um diesen Fund kümmerte sagte der Beamte:

„Es handelt sich um ein weiteres Opfer aus SWAT Kreisen.", als der Ermittler dann den Namen des Opfers nannte war Horatio Caine hellwach...

„Ihr Name ist Jennifer Kent, 35, geschieden, keine Kinder.", sagte Speedle, der ebenfalls zum Tatort gerufen worden war.

„Okay." Horatio blickte sich hastig um. „Der Vorname ihres Ex-Mannes, wie lautet der? Mario?"

„Ja, woher weißt du das?", Speed schaute ihn verwundert an.

„Anie hat ihn mir vor vier Tagen bei diesem Dinner Cooks vorgestellt. Er war mit ihr zusammen beim SWAT."

„Aha. Ja. Das mit dem SWAT ist nicht das Einzige was die Opfer verbindet. Die Todesursache ist auch gleich."

„Glatter Durchschuss im Rücken?", fragte H interessiert.

„Genau, Calleigh hat schon bestätigt, dass es sich um das gleiche Kaliber handelt.", zitierte Tim aus seinen Notizen.

„Wer ist von der Tagschicht alles vor Ort?", Horatio blickte sich um.

„Hmm, wer ist da... Calleigh, Alexx, Delko, Anie, du und ich."

Als er hörte, dass Stephanie auch vor Ort war wurde H nervös.

„Wo is sie?", fragte er hektisch.

„Wer?"

„Wer wohl, Anie, wo ist sie?", drängelte er.

„Unten am Strand bei der Leiche.", kaum hatte Speed ausgesprochen setzte sich sein Boss in Bewegung, er ging hinterher.

„Wie hat sie reagiert?", hakte H nach.

„Sie war geschockt, hat sich jedoch recht schnell gefangen. Sie hat gesagt, dass sie Jennifer kaum kannte und will an den Ermittlungen Teil haben."

„Okay, danke Tim, mach weiter.", sagte H als er Anie am in Flutlicht getauchten Strand sah, wie sie sich anscheinend höchst interessiert mit Alexx unterhielt.

„Ladies!", sagte er in seiner typischen Art.

„Hey Horatio.", erwiderten beide synchron.

Er warf erst einen Blick auf die Leiche, dann wandte er sich an Anie:

„Kann ich dich mal unter vier Augen sprechen?", fragte er mit einem besorgten Unterton.

„Klar. Was gibt´s?"

„Komm mit.", sie gingen zusammen etwa 25m am Strand entlang zu einem Rettungsschwimmer-Turm. „Wie fühlst du dich?", er schaute ihr in die Augen, in welchen sich das Licht des Mondes spiegelte. Sie lehnte sich gegen einen Pfosten des Turmes und seufzte leise.

„Es geht schon, ich fühl mich ganz gut. Klar ich bin ein bisschen durcheinander, aber da muss ich durch."

„Du musst durch gar nichts durch."

„Was bringt es mir, mich jetzt zu verkriechen? Ich werde diesen Fall bearbeiten, Horatio! Vielleicht hat der Mörder hier mehr Spuren hinterlassen und wir können ihm so auf die Schliche kommen.", sie atmete tief ein, „Das ist halt meine Art so etwas zu verarbeiten."

Er fand es an der Zeit sein Hauptanliegen dieser Unterhaltung unterzubringen:

„Anie, ich weiß nicht, wie ich dir das sagen soll, aber ich mache mir Sorgen."

„Worüber, Horatio, mir geht es gut, also, so gut, wie es mir gehen sollte...", versuchte sie ihm zu vergewissern, doch das war nicht, worauf er hinaus wollte.

„Ich, ach meine Güte, Anie!", er blickte sie verzweifelt an „Ich mache mir Sorgen um dich, er hat bis jetzt immer die Partner oder Ex-Partner einer bestimmten Personengruppe, nämlich die Gruppe der ehemaligen Mitglieder deines Teams attackiert!"

„Himmel, was machst du dir dann Sorgen um mich? Ich bin seit Jahren Single!", fragte sie ihn verständnislos. „Außerdem habe ich mir über diese Sachen auch Gedanken gemacht. Ich habe Detective Bernstein bereits damit beauftragt meine Eltern beschützen zu lassen. Es ist für alles gesorgt, Zack wird bei ihnen ebenfalls unterkommen, wir wollen ja nicht, dass ihm was passiert."

„Dann bist du also ganz allein. Denkst du, das ist in Anbetracht der Situation richtig, ja?"

Anie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, dann:

„Ganz ehrlich?... Ich weiß in der Situation in der ich mich gerade befinde überhaupt nicht, was ich denken soll!"

„Hey, ihr zwei, kommt doch mal rüber!", rief Hagen in Richtung Anie und Horatio. „Wir haben den Ex-Mann unseres Opfers ausfindig gemacht, er ist hier in Miami."

„Hier?", rief Anie zurück und kam zu dem Detective heran. „Er wohnt doch in Jacksonville. Warum ist er noch hier?"

„Er ist beruflich, für die Polizei hier, irgendein Verwaltungskram.", sagte John, jetzt in normaler Lautstärke, da sowohl sie, als auch Horatio jetzt bei ihm standen. „Kollegen haben das bestätigt."

„Wo ist er?", fragte H.

„Ähm, auf dem Revier.", Hagen durchbohrte Anie förmlich mit seinen Augen, „Er hat kein Alibi."

Sie blieb sachlich, wenn sie eine leichte Verärgerung in ihrer Stimme nicht verdecken konnte:

„Kein...Alibi.", sagte sie langsam. „Hmm und was ist mit seinem Motiv?", sie schaute Hagen scharf an.

„Seine Kollegen haben ausgesagt, dass die Scheidung vor drei Monaten nicht reibungslos abgelaufen ist. Jennifer hat ihren man zweimal wegen Körperverletzung angezeigt, die Fälle hätten in einer Woche verhandelt werden sollen.", las Hagen aus seinen Notizen vor.

Anie stand da, wie versteinert. Zum Erstaunen ihrer Kollegen sagte sie dann: „Also hat er gelogen."

„Inwiefern?", erkundigte sich H.

„Die Gerüchte einer Anklage gegen ihn sind schon eine ganze Weile herumgegangen. Ich habe ihn, als ich ihn irgendwann wieder gesehen hab vertraulich drauf angesprochen, er hat alles abgestritten und ich habe ihm geglaubt, schließlich war er ein richtig guter Freund von mir."Eine Weile schwiegen sie, dann nickte sie Horatio zu und sie fuhren zum Department um Kent zu verhören.

Mario Kent saß in einem Verhörraum, von zwei bewaffneten Beamten in Uniform bewacht, als Anie den Raum betrat sprang er auf und schrie die Ermittlerin an:

„Anie! Was ist hier los? Warum behandeln mich diese Leute als wäre ich ein Schwerverbrecher? Ich bin unschuldig!"

„Setz dich erstmal.", sagte Stephanie merkwürdig kühl und bestimmt. „Kein Grund hier so ein Theater zu machen. Fakt ist, dass du für die Tatzeit kein Alibi hast und, dass du und Jennifer garantiert keine glückliche Scheidung durchgemacht habt."

„Oh, mein Gott, du glaubst nicht wirklich, dass ich sie umgebracht habe?", er hatte sich zwar hingesetzt, jedoch nicht beruhig.

„Was ich glaube ist vollkommen irrelevant.", sie schaute ihn nachdrücklich mit ihren Katzenaugen an, drehte sich dann um, verschränkte ihre Arme vor ihrem Oberkörper und schaute gegen eine der verspiegelten Scheiben, die nur von außen durchsichtig waren, schließlich sagte sie leise aber deutlich: „Warum zum Teufel hast du mich angelogen?"

Mario tat ahnungslos. „Wie dich angelogen?"

Sie seufzte: „Mario, du weißt genau, was ich meine."Und schaute etwas genervt wirkend zur Decke.

„Ich weiß wirklich nicht wovo...", sie unterbrach ihn gereizt und schlug ihre Hände auf den Tisch an dem er saß, bevor sie sich tief zu ihm beugte und laut, sowie bestimmt sagte:

„Natürlich weißt du wovon ich rede! Ich habe dich, als wir uns in New York vor drei Monaten getroffen haben, nach den Gerüchten um Jennifer und dich gefragt und du hast mir eiskalt ins Gesicht gelogen. „Nein, Anie, dass sind alles Gerüchte, ich würde nie eine Frau schlagen, bla, bla, bla."", zitierte sie ihn.

„Du glaubst es also wirklich.", er blickte sie entsetzt an. „Du glaubst wirklich, dass ich es war. Anie, was ist aus dir geworden? Du siehst Gespenster!"

„Es geht verdammt noch einmal nicht darum, was ich denke! Meine Güte! Mario, du hast für beider Taten, nicht nur den Mord an deiner Frau, ein Motiv! Ich habe bereits zu Protokoll gegeben, dass du, bevor du mit Jen verheiratet warst eine Beziehung zu Allison hattest und, dass sie dich wegen Pablo verlassen hat."Ihre Stimme klang stark und entschlossen, seine hingegen verzweifelt und schwach.

„Das ist doch Jahre her...", sagte er und Genau so, wie das mit uns, dachte er.

„Es tut mir sehr leid, Mario, aber ich musste aussagen, bevor ich den Fall weiter bearbeiten konnte.", sagte sie nun etwas ruhiger, dann schaute sie wieder zu einer der verspiegelten Scheiben und sagte laut:

„Horatio, du kannst jetzt reinkommen."

Kent schaute sie entsetzt an, hatte dieser Mr. Caine etwa mitgehört?

„Tja, sieht ganz so aus als müssten wir ihn wieder laufen lassen.", sagte Horatio, als sie den Verhörraum gegen halb eins verließen.

„Hmh", sagte Anie leise. Den Rest des Verhöres hatte Horatio übernommen sie hatte fast stumm daneben gesessen und zugehört, was einer ihrer ehemals besten Freunde, der jetzt Hauptverdächtiger in bei einem Mord an ihrer besten Freundin und an seiner Exfrau war, zu sagen hatte.

Horatios Handy klingelte gerade als sie bei ihren Büros angekommen waren. Es war Calleigh, die ihnen mitteilen wollte, dass die Kugel beider Opfer aus der gleichen Waffe stammten, sie aber immer noch nicht herausgefunden hatte, wem sie gehörte. Horatio bedankte sich bei ihr und sagte, dass sie, wie auch die anderen Leute des Teams, Schluss machen sollte.

Anie war während dessen in ihr Büro gegangen um das Protokoll, sowie die Tonbandaufnahme des Verhöres zu den Akten zu bringen. Als sie es wieder verlassen wollte fiel ihr Blick auf das Bild auf ihrem Schreibtisch. Sie nahm es hoch und dachte traurig: ´Was für eine Bilanz: Der erste Mann auf dem Bild ist tot, der zweite hat gerade seine Frau verloren, der dritte hat diese und seine eigene vielleicht auf dem Gewissen und die Frauen, mit denen er vor seiner Ehe etwas hatte an den ersten und den zweiten Mann auf dem Bild verloren...´

„Anie?", Horatios Stimme ließ sie aus ihren Gedanken aufschrecken. Er stand in der Tür.

„Ja.", sagte sie hastig und stellte das Bild wieder an seinen ursprünglichen Platz.

„Die Schicht ist für uns beendet. Wir machen in der normalen Tagschicht weiter."

„Okay.", sie ging in seine Richtung und blieb in der Mitte des Büros stehen. „Dann kann ich ja nach Hause fahren.", sie drehte sich um, um ihre Tasche zu holen.

„Nein.", H kam in den Raum hinein und schaute sie an. „Adele Sevilla, Hagen und Bernstein haben alle davon abgeraten. Es ist zu gefährlich dich alleine zu lassen, wir wissen nicht, was der Täter noch vorhat."

„Und das heißt?", sie drehte sich um und wies auf die leeren Büros und Labors der Tagschicht-Mitarbeiter. „Calleigh, Alexx und so sind doch alle weg, soll ich hier im Department auf meinem Sofa pennen und Bill als Wächter neben mich setzen?", sie tippte sich an die Stirn. „Ne, mein Lieber, soweit kommt das noch!"