Kapitel 7: Sorgen

„Ich schätze dies ist der Moment an dem ich beginnen sollte mir Sorgen zu machen.", sagte sie im Büro angekommen zu ihren Kollegen, dann drehte sie sich um, knöpfte ihre dunkelblaue Bluse auf und ließ sie bis zur Mitte ihres Rückens herunter rutschen. Zum Schrecken Horatios und Calleighs kam die detailgetreue Abbildung der Zeichnung aus dem zweiten Brief als Tattoo zwischen Anies Schulterblättern zum Vorschein. Sie warf sich die Bluse wieder über die Schultern, knöpfte sie zu, bevor sie sich umdrehte und in zwei entsetzte Gesichter starrte.

„Seit wann... ist das da?", fragte Calleigh mit einer merkwürdig monotonen Stimme.

„Seit etwa fünf Jahren.", sagte Anie sanft. „Du kannst es nicht kennen."

„Okay.", quiekte Calleigh als Antwort. „Anie, ich hab Angst um dich."

„Ganz ruhig, Cal... ein weiteres Teil ist zu unserem Beweispuzzle hinzugekommen. Es gibt nämlich nur wenige Leute die wissen, wie es genau aussieht, geschweige denn, dass ich eines habe.", Anie legte den Kopf in den Nacken, kniff die Augen nachdenklich zu und zählte auf: „Mum, Dad, Kirsten, Jens, der Tätowierer, Mario, George und ich. Das macht acht."

„Na, wenn wir Jens und Kirsten, also deine Geschwister, und deine Eltern weglassen bleiben noch Mario und ..."

Horatio hatte seine Stimme, die irgendwo zwischen dem ersten Schock und dem durchaus entzückendem Bild, welches sich ihm vor ein paar Sekunden in Form vom tätowierten Teil Anies Rückens dargeboten hatte verloren gegangen war, wieder gefunden und unterbrach Calleigh hastig.

„Wer ist dieser George. Er steht auf keiner der Listen. Haben wir ihn als Verdächtigen verhört?"

Calleigh blickte Anie entsetzt an, trat dann einen Schritt zu ihr vor und sagte im Flüsterton:

„Anie, jetzt sag mir nicht, dass er es immer noch nicht weiß!"

„Hallo? Was gibt es denn da zu flüstern? , fragte H empört.

„Nee, er weiß es noch nicht. Jetzt muss ich wohl auspacken, ich werde die Stelle mit Ray weglassen.", flüsterte sie zurück und sagte dann laut zu Horatio:

„Okay, hör zu...Horatio, ähm George, George Richards kommt nicht in frage. Er ist...", dieser Teil fiel ihr merklich schwer: „Wir waren...verlobt...Du weißt von meinem Arbeitsunfall vor zwei einhalb Jahren?"

Horatio nickte.

„Er ist bei dieser Schießerei ums Leben gekommen.", sie schluckte und schloss die Augen. „Er ist der dritte Typ auf dem Foto.", sie wies zu ihrem Schreibtisch, indem sie mit dem Kopf hinnickte.

George Richards, der Name sagte ihm etwas. Horatio war etwas verwirrt, da ihm seine Intuition riet Yelina nach ihm zu fragen. Peinlich berührt schaute er zu Boden.

„Tut mir leid...ich wollte nicht...."

„Ist schon okay,...", sagte Anie mit warmer Stimme. „Ähm...kommen wir doch einfach zum Thema zurück, okay? Also wer könnte der Täter sein. Calleigh...würdest du bitte deinen Gedanken zu Ende führen?"

„Ähm, ja sicher...bleiben also nur noch Kent und der Tätowierer."

„Letzterer fällt ebenfalls weg. Er wohnt in Deutschland und kennt wahrscheinlich weder Jennifer noch Allison...", dachte Anie laut.

„Sonst noch irgendjemand der in Frage kommt?", hakte Calleigh interessiert nach.

„Nein, so leid es mir tut. Ich denke Mario Kent ist der einzige der in Frage kommt.", sagte Stephanie leise und ließ sich auf ihren Schreibtischstuhl fallen, während sie H und Calleigh die zwei Plätze vor ihrem Schreibtisch anbot.

„Wir haben keine Beweise.", sagte Horatio, der Anie jetzt dauerhaft mit seinen Augen fixierte. „Wir haben nur Indizien. Calleigh geh bitte sofort in den Datenbänken nachgucken, ob auf Mario Kent solch eine Waffe zugelassen ist, wenn ja welches Kaliber. Vorher gehst du bitte noch kurz bei den anderem im Lab vorbei und sagst, dass der Brief nun forensisch untersucht werden soll und sich die andren wieder an ihre Arbeit begeben sollen."

„Wird sofort erledigt!", Cal sprang sofort voller Tatendrang auf. „Wir schaffen das schon, Anie. Wir schnappen ihn, bevor er dich schnappt!", sagte sie entschlossen und schon war sie weg.

Horatio drehte sich zufrieden zu Anie und blickte sie ernst an.

„So, und nun zu dir...", nun fragte er sanft: „Wie fühlst du dich?"

Sie stand auf, lächelte ihn freundlich an und wies auf die Sofaecke im hinteren Teil ihres Büros. Dort würden sie sich besser unterhalten können. Im Hinsetzen sagte sie:"Ja, wie fühle ich mich? Wie ein Mensch sich fühlt der gerade eine Morddrohung bekommen hat...", sie schloss die Augen und lehnte sich in dem gemütlichen Sofa zurück. „Ich habe das dringende Bedürfnis nach Routine."

„Okay.", sagte Horatio auf seine typische, konzentrierte Art. „Das verstehe ich vollkommen...Dennoch würde ich dich bitten noch für die Zeit, bis wir den Täter geschnappt haben nicht alleine wohnen zu bleiben. Wenn du möchtest kannst du ähm...bei mir bleiben oder vielleicht solltest du deine Eltern fragen, ob du zu ihnen ziehen kannst."

„Ich...ähm finde es sehr nett, dass du mir anbietest bei dir zu bleiben, doch ich weiß nicht, ob es eine so gute Idee ist, auch das mit meinen Eltern. Ich will nicht, dass ich dich oder meine Familie damit gefährde. Ich möchte nicht, dass irgendwer da rein gezogen wird...", sagte sie und schaute ins Nichts.

„Gut...wir werden das später klären, okay, erstmal bist du ja hier und hier bist du sicher.", dann grübelte er eine Zeit lang über eine Frage, die ihm auf der Zunge lag.

„Ich weiß, was du dich fragst...", sagte Anie schließlich leise.

Er legte den Kopf schief.

„Und was?"

„Du fragst dich welches Motiv er hat, richtig?

H blickte sie verblüfft an.

„Woher weißt du das?"

Anie zuckte mit den Schultern.

„Weibliche Intuition, denke ich..."

„Okay...ähm, beantwortest du mir meine Frage auch?", ging er vorsichtig voran.

Sie nickte und sagte:

„Ja...also, ich hatte mit ihm eine Art, ähäm, Liaison...oder so und habe diese dann beendet, als ich George kennen gelernt hab...ja, also, genau so, wie Allison es damals mit ihm und Pablo gemacht hat."

„Gut, ich verstehe.", sagte er verständnisvoll. „Ist es okay für dich, wenn ich jetzt zu Sevilla gehe und sie bitte dich für die Zeit, die du außerhalb des Präsidiums verbringst bewachen soll?"

„Bewachen, hum? Während du zu Sevilla gehst überlege dir bitte ein besseres Wort dafür okay?", scherzte sie und zwang sich ein Lächeln ab. „Dann geh ich mal zu Mr Cook und kläre ihn auf, okay?"

„Gut, und ähm...mach dir keine Sorgen, ich werde allen in meiner Macht stehende tun, damit dir nichts passiert!", sagte er etwas verlegen, aber dennoch entschlossen.

„Mhm.", sie nickte ihm zu. „Gut, dann fühl ich mich sicher..."

Auf dem Flur trennten sich ihre Wege. Anie fuhr in den obersten Stock, wo David Cook sein Büro hatte. Horatio machte sich auf den Weg in den ersten Stock zu Detective Sevilla um sie zu bitten entsprechende Schutzmaßnahmen für seine Kollegin zu treffen. Auf seinem Weg dorthin fiel ihm dieser Name wieder ein. George Richards. Anie hatte ihm gegenüber nie erwähnt verlobt gewesen zu sein, okay, wenn er so recht darüber nachdachte hatte er sie auch nie nach so etwas gefragt, aber trotzdem fühlte er sich aus irgendeinem Grund hintergangen. Anie und er verstanden sich schließlich nicht nur dienstlich hervorragend. Im Laufe der sieben Monate in denen Anie jetzt zum Team gehörte hatte sich privat zwischen ihr und ihm eine interessante Situation entwickelt. Sie gingen manchmal abends aus und verbrachten ihre Mittagspausen öfters mal zusammen im nahe gelegenen Café. Hätte H im Moment jemand gefragt was für eine Art Beziehung er eigentlich zu Stephanie hatte, hätte er nicht wirklich eine richtige Antwort darauf gewusst. So grübelte er so vor sich hin, als er kurz vor ihrem Büro fast mit Adele Sevilla zusammenstieß.

„Huch, Lieutenant!", sagte sie mit ihrer für eine Frau verhältnismäßig tiefen Stimme. „Augen auf im Straßenverkehr!"

„Was, ähm, ja...entschuldigen sie bitte, Adele, ich war in Gedanken..."

„Ach, was? Da wäre ich jetzt gar nicht drauf gekommen!", sie legte die Stirn in Falten. „Wollten sie zu mir?"

„Ja, ähm wollte ich...", erwiderte H, noch etwas über seine Unaufmerksamkeit verärgert. „Es geht um Anie, ...ähm Lt. Bremer."

Sevilla schmunzelte über Horatios merkwürdig verkrampftes Auftreten, dieser fuhr fort:

„Könnten wir das bitte in ihrem Büro besprechen?"

„Ja, sicher, Caine. Kommen sie doch bitte mit."

Er folgte ihr in den recht spärlich eingerichteten Raum und nahm ihrer Aufforderung nach Platz vor ihrem Schreibtisch.

„Was liegt ihnen denn was Stephanie Bremer betrifft auf dem Herzen, Lieutenant?"

Er sagte mit einem äußerst besorgten Unterton:

„Es sieht so aus als sei unser Serienmörder hinter ihr her."

Sevillas Augen weiteten sich und H beantwortete die unausgesprochene Frage:

„Sie hat wie das zweite Opfer eine versteckte Morddrohung in Form einer Zeichnung erhalten."

„Moment, die Zeichnung von Opfer 2 war ein Tattoo, richtig? Ist sie auch tätowiert."

„Ja, zwischen den Schulterblättern.", blubberte es aus Horatio hervor.

„Lieutenant, woher wissen sie das denn?", Adele zog schmunzelnd die Augenbrauen hoch.

Etwas rot angelaufen rechtfertigte H sich:

„Sie hat es Calleigh Duquesne und mir vorhin als Beweisstück zeigen müssen , okay..."

„Achso, ja...", sie nickte und forderte ihn aus fortzufahren.

„Sie braucht also einen, oder am besten mehrere Personenschützer, die sobald sie das Department verlässt, rund um die Uhr auf sie aufpassen."

„Okay...das lässt sich einrichten. Haben sie einen Verdächtigen?", wollte Sevilla als nächstes wissen.

„Ja, aber gegen ihn liegen bis jetzt nur Indizienbeweise vor, nicht handfestes.", sagte H betrübt.

„Sie mussten ihn also laufen lassen, nicht?"

„Jep, er ist auf freiem Fuß."

„Name?" Adele zückte ihr Notizbuch.

„Mario Kent."

„Gut, vielleicht lässt sich da auch was machen, mal sehen, möglicherweise können wir ihn zwischendurch beschatten lassen."

„Okay.", Horatio war die Erleichterung deutlich anzumerken.

„Ich werde mich sofort darum kümmern. Kopf hoch, Caine! Meine Jungs passen gut auf sie auf!"

Horatio bedanke sich bei Adele Sevilla und machte sich auf den Weg zurück in sein Büro.

Als er aus dem Fahrstuhl stieg warf er einen flüchtigen, zufälligen Blick nach unten auf den Parkplatz und blieb sofort wie eingefroren stehen. Es war mittlerweile 18:30, die Plätze leerten sich, doch eine Parklücke ließ ihm einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Sein Hummer stand dort wo er ihn abgestellt hatte, auf seinen Privatparkplatz, doch von Anies Mercedes, welcher bis vor einer Stunde noch neben dem Hummer gestanden hatte war nichts mehr zu sehen.

Er eilte zu ihrem Büro. Die Tür war abgeschlossen. Er verschaffte sich mit Hilfe seines Generalschlüssels Zugang, stürmte hinein und musste zu seinem Entsetzen feststellen, dass ihr PC heruntergefahren und ihr Koffer, sowie ihre Jacke fehlte. Er rannte raus auf den Flur, schloss die Tür wieder ab und eilte dann durch die Labors um sie zu suchen. Doch auch von seinen Mitarbeitern hatte keiner sie gesehen. Auch in der Gerichtsmedizin keine Spur. An ihr Handy ging sie nicht dran. Also sagte er Calleigh, Delko und Speed bescheit und stürmte hoch zu Cooks Büro. Doch dort war kein David Cook. Zu seiner großen Überraschung stellte sich ihm Jeffrey Malcom, ein schleimiger Mit-Vierziger mit fahler Haut, durchdringenden Augen und widerlich nach hinten gekämmten, ölig-schwarzen Haaren als seine kurzfristige Vertretung vor.

Horatio zeigte sich von der ganzen Sache jedoch unbeeindruckt, stürmte vor zu dem Schreibtisch und fragte die Vertretung hastig:

„Wo ist Lieutenant Bremer?"

Malcom lehnte sich lässig in dem Leder-Chefsessel zurück und sagte langsam, in einem Ton der H gar nicht gefiel:

„Setzen sie sich, Caine."

„Nein, danke, wo ist sie?", bohrte er nach, seine Intuition verhieß ihm nichts Gutes.

„Gut, dann nicht...Also, ja Stephanie Bremer war vor ca. einer Stunde hier, hat total verwirrt nach David gefragt.", erwiderte Malcom ganz entspannt. „Sie war ganz durcheinander, hat etwas von Morddrohungen erzählt. Ein Serienmörder sei hinter ihr her, armes Mädchen. Der Arbeitsstress ist ihr wohl über den Kopf gewachsen."

„Wo ist sie?", H kämpfte mit seiner Fassung.

„Ich habe ihr spontan zwei Tage Extra-Urlaub gewilligt und sie nach Hause geschickt."

„Nein!", ein Anflug von Panik trat in Horatios Augen. „Was hat sie gesagt?"

„Oh, es war schwer sie zu überzeugen. Ich musste ihr mit einer unbefristeten Suspendierung drohen, damit die endlich geht.", er betrachtete seine Fingernägel, während er mit einem herablassenden Ton sagte:

„Finden sie nicht auch, Lt. Caine, dass der Beruf eines Tatortermittlers in Männerhand gehört? Frauen halten diesen Belastungen einfach nicht stand."

„Horatio starrte ihn fassungslos an, er musste seine Gedanken ordnen.

„Sie ist in Lebensgefahr.", sagte er schließlich zu niemandem und rannte aus dem Büro.

„Tse, tse, tse!", schnalzte Jeffrey mit der Zunge. „Wenn David wieder da ist wird er sich mal Gedanken über sein Personal machen müssen!

Sie ging einfach nicht an ihr Handy ran. Da konnte etwas nicht stimmen! Also rief Horatio Calleigh, Eric und Tim zusammen mit Detective Sevilla in sein Büro und schilderte ihnen die Situation. Vollkommen entsetzt blickten sie den CSI-Chef an.

„Er hat sie einfach weggeschickt?", Delko war kreidebleich, „Darf der das?"

„Ja, Eric.", erklärte H. „Er ist die offizielle Vertretung und hat somit volle Amtgewalt."

„Okay, trotzdem, wir werden sie finden!", sagte Sevilla entschlossen zu Horatio. Dieser fuhr fort:

„Deswegen werdet ihr zwei jetzt zu Anie nach Hause fahren.", er deutete auf Delko und Speed. „Guckt ob ihr Wagen da ist, klingelt, sichert mögliche Spuren. Calleigh, wir beide fahren zunächst zu ihren Eltern, gucken, ob sie dort ist, wenn nicht fahren wir zu mir und gucken dort, okay?"

„Wieso denn bei dir?"

„Erklär ich dir später...", dann blickte er in die Runde und sah, dass alle Anwesenden breit zu grinsen begonnen hatten, deswegen sagte er: „Nein, nicht deswegen! Ich muss euch noch mal fragen, was ihr mir eigentlich unterstellt!"

„Ist schon okay, Caine! Geht uns ja auch nichts an, nichtwahr?", Sevilla fragte in die Runde.

„Genau das!", fügte H hinzu bevor er sagte: „Adele, wir wären ihnen sehr verbunden, wenn sie die Informationen hier zusammentragen würden und uns im Ernstfall mit ein paar Officers zur Verfügung stehen würden."

„Gut, geht klar, ich halte die Stellung. Viel Erfolg! Lassen sie uns hoffen, dass sie nur bei ihren Eltern für ein paar Stunden untergetaucht ist, bis der ganze Trubel um ihre Person vorbei ist!"