Kapitel 13: Enttäuschung

Das Klopfen an der Tür ließ die beiden prompt hochschrecken. Sie sprangen förmlich voneinander weg und Anie stützte sich gerade noch so am Ende ihres Bettes ab, um auf einem Bein stehend nicht umzufallen. Sie vermied den Blick in Horatios Augen als sie etwas verwirrt klingend sagte:

„Herein."

Es war der Arzt mit einer Krankenschwester, die zur allabendlichen Spätvisite zu ihr kamen. Geduldig ließ sie die Prozedur des Fieber und Blutdruckmessens, sowie das Spritzen einiger Medikamente über sich ergehen, immer noch ohne Horatio in die Augen zu sehen.

Als der Mediziner und sein Anhang den Raum verlassen hatten, wurde die Szene von einer peinlichen Stille beherrscht. Anies und Horatios Augen wanderten im Raum entlang um irgendetwas zu finden, was die Grundlage für eine Unterhaltung sein könnte. Stephanie gewann.

„Was ist in der Tüte da?", sie deutete auf eine kleine Plastiktüte, die H nach seiner Ankunft auf die Fensterbank gelegt hatte.

„Ähm, bitte?", er schreckte aus einer Flut aus Gedanken auf, die sich in seinem Kopf breit gemacht hatte. „Ach ja, die Tüte."Er stand von dem Stuhl in der Ecke auf, auf dem er während der Visite gesessen hatte auf und brachte sie zu ihr. Etwas verlegen sagte er:

„Ich bin auf dem Weg vom Büro hierher eben an einem Markt vorbei gekommen und musste... ähm... an dich denken, als ich die hier gesehen habe.", er gab ihr die Tüte in die Hand und setzte sich zu ihr aufs Bett. Stephanie begann neugierig den Inhalt zu begutachten und musste nach dem ersten Blick hinein lachen.

„Nein, woher weißt du das denn?"

Sie griff in das Behältnis und holte drei Pfirsiche hervor.

„Ich habe meine Informanten...", sagte H mit einem gewissen Unterton.

Sie grinste breit und sagte:

„Ja, Dankeschön! ... Tust du mir nen Gefallen und legst sie auf meinem Tisch?"

„Ähm... klar.", während Horatio ihrer Bitte nachging, fiel Stephanie etwas Merkwürdiges ein, was sie am Vormittag in der Empfangshalle der Krankenhauses beobachtet hatte.

„Ach, Horatio?"

„Ja, was ist?", er setzte sich wieder neben sie und legte den Kopf schief.

„Ich war heute Morgen unten in der Lobby... und da habe ich jemanden gesehen, den ich ganz gut kenne... und ich habe mich gefragt, was die zwei hier machen...ich dachte vielleicht kannst du mir die Frage beantworten.", sagte sie nun vollkommen ernst.

„Wieso, wen hast du gesehen?"

„Agatha und Luther Kent, in Polizeibegleitung... auf dem Weg zur Intensivstation. Horatio, was machen die hier? Eigentlich wohnen die beiden in Chicago.", da war er wieder, dieser durchdringende Bremer-Blick, der H jetzt durchbohrte.

„Ja, ähm... Anie, ich denke sie werden ihren Sohn besucht haben.", sagte er vorsichtig.

„Wie jetzt???"Stephanie schaute ihn mit großen Augen an. „Ihr habt Mario nicht mehr erwähnt, ich dachte er sei tot!"

H schüttelte langsam den Kopf und sagte:

„Nein, er hat überlebt. Allerdings ist er von der Hüfte an gelähmt, weil eine Kugel seinen Steiß durchschlagen und sein unteres Rückenmark verletzt hat."

Sie saß fassungslos auf dem Bett und starrte ihn an, schließlich schlug sie sich mit dem rechten Handballen geben die Stirn und sagte:

„Und das sagst du mir erst jetzt?"

„Ja, wann denn sonst?", fragte H verzweifelt.

„Irgendwann... vorher...ich frage mich gerade, wann du es mir gesagt hättest, wenn ich dich nicht drauf angesprochen hätte!"

„Anie, bitte, du hast in den letzte Wochen schon genug durchgemacht! Ich wollte dich nicht damit belasten!"

„Nicht belasten?!"... sie griff zu ihren Krücken und sprang auf um sich ein wenig Abstand zu verschaffen. Dann seufzte sie leise: „Och, Mann! H das ist doch nicht dein Ernst!"

Sie drehte sich um, bewegte sich zum Fenster und starrte in die Ferne. Es war eine Weile still, bis sie fragte:

„Wissen meine Eltern davon?"

„Ja..."

„Herr im Himmel!", sie setzte sich auf die Fensterbank und vergrub ihr Gesicht in den Händen. „Für was haltet ihr alle mich denn? Ich breche doch nicht heulend zusammen, wenn ihr mir so was erzählt. Habe ich denn kein Recht darauf soetwas zu erfahren?"

„Stephanie. Natürlich hast du ein Recht es zu erfahren... und ich denke auch nicht, naja... dass du heulend zusammengebrochen wärest, aber bitte... wir haben uns doch gerade erst darüber unterhalten... du musst auch verstehen in welcher Situation deine Eltern und ich uns befunden haben...und jetzt weißt du auch..."Er stand direkt vor ihr und schaute zu Boden, bevor er mit einem traurigen Unterton sagte: ...wie ich mich gefühlt habe, als ich erfahren habe, was damals bei Ray und dir passiert ist..."

Anie schloss jetzt die Augen und fuhr sich durch die Haare, schließlich atmete sie tief ein und aus, bevor sie sagte:

„Okay... puh., ganz ruhig ...Anie, ... ganz ruhig.. Also, in Ordnung...gehen wir es ruhig an...

Mario lebt noch... hmm ist er angeklagt? Ich denke ich werde als einziges Opfer, welches überlebt hat gegen ihn aussagen müssen... Wann ist der Gerichtstermin? Ich hoffe ihr habt auch nachdem ich weg war fleißig gearbeitet..."

Horatio versuchte ihr verzweifelt den Wind aus den Segeln zu nehmen:

„So, und das ist ein weiterer Grund, warum ich dir es vorerst nicht sagen wollte..."

„Was ist?", sie blickte ihn fragend an. „Was meinst du?"

„Meine Güte, Stephanie! Du bist hier um gesund zu werden und nicht um zu arbeiten. Was mit Kent ist, muss dich nicht interessieren, also vorerst nicht. Das Team hat hervorragende Arbeit geleistet. Selbst ohne eine Aussage von dir reichen die Beweise vollkommen, um ihn lebenslang hinter Gitter, oder in die Todeszelle zu bringen!"

„Aha, du möchtest also sagen, dass ihr mich eigentlich nicht braucht?", sagte sie vollkommen sachlich.

Ohne großartig darüber nachzudenken antwortete H:

„Ähm... eigentlich ja..."

„Okay, dann weiß ich ja, was ich zu tun habe..."

Da sie danach kein gemeinsames Thema mehr fanden und es auch schon spät geworden war, beschloss Horatio zu gehen. Noch in derselben Nacht traf Stephanie jedoch eine Entscheidung, die sie dazu veranlasste ein langes Gespräch mit Mr Cook und ihrem behandelnden Arzt zu führen und eine Woche später das Krankenhaus zu verlassen.