Can you take it all away? This pain you gave to me...
Symphonie...
Sie hatte gelogen. Sie war nicht nur bei ihm geblieben bis er eingeschlafen war, sondern so lange, dass sie vorsichtig sein musste das er nicht bald wieder aufwachte. Bevor die vielen Schmerzmittel die durch seinen Körper gepumpt wurden wieder ihre volle narkotisierende Wirkung erreicht hatten, hatte er ihr den Schlüssel zu seiner Wohnung gegeben und kurz den Weg beschrieben. Es war einfacher sich über die Dächer fortzubewegen, als sich durch die komplizierten Straßennetze zu suchen, außerdem schien der Wind eine beruhigende Wirkung zu haben, und ihren Geist von allen Verwirrungen frei zu machen.
Auch wenn es durch die dicke Schicht von Wolken die nun wieder über Tokio hing kaum zu bemerken war, war es noch früh am Abend und in der Stadt unter ihr tummelten sich zahlreiche Menschen. Sie hielt auf einem Dach inne und betrachtete sie für eine Weile, wie die Menschen einfach anonym in der Masse verschwanden. Wollte sie jetzt wirklich allein in eine stille Wohnung gesperrt sein? Selbst wenn es sein Wunsch war, es würde bedeuten sie muss sich mit dem Chaos von Gefühlen und Gedanken in ihrem Kopf auseinander setzten. Ihr Blick glitt über die Skyline von Tokio und blieb plötzlich an einem ganz bestimmten Punkt hängen. Sie wusste wo sie hingehen könnte, wo sie nicht allein wäre.
Kurzentschlossen sprang sie auf das nächste Dach in Richtung Tokio Tower. Ihr Ziel war das kleine Café in dem Mizuki arbeitete. Sie brauchte nicht lang um dort hinzukommen und ging die letzten Meter zu Fuß um kein Aufsehen zu erregen. Beim Öffnen der Tür erklang das gewohnte klingeln der kleinen Glocke die darüber angebracht war. Sie fand das Café relativ leer vor und ihr Blick suchte instinktiv nach dem vertrauten Gesicht der Kellnerin.
„Tenshi-san!" rief ihre Stimme plötzlich von hinter dem Tresen. Sie kam sofort auf sie zugestürmt und bevor Tenshi verstand was mit ihr passierte wurde sie von ihr fest in die Arme geschlossen. „Gott ich bin so froh das es dir gut geht! Das war ja ein furchtbares Erdbeben gestern, ich kam leider zu spät... ist alles in Ordnung mit dir?"
Tenshi versuchte krampfhaft die neuen Tränen die in ihr aufgestiegen waren wegzublinzeln, sie wollte nicht weiter weinen, aber die Tränen hörten einfach nicht auf sie zu übermannen und ihre Worte hatten sie von neuem heraufbeschworen. Sie nickte tapfer zur Antwort, es fiel Mizuki jedoch nicht sonderlich schwer die Antwort als Lüge zu durchschauen.
„Komm setzt dich erst mal, ich hab jetzt eh Feierabend."Sie führte Tenshi an den selben Tisch in der Ecke an dem sie schon letztes mal gesessen hatten, nur dass sie sich diesmal neben sie setzte und ihren Arm um ihre Schulter legte. „Wurdest du verletzt?"
Sie schüttelte energisch den Kopf zur Antwort. Nein, sie war unversehrt aber das machte alles nur noch schlimmer. Mizuki sah sie nachdenklich an.
„Jemand anderes... der dir wichtig ist vielleicht?"
Tenshi runzelte die Stirn. Sie konnte ihr nicht in die Augen sehen, denn sie fühlte sich verantwortlich, auch wenn er gesagt hatte, dass es nicht ihre Schuld war. Sie hatte den, der ihr wichtig war nicht beschützen können. Mizuki legte mitfühlend auch ihren zweiten Arm um sie und drückte Tenshi's Kopf an ihre Schultern.
„Dann bist du ja doch verletzt. Und zwar hier."Sagte sie mit einem besorgten Lächeln und legte eine Hand auf Tenshi's Herz.
Überrascht sah sie Mizuki an. Wie kam es, dass die junge Frau sie so durchschaute, als würde sie durch ihre Augen direkt hinunter in ihre Seele sehen konnte. Vielleicht war sie es leid geworden ihre Gefühle zu verdrängen, sie konnte es nicht mehr. Sein trauriger Blick hatte ihr Herz geöffnet.
„Wer ist es denn?"fragte Mizuki und versuchte schwer die Neugier in ihrer Stimme zu kaschieren.
Tenshi zögerte für einen Moment und fühlte wie die Hitze wieder in ihre Wangen stieg.
„Subaru Sumeragi..."murmelte sie.
Mizuki riss die Augen weit auf und lächelte „Das Oberhaupt des Sumeragi Clans? Hm, ich hab ja gehört er soll ganz niedlich sein, aber auch wortkarg... ein bisschen wie du."Sagte sie und lächelte Tenshi breit entgegen. Plötzlich bemerkte sie ihren abwesenden Blick und ihr Lächeln löste sich wieder auf. „Wie geht es ihm?"
„Er..." Tenshi stocke für einen Moment und blinzelte die Tränen aus ihren Augenrändern weg. „Er ist auf dem rechten Auge erblindet."
Mizuki runzelte die Stirn und wischte sanft eine Träne, die trotz Tenshi's verzweifelten Versuchen ihren Augen entfloh, von ihrer Wange.
„Du kannst dir selbst nicht die Schuld dafür geben, das führt zu nichts."Sagte sie und lächelte Tenshi an. „Lerne aus deinen Fehlern und werde noch stärker, sodass du ihn und alles was du sonst noch liebst das nächste Mal beschützen kannst."
Unweigerlich wurden Subarus Worte wieder in ihren Kopf zurückgerufen. „Du musst bei Kräften bleiben um... die Zukunft herbei zurufen, die du willst." Tenshi seufzte leise. Sie sah ein, dass die Worte der beiden wahr waren, doch wie konnten sie für sie eine Bedeutung haben falls Hinoto's Worte doch nicht gelogen waren, falls alles schon lange vorbestimmt war. Plötzlich kamen ihr wieder die alten Zweifel, doch sie verwarf sie genauso schnell wieder. Sie konnte sich jetzt nicht auch noch damit belasten.
„Du hast recht."Antwortete sie automatisch, meinte es zu einem gewissen Anteil jedoch auch. „Das nächste mal werde ich ihn beschützen."
Mizuki lächelte sie freudig an „So ist's richtig!". Sie entließ Tenshi aus der Umarmung und wollte grade aufspringen, als sie inne hielt und sich mit einem neugierigen Grinsen wieder an Tenshi wand „Und... ist er wirklich so niedlich?"
Sie spürte wie die Röte erneut in ihre Wangen schoss und blinzelte Mizuki mehrer Male an, wobei sie sich wunderte ob sie wirklich eine Antwort erwartete, oder ob sie nur scherzte. Ein weiteres Grinsen verriet ihr, dass wohl das letztere der Fall war.
„Komm, ich begleite dich noch ein Stück nachhause."Sagte Mizuki und streckte Tenshi ihre Hand entgegen um ihr aufzuhelfen.
Mizuki hatte sie wirklich bis zur bis zur Tür begleiten wollen, jedoch hatte Tenshi sie nach einer Weile überzeugen können, dass sie den Rest des Weges alleine schaffen würde. Der Einfachheit halber hatte sie ihr nicht erzählt was mit ihrer Wohnung passiert war und sondern hatte sie in dem Glauben gelassen, dass sie zu sich nachhause gehe. Sie würde sich sonst nur Sorgen machen.
Vorsichtig schloss sie die Tür hinter sich und wurde direkt überwältigt von den Eindrücken die begannen auf ihre Sinne einzurieseln. Sie konnte seine Gegenwart überall spüren, obwohl er nicht da war durchzog seine Aura jeden Raum in dieser Wohnung. Nur langsam konnte sie sich aus dem tranceartigen Zustand den dieses Gefühl bei ihr hervorrief lösen und den Schlüssel in dem Türschloss ein Stück weiter drehen bis es ein leises Klick gab. In milder Panik tastete sie die Wand nach einem Lichtschalter ab, sie hasste die Dunkelheit, sie war unerträglich für sie. Ihre Hand fühlte plötzlich eine andere Art von Material unter sich und als sie sanft druck darauf legte wurde die Wohnung von warmen Licht durchflutet. Sie war nur spärlich eingerichtet, hatte jedoch trotzdem Persönlichkeit, allein durch seinen Geruch der Tenshi's Sinne am meisten betörte.
Ihre Tränen hatten sie ausgelaugt und instinktiv machte sie sich auf die Suche nach einem Raum in dem sie einfach nur schlafen konnte. Da ihre Muskeln immer noch von der Schlafhaltung der letzten Nacht streikten schloss sie das Sofa sofort als Schlafgelegenheit aus und ging zielstrebig auf den kleinen Gang mit drei Türen zu. Hinter der Ersten befand sich ein Badezimmer, dass sie gar nicht erst näher betrachtete sondern gleich wieder dessen Tür schloss. Bei der nächsten Tür hatte sie mehr Glück und fand ein Schlafzimmer vor, dessen Bett benutzt aussah. Als sie den Lichtschalter umlegte sah sie, dass dieses Zimmer weniger karg eingerichtet war als das was sie zuerst gesehen hatte war. Wahrscheinlich verbrachte Subaru die meiste Zeit die er zuhause war mit schlafen. Schließlich war er das Oberhaupt des Sumeragi Clans, und das war ein vierundzwanzig Stunden Job. Außer des Betts stand noch ein großer Spiegel am anderen Ende des Raums, gleich neben einer schon halb vertrocknete Grünpflanze. Ein kleiner Nachtisch mit einer Lampe und Wecker drauf stand neben den Bett, auch ein umgeworfener Bilderrahmen fand dort seinen Platz. Mit einem lauten Seufzer brach Tenshi auf das Bett zusammen und vergrub ihr Gesicht in der Decke. Sie zog die Luft tief durch ihre Nase in die Lungen und lies wieder die sanfte Betörung ihrer Sinne die sein Geruch mit sich brachte zu. Es jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Mit einem leisen Stöhnen drehte sie sich auf ihren Bauch und bemerkte dabei etwas solides was sie in die Seite Stach. Als sie mit ihrer Hand danach begann zu tasten merkte sie, dass es eine Fernbedienung war. Kurzentschlossen drückte sie den Schalter über dem „Power"stand. Mit einem Surren schaltete sich das Radio am anderen Ende des Betts, was sie bisher nicht bemerkt hatte, ein und eine sanfte Melodie begann zu spielen.
Sag mir was ist bloß mit mir geschehnDu scheinst mir auf einmal völlig fremd zu sein
Wieso geht´s mir nich mehr gut
Wenn ich nicht bei dir bin
Ist es egal geworden was mit mir selbst passiert?
Die Stimme der Sängerin war so zart und einlullend, es war als könnte Tenshi ihr für immer zuhören, als würde die Stimme wie Balsam auf ihre Seele wirken. Ja, dachte sie, jetzt war egal was mit ihr selbst passiert. Sie atmete tief ein und lies zu sich langsam in seinem Geruch zu verlieren.
Wo
willst du hin ich kann dich kaum noch sehn
Unsre Einsamkeit stellt
sich uns in den Weg
Wollen wir nicht alles wagen, werden wir uns
selbst verraten?
Für dich könnt ich echt alles ertragen
Sie verkrampfte ihre Finger in die Bettlaken und seufzte. Seine Gegenwart umringte sie hier überall, das war fiel mehr als sie in den letztem Wochen je von ihm gespürt hatte und doch fehlte ihrem Körper das neugewonnene Gefühl seiner Körperlichen Nähe. Sie wollte bei ihm sein, verhindern das er sich selbst in seinem scheinbar immer präsenten Seelenschmerz verlor. Sie wollte ihn lindern. Eine erneute Welle von Müdigkeit begann über sie zu ebben und ihre Lieder wurden unerträglich schwer.
Symphonie
Und
jetzt wird es still um uns
Denn wir steh´n hier im Regen
haben uns so viel zu geben
Lass es einfach zu
Denn es ist
Zeit
Sich ein zu gestehn was wir fühln
Es gibt nichts mehr
zu Zweifeln denn wenns nur regnet
Will ich nicht alleine sein...
Sie konnte den Rest des Liedes nicht mehr hören, denn der Ton ebbte langsam aus ihren in sanften Schlummer fallenden Geist weg, lediglich die letzte Zeile bildete noch als ein Echo in ihren Gedanken. Nein, ich will nicht alleine sein, dachte sie. Jetzt nicht mehr... Ich liebe dich Subaru Sumeragi...
