Tashgan: Vielen lieben Dank!
Liderphin: Immer doch! 'Nimmermehr' hab ich mir aus dem Gedicht 'Der Rabe' von Edgar Allen Poe geliehen...
Der Bote des Todes
„Daehên!"
Lautlos glitt ein schimmernd schwarzer Rabe über die Kronen der Bäume, schwebend auf dem warmen Frühlingswind, bis er schließlich eintauchte in das grüne Meer unter ihm und sich auf der Schulter des alten Mannes niederließ, der ihn gerufen hatte.
„Was hast du gesehen?"fragte Radagast leise und lauschte aufmerksam dem Bericht des Vogels, der ihm nun bereits seit mehr als einem Jahr treu zur Seite stand. Er seufzte und schüttelte ergeben den Kopf.
Sein Blick wanderte die Baumstämme hinauf, fing die wenigen Sonnenstrahlen ein, die durch das dichte Blätterdach fielen. „Der Tag wird alt, mein Freund, und lange schon sind wir auf Reisen. Ich sehne mich nach einer Nacht der Ruhe..."
Daehên krächzte leise.
„Ja...", murmelte der alte Mann. „Ich weiß, es ist zu spät, um diesen Menschen zu helfen. Und doch... ich will mich wenigstens dort umsehen. Was wäre gewesen, wenn ich damals nicht dort gewesen wäre? Was wäre aus dir geworden, mein Freund...? Schau nicht so vorwurfsvoll, ich weiß, daß es eine schlechte Rechtfertigung ist. Nun komm."
Widerwillig erhob sich der Rabe wieder in die Luft und kreiste zwischen den Bäumen umher, entfernte sich jedoch niemals weit von Radagast. Dieser suchte sich schwer atmend seinen Weg durch die dicht bewaldeten Hügel; er wußte nicht, ob es das Alter war, das seine Schritte schwerer werden ließ, oder der Unwille, wieder einmal einen dieser verhängnisvollen Orte zu sehen, die ihn seit Jahren zu verfolgen schienen.
Er grübelte, dachte an sein Schicksal, immer und immer wieder an solche Orte zu gelangen, immer zu spät, um noch irgend etwas zu tun – aber niemals kam er zu einem Ergebnis. Er war nicht Curumir. Er war nicht Olórin. Er hatte keine Aufgabe zu erfüllen in diesen Landen, war nicht mit einem Auftrag hierher geschickt worden wie die beiden anderen Istari. Freundschaft hatte ihn dazu bewogen seine Heimat zu verlassen, diese leuchtenden Unsterblichen Lande, in die er sich nun so sehr zurücksehnte, daß es ihm beinahe das Herz zerriß vor Sehnsucht. Freundschaft, nicht Bestimmung.
Warum also schien es ihm nun bestimmt zu sein, immer und immer wieder verbrannte Dörfer zu finden, die Leichen von Unschuldigen, ermordet, ohne daß er hatte helfen können? Warum er? Warum...
„Da ist er!"
„Dort, in der Eiche!"
Die harschen Männerstimmen rissen ihn aus seinem Selbstmitleid. Wer war wo? In welcher Eiche...? Er blickte auf, sah sich suchend um, entdeckte aber nur Daehên, der unruhig auf einem Ast flatterte und die Männer beobachtete. Ihren Stimmen nach zu urteilen kamen sie immer näher, schlugen sich alles andere als geräuschlos durch das Unterholz, auf der Suche nach...
Daehêns Krächzen schallte laut durch den Wald, als der Rabe sich von dem Ast erhob und auf die Schulter Radagasts hinabschwebte. Die Stimmen verstummten einen Moment lang.
„Ist das Euer Vogel?"fragte plötzlich eine Stimme im Gebüsch vor ihm, bevor ein Mann hervorbrach, der Radagast auf den ersten Blick so groß und breit wie ein Troll zu sein schien. Der Zauberer beäugte ihn einen Moment lang mißtrauisch, bevor er langsam nickte.
„Ja. Warum fragt Ihr...?"
„Dann verschwindet, und nehmt das Viech gleich mit! Laßt Euch hier nicht mehr blicken!"wurde er völlig unvermutet angefahren. „Dieser Vogel hat uns schon mehr als genug Unglück angekündigt! Er bringt uns den Tod!"
Nachdenklich saß Radagast neben der erkalteten Feuerstelle und starrte in den hellgrauen Himmel. Nebel spann feine Netze zwischen den jungen Bäumen und Sträuchern, leuchtete sanft im Morgenlicht. In einem der Büsche saß Daehên, den Kopf unter das Gefieder gesteckt, noch schlafend, wie es schien.
„... er bringt uns den Tod...", murmelte der alte Mann. Die Worte gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf, ließen keinen Platz für andere Gedanken.
Die anfängliche Überzeugung, daß die Männer einem Aberglauben erlegen waren, wich nagendem Zweifel. Wäre es möglich...? War Daehên ein Bote des Todes?
TBC...
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