Liderphin: Soo... dank deines lieben Reviews kommt hier das nächste und leider schon letzte Kapitel!
Gestillte Sehnsucht
Verwundert stand er dort, beobachtete Männer, die sich zum Kampf bereit machten, Frauen, die ihre Kinder in Sicherheit brachten, unruhig bellende Hunde. Das Dorf war in Aufruhr. Rauchsäulen erhoben sich hinter dem Horizont in den ohnehin wolkenüberzogenen Himmel, zeugten von dem Angriff, der vor wenigen Stunden gar nicht weit entfernt stattgefunden hatte. Ein winziger schwarzer Punkt war dort sichtbar – Daehên, der suchend zwischen den grauen Schwaden schwebte. Daehên, das Kind des Schattens. Daehên – der Bote des Todes?
Selbst jetzt noch, lange Wochen nach der Begegnung im Wald, zwickten und zwackten Zweifel an seinem ruhigen Gewissen, Zweifel, ob nicht vielleicht etwas Wahrheit in den Worten gesteckt hatte. Doch warum sollte es? Warum dieser Rabe? Warum er selbst, der als Abgesandter des Guten nach Mittelerde gekommen war...?
Und warum war plötzlich alles anders, an diesem heutigen Tag?
Er war rechtzeitig hier, vor einem Angriff, hatte die Menschen gewarnt, würde ihnen durch den einen oder anderen Trick vielleicht helfen können. Hier und heute würde sich das Schicksal wenden, das ihn bereits so lange verfolgte, ohne dass er den Grund dafür kannte. Hier und heute...
Daehên hatte seine Erkundung beendet und kehrte zurück zu ihm, ließ sich erstaunlich schwer auf seiner Schulter nieder. „Was ist mit dir, mein Freund?" fragte Radagast leise. „Was bedrückt dich? Wir werden nicht mehr lange hier verweilen müssen; ob ich zurückkehren darf nach Valinor wird sich heute entscheiden,...
Es ist nicht mein Wille, der dies zu entscheiden hat; diese Aufgabe wurde mir von denen bedacht, die den Lauf der Welt kennen und wissen werden, aus welchen Gründen sie handeln... Aber dennoch, die Frage bleibt: Wie oft werde ich mich noch verzehren müssen nach meiner fernen Heimat...?" Er hielt inne, begreifend, dass er diese Gedanken zu oft gehabt hatte in den letzten Tagen. Gerade, als er beschloss, sie zu verdrängen, wegzusperren und einzuschließen in einer dunklen Ecke seiner Selbst, sprach der Rabe: „Nimmermehr."
Daehên sah ihn an, aus dunklen Augen, durch die eine unbestimmte Weisheit schimmerte, die Dunkelheit einer sternlosen Nacht, die eisige Kälte des Schnees, der die Weiten Mittelerdes im Winter bedeckte wie ein Leichentuch. Radagast ertappte sich dabei, wie er leicht zusammenzuckte. Niemals zuvor war ihm dies aufgefallen, doch etwas in ihm ließ in spüren, dass diese Kälte schon immer dort gewesen war – nur hatte er sie niemals gesehen... oder nicht sehen wollen. „Sag, mein Freund", begann er schließlich schleppend zu sprechen. „Sag, Daehên – hatten die Männer damals Recht?"
„Was glaubst du, Aiwendil?" fragte der Rabe, ohne zu antworten.
Der alte Mann seufzte. „Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll... und doch..."
„Doch sagt dir ein Gefühl, dass du die Antwort bereits kennst. Du willst sie nur nicht sehen... denk nach, du kennst mich, hast mich schon immer gekannt. Dir gewünscht, dass ich zu dir käme, mich herbeigesehnt wie sonst nur deine geliebte Heimat, mich gesegnet und mich verflucht, so wie du die verwünschtest, die dir die Rückkehr in die Leuchtenden Lande verwehrten. Du bist beinahe erstickt an deiner Wut, zerbrochen an deiner Hilflosigkeit... hast gedacht, es sei dein Leben, und kein Gott und keine Macht dieser Welt habe darüber zu bestimmen..."
Wie hypnotisiert nickte er, konnte seinen Blick nicht abwenden von dem schwarzen Vogel auf seiner Schulter, der so genau das aussprach, was er gedacht hatte während all der endlosen Jahre seiner Wanderungen.
„Wer bist du...?" brachte er schließlich mühsam hervor, nicht bemerkend, die Hölle, die um ihn herum losbrach, das Kampfgeschrei der Angreifer, das Schreien der Menschen, die sich verteidigten, sich und ihr Leben, ihre Welt.
„Du dachtest, dies sei dein Schicksal. All die Angriffe, all das Leid, das dir immer wieder begegnete... aber du hast dich geirrt, Aiwendil. Ich begleite dich schon seit langem, viel länger, als du denkst, ich führte dich an jeden einzelnen Ort deiner Reise, führte dich auch hierher, genau zu der Zeit, an der ich es beabsichtigte. Dein Schicksal bin ich."
Häuser gingen in Flammen auf, wurden zu einer tödlichen Falle für jeden, der sich in ihnen befand. Schreie erfüllten die Luft, mischten sich mit beißendem dunklen Rauch und dem Geräusch von klirrenden Schwertern, von berstenden Toren. Die letzten verzweifelten Atemzüge, das leise Sirren der Bogensehnen... Pfeile durchschnitten die Luft, bahnten sich unbarmherzig ihren vorbestimmten Weg, ohne zu fragen, ohne zu zweifeln.
„Wie oft willst du mich dann noch quälen..."
Der plötzliche Schmerz in seiner Brust ließ ihn überrascht aufschreien. Ein leises Flattern sagte ihm, dass Daehên seine Schulter verlassen hatte, bevor sein Blick verschwamm und er schwer atmend auf die Knie sank. Etwas Warmes tränkte seine braunen Gewänder, Blut rauschte in seinen Ohren, während die Welt um ihn herum dunkel wurde. Das leise Krächzen des Raben war das letzte, was seine Ohren noch vernahmen, bevor der Schwärze wich und silbernes Licht seine Seele durchströmte...
„Nimmermehr."
The End
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Die Ideen für diese Story stammen von 'The Raven' by Edgar Allen Poe und 'Ravenheart' by Xandria. Radagast und Mittelerde gehören J.R.R. Tolkien; ich verdiene kein Geld mit dieser Geschichte.
