Ein Update, ein Update - hallo, ich lebe noch, und ich habe es tatsächlich geschafft, diese Geschichte fortzusetzen...
Interessiert sich noch jemand dafür? Ich hätte Verständnis, falls nicht - nach so langer Zeit... schäm
Kommen wir zum Wichtigen: Wie wir alle wissen, bin ich reich und berühmt, und deswegen gehören mir natürlich diese Charaktere und Hogwarts und überhaupt. Deswegen habe ich auch nichts besseres zu tun, als diese Geschichte in einem Fanfic-Archiv zu veröffentlichen... seufz
Vielen lieben Dank an meine Super-Betaleserin Lastalda für ihre bissigen Kommentare! knuddels
So. Los gehts!
Kapitel 2
Remus lag zusammengerollt auf seinem Bett und las – oder versuchte es zumindest. Seine Gedanken waren nicht bei der Sache – er hatte zuviel Angst. Warum nur war er so dumm gewesen? Bis jetzt war es dreimal gut gegangen – drei Vollmondnächte hatte er bereits in Hogwarts verbracht, eingeschlossen in der Heulenden Hütte, fern ab von allen, denen er gefährlich werden konnte. Dreimal hatte niemand genauer nachgefragt, weil es niemanden näher interessiert hatte, wo er war – aber jetzt war es anders. Jetzt hatte er Freunde.
Remus blätterte die Seite um, las die erste Zeile, stellte fest, dass er den Anschluss verloren hatte und blätterte zurück.
Freunde. Warum hatte er bloß nachgegeben und Sirius, James und Peter an sich heran gelassen? Warum hatte er nicht seine Distanz gewahrt, wie er es sich vorgenommen hatte? Die Antwort war einfach – weil er die Einsamkeit nicht mehr ausgehalten hatte. Solange er mit seinen Eltern in ihrem abgelegenen kleinen Haus gewohnt hatte, war Einsamkeit kein großes Problem gewesen – aber hier, umgeben von Gleichaltrigen, war es unerträglich geworden. Überall um ihn herum hatten sich Freundschaften entwickelt, und er war ständig damit konfrontiert worden, was hätte sein können – bis er seinen Wünschen wider besseren Wissens nachgegeben hatte.
Und jetzt hatte er entsetzliche Angst. Wie lange würden seine Freunde brauchen, bis ihnen seine regelmäßigen Abwesenheiten auffielen? Wie lange, bis sie ihm seine kranke Mutter nicht mehr glauben würden? Und was, wenn sie die Wahrheit herausfänden? Dann wäre er wieder alleine – und, viel schlimmer, dann würde er Hogwarts verlassen müssen.
Remus seufzte – und natürlich musste Sirius sich genau diesen Moment aussuchen, um in den Schlafsaal zu stürzen. Als er den Seufzer hörte, stutzte er und kam zu Remus' Bett. „Remus? Was machst Du denn hier – warum bist du nicht mit uns im Gemeinschaftsraum?" Remus zuckte die Achseln. „Ich bin müde – und ich habe noch eine lange Zugfahrt vor mir." Sirius zog die Augenbrauen hoch. „Wie, Zugfahrt?" „Na ja – ich habe doch erzählt, dass es meiner Mutter wieder nicht gut geht – ich fahre heute Abend noch zu ihr." Sirius runzelte die Stirn. „Deine Mutter ist aber ziemlich häufig krank, oder? Was hat sie denn?" Remus wurde blass, dann murmelte er: „Oh das… ist eine ziemlich seltene Sache…"
„Sirius, bist du hier? Wir wollten doch noch überlegen, wie wir Snape die Stinkbomben am besten in die Tasche packen können. Oh, hi Remus, wieso bist du hier und nicht unten?" James trat die Tür hinter sich zu, warf seine Tasche auf das nächst beste Bett – Peters – und ließ sich daneben auf die Matratze fallen. Sirius drehte sich um und fragte: „James – hattest du mitbekommen, dass Remus' Mutter schon wieder krank ist?" James schüttelte den Kopf. „Wie, schon wieder? Nein, ist mir neu. Heißt das, du fährst wieder hin?" Remus nickte und hoffte, dass Sirius seine Frage nach der Krankheit vergessen hatte. Zu seinem Glück blieb James nicht mehr beim Thema, sondern kam auf seine ursprüngliche Frage zurück: „Was machen wir denn jetzt mit Snape?" Sirius ließ sich neben seinem Freund auf das Bett fallen und überlegte einen Moment lang. „Hm – am besten lenkt einer von uns ihn ab, und der andere schnappt sich dann seine Tasche."
Remus schüttelte den Kopf. „Das fällt ja auch kaum auf – dann weiß er doch sofort, wer es war!" Sirius zuckte die Schultern. „Na und? Beweisen kann er es ja nicht, außerdem wird er sofort annehmen, dass wir es waren!" Remus seufzte. „Ja, sicher – aber man muss doch trotzdem nicht so offensichtlich sein! Ich würde es im Unterricht machen." James setzte sich auf. „Im Unterricht? Damit uns sofort ein Lehrer erwischt?" „Natürlich nicht so auffällig!" Remus verdrehte die Augen. „Muss man euch denn alles erklären? Wir müssen natürlich geschickt vorgehen. Erst mal kommen nur zwei Fächer in Frage – Zaubertränke oder Fliegen, weil wir nichts anderes mit den Slytherins haben. Na, und jetzt mal ehrlich – Fliegen bietet sich doch wirklich an, oder? Da achtet doch keiner auf den anderen, und Madame Hooch ist auch viel zu beschäftigt, um sich um jeden einzelnen zu kümmern! Wir müssen nur einen Augenblick abpassen, wenn beide beschäftigt sind, und dann kommen wir an seine Tasche ran. Außerdem sollten wir einen Verzögerungs-Zauber auf die Stinkbomben legen, damit sie erst losgehen, wenn wir weg sind – am besten abends, wenn er im Gemeinschaftsraum ist. Dann lässt er seine Tasche im Schlafsaal – und wenn er zurückkommt, hat er einen wunderbaren Geruch um sein Bett rum!" Sirius und James lachten. „Jetzt sieh dir den Kerl an, Sirius – wenn du mir vor einem Monat gesagt hättest, was der für Ideen hat, hätte ich dich für bekloppt erklärt, bei dem unschuldigen Gesicht!" Sirius nickte. „Ich dich auch, aber ganz bestimmt!"
Poppy Pomfrey saß in ihrem Büro, äußerlich völlig ruhig, und beobachtete mit scheinbarer Geduld ein kleines Lunaskop, das vor ihr auf dem Tisch stand. Das Lunaskop war ein Geschenk Dumbledores zu ihrem letzten Geburtstag gewesen – zusammen mit einer kleinen Karte, auf der nur ein einziger Satz stand: „Nichts ist je verschwendet." Sie hatte sich damals gewundert, was sie wohl mit einem Lunaskop sollte – Astronomie war nie eins ihrer stärksten Interessen gewesen, aber kurz vor Schuljahresbeginn hatte sie plötzlich verstanden, als Dumbledore eine Lehrerkonferenz einberufen und das Kollegium und die Krankenschwester über die Aufnahme eines ganz besonderen Schülers informiert hatte.
Poppy seufzte leise und starrte das Lunaskop an, als könne sie mit ihrem Blick den Mond dazu bringen, eher unterzugehen.
Noch vor wenigen Monaten hätte sie jeden ausgelacht, der ihr gesagt hätte, dass sie einmal so besorgt um das Wohlergehen eines Werwolfs, einer dunklen Kreatur, sein würde, aber das war, bevor sie Remus Lupin kennen gelernt hatte. Als sie den stillen, immer höflichen Jungen zum ersten Mal gesehen hatte, war sie überzeugt gewesen, dass Dumbledore sich irren musste – hinter diesen ruhigen, grauen Augen konnte sich kein Monster verstecken! Wenige Tage nach Schuljahresbeginn hatte sie ein langes Gespräch mit Remus in Dumbledores Büro gehabt – der Direktor war anwesend gewesen, hatte sich aber aus der Unterhaltung nur mit einigen einleitenden Worten, die hauptsächlich von der Heulenden Hütte und dem Geheimgang dorthin gehandelt hatten, am Gespräch beteiligt. Später hatte sie Remus untersucht – der Junge war für seine zierliche Statue ungewöhnlich gesund und widerstandsfähig, und Poppy bezweifelte, dass sie ihn außer nach Vollmondnächten häufig auf ihrer Krankenstation sehen würde. Als sie die lange, unregelmäßige Narbe auf seinem Oberschenkel gesehen hatte, wo der Werwolf ihn gebissen hatte, hatte sie sich beherrschen müssen, um ein professionelles Gesicht aufzusetzen – wenn die Narbe jetzt, nach Jahren, noch so groß und deutlich war, dann musste die Wunde schrecklich gewesen sein – ein Wunder, dass Remus den Biss überhaupt überlebt hatte. Und diese Narbe war nicht die einzige, die Remus' Körper zeichnete, auch wenn sie am stärksten herausstach. Weitere, kleinere und besser verheilte Narben zogen sich über den ganzen Körper des Jungen, am stärksten über Arme, Beine und Brust. Als er ihr gelassen erklärt hatte, woher diese Narben kamen – dass er sich in jeder Vollmondnacht selbst verletzte, weil seine Eltern dafür sorgten, dass er sicher eingesperrt war und sein eigener Körper somit das einzige Ziel für die Wut eines Werwolfs war – hatten sich ihre Vorurteile gegen den Werwolf plötzlich in Luft aufgelöst. Zurückgeblieben war nur der Wunsch, diesem mutigen Jungen zu helfen – und die einzige Art, auf die sie dieses tun konnte, war medizinische Versorgung nach jeder Vollmondnacht. Dreimal hatte sie dieses inzwischen getan, und jedes Mal fürchtete sie sich mehr vor dem Morgen und vor dem Anblick, der sich ihr bieten würde.
Das Lunaskop zeigte, dass der Monduntergang nur noch eine Viertelstunde entfernt war, und Poppy stand, noch immer mit äußerlicher Ruhe, auf, griff nach ihrer Erste-Hilfe-Tasche und machte sich auf den Weg zur Peitschenden Weide und durch den dahinter liegenden Geheimgang zur Heulenden Hütte. Sie erreichte das Gebäude nur wenige Minuten nach Monduntergang und verschwendete keine Zeit, um nochmals zu lauschen, ob in der Hütte wirklich alles ruhig war, sondern stieß die Falltür auf und kletterte hindurch. Ein kurzer Blick reichte aus um sie zu überzeugen, dass Remus nicht im unteren Raum war, und sie beeilte sich, die Treppe hochzusteigen.
Die Tür zum oberen Raum öffnete sich mit einem herzzerreißenden Quietschen, aber das Geräusch brachte keine Reaktion. Poppys Blick fiel automatisch zuerst auf das Bett – hatte Remus es geschafft, sich dorthin zu schleppen? An diesem Morgen lautete die Antwort ja. Remus lag schlaff auf dem Bett, mit dem Gesicht nach unten. Auf den ersten Blick schien er nicht schwer verletzt zu sein – wenigstens war kaum Blut zu sehen – aber Poppy traute dem Frieden nicht. Als sie sich vorsichtig zu ihm herunterbeugte und ihn an der Schulter berührte, kam noch immer keine Reaktion – ein schlechtes Zeichen.
Die Krankenschwester atmete tief durch und begann, Remus zu untersuchen. Ein kurzer Schwenk mit dem Zauberstab brachte eine erste Diagnose – der Junge lebte und das würde auch so bleiben, die Atmung war flach aber vorhanden, der Pulsschlag unregelmäßig und stockend, und der Blutverlust – sie sog scharf die Luft ein: der Blutverlust war hoch; Remus musste sich eine Wunde zugefügt haben, die durch seine Haltung momentan verdeckt wurde. Poppy Pomfrey begann vorsichtig, ihren Patienten umzudrehen und entdeckte gleich darauf eine große Wunde vorn an der Hüfte, die noch immer leicht blutete. Ein großer Fleck auf dem Laken zeigte, wie stark die Blutung gewesen war.
Poppy zögerte nicht mehr – hier musste gehandelt werden, und zwar schnell. Sie richtete den Zauberstab auf die Wunde und murmelte „Ferula". Reine, weiße Binden schlangen sich um den Körper des jungen Werwolfs, während die Krankenschwester bereits damit beschäftigt war, kleine Flakons aus ihrer Erste-Hilfe-Tasche zu ziehen.
Remus öffnete langsam die Augen. Einen Moment lang war alles, einschließlich seiner Erinnerung, verschwommen und er brauchte mehrere Minuten, bis er wusste, wo er war. Natürlich, der Krankenflügel – ein Ort, der ihm in seinen ersten Monaten in Hogwarts bereits viel zu vertraut geworden war. Der Junge versuchte, sich aufzurichten, aber als ein stechender Schmerz durch seinen Rücken fuhr, ließ er es den Versuch ganz schnell sein.
Er musste wohl ein Geräusch gemacht haben, denn gleich darauf stand die Krankenschwester neben ihm und musterte ihn mit nur schlecht verhüllter Besorgnis. Remus zwang sich zu einem Lächeln, was die Schwester erwiderte. Dann reichte sie ihm einen dampfenden Becher. „Hier, trink das!" Remus nahm den Becher vorsichtig entgegen, während Madam Pomfrey ihm half, sich aufzurichten. Mit ihrer Hilfe tat es zwar immer noch weh, aber wenigstens war es ihm möglich, in eine sitzende Position zu kommen.
Er musterte den Becher misstrauisch und fragte dann: „Lassen Sie mich raten – nicht dran riechen, einfach nur trinken?" Madam Pomfrey nickte lächelnd. „Ja – einfach runter damit und bloß nicht drüber nachdenken!" Remus grinste, setzte dann den Becher an und stürzte den Trank – der, wie er befürchtet hatte, ekelhaft schmeckte – todesmutig hinunter. Schließlich gab er den Becher zurück und lächelte. „Will ich wissen, was das war?" Madam Pomfrey lachte. „Du bist ganz schön misstrauisch, junger Mann! Keine Sorge, es sind keine gehackten Zehennägel drin – es ist nur ein Heiltrank, mit einem leichten Schlafmittel." Remus verzog das Gesicht. „Schlafmittel? Habe ich nicht genug geschlafen?" Die Krankenschwester schüttelte den Kopf. „Du brauchst sehr viel Ruhe – die Nacht war schlimm, und Du hast ein paar üble Wunden abbekommen. Die heilen am besten, wenn Du schläfst. Und es ist noch gar nicht so spät, wie Du glaubst – gerade mal kurz nach elf. Wenn Du brav bist und jetzt wieder schläfst, kannst Du zum Abendessen wahrscheinlich wieder in die Große Halle." Remus seufzte und nickte resigniert. „In Ordnung", murmelte er, während er sich in die Kissen zurücksinken ließ. Gleich darauf fielen ihm auch schon die Augen wieder zu.
Sirius schreckte auf, als Peter ihm ein Kissen an den Kopf warf und erklärte: „Ich gehe jetzt zum Abendessen. Kommt jemand von euch mit?" Sirius und James hatten den Nachmittag äußerst angeregt damit verbracht, Sammelbilder von internationalen Quidditchspielern zu tauschen und in ihre Sammelhefte einzukleben. Das Interessante daran war, dass man vor dem Einkleben der Bilder sicher gehen musste, ein wenigstens rudimentär funktionstüchtiges Team zusammen zu haben – denn die Teams waren auf den Doppelseiten des Heftes nach den größten Rivalen angeordnet, und die Bilder waren so verzaubert, dass sie anfingen zu spielen, sobald ein Team mindestens drei Mitglieder hatte. Am besten war es also, mindestens einen Sucher oder besser Treiber, einen Hüter und einen Jäger zu haben, bevor man damit anfing, ein Team einzusortieren – sonst hatten sie von vornherein verloren.
Sirius warf Peter einen verdutzten Blick zu. „Abendessen? So spät ist es schon?" Er stand auf, streckte sich und warf eine Handvoll Irland-Spieler auf sein Sammelheft. Die Bilder konnten warten – Sirius war ein normal entwickelter Elfjähriger, und das hieß, dass er immer Hunger hatte. Als er seinen Blick durch den Raum schweifen ließ, fiel ihm auf, dass jemand fehlte. „Wo ist Remus?" James sah von den letzten Bildern, die er schnell noch einklebte, auf. „Keine Ahnung – ist der überhaupt schon von seiner Mutter zurück? Ich habe ihn heute noch nicht gesehen…" Peter schüttelte den Kopf. „Ich auch nicht…" Die drei sahen sich fragend an, dann stand auch James auf. „Tja – er hat ja jedes Mal gesagt, dass es Abend werden kann, bevor er zurückkommt – vielleicht hat er einen späteren Zug genommen. Lasst uns essen gehen!"
„Hallo Sirius!" Als die drei Jungen nach einem spontanen Rennen (das Peter hoffnungslos verlor) in die Eingangshalle schlitterten, wurden sie am Eingang der Großen Halle von Sirius' Cousine Andromeda und deren blonder Freundin abgefangen. Andromeda grinste die drei breit an – sie war so froh, dass Sirius nach seinen anfänglichen Schwierigkeiten Freunde gefunden hatte! „Heute nur zu dritt? Wo ist denn… wie heißt er – Remus?" Sirius zuckte die Schultern: „Der ist noch nicht wieder da – seine Mutter ist krank, und er ist gestern Abend zu ihr gefahren." Andromeda zog die Augenbrauen hoch. „Wie – dafür hat er die Erlaubnis bekommen? Dann muss sie aber ziemlich krank sein!" James nickte. „Ja, das glauben wir auch – aber Remus will nicht darüber sprechen. Es ist nicht das erste Mal, weißt du." „Du meinst – er ist schon öfter weg gewesen?" Jetzt klang auch Lisande interessiert. „Ja – mindestens drei oder vier Mal schon." Sirius stutzte. „Wenn ich es mir recht überlege – man kann fast sagen, einmal im Monat, oder?" Er warf einen hilfesuchenden Blick zu James und Peter. James zog nachdenklich die Stirn kraus, dann nickte er. „Ja – kommt ungefähr hin." „Ach – wirklich?" Jetzt horchte Lisande erst recht auf. „Und er hat nie gesagt, was seine Mutter hat?" Sirius schüttelte den Kopf. „Nein, wieso fragst du?" Lisande lächelte. „Ach, kein besonderer Grund!" Bevor Sirius noch weiter nachfragen konnte, war James plötzlich etwas anderes aufgefallen. „Hey, sag mal – du bist doch die Hüterin von Ravenclaw, oder? Ich habe euer letztes Spiel gegen Slytherin gesehen – und du warst einfach nur genial! Wie du den Quaffle mit dem Seestern-und-Stock abgefangen hast – das lässt mich für das Spiel nächste Woche nichts Gutes ahnen!" Lisande lachte. „Das ist doch mal ein Kompliment – und keine Sorge, James, Eure Jäger sind bei weitem nicht so einfach abzublocken wie die von Slytherin – obwohl auch die noch einiges zu lernen haben!" James grinste die Ravenclaw-Hüterin an und erklärte dann großspurig: „Gegen Gryffindor hat euer Team sowieso keine Chance, da kannst du noch so gut sein!" Lisandes Augen glitzerten. „Na ja, du bist ja noch jung – da wollen wir dir mal ein paar Träume gönnen!" Die Jungen grinsten und machten sich auf den Weg in die Große Halle. Keinem von ihnen fiel der nachdenkliche Ausdruck in Lisandes Augen auf.
Etwas später hatte Sirius die Unterhaltung fast schon wieder vergessen – er war viel zu abgelenkt von seinem Abendessen, um sich noch an so etwas Unwesentliches wie eine Unterhaltung mit zwei Mädchen zu erinnern! Auch war er so sehr auf sein Essen konzentriert, dass er nicht auf seine Umgebung achtete. Als daher plötzlich jemand hinter ihm stand und ihm eine Hand auf die Schulter legte, wusste Sirius nicht, wer es sein konnte.
„Sirius – niemand wird dir was wegessen, du kannst dir ruhig die Zeit zum Atmen zwischendurch nehmen!" „Remus! Hey, du hast heute lange gebraucht!" Remus wurde rot und sank in den freien Sitz neben Sirius. „Ich… habe einen späteren Zug genommen." „Ham wa uns schon gedacht!" Remus verdrehte die Augen, als er Sirius Antwort hörte, die an einem extrem vollen Mund vorbeigequetscht wurde, und sagte dann sanft: „Ja, Sirius, ich bin stolz auf dich – aber du musst nicht allen hier am Tisch die halbe Kuh zeigen, die du gerade zerkleinerst!" Sirius grinste, schluckte und sah dann Remus an. Als er gerade zu einer Antwort auf die milde Schelte ansetzen wollte, blieben ihm plötzlich die Worte im Hals stecken. Statt der scherzhaften Antwort, die ihm schon auf der Zunge lag, fragte er nur fassungslos: „Remus – was hast du denn schon wieder angestellt?" Die Frage war nicht ganz unberechtigt, denn Remus zeigte wieder Spuren von noch nicht ganz verheilten Verletzungen – ein bandagierter Arm, blaue Flecken im Gesicht. Remus zuckte die Schultern. „Du weißt doch – ich bin ungeschickt. Ich wollte Dad beim Kochen helfen, weil Mum ja nicht kann, und als ich einen Kessel hochheben wollte, ist er mir aus der Hand gerutscht – ich habe mir den Arm verbrannt." Sirius starrte ihn einen Moment lang sprachlos an, dann schüttelte er den Kopf. „Komisch, dass du immer nur so ungeschickt bist, wenn du zu deiner Mutter fährst!" Remus, der gerade einen Schluck Saft hatte trinken wollen, stockte mitten in der Bewegung. „Was willst du damit sagen?" Sirius zuckte die Schultern. „Na ja – ist ziemlich offensichtlich, oder? Hier passiert dir nie was, und wenn du von zu Hause wiederkommst, bist du komischerweise immer verletzt. Aber mach dir nicht allzu viel draus, du bist nicht der Einzige." Remus starrte ihn immer noch an, die Hand mit dem Becher vergessen halb in der Luft. „Nicht der Einzige – was?" Die beiden hatten die Stimmen gesenkt und niemand sonst bekam etwas von dieser Unterhaltung mit, aber Remus fühlte sich plötzlich entsetzlich – so, als stünde er kurz vor einer Katastrophe. Aber was Sirius dann sagte war etwas, mit dem er niemals gerechnet hätte: „Du bist nicht der einzige, den seine Eltern nicht besonders mögen." „WAS?" Die Hand, die den Becher hielt, kam so schnell nach unten, dass ein Teil der Flüssigkeit über den Rand schwappte, während Remus Sirius ungläubig ansah. „Willst du damit etwa sagen… glaubst du etwa, dass meine Eltern mich schlagen? Sirius, du hast 'n Knall!" Remus fing an zu lachen. Er fühlte sich plötzlich wie von einer Last befreit – Sirius war auf einer so völlig falschen Fährte, dass er sich wieder sicher fühlte. Sirius hingegen schien von seinem plötzlichen Heiterkeitsausbruch nicht sonderlich überrascht, sondern zuckte nur die Schultern. „Ich kann verstehen, wenn du nicht drüber reden willst – macht keinen Spaß." Damit ließ er das Thema fallen und widmete sich wieder seinem Essen. Für den Rest des Abends sprach er kein einziges Wort mehr.
Weder Remus noch Sirius sprachen in den nächsten Tagen über den Verdacht, den Sirius geäußert hatte, aber Remus bemerkte, dass sein Freund ihm hin und wieder nachdenkliche Blicke zuwarf, wenn er glaubte, dass Remus es nicht merkte. Und noch etwas war seltsam – seit dieser Unterhaltung fiel Remus immer öfter eine ältere Ravenclaw-Schülerin in seiner Nähe auf. Sie sprach ihn nie an, aber er sah sie erstaunlich oft, wenn er sich außerhalb des Gryffindor-Turmes aufhielt – und sie hatte immer Pergament und Feder griffbereit. Aber sie hielt sich immer im Hintergrund – und nach einiger Zeit war Remus fast überzeugt, dass es Zufall war. Immerhin sah er sie meistens an Orten, an denen man eine Ravenclaw erwarten würde – der Bibliothek, zum Beispiel. So auch heute. Remus saß mit Peter an einem der Tische und versuchte, einen Sinn in dem Zaubertränke-Text zu finden, der aufgeschlagen vor ihm lag. Ohne großen Erfolg – Zaubertränke war noch nie sein Fach gewesen. Ein paar Tische weiter saß wieder die blonde Ravenclaw, ebenfalls über ein Zaubertränkebuch gebeugt. Remus runzelte die Stirn, dann sagte er leise: „Peter, sieh nicht zu auffällig hin – aber bilde ich mir das nur ein, oder beobachtet die uns?" Man musste Peter eins zu Gute halten – so ungeschickt und trampelig er teilweise auch war, er verstand etwas von Heimlichkeit. Statt sich sofort umzudrehen und das Mädchen anzustarren, ließ er ein paar Augenblicke verstreichen und drehte sich dann zur Seite, um eine weitere Feder aus seiner Tasche zu ziehen. Nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte, fragte er leise: „Meinst du Lisande?" Remus zog die Augenbrauen hoch. „Du kennst ihren Namen?" Peter nickte. „Du nicht? Wir haben sie doch getroffen, als… oh, warte, da warst du nicht dabei. Es war, als du deine Mutter besucht hast, da haben wir Sirius' Cousine und sie getroffen. James hat sie wegen des letzten Quidditch-Spiels gegen Slytherin angequatscht." Remus nickte langsam. „Verstehe…" Er überlegte einen Moment lang. „Quidditch – oh, jetzt weiß ich es, sie ist die Hüterin von Ravenclaw, nicht wahr? Ich habe nach dem Spiel eine Zeitlang geglaubt, James und Sirius würden nie aufhören, über sie und ihre Manöver zu reden!" Er warf einen verstohlenen Blick in ihre Richtung. „Aber trotzdem – beobachtet sie uns jetzt oder nicht?" Peter zuckte die Schultern. „Wenn du mich fragst – nein." Remus nickte erleichtert. Er war also nur ein wenig paranoid – es wäre nicht das erste Mal. Aber wie sollte er es auch nicht sein, wenn er so oft Ablehnung und Misstrauen erlebt hatte, sobald jemand herausgefunden hatte, was er war?
Herannahende Schritte unterbrachen seine Gedankengänge, und gleich darauf standen Sirius und James hinter ihnen. Remus sah auf und lächelte. „Hey – habt ihr endlich eingesehen, dass es auch euch gut tun würde, ein bisschen zu lernen?" Es war regelrecht unheimlich, wie wenig Zeit die beiden auf ihre Hausaufgaben verwendeten und wie gut sie trotzdem im Unterricht waren. Sirius verdrehte die Augen. „Lernen – das ist so ein böses Wort! Eigentlich sind wir hier, um euch abzuholen – es schneit, wir sollten jetzt draußen sein!" Remus schüttelte den Kopf. „Ich muss wenigstens noch diesen Aufsatz hier fertig machen, vorher kann ich nicht raus." Peter warf einen sehnsüchtigen Blick auf die weiße Pracht vor den Fenstern, dann nickte er zögernd. „Ich auch… Professor Ingrediant wird nicht begeistert sein, wenn ich den morgen nicht abgebe!" Sirius grinste. „Ach kommt schon, seid nicht so langweilig – ihr könnt den Aufsatz morgen früh bei irgendwem abschreiben, bei Evans zum Beispiel!" James grinste. „Hm, Miss Feuerkopf – die hat ihren Aufsatz bestimmt perfekt fertig!" Remus nickte. „Wahrscheinlich – aber ich möchte meine Hausaufgaben selber machen, sonst weiß ich ja nie, was ich kann und was nicht." James stöhnte. „Oh mein Gott, Remus – sei nicht so ein Streber, komm mit uns raus!" Aber Remus blieb standhaft, und schließlich einigten sie sich darauf, dass James und Sirius schon nach draußen gehen würden, während Remus und Peter ihre Zaubertrank-Aufgabe fertig machen und sich ihnen danach anschließen würden.
Eine Stunde später waren Remus und Peter endlich mit ihren Hausaufgaben fertig – auch wenn beide das Gefühl hatten, etwas Wesentliches entweder vergessen oder nicht verstanden zu haben. Da allerdings keiner von ihnen auch nur im Entferntesten eine Idee hatte, was es sein konnte, beschlossen sie, die Hausaufgaben für erledigt zu erklären. Nur wenige Minuten später hatten sie die Bibliothek verlassen, ihre Taschen in den Schlafsaal gebracht und waren in ihre warmen Winterumhänge gehüllt auf dem Weg nach draußen. Es dauerte nicht lange, bis sie Sirius und James gefunden hatten – sie waren in der Mitte einer riesigen Schülertraube, die eine Schneeballschlacht veranstaltete. Remus grinste und sah zu, wie sich langsam aus dem allgemeinen Chaos zwei Mannschaften herauskristallisierten und die Schneebälle koordinierter flogen.
„Ihr seht aus wie Weihnachtsmänner – dabei ist es noch einen halben Monat hin!" Die Schneeballschlacht war vorbei, das von James und Sirius angeführte Team hatte gewonnen – aber die beiden waren von Kopf bis Fuß mit Schnee bedeckt, der langsam in ihren Haaren schmolz. Remus musterte die beiden lachend, während Sirius nur schnaubte. „Weihnachten – meinetwegen könnte das auch noch länger hin sein!" Die gute Stimmung, in der er vor wenigen Minuten noch gewesen war, war urplötzlich verflogen, aber er weigerte sich, darüber zu sprechen. Remus runzelte die Stirn. Es war nicht das erste Mal, dass Sirius so etwas sagte, aber er hatte bis jetzt nie über seine Gründe gesprochen.
Weihnachten kam näher, um mit jedem verstreichenden Tag schien Sirius' Laune ein bisschen schlechter zu werden. Irgendwann wurde es Remus zu viel. „Mensch Sirius, jetzt hör doch endlich auf, so ein Gesicht zu ziehen – oder erklär uns wenigstens, was du an Weihnachten nicht magst! Sei doch froh, du kannst nach Hause zu deiner Familie – ich muss über die Feiertage hier bleiben!" Sirius horchte auf. „Du bleibst hier – wieso dass denn?" Remus zuckte die Achseln. „Mein Vater muss dienstlich ins Ausland, und meine Mutter begleitet ihn als Assistentin. Sie haben mir zwar angeboten mitzukommen, aber darauf hatte ich ehrlich gesagt keine Lust, die beiden werden den ganzen Tag beschäftigt sein – und nur um im Hotel zu hocken muss ich da nicht mitfahren. Also bleibe ich hier." „Oh." Danach sagte Sirius eine Weile gar nichts mehr, sondern starrte sein Quidditch-Magazin an. Dann fragte er plötzlich: „Wenn Deine Mutter mitfährt – heißt das, dass es ihr besser geht?" Remus hätte sich selber verfluchen können – mit dieser Frage hätte er rechnen müssen! Aber er hatte ohnehin entschieden, dass er die angebliche Krankheit seiner Mutter nicht mehr strapazieren konnte und sich etwas Neues einfallen lassen musste – gut, dass er dafür zwei Monate Zeit hatte! Der nächste Vollmond lag kurz nach Weihnachten und war der eigentliche Grund dafür, nicht nach Hause zu fahren – die Heulende Hütte war ein sehr viel besserer Ort für ihn, als der kleine Kellerraum zu Hause, und er hatte mit seinen Eltern zusammen entschieden, dass er in den Ferien deshalb in Hogwarts bleiben würde, auch wenn es ihm schwer fiel. Aber wenigstens war das ein Monat, in dem er keine Ausrede basteln musste – soweit er wusste, war er der einzige aus seinem Jahrgang, der hier blieb.
Plötzlich sah Sirius auf: „Vielleicht bleibe ich auch…" „Wieso dass denn?" Remus konnte nur hoffen, dass sein geschockter Tonfall nur verständnislos, aber nicht abweisend klang. Sirius zuckte die Schultern. „Na ja – es ist nicht so, als wären meine Eltern heiß drauf, mich zu sehen, weißt du. Ich muss mir nur was einfallen lassen, weswegen sie mich hier lassen…" Remus runzelte die Stirn. „Wenn du so unbedingt bleiben willst – wie wäre es dann, wenn du deine Eltern einfach darum bitten würdest?" Sirius schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall – dann würden sie mir ja einen Gefallen tun, und das wird nicht passieren." Er warf einen kurzen Blick zu James, der schweigend im Schneidersitz auf seinem Bett saß und der Unterhaltung zuhörte, ohne sich daran zu beteiligen. James war der einzige, dem er bisher ausführlich von seiner Familie erzählt hatte; Remus und Peter hatten nur Andeutungen zu hören bekommen. Aber wahrscheinlich wurde es Zeit, offen mit ihnen zu reden – Remus konnte verdammt hartnäckig sein, und spätestens, wenn sie wirklich die Ferien gemeinsam in Hogwarts verbringen sollten, würde er sich nicht mehr abschütteln lassen. Außerdem hatte er immer noch den Verdacht, dass auch Remus' Eltern nicht gerade glücklich über ihren Sohn waren, und er hoffte, mit seiner Geschichte auch den anderen Jungen dazu zu bringen, es zuzugeben.
Sirius seufzte und sagte dann mit erzwungener Ruhe: „Also gut – ich bin der Schandfleck der Familie – immer schon gewesen, weil ich es wage, eine eigene Meinung zu haben und die auch noch zu äußern, weil ich mich nicht herumkommandieren lasse und mich nicht zwingen lasse, Dinge zu tun, die ich absolut nicht machen will. Und seit ich hier bin, ist es nicht gerade besser geworden – ich bekomme wöchentlich Briefe, in denen mir mein Haus vorgeworfen wird. Wenn es nach meinen Eltern gegangen wäre, dann würde ich jetzt in Slytherin sein und die Ehre der Familie hochhalten. Stattdessen bin ich in Gryffindor und fühle mich hier auch noch wohl – und das können sie nicht akzeptieren." Er sah auf und Remus an, der ihn fassungslos anstarrte. „Werfen sie dir etwa vor, dass nicht nach Slytherin gekommen bist? Aber – das kannst Du doch nicht beeinflussen!" Sirius schüttelte den Kopf. „Nein – aber das zeigt mal wieder, dass ich unwürdig bin, den Namen Black zu tragen – als wenn ich darum gebeten hätte! – und dass ich in Gefahr bin, die Familie in Schande zu bringen." Remus schüttelte den Kopf. „Das verstehe ich nicht – ich meine, es sind deine Eltern, wie können sie so von dir denken?" Sirius zuckte die Achseln. „Wieso sollten sie nicht – du glaubst doch nicht etwa, dass mein Bruder und ich existieren, weil sie Kinder haben wollten – wir sind bloß da, um das Überleben des Familiennamens zu sichern. Und so wie es aussieht, wird Regulus das auch tun, er ist im Gegensatz zu mir ein wahrer Sohn der Familie – und ein würdiger Erbe." Remus runzelte die Stirn. „Ist dein Bruder älter oder jünger?" „Jünger, er kommt nächstes Jahr nach Hogwarts – und wird ganz sicher nach Slytherin kommen, die richtige Einstellung dafür hat er!"
Remus schwieg. Dann sagte er leise: „Es muss schrecklich sein, wenn man so eine Familie hat." Sirius nickte. „Lustig ist es nicht – aber jetzt bin ich ja den größten Teil des Jahres hier, dass ist viel wert! Hat jemand eine Idee, wie ich es schaffe, hier zu bleiben?" Rundum Kopfschütteln. Sirius zuckte die Schultern. „Na ja – ich habe ja noch ein bisschen Zeit, mir wird schon was einfallen!"
Sirius verbrachte die nächsten Tage damit Pläne zu schmieden. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, die Ferien zusammen mit Remus in Hogwarts zu verbringen und war wild entschlossen, diesen Plan umzusetzen.
Remus hingegen fand sich in einer unerwarteten Zwickmühle wieder. Einerseits hoffe er für Sirius, dass dieser seiner ungeliebten Familie entkommen konnte und war auch nicht gerade böse über die Aussicht, die Ferien nicht völlig allein verbringen zu müssen; andererseits geriet er jedoch in Panik, wenn er an den Vollmond dachte. Er selbst hatte die Ausrede mit seiner kranken Mutter unmöglich gemacht – wie sollte er Sirius nur erklären, warum er im Krankenflügel und verletzt war? Wie sollte er eine glaubhafte Ausrede finden, wenn er den ganzen Tag mit Sirius zusammen war? Einen Monat später wäre es kein Problem mehr – wenn er nicht ständig unter Beobachtung eines einzigen seiner Freunde stand, gab es eine Menge Möglichkeiten für ihn – zur Not konnte er sogar seine Mutter wieder erkranken lassen – aber allein mit Sirius würde es ihm schwer fallen, mit etwas Glaubwürdigem aufzuwarten.
Die Ferien rückten näher, und noch immer hatte Sirius keine Idee gehabt, wie er seine Eltern davon überzeugen könnte, ihn in Hogwarts bleiben zu lassen. Für den Moment hatte er den Versuch, sich etwas einfallen zu lassen, aufgegeben – etwas anderes fesselte seine Aufmerksamkeit. Die vier Gryffindor-Erstklässler hatten sich eine neue Möglichkeit einfallen lassen, den Slytherins eins auszuwischen – dieses Mal allen gleichzeitig. Für solche Aktionen waren sie inzwischen berüchtigt – und hatten dafür den Spitznamen „Marauders" bekommen. Wer auf diesen Namen gekommen war, wusste niemand mehr, aber wenn von den vieren die Rede war, hießen sie bei Mitschülern und Lehrern nur noch so. Die Idee für ihren neuesten Streich war ihnen im Unterricht gekommen, als sie einen Verwandlungs-Zauber gelernt hatten, mit dem man Farben und Formen von unbewegten Gegenständen verändern konnte. James hatte sofort eine Idee gehabt, wie man diesen Zauber für einen Streich gegen die Slytherins verwenden konnte. Alles, was dazu notwendig war, war ein unbeobachteter Moment in der Großen Halle und gute Beherrschung des Zaubers. Das erstere war morgens kurz vor dem Frühstück kein Problem – für das zweite vertrauten die vier auf Sirius und Remus, die am besten in Verwandlungen waren.
Der Plan wurde eine gute Woche vor Beginn der Weihnachtsferien in die Tat umgesetzt. Die vier schlichen sich früh morgens aus dem Gryffindor-Turm und machten sich auf den Weg in die Große Halle. Die Korridore lagen wie ausgestorben da, noch nicht einmal die Katze des Hausmeisters war zu sehen – was auch gut war, denn wo diese Katze war, war Filch nicht fern. Sie erreichten die Halle und machten sich sofort an die Arbeit – ihr Ziel war das große Banner des Hauses Slytherin, das zusammen mit denen der anderen Häuser die Wand hinter dem Lehrertisch schmückte – und bald nicht mehr so aussah, wie Salazar Slytherin es einst entworfen hatte…
Zunächst fiel beim Frühstück niemandem etwas auf. Schüler und Lehrer kämpften zu gleichen Teilen mit ihrer Müdigkeit, und niemand achtete auf die Wand hinter dem Lehrertisch und die dort hängenden Banner – bis der Hauslehrer der Slytherins in die Große Halle kam. Professor Hennings, seines Zeichens Lehrer für alte Runen, war genau derjenige, auf den die Marauders gewartet hatten – er war dafür bekannt, zu jeder Mahlzeit ein Ritual zu vollziehen, dass noch niemals gefehlt hatte: er kam zum Lehrertisch, stellte sich neben seinen Platz, drehte sich kurz zum Slytherin-Banner um, verzog seine dünnen Lippen zu etwas, was mit viel gutem Willen als stolzes Lächeln bezeichnet werden konnte, und setzte sich erst dann steif an den Tisch. So auch heute – aber das Lächeln, das sich sonst beim Anblick des Wappens bot, wollte sich dieses Mal nicht einstellen. Statt der silbernen Schlange wand sich heute auf dem grünen Hintergrund ein rot-golden gestreifter Flubberwurm.
Professor Hennings drehte sich sehr langsam um und ließ seinen kalten Blick über die versammelten Schüler schweifen. Dann fragte er mit seiner kühlen, ruhigen Stimme: „Wer war das?" So ruhig sein Tonfall auch gewesen war, durchdrang er doch die üblichen Frühstücks-Geräusche – Stimmengewirr und das Klappern von Geschirr und Besteck – mühelos. Plötzlich flogen alle Köpfe hoch und hunderte von Augenpaaren richteten sich auf das verwandelte Slytherin-Banner. Und dann brach ein Tumult in der Großen Halle aus, wie er lange nicht mehr dort stattgefunden hatte. Am Gryffindor-Tisch blieb kein einziger Schüler sitzen – alle waren plötzlich auf den Beinen, klatschten, johlten und trampelten vor Begeisterung. Bei den Slytherins herrschte das genaue Gegenteil. Auch dort waren die meisten aufgesprungen, aber anstatt der Begeisterungsrufe schallten von dort Buhrufe und Drohungen gegen die Gryffindors. Die Tische zwischen denen der verfeindeten Häuser, an denen die Ravenclaw- und Hufflepuff-Schüler saßen, boten nicht so ein einheitliches Bild. Einige der Schüler lachten und klatschten mit den Gryffindors, andere saßen kopfschüttelnd und mit missbilligenden Minen da. Am auffälligsten freute sich am Ravenclaw-Tisch Sirius' Cousine Andromeda. Sie war auf ihren Sitz geklettert, klatschte begeistert und drehte den Slytherins eine lange Nase. Ihre blonde Freundin lachte zwar auch, versuchte aber gleichzeitig, Andromeda von der Bank zu ziehen, aber diese leistete den eher halbherzigen Versuchen erfolgreichen Widerstand. Am Lehrertisch hingegen herrschte Schweigen – der einzige, der hilflos kicherte, war der riesige Wildhüter Hagrid. Die meisten der Lehrer zeigten eine neutrale Mine, aber Remus hätte schwören können, dass sich Professor Ingrediant, die Zaubertränke-Lehrerin, nur mit großer Mühe das Lachen verbiss. Und auch die Professoren McGonagall und Flitwick machten den Eindruck, als wären ihre ruhigen Minen eher Masken. Als klar wurde, dass sich der Lärm unter den Schülern nicht von alleine legen würde, erhob sich Professor Dumbledore. Sein silberner Bart zuckte leicht, als würde auch er sich ein Lächeln verkneifen, dann hob er die Hände und die Stimme. „Ruuuuuuuuuuuuuuheeeeeeeee!"
Und das, was sämtliche andere Lehrer als immer wiederkehrendes Wunder betrachteten, geschah: der beliebte Schulleiter schaffte es augenblicklich, Ruhe in das Chaos zu bringen. Zwar lachten immer noch etliche Schüler, aber der Lärmpegel war soweit zurückgegangen, dass er sich verständlich machen konnte. Mit klar vernehmlicher Stimme sagte er streng, aber mit zwinkernden Augen: „Hieronymus, ich glaube, Sie wollten den Schülern eine Frage stellen." Professor Hennings kniff die Lippen zusammen und nickte kurz. Dann wandte er sich wieder an die Schüler. „Ich kann nicht umhin, als diese Tat als einen Angriff auf die Ehre des Hauses Slytherin zu werten. Wer auch immer diesen kindischen Zauber ausgeführt hat, sollte sich jetzt freiwillig melden, bevor ich zu drastischeren Maßnahmen greifen muss."
Remus biss sich auf die Lippen und sagte sich immer wieder, das nichts passieren konnte – es gab keine Möglichkeit, ihm und seinen Freunden nachzuweisen, dass sie es gewesen waren. Er hatte zwar von einem Zauber gehört, der die letzten von einem Zauberstab benutzten Zauber erscheinen ließ, aber selbst Hennings würde kaum jeden einzelnen Schüler überprüfen! Peter, der neben ihm saß, sah noch nervöser aus und versteckte sich halb hinter Sirius' Rücken, der auf seiner anderen Seite völlig unbeeindruckt weiterfrühstückte.
Plötzlich entstand am Slytherin-Tisch eine Bewegung und einer der Schüler stand auf. Peter wurde blass, und auch Remus fühlte sich plötzlich extrem unwohl, als er Severus Snape erkannte. Das Gefühl bestätigte sich fast umgehend, als Snape mit seiner öligen Stimme sagte: „Professor, verzeihen Sie…" Hennings drehte sich zu ihm um. „Ja, Severus?" Seine kalten Augen ruhten mit einem gewissen wohlwollenden Ausdruck auf dem Jungen – Hennings war dafür bekannt, sein eigenes Haus deutlich zu bevorzugen. Snape warf einen höhnischen Blick zu den Gryffindors und sagte dann deutlich vernehmbar: „Ich habe es gesehen, Professor – es waren Lupin und Black, und Potter und Pettigrew waren dabei!"
Plötzlich herrschte in der Großen Halle eisige Stille – und dann brachen am Gryffindor-Tisch gegen Snape gerichtete Buhrufe aus. Remus und Sirius wechselten einen kurzen Blick, und Sirius zuckte die Achseln. „Sieh's mal so", murmelte er, „wenigstens streichen wir jetzt den Ruhm dafür ein!" Remus verdrehte die Augen. „Ja – und den Punkteabzug, die Strafarbeit und die Briefe nach Hause – also ich würde lieber auf den Ruhm verzichten!" James starrte Snape wütend an. „Wo hat der Kerl sich denn versteckt? Ich dachte, wir wären allein gewesen!"
Am Lehrertisch hatte sich Professor Hennings umgedreht und kam nun mit schnellen, energischen Schritten auf die Täter zu. Er blieb direkt vor ihnen stehen und fragte dann gefährlich ruhig: „Nun – geben Sie diese schändliche Tat zu, oder muss ich dazu Ihre Zauberstäbe befragen?" Sirius lachte. „Warum sollten wir es leugnen? Das ist doch nichts, wofür wir uns schämen müssten!" Jetzt wurde auch Remus blass – diese Antwort war eindeutig zu unverschämt! Professor Hennings schien der gleichen Meinung zu sein, denn seine Augen verengten sich gefährlich. „So, Black – Sie sind also auch noch stolz darauf, Ihre Mitschüler, Lehrer und nicht zu vergessen den edelsten von Hogwarts' Gründern zutiefst beleidigt zu haben? Dreißig Punkte Abzug – für jeden von Ihnen! Und für Sie Black, wegen extremer Unverschämtheit noch einmal zehn Punkte Abzug! Außerdem werden Sie alle sich heute Abend bei mir zur Strafarbeit melden. Ich werde sicherstellen, dass Mr. Filch extrem unangenehme Aufgaben für Sie findet, die Sie dazu anregen werden, über Ihre Tat nachzudenken!" Mit diesen Worten drehte er sich mit wehenden Roben um und rauschte zum Lehrertisch zurück.
Am Abend erschienen die vier in viel zu guter Stimmung – zumindest nach Professor Henningss Meinung – in dessen Büro, um ihre Strafarbeiten abzuleisten. Der Runenkundler musterte die vier Jungen kurz, dann sagte er kühl: „Nun gut, zu Ihren Strafen. Black – in die Bibliothek, Madam Pince hat mir anvertraut, dass sie Hilfe mit einigen alten Folianten braucht. Potter – zu Mr. Filch, es sind etliche Toiletten zu putzen. Lupin, melden Sie sich bei Mr. Filch, die Quidditch-Pokale brauchen eine Politur. Pettigrew, Professor Sprout braucht Hilfe beim Düngen der Alraunen. – Nun, was stehen Sie hier noch herum, Sie hatten doch nicht etwa erwartet, dass ich Sie zusammen lassen würde?" Die vier Jungen, die genau das erwartet hatten, starrten ihn entsetzt an, und Hennings lächelte mit Genugtuung. „Ach, noch etwas – kommen Sie nicht auf die Idee, tauschen zu wollen, ich habe mir sehr genau überlegt, was für jeden von Ihnen das Beste ist!" Damit hatte er eindeutig Recht. Die einzelnen Strafen an sich waren nicht besonders schlimm – aber die Verteilung hatte es in sich. Sirius hasste Bücher, und wenn Hennings von alten Folianten sprach, konnte man davon ausgehen, dass es seiner Meinung nach langweilige schwere und mit Sicherheit dick verstaubte Werke handelte – die Remus wahrscheinlich mit Freude in die Finger bekommen hätte. Remus hingegen machte sich nicht viel aus Quidditch – und die Aussicht, die Pokale polieren zu müssen, war für ihn einfach nur langweilig, während Sirius oder James das wahrscheinlich als kleine Unannehmlichkeit betrachtet hätten, wenn es die Gelegenheit beinhaltete, stundenlang die Quidditch-Geschichte von Hogwarts vor Augen geführt zu bekommen. James musste die Toiletten putzen – ausgerechnet der Junge aus reichem Haus, der noch nie in seinem Leben irgendeine Art von Hausarbeit hätte machen müssen. Diese Aufgabe hätte Peter, der seiner Mutter oft hatte helfen müssen, nicht viel ausgemacht. Die Aussicht hingegen, sich im Dunkeln mit den hinterhältigen Alraunen befassen zu müssen, behagte dem ängstlichen Jungen gar nicht – James oder Sirius hingegen hätten die Gelegenheit begrüßt, nach Einbruch der Dunkelheit aus dem Schloss heraus und in eines der Gewächshäuser, die normalerweise den älteren Jahrgängen vorbehalten waren, hineinzukommen. Professor Hennings hatte sich wirklich sehr genaue Gedanken gemacht – und offenbar hatte er sich auch sehr genau über die Marauders erkundigt. Keiner von ihnen hatte bis jetzt Unterricht bei Hennings gehabt; sein Fach Runenkunde stand erst ab dem dritten Schuljahr auf dem Stundenplan, und auch dann nur als Wahlpflichtfach. Mit einem letzten, teils wütenden, teils resignierten Blick auf den unangenehmen Lehrer verließen die vier sein Büro und begaben sich zu ihren jeweiligen Aufgaben.
Remus betrachtete die beiden Briefe, die die Posteule ihm gebracht hatte, ängstlich. Er erwartete von seinen Eltern nicht gerade ein Lob für den Streich gegen Slytherin – und seine Mutter konnte äußerst spitz werden, wenn sie mit etwas nicht einverstanden war. Er wunderte sich allerdings, warum seine Eltern ihm jeder einen einzelnen Brief geschrieben hatten, anstatt eine gemeinsame Strafpredigt aufzusetzen. Schließlich seufzte er und riss zunächst den Brief seiner Mutter auf.
Remus,
Ich weiß, dass es für Jungen in Deinem Alter als natürlich betrachtet wird, in der Schule Streiche zu spielen und ich weiß es zu schätzen, dass Du Dich offenbar wohl genug fühlst, um es zu tun, aber ich bin nicht überzeugt davon, dass Du Dir wirklich darüber bewusst bist, was Du getan hast. Das Banner eines anderen Hauses lächerlich zu machen ist nicht witzig, sondern sehr verletzend für die Schüler dieses Hauses. Greife nicht den Stolz anderer an, wenn Du nicht willst, dass Dein eigener verletzt wird! Versprich mir, dass so etwas nicht mehr vorkommt!
Mum
Remus schluckte und griff zögernd nach dem Brief seines Vaters. Wenn seine Mutter sich so kurz fasste, hieß das, dass sie wirklich böse war. Was mochte sein Vater nur dazu zu sagen haben, dass er es für erforderlich gehalten hatte, einen eigenen Brief zu verfassen?
Mein Sohn,
hast Du erst den Brief von Deiner Mutter gelesen? Falls nicht, tu es jetzt. So, ich hoffe, Du fühlst Dich jetzt ausreichend gescholten und zutiefst zerknirscht – aber keine Sorge, ich habe nicht vor, Dir das gleich noch einmal zu schreiben, das kann Deine Mutter besser als ich (kennen und lieben wir nicht beide ihre scharfe Zunge?) Was ich Dir sagen möchte – und was Mum meint, aber nicht für angemessen hält, es Dir zu sagen – ist, dass ich sehr froh bin, dass Du in Hogwarts so gute Freunde gefunden hast, dass Du Dich wohl genug fühlst, um mit ihnen zusammen solche Streiche durchzuführen. Ich kenne Dich gut genug um zu wissen, dass Du Dich niemals zu so etwas überreden lassen würdest, wenn es nicht wirklich gute Freunde wären.
Als verantwortungsvoller Vater muss ich Dir jetzt natürlich schreiben, dass der Scherz nicht gerade geschmackvoll war – aber als ehemaliger Gryffindor kann ich nur sagen: Herzlichen Glückwunsch!
Ich wünschte, Du könntest über Weihnachten nach Hause kommen, aber wahrscheinlich ist es wirklich besser, wenn Du in Hogwarts bleibst.
Mum und ich werden Dich vermissen!
Dad
Remus lächelte überrascht und griff nach seinem Becher, als ihn plötzlich ein lauter Schrei neben ihm zusammenzucken ließ.
„Ich hab's geschafft!!!!" Sirius ließ den Brief, den er gerade erhalten hatte, auf seinen Teller fallen und trommelte begeistert mit den Fäusten auf den Tisch. Remus verschluckte sich fast an seinem Kürbissaft. Nachdem er den noch fast vollen Becher vorsichtig außerhalb von Sirius' Reichweite abgestellt hatte, fragte er neugierig: „Was hast du geschafft?" Sirius grinste von einem Ohr bis zum anderen. „Ich bleibe über Weihnachten hier!!!" „Was?" Plötzlich hatte er die Aufmerksamkeit seiner Freunde zu hundert Prozent für sich. „Was hast du getan? Ich meine, wieso sind deine Eltern plötzlich damit einverstanden?" James' Augen glitzerten aufgeregt hinter seinen Brillengläsern, und Sirius zwinkerte ihm zu. „Ich musste gar nichts mehr machen! Hennings hat doch an unsere Eltern geschrieben – und ich habe gestern einen Brief bekommen. Hier, hör zu!" Er kramte einen zerknitterten Brief mit eingeprägtem Wappen im Kopf hervor und las vor: „… blablabla… Da Du Dich wieder einmal der Familie unwürdig gezeigt hast indem Du das edelste Haus Deiner Schule in unverzeihlicher Weise beleidigt hast, sehen Dein Vater und ich uns nicht in der Lage, Dich über Weinachten nach Hause kommen zu lassen. Die Schande, die Du über den Namen der Familie gebracht hast… und so weiter und so fort. Ich habe sofort zurückgeschrieben, dass das wegen so einer Kleinigkeit doch übertrieben wäre – und heute schreiben sie, dass ich mich ja nicht vor den Sommerferien zu Hause blicken lassen soll und sie mich am liebsten auch noch in den Sommerferien hier lassen würden, wenn die Schule nicht schließen würde. Damit ist es offiziell, sie werden es sich nicht noch mal anders überlegen!!!!" Sirius strahlte seine Freunde an, und Remus zwang sie zu einer begeisterten Antwort. Aber insgeheim fragte er sich, wie er – oder besser: sein Geheimnis – diese Weihnachtsferien überstehen sollte.
