Kapitel 3

Tatsächlich, nach ein paar beruhigenden Worten Hermiones, senkte sich die Hand und noch bevor diese den Erdboden erreichte, sprang Harry trotz seiner Schnittwunde am Bein hinunter, humpelte auf Hermione zu und riss sie an sich. Einen kurzen Augeblick standen sie stumm in ihrer Umarmung versunken da und rührten sich nicht. Harry spürte Hermiones Herz wild schlagen, doch schien sie sich soweit vom Schrecken wieder erholt zu haben.

Grawp brummte irgendwas vor sich hin und stapfte zum Baum, an dem noch immer Seidenschnabel hing, nun aber mit dem Kopf vollends ins Geäst gerutscht war. Nur ein Pfeifen war von ihm zu hören, wohl bedingt durch die mangelnde Luftzufuhr.

"Grawp, nein!", schrie Hermione entsetzt und löste sich von Harry als sie sah, dass der Riese mit seinen großen Händen nach Seidenschnabel patschte.

Es dauerte eine Weile, bis sie ihm klar gemacht hatten, dass ihnen der Hippogreif lediglich als Reittier zu Diensten gewesen war und, im Gegenteil, nichts Böses im Sinn mit ihnen gehabt hatte.

Schließlich ließ sich Grawp dazu bringen, die Äste auseinander zu biegen und Seidenschnabel wieder auf die Erde zu stellen. Und doch brauchte es noch einige Zeit, bis sie Grawp endlich gehen ließ.

In der Tat hatte er während den letzten Ferienwochen einige Brocken Englisch gelernt und mit den entsprechend untermalenden Gesten, konnten Harry und Hermione ihm immerhin bedeuten, dass sie nun daran dachten, ihn fürs Erste zu verlassen. (Hermione hüstelte leicht, als Harry ihm einen baldigen Besuch versprach)

„Nun, Seidenschnabel hat uns allem Anschein nach direkt in den Verbotenen Wald geflogen", wandte sich Harry leise an Hermione, „ich geh mal davon aus, denn Grawp wird ja hoffentlich nicht ausgerissen sein."

Er trat einen Schritt vor.

„Ähm, Hagrid… ist Hagrid da?", fragte Harry, während er mit der anderen Hand vorsorglich Seidenschnabels Zügel zu fassen bekam, doch der Hippogreif blieb still stehen.

„Hagger", sagte Grawp.

„Ja, Hagger… ist Hagger da?", wiederholte Harry.

„Ich Grawp", sagte Grawp und schien sich stolz in die Brust zu werfen, was jedoch in Anbetracht seiner Größe nur dazu führte, dass er beinahe nach hinten kippte und nur ein recht dicker Baumstamm seinen Fall aufhielt.

„Ja, du Grawp… a b e r, wo Hagger?", fragte Hermione, die bei Grawps Beinah-Sturz Harry gepackt und nach hinten gezogen hatte.

„Hagger wo… wo Hagger? Aaah… Hagger heim", brummte der Riese und öffnete den Mund zu einem breiten Lächeln. Zumindest sollte es dies wohl bedeuten, erkannte Harry rasch, als der Riese gleichzeitig und wie zur Bestätigung seiner Aussage, kräftig mit dem Kopf nickte.

„Danke!", rief Harry rasch nach oben und auch Hermione nickte einige Male.

„Ich glaub, es ist besser, wir gehen jetzt", raunte Harry ihr zu, „wir winken und bewegen uns langsam rückwärts… hm… siehst du dahinten diesen Stein?" Er ruckte knapp mit dem Kopf in die betreffende Richtung. „Dort erst drehen wir uns um und laufen dann weiter, ok?"

„Jaaah", raunte Hermione zurück, Grawp immer noch anlächelnd.

Ohne den Riesen aus den Augen zu lassen, ruckte Harry entschlossen an Seidenschnabels Zügel und gemächlich setzten sie sich vorsichtig rückwärts in Bewegung. Seidenschnabels Kampfgeist schien erloschen, oder war er zu geschwächt vom langen Flug und Hunger, denn er lief ohne jeglichen Protest mit ihnen.

Beim Stein angekommen, der in der Nacht ein blaues Schimmern von sich gab und beim näheren Hinsehen glasig glänzte, lächelten sie Grawp nochmals zu und drehten sich bedächtig um.

Ohne noch einmal aufgehalten zu werden, weder von ihm, noch von den Zentauren (wie insgeheim von Harry befürchtet), trafen sie schließlich auf einen Pfad, den Harry als den erkannte, welchen er mit Hermione und Umbridge erst vor wenigen Wochen gelaufen war. Kiessteinchen links und rechts schienen ihn zu markieren und man sah, dass dieser Weg vor kurzem begangen wurde. Das Unkraut an beiden Seiten war niedergedrückt und die kleinen zarten Äste zum Teil (vermutlich durch Hagrids letzten Besuch bei seinem kleinen, großen Bruder) abgebrochen.

So kamen sie schließlich ans Ende des Waldes, das ihnen angezeigt wurde, indem die Sterne zwischen den Baumkronen immer öfter hervorschienen, und die Luft merklich frischer und windiger wurde.

Als wenn ihnen dies den nötigen Energieschub gegeben hätte, liefen sie trotz Harrys Bein, welches mittlerweile wie Feuer brannte, schneller und als sich vor ihnen das Blattwerk teilte und den Blick freigab auf die große Wiese, rannten sie sogar.

„Jaaaah", schrie Hermione und sprang wie ein junges Rehkitz in die Luft, „Mensch Harry, ich hab schon gar nicht nicht mehr daran geglaubt, dass wir jemals wieder heil aus dem Wald rauskommen", stieß sie erleichtert hervor.

„Wegen den Zentauren?", fragte Harry und grinste.

„Genau wegen denen… ich glaub mal nicht, dass die uns noch mal hätten davon kommen lassen", meinte Hermione und ergriff plötzlich seinen Arm. Ein Seufzen entfuhr ihr, als sie ihren Kopf hob und sich in ihren Augen die Lichter des Schlosses spiegelten.

„Hogwarts", sagte sie leise und ein warmes Lächeln umspielte ihren Mund. Ihr Blick jedoch war ernst und eine Entschlossenheit war darin zu erkennen, wie es Harry nur zu gut von ihr kannte.

„Vielleicht müssten meine Eltern nur mal Hogwarts und unsere Welt kennen lernen… um zu verstehen", flüsterte Hermione, den Blick starr auf das Schloss gerichtet, welches in diesem Moment für Harry eine unglaubliche Wärme und Geborgenheit ausstrahlte.

„Weißt du, Harry… als ich damals den Brief von Hogwarts bekam, da wusste ich, ich werde endlich… wie soll ich sagen… ja, nach Hause kommen…", in Hermiones Augen glänzte es auf einmal feucht.

Harry, der bisher nur eine pragmatisch praktisch denkende Hermione kannte, für die die Schule nur Mittel zum Zwecke des Lernens war, löste den Blick vom Schloss und blickte sie verwundert an.

Also konnte auch ihr der Zauber nicht entgangen sein, schoss ihm durch den Kopf, den die Schule auf alle ausübte, die sie besuchten. Diesen Zauber; diese anscheinend uralte Magie, von der er felsenfest überzeugt war, dass es sie gab, hatte er immer dann gespürt, wenn es ihm schlecht gegangen war. Für den Bruchteil einer Sekunde kam ihm die Erinnerung an seinen Besuch am See vor einigen Wochen in den Sinn. Als er stundenlang einfach nur dagesessen hatte, im Schatten des gewaltigen Schlosses, und um Sirius trauerte. Es war damals, als legten sich unsichtbare Arme um ihn, als versuchte ihn das Schloss selbst zu trösten. Er blinzelte die Erinnerung weg und sein Blick glitt unwillkürlich wieder hinüber zum See.

Ob das auch der Grund war, weshalb mancher seiner Mitschüler tatsächlich nur in den Sommerferien nach Hause fuhr, aber ansonsten ein ganzes Schuljahr in Hogwarts verbrachte, anstatt die Ferien zu Hause, bei den Eltern? Harry, der keine Eltern mehr hatte, konnte dies trotz allem nur schwer nachzuvollziehen.

Für ihn war die Schule schon lange sein einziges Zuhause und es war ihm von seiner Seite aus unvorstellbar, dass es tatsächlich nicht einmal mehr ganz zwei Jahre dauern sollte, bis er das Schloss für immer verlassen musste. Ein scharfer Schmerz fuhr ihm dabei durchs Herz, doch seine trüben Gedanken wurden unterbrochen, als Hermione leise weiter sprach.

„Ich weiß nicht, ob es dir genauso ging… aber seit ich klar und bewusst denken konnte, hatte ich immer schon das Gefühl, dass ich nicht bin wie die anderen Kinder.

Es war nicht mal so, dass um mich herum… Gläser kaputtgingen, merkwürdige und unerklärbare Dinge geschahen, wie mir unter anderem Colin Creevey von sich erzählt hat", sie stockte, „…ich wusste einfach nur, dass ich anders bin. Ganz einfach. Auch meine Eltern spürten, dass… mit mir etwas war; ich hab sie ein paar Mal belauscht, als sie sich darüber unterhalten haben. Aber den Grund erfuhr ich nie", sie seufzte.

„Tja… und dann erhielten meine Eltern Post, in dem jemand seinen Besuch ankündigte, um sich wegen meiner weiteren schulischen Laufbahn mit Mum und Dad persönlich zu unterhalten. Nun, da meine Eltern sowieso diverse Schulen angeschrieben und sich in pädagogischen Einrichtungen über deren Unterrichtsmethoden und Programme informiert hatten, war dieser Wunsch nicht Außergewöhnliches für sie", Hermione zuckte mit den Schultern.

„Irgendwann im Frühjahr vor dem ersten Hogwartsjahr besuchte uns dann eine Frau, die meinen Eltern erklärte, was es mit mir auf sich habe und es für Kinder wie mich eine spezielle Schule gäbe", fuhr sie mit einem Achselzucken sachlich weiter fort.

„Wie gesagt, meine Mutter hat bereits geahnt, was mit mir… war und wie sie mir später erzählt hat, war ihre eigene Großmutter mütterlicherseits ebenfalls eine Hexe gewesen, und ihr war, zumindest von den Erzählungen heraus, die magische Welt nicht fremd.

Aber meine Ur-Großmutter muss ziemlich viel gereist sein und meine Großmutter wiederum starb sehr früh, da war meine eigene Mutter noch ein Kind. Aus diesem Grund blieb ihr der Kontakt zu dieser Welt auch nur auf ein Minimum beschränkt.

Ich selbst habe Mums Oma nie kennen gelernt. Meine Mutter hat sich auf der einen Seite schon… wie soll ich sagen… darüber gefreut, dass ich Magie in mir habe. Vor allem war sie erleichtert, nun endgültig Gewissheit zu haben, was der Grund für ihr Gefühl war. Auf der anderen Seite wusste sie aber auch nicht genau, was auf mich zukommt… und ich musste ihr im ersten Schuljahr monatlich Briefe schreiben…", Hermione lächelte.

Sie sah noch immer zum Schloss hinüber, schloss aber nun ihre Hand ganz fest um die Harrys und drückte sie.

„Lass uns schauen, ob Hagrid da ist", sagte sie leise.

Sie bogen um eine große Baumgruppe herum, liefen über die kleine Steingruppe auf dem Hügel und schon tauchte Hagrids hell erleuchtete Hütte in der Dunkelheit auf. Dichter dunkelgrauer Rauch stieg aus dem Schornstein und dazwischen stoben dunkelrote Funken hervor. Harry wollte lieber nicht wissen, was Hagrid da verbrannte - ihm war es im Grunde genommen egal. Er freute sich einfach nur diese Hütte wieder zu sehen, freute sich auf Hagrid, und verdrängte die Gedanken an die unabwendbaren Fragen, die Hagrid ihnen gewiss über ihr unvermitteltes Auftauchen stellen würde.

In diesem Augenblick erkannte wohl auch Seidenschnabel wo sie sich befanden, denn er riss sich von Harrys Griff los und stürmte im Schnellschritt auf die Hütte zu; vereinzelt stoben die Federn beiseite und wirbelten durch die Luft. Sein Gekreisch hätte eigentlich alle sich gerade im Schloss befindlichen Bewohner aufwecken müssen, doch hinter den Fenstern, ob beleuchtet oder nicht, tat sich nichts, wie Harry erleichtert bemerkte.

Dafür flog Hagrids Tür auf und Harry und Hermione sahen zuerst einen rosafarbenen Kinderregenschirm, der waagerecht in der Luft gehalten, auf sie gerichtet war. Im gleichen Moment jedoch, wurde der Regenschirm, von dem Harry wusste, dass darin der zusammengeflickte Zauberstab Hagrids verborgen war, in die Luft gerissen und auch die massige Gestalt des Halbriesen verschwand aus ihrem Blickfeld.

Dafür war ein lang gezogenes „uuuuhuuuu" zu hören, begleitet von einem Bellen und ein Kichern und Lachen, unterbrochen von der Stimme Hagrids die immer wieder „Seidenschnabel, oh mein Seidenschnabel… Junge, das ich dich wieder sehe", rief.

Unwillkürlich musste Harry auflachen, denn als sie näher kamen, sahen sie Hagrid im Eingang zu seiner Hütte liegen, der gerade im Begriff war, mit aller Kraft den Hippogreif von seiner Brust zu schieben.

Zu spät merkte er allerdings, dass Seidenschnabel verletzt war und aus vielen Wunden blutete. Vor Schmerz kreischte Seidenschnabel auf, und schlug sofort erbost mit den Flügeln.

„Hagrid", rief Hermione, „Achtung, er ist verletzt!"

„Na, dass hab ich eben auch gemerkt", hörte Harry Hagrid brummen, der nun aber gleichzeitig die Hände vors Gesicht riss, um nicht vom scharfen Schnabel des Hippogreifs verletzt zu werden. Dieser kreischte nun erbärmlich und ließ sich wieder zu Boden fallen.

„Schnell, helft mir", rief Hagrid, während Harry zur Tür humpelte, „ich brauche Handschuhe"!

Harry drückte sich an Hagrid und dem flügelschlagendem Seidenschnabel vorbei und betrat die Hütte, die, typisch für seinen Freund, dass übliche Durcheinander aufwies. Fang versuchte aufgeregt an ihm hochzuspringen, doch Harry drückte ihn ungeduldig beiseite. An der Feuerstelle fand er schnell ein paar dunkelgrüne Drachenlederhandschuhe, die er Hagrid an der Tür überreichte.

Mit einem geübten Griff packte dieser dem Hippogreif am Schnabel und drückte diesen zu, wodurch das Tier nicht mehr schnappen konnte und von Hagrid und Harry gefahrlos gemeinsam in die Hütte gehievt werden konnte. Fang hatte sich rasch in den hintersten Winkel der Hütte verzogen; zu groß war sein Respekt gegenüber diesem großen Wesen. Rasch holte Hagrid eine große Schachtel hervor, die, so vermutete Harry, wohl früher als Hutaufbewahrung gedient hatte. Riesengroß war sie, und unheimlich tief. In Harry keimte der Verdacht auf, dass die Schachtel magisch innen vergrößert war.

Noch während ihm diese Gedanken im Kopf herumgingen, griff Hagrid hinein und holte nach und nach eine Schere, Verbandszeug und ein kleines Fläschchen mit braunem Inhalt hervor.

„Hier, mach mal auf und träufel ein bisschen auf das Tuch", wandte er sich an Harry und hielt im die Flasche und ein abgerissenes Verbandsstück hin.

Harry tat wie ihm geheißen und schon hatte Hagrid den Hippogreif mit einem geübten Griff auf den Boden gedrückt, indem er dessen Schulter mit dem linken Arm herunterdrückte und die spitzen Klauen mit seinen Knien beschwerte. Er nahm Harry das Tuch ab und hielt es dem Hippogreif vor die Nase, oberhalb des Schnabels. Sofort erlahmten dessen Bewegungen und kamen kurz darauf gänzlich zur Ruhe.

„Is eingeschlafen", kommentierte Hagrid zufrieden und winkte Hermione herbei, die das Schauspiel von sicherer Entfernung aus beobachtet hatte.

„So, und jetzt erzählt! Was macht ihr hier, ihr Banausen? Ferien habt ihr, da taucht man bekanntlich nich freiwillich in der Schule auf! Und was ist mit meinem Seidenschnabel passiert? Uhhh, mein Seidenschnabel… was habt ihr mit ihm gemacht!", wiederholte er mit Blick auf das schlaff auf dem Boden liegende Wesen.

„Wir?" schnaufte Harry, „wir haben gar nichts mit ihm gemacht, „frag mal deinen… großen Bruder"!

„Grawp?" fragte Hagrid überflüssigerweise und zog die Nase kraus. Mit einem skeptischen Blick auf Hermione (die den Blick unsicher erwiderte) ließ er Wasser in ein kleines irdenes Gefäß ein, und machte sich daran, die erste Wunde sauber zu waschen. Den groben Bewegungen nach war sich Harry sicher, dass Seidenschnabel mehr als einmal zugeschnappt hätte, wäre er bei Bewusstsein gewesen.

„Ja, Grawp", sagte Harry ungeduldig und reichte Hagrid, der eben seine nassen Hände ausschüttelte, ungeduldig ein Handtuch.

„Was hat er gemacht?", fragte Hagrid unwirsch, der irritiert das Handtuch ansah, es Harry dennoch abnahm und dann, ohne die Hände daran abzutrocknen, schließlich beiseite legte. Er tröpfelte erneut die braune Flüssigkeit auf das Tuch und machte sich an der nächsten Wunde zu schaffen.

„Och, er hat uns von Seidenschnabel gerissen, als wir über den Verbotenen Wald geflogen sind, ihn kopfüber im Geäst aufgehängt, so dass der Gute bald erst…"

„HARRY!" Harry fuhr erschrocken herum und blickte in die gefährlich blitzenden Augen Hermiones. „Wie kannst du nur Hagrids eigenen Bruder anschwärzen!", zischte sie ihm entgegen.

Harry blinzelte irritiert, „hallo? Wer redet hier von anschwärzen"? schnaubte er zurück und sah sie ungläubig an, „na das darf ja wohl nicht wahr sein; schon mal zurückerinnert, was er uns beinahe angetan hätte, der gute Grawp? Er hätte uns…",

„WAS hätte er beinahe"? nuschelte Hagrid, einen Stofffetzen im Mund, da er beide Hände brauchte, um eine Ader abzudrücken, aus der dunkelrotes Blut spritzte.

„Er hat versucht, uns das Leben zu retten", antwortete Hermione, bevor Harry den Mund aufmachen konnte.

„Na, also. So kenn ich ihn, den alten Kerl!", brummte Hagrid, der inzwischen mit dem rechten Knie auf Seidenschnabels Seite lag und immer noch mit der Ader beschäftigt war.

„Ja, nachdem er uns beinahe umgebracht hätte", sagte Harry und fing das blutige Tuch auf, das ihm Hagrid in diesem Moment zuwarf.

„Aber das hat er doch nicht absichtlich getan… ich mein, dass wollte er doch nicht wirklich", knurrte Hermione mit einem angeekelten Blick auf Hagrid, der nun einen Knäuel Federn aus der Wunde pulte und auf den Boden schmiss.

„Klar wollt er das nich", sagte Hagrid.

„Leute, in dem Moment, als er uns angriff, wollte er es; alleine das zählt", giftete Harry zurück, „der Kerl ist gefährlich; ich mein, der hat nicht erst gefragt, ob wir Hilfe brauchen, der hat einfach…angegriffen"'!"

„Klar hat er das! Stell dir mal vor, da schwirrt was Meterlanges über deinem Kopf hinweg und…", begann Hermione.

„…und dann sieht er, dass du drauf sitzt!", vollendete Harry ihren angefangenen Satz.

„Was soll das jetzt wieder heißen"? blaffte Hermione zurück und wich einige Schritte zurück, da Hagrid an ihr vorbei drängte, um das mittlerweile blutige Wasser durch Frisches zu ersetzen.

„Na, wie ich es sage, er sieht dich auf diesem… in seinen Augen, Untier, und setzt alles daran, dich zu retten. Was, so nebenbei, uns beide… ach was sag ich… uns dreien, beinahe den Hals gekostet hätte!"

Hagrid ließ ein Schnauben hören, und kippte das frische Wasser auf die nächste Wunde. Der Hippogreif regte sich leicht, woraufhin Hagrid rasch dass mit dem Betäubungsmittel getränkte Tuch nahm und es ihm unter die Nase hielt. Die Bewegung verstummte sofort.

„Na also", brummte er widmete sich wieder dem Säubern der Wunde.

„Dafür kann ich doch nichts!", rief Hermione und starrte Harry entrüstet an.

„Jahh, ich will doch bloß damit sagen, dass Grawp eben nicht wie ein normaler Mensch erst ma…" In diesem Moment passierte zwei Dinge gleichzeitig: Harry sah aus den Augenwinkeln, wie Hagrid das Tuch beiseite schmiss und hörte Hermione aufschreien.

„WAS?", schrie Hagrid und starrte Harry mit wutentbrannten Augen an. Harry wich erschrocken zurück.

„Kein normaler Mensch?", keuchte Hagrid und ging einen Schritt auf Harry zu, der bei einem Erwachsenen gut fünf gewesen sein könnten.

Harry schluckte.

„Grawp ist normal", rief Hagrid, während er sich gleichzeitig nach dem mit Blut durchtränktem Tuch bückte.

Jaah, er ist normal", setzte Harry zur Erwiderung an, doch er wurde sofort von Hagrid unterbrochen,

„Und warum sagst du, er wäre es nicht? HÄ?"

Harry stotterte, „weil er… er ist… mensch… ja, Mensch, er ist eben kein Mensch…"

Hagrid schnaufte.

„Ähm, Hagrid", mischte sich nun Hermione ein, und Hagrid taxierte sie sofort mit zusammengezogenen Augenbrauen.

Dies schien Hermione ein klein wenig einzuschüchtern, denn sofort verstummte sie und sah unsicher zu Harry. Doch der sah entrüstet weg, hin zu Seidenschnabel der unruhig mit den Flügeln schnickte.

„Die Nerven", brummte Hagrid ungehalten, und wandte sich wieder um. Harry ging dennoch einige Schritte zurück.

„Aber er ist doch kein Mensch", warf Hermione schüchtern ein, sich eng an die Eingangstür pressend. Sofort ruckte Hagrids Kopf in die Höhe.

„Ja, Hagrid, bitte… da muss ich Harry recht geben… er ist doch immerhin… ein Riese" sagte sie schnell.

Hagrid nuschelte etwas was sie nicht verstehen konnten und tunkte das Tuch erneut ins Wasser, das sich daraufhin sofort sattrosa färbte.

„Trotzdem könnt ihr nich behaupten; oder anners gesagt, du Harry, dass Grawp euch böse wollt", knurrte Hagrid, der nun mit der linken Hand in der Hutschachtel wühlte, während die rechte die Wunde zusammenhielt.

„Soll ich dir helf…", setzte Harry an, der jedoch sofort verstummte, als er den vernichtenden Blick sah, den Hagrid ihm zuwarf. Die Pranke des Halbriesen tauchte mit einer Fadenschnur wieder auf.

„Es ist nur so", setzte Harry an und überging Hermiones warnenden Blick, „dass Grawp nicht unbedingt zwischen gut und böse unterscheiden kann. Ich meine, er hätte uns echt… ziemlich schaden können", er räusperte sich und fing gerade noch so die Hutschachtel auf, die Hagrid unabsichtlich mit dem Ellenbogen zur Seite gestoßen hatte, als er mit ausladenden Bewegungen das Nähen begann.

„Ich will ja nicht sagen, dass er… böse und gefährlich ist… besonders nicht böse… aber … hach Hagrid, er handelt halt einfach nicht… nicht…", Harry rang nach Worten.

„…Überlegt!", erklang Hermiones Stimme und als er sie ansah, verzog sie mit einem angedeutetem Augenrollen den Mund. Er lächelte ihr versöhnlich zu und fing sich sofort den sträflichen Blick Hagrids ein.

„Ja genau", sagte Harry den in diesem Moment das unangenehme Gefühl beschlich, für Hagrid zähle Grawps Gefühlwelt mehr, als Hermiones und seine Sicherheit.

Hagrid wandte sich wieder Seidenschnabel zu, dessen Augenlider zuckten, sobald Hagrid mit der Nadel an den Wundrändern einstach. Harry trat näher zur Tür.

„Er ist halt ein Riese", murmelte Hagrid in seinen Bart hinein, „die sind so. Ich hab euch doch von ihnen erzählt… dir", er drehte sich zu Harry um und anschließend richtete er seinen Blick auf Hermione, "und dir Hermione. Ihr wisst wie die sind. Wenn ihr eine Fliege vor eurer Nase rumfliegen habt, fragt ihr sie doch auch nicht erst, warum sie das tut. Sondern ihr kloppt gleich drauf".

Hermione zog scharf die Luft ein.

Harry meinte zu wissen, was sie dachte; dass dies nämlich ein sehr ungeschickter Vergleich von Seiten Hagrids war, Fliegentötende Menschen mit Menschengefährdenden Riesen zu vergleichen.

„Mach mal", brummte Hagrid in Richtung Harry und schnitt Hermione, die eben zu einer Entgegnung ansetzen wollte, das Wort im Mund ab.

Harry trat neben ihn, vermied aber den direkten Blick auf Seidenschnabels Wunde. Hagrid hielt Harry die beiden Fadenenden hin und nickte ungeduldig.

„Bind mal… ich kann das nicht so… gut", erklärte er hastig, als Harry ihn irritiert ansah.

Harry, der nun doch auf die Verletzung des Hippogreifs schauen musste, schluckte einige male und nahm wie ihm geheißen die beiden Enden entgegen, die Hagrid ihm mit einem ungeduldigen Kopfnicken hinhielt. Das Hagrid nicht zum ersten Mal eine Wunde genäht hatte, wurde selbst Harry klar, als er das Werk seines Freundes notgedrungen ansehen musste. Er konnte nicht mit Gewissheit sagen, dass es Mrs Pompfrey tatsächlich besser hinbekommen hätte.

Rasch verknotete er die Enden und trat zurück. Keine Sekunde zu früh, denn in diesem Moment (Harry musste wohl etwas zu fest zugezogen haben), schoss der Kopf des Hippogreifs nach vorne, und verfehlte mit dem Schnabel knapp die Stelle, wo gerade noch eben Harrys Schulter gewesen war.

Hermione schrie entsetzt auf und auch Hagrid fluchte laut.

„Weg da, Harry", schrie er und stieß ihn beiseite.

Harry stolperte und fiel auf Hagrids Bett, auf dem sich jedoch schon Fang zusammengerollt hatte. Der Hund jaulte erschrocken auf und sprang vom Bett. Kläffend rannte er zu Hagrid und sprang vor dem Hippogreif auf und ab, mit der, für Harry offensichtlichen Absicht, seinen Herrn zu beschützen.

„Fang, aus! Aus… Fang", hörte Harry Hagrid rufen.

Noch ehe Harry reagieren konnte, hatte Hagrid den Lappen über den Schnabel des Hippogreifs geworfen, der daraufhin wie in einer Zeitlupe gefangen, zu Boden sank. Rasch packte Hagrid die Zügel des Hippogreifs und band sie, mit zitternden Händen, wie Harry nebenbei bemerkte, an einem der Pfosten fest, die die Decke der Hütte stützten.

„Un Ruh is", schnaufte Hagrid auf und klopfte dem neben ihm stehende Harry aufmunternd auf die Schulter, der daraufhin erneut das Gleichgewicht verlor und ein weiterer Sturz nur dadurch verhindert wurde, da Hermione ihn am Arm packte.

„Muss jetzt beobachten, ob die Wunden nich doch wieder aufgegangen sind", sagte Hagrid, der sich zu Seidenschnabel herunterkniete. Dem zufriedenen Gesichtsausdruck nach zu urteilen, den er zeigte, als er sich wieder aufrichtete, schien jedoch alles in bester Ordnung zu sein.

„So, und jetzt erzählt ihr mir mal, was ihr hier macht… aber vorher koch ich noch einen Tee", sagte er und ergriff den orange-dunkelgrün geblümten Wasserkessel.

Irritiert hielt er jedoch in der Bewegung inne und sah auf, als sie sich nicht rührten.

„Na was ist, setzt euch!"

Fortsetzung folgt!