"Erzählt mir von... der Edlen von Rohan."

Merry hob seinen Kopf, überrascht, nahm die lange Pfeife aus dem Mund um den Mann neben sich zu beäugen. Also hatte er letztendlich doch den Mut gefunden, um anzusprechen weswegen er den Hobbit hatte sehen wollen. Lange hatte Merry über das, was in Amun Hem geschehen war, berichtet, über den Tod Boromirs, und obwohl es durch Faramirs verzweifeltes Ringen um Beherrschung deutlich gewesen war, daß ihn das Thema schmerzte, war der Eindruck, daß dies nicht der einzige Grund war, warum er Merry hatte sehen wollen, geradezu überwältigend gewesen.

Der Hobbit blinzelte durch den Pfeifenrauch zu dem Truchseß hin. Die hellen Strahlen des Sonnenlichts ließ kitzelte in seiner Nase. Sie saßen im Garten, das Gras warm unter ihren Füßen, während ein sanfter Wind durch die Bäume raschelte, die tanzende Schatten auf den Ort warfen, an dem sie saßen.

"Eowyn", murmelte Merry nachdenklich und ließ eine Hand auf sein Knie sinken. Er wußte nicht genau, was er dem Truchseß sagen sollte, der ihn immer noch mit demselben ernsten Ausdruck beobachtete, der sein Interesse nicht vollständig verbergen konnte.

"Nun ja, sie ist eine Dame, wie es keine zweite gibt in diesen Tagen", antwortete er, denn dies war es, was Eowyn am besten beschrieb, die einfachsten Worte, die er finden konnte, um dem Mann zu erklären, wer sie wirklich war. Es war nur der Geist eines Lächelns auf Faramirs Zügen, und Merry fragte sich, warum Eowyn den Truchseß interessierte.

"Ich denke, das ist unbestritten..." Das kurze Zögern in seiner Stimme ließ Merry die Stirne runzeln. Faramirs Blick glitt ab gen Osten, dann zu den Büschen hinter denen die Häuser der Heilung lagen, die Häuser, in denen Eowyn im Moment sicherlich war. Merry war unsicher darin, was er preisgeben sollte. Der Truchseß schien eine Antwort zu erwarten, zu ersehnen gar, doch er wußte nicht, welche er ihm geben sollte. Es erschien ihm falsch, die Geheimnisse der Dame zu verraten, Gedanken, die ihm anvertraut waren, am Abend vor dem Ende der Welt, im gewissen Angesicht eines morgigen Todes.

Der Truchseß mußte dieses Gefühl auch kennen, wenn stimmte, was man über ihn erzählte. Beinahe hätte Dunkelheit ihn ebenfalls verschlungen, als Gondor sich am Abgrunde befand.

Und mit einem Male wußte Merry, wo er beginnen sollte.

"Sie hat nichts als Schatten gekannt, für lange Zeit", sagte er nachdenklich. "Sie hat gesehen, wie Rohan fiel, und sie konnte nichts tun, um dies zu hindern, während das Gift Sarumans ihr Land verschlang." Er seufzte, erinnerte sich an Ereignisse, die er selbst nicht einmal miterlebt hatte, auch wenn Eowyns Worte sie ihn hatten so deutlich sehen lassen, was wäre er selbst dort gewesen. "Ich denke, vielleicht kann sie das Warten nicht ertragen."

Es schien, als antworte Faramir mit einem kleinen Lachen, bitter zwar, doch der erste Ausdruck eines Gefühles, das er sich endlich erlaubte.

"Wer kann das schon", fragte er leise, blickte gen Osten und Merry tat dasselbe. Gedanken an das Schwarze Tor überfluteten ihn, und er konnte nicht umhin, zu bemerkten, daß jeder, der in dieser Stadt so fern vom Auenland für Heimat stehen könnte, in diesen Stunden der letzten und ultimativ zerstörerischen Macht Mordors begegnete. Er mußte Faramir zustimmen, auch wenn er keine Bitterkeit verspürte, nur Angst und eine Traurigkeit, die schwer zu tragen war.

"Niemand, denke ich", antwortete er, hob ein weiteres Mal die Schultern und nahm einen weiteren Zug aus der Pfeife. "Aber Eowyn hat Charakter, so wahr ich lebe und atme. Sie ist so tapfer wie jeder der Rohirrim, und sie sollte ebenso wie jeder andere auch das Recht haben, zu verteidigen, was sie liebt. Sie gab nicht nach, und sie hat es allen bewiesen. Sie war hier, in der Schlacht vor dieser Stadt, obwohl niemand es ihr gestattet hätte. Sie mußte sich verstecken, sich als Reiter der Mark verkleiden, um hierher zu kommen, um zu tun, was nur sie tun konnte." Merrys Augen glitzerten, als er leidenschaftlich berichtete, was er selbst verspürte, die unglaubliche Verzweiflung, zurückgelassen zu werden, wenn jeder in die Schlacht ritt, das Gefühl von Hilflosigkeit, von dem Eowyn - oder besser - Dernhelm - ihn befreit hatte. "Sie hat mir das erspart. Sie hatte die Stärke, zu tun was sie für richtig hielt, und die Freundlichkeit, mich zu sehen und zu tun, was ich allein nicht tun konnte.

Faramir nickte, langsam, tief in Gedanken. Merry biß sich auf die Lippe, fragte sich, ob er vielleicht zu viel erzählt hatte, doch bevor er diesen Gedanken weiter verfolgen konnte, erhob Faramir die Stimme.

"Sie ist sehr stolz, nicht wahr?"

"Oh ja, das ist sie!" Diese Frage war leicht zu beantworten, und ein Lächeln zeigte sich auf Merrys Zügen. "Sie hat vielen Winden getrotzt und steht immer noch, stolz und stark." Merry stampfte mit dem bloßen Fuß auf den Boden, die Bewunderung für Eowyn deutlich in seiner Stimme. "Und auch als sie dachte, sie könnte nicht mehr weiter, wollte sie kämpfend sterben, nicht einfach verschwinden."

Seine Stimme verklang, und er bemerkte, daß Faramir ihn scharf anblickte. Irgend etwas in seinen Augen sagte nur zu deutlich, daß er die volle Aufmerksamkeit des Truchseß hatte. Gleichzeitig fragte er sich, ob er nicht zu viel gesagt hatte, und so wich er Faramirs Blick aus, um zurück zu den Häusern zu sehen. Ein Schulterzucken verbarg nur schlecht, daß er das Gefühl hatte, zuviel gesagt zu haben. Denn schließlich und endlich hatte etwas in Faramirs Ausdruck Merry verraten, warum diese Unterhaltung überhaupt begonnen hatte.

Der Truchseß hatte begonnen, sein Herz an die Edle von Rohan zu verlieren, ob er sich dessen bewußt war oder nicht. Und Merry war sich nicht sicher, daß Eowyn eine solche Aufmerksamkeit gutheißen würde. Sie schien noch zurückgezogener, seit Aragorn fortgeritten war, als hätten die Reiter einen Teil von ihr mit sich genommen, um vor dem Schwarzen Tor zu sterben. Faramir war dabei, sich an den Geist einer Dame zu verlieren, doch es gab nichts, das Merry hätte sagen können. Denn ebenso wie sie, war auch Faramir stolz und ernst und voller Schmerz. Er hätte ebensowenig verhindern können, daß Eowyn nach Aragorn um Erlösung blickte, wie er Faramir davon abhalten konnte, die wenige Hoffnung, die es gab, im Antlitz der Edlen von Rohan zu sehen.

Dennoch.. die ganze Situation schien ebenso hoffnungslos verfahren wie der ganze Krieg.

Merry hatte sich auf Pessimismus verstanden, doch in diesem Moment war alles andere schwer zu finden. Er seufzte, als er den Truchseß wiederum ansah, auf der Suche nach etwas, das er sagen konnte. Faramir starrte ins Nichts, seinen eigenen Gedanken nachhängend, und so war es einfach für Merry, einen lockeren Tonfall zu finden.

"Man könnte meinen Ihr fragt mich aus, Edler Herr, doch warum, das mögen allein die Valar wissen."

Er lächelte, beinahe ehrlich, und das Lächeln ließ Merry an jemanden denken, der bei etwas verbotenem überrascht worden war.

"In der Tat, Herr Perian", sagte er, einen Hauch von Humor in der Stimme. "Ich hoffe Ihr werdet meine Kühnheit verzeihen.

"An Eurer Stelle würde ich mich da nicht sorgen", entgegenete Merry leichthin, nahm einen weiteren Zug aus seiner Pfeife, nur um zu bemerken, daß der Tabak kalt geworden war. "Wir Hobbits lieben es, über unsere Freunde zu reden. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, daheim, im Auenland, tun wir kaum etwas anderes."

Faramir hob die Brauen, in echtem oder gespieltem Erstaunen. Doch seine Stimme verriet Vergnügen.

"Nun, dann sollte ich mich glücklich schätzen, gerade mit Euch darüber gesprochen zu haben..."

Merry lachte.

"Aber sicher. Worin auch immer ihr Gondorianer gut seid, wir sind ausgezeichnet in Klatsch und Tratsch..."

Sie war nicht gekommen...

Enttäuschung floß durch ihn hindurch, als er schließlich aufgab, und zurück nach drinnen ging. Merry und er hatten auf Eowyn gewartet, bis die Dämmerung die Stadt langsam eingehüllt hatte und die Häuser von einem weiteren Sonnenaufgang träumten.

Warum auch immer, sie war nicht gekommen.

Und Faramir war beinahe schockiert, als er begriff, was dies ihm antat. Er hatte nicht verstanden, wie sehr er gehofft hatte, sie an diesem Tage zu sehen. Dies war eine Verletzlichkeit, die er nicht hatte kommen sehen.

Eines seiner Hauptziele war es stets gewesen, Schmerz zu vermeiden. Ein zu gutes Ziel bot er bereits für das Gift seines Vaters, für seine eigenen Selbstvorwürfe ebenso. Die Eisentür der Häuser fühlte sich schwerer an, als sie war, und er schob einen der Flügel auf. Die Korridore, mit flackernden Kerzen erleuchtet, die ein warmes Licht verströmten, hießen ihn mit der Stille der Hallen willkommen. Das Bild hätte seine Gefühle nicht besser beschreiben können.

Die Einsamkeit ging durch Mark und Bein.

Er machte sich auf den schmerzvollen Weg zurück zu seinem Zimmer. Er glaubte nicht wirklich, daß er schlafen können würde, doch vielleicht war es der Respekt für die Arbeit der Heiler, der ihm riet, es zumindest einmal zu versuchen.

"Edler Herr?"

Er hielt inne, drehte sich langsam um, um den Ursprung der Stimme irgendwo in den Korridoren hinter sich auszumachen.

Sie war da.

Sie stand im Kerzenlicht, das sie weniger kühl, weniger wie eine Eisblume aussehen ließ und an einen Geist der dunkelsten Stunden der Nacht erinnerte. Er spürte, wie ein kleines Lächeln den Weg zu seinen Lippen fand, und glaubte, seine Antwort auch auf ihren Zügen zu finden, selbst wenn er nicht sicher war, zu flackernd war das Licht.

"Meine Dame..."

Er verneigte sich kurz, nutzte die Zeit um nach Worten zu suchen, die angemessen waren.

"Ich dachte Ihr schliefet längst."

"Nun, das tue ich nicht."

Wiederum die trockenen Antworten, die er so oft schon erhalten hatte. Es schmerzte, doch er entschloß sich, es nicht zu zeigen.

"Ich fürchte die Heiler werden dies nicht gern sehen", antwortete er vorsichtig, einen Schritt auf sie zutretend.

Etwas huschte kurz über ihre Züge, ein Ausdruck, den er zunächst fälschlich für Wut hielt, und er bereitete sich auf eine weitere, rüde Antwort vor, bevor er verstand, daß er sich täuschte.

"Euch auch nicht, edler Herr."

Die leise, trockene, fast kameradschaftliche Bemerkung ließ sein Lächeln weiter werden, und nur halb bewußt bewunderte er die Leichtigkeit, mit der er ihre Stimmungen aufnahm und selbst zu spüren schien.

"Das mag stimmen, edle Dame. Ich fürchte, wir unterstehen beide derselben Herrschaft."

Sie nickte.

"Dennoch kann es das Herz erleichtern, bisweilen die eigenen Flügel zu weiten."

Ihr Ton war sorgfältig nuanciert, und Faramir fragte sich, was sie ihm eigentlich sagen wollte. Wie dem auch sei, konnte er kaum anders, als zustimmen, auch wenn er selbst sich selten außerhalb erlaubter Pfade begeben hatte - das wäre in anbetracht von Denethors Launen auch nicht besonders klug gewesen.

"Das kann es... bisweilen."

Sie nickte.

"Dennoch wäre es vielleicht klüger, wenn wir beide wieder täten, was man uns zu tun hieß, denn wenn wir schon die Regeln brechen, so könnten wir auch die Pferde satteln und zum Schwarzen Tor reiten, um dort die Freunde zu treffen, die wir vermissen."

Er senkte den Kopf, zu verbergen suchend, daß die Bemerkung ihn getroffen hatte, als er nickte.

"Ich kann Euch nicht widersprechen, edle Dame", sagte er sanft, schon halb im Gehen. "Ich wünsche Euch eine gute Nacht."

"Edler Herr..." Er hielt inne, halb abgewandt.

"Werdet Ihr morgen in den Gärten laufen?"

Halb abgewandt lächelte er und nickte, spürte wie der Gedanke alleine den Schmerz zurückzudrängen vermochte.

"Das werde ich."

"Dann werdet Ihr mich vielleicht dort finden, wenn Ihr dies wünscht", bot Eowyn an, ruhiger als er sie jemals erlebt hatte.

"Ich wäre begeistert...", antwortete er, den Valar sei gedankt, mit ruhiger Stimme. Sie nickte.

"Gut. Ich wünsche Euch eine gute Nacht, Herr Truchseß."

Faramir wanderte zurück zu seinem Raum und beobachtete die Flammen, die die Wände entlangtanzte als er an ihnen vorbeiging.

Die Häuser der Heilung waren ein ruhiger Ort in der Nacht. Schweigende Heiler und tanzende Kerzenflammen wachten über die leeren Gänge, die die Teile der Häuser miteinander verbanden. Der Himmel war klar, und Mondlicht schien in die Räume, zeichnete ein blasses, zartes Licht auf die Patienten.

Faramir schlief, sein Gesicht in Mondlicht gebadet, sein Atem ruhig, als er Erholung in Vergessen fand.

Denn dieses eine Mal träumte er nicht