Ich verliere...

verliere die Schlacht, verliere mich selbst....

Die Morgensonne jagte die letzten Schatten, die noch in seinem Raum lauerten, hinfort und Faramir legte die Hände flach an beide Seiten seines Fensters und blickte wie geschlagen zu Boden. Er hatte nicht schlafen können in dieser Nacht, so sehr er sich auch nach Vergessen gesehnt hatte - oder sogar nach seinen Träumen aus Zerstörung und Feuer, denn dies waren Katastrophen, an denen er nicht schuld war und an denen er nichts ändern konnte. Doch was ihm in dieser Nacht die relative Ruhe raubte, war ein persönlicherer Schatten...

Er schloß die Augen um sie vor dem stechenden Wind aus dem Osten zu schützen, und auch wenn die Luft süß und nach Frühling roch, schien es doch, als trüge sie in sich auch die Botschaft eines heranbrechenden Herbstes, der langsam zu endlosem Winter vergehen würde.

Er wußte es. Und so sehr er sich nach Hoffnung sehnte, er wagte sie nicht.

Denn den Sturz würde er nicht überleben...

Weit unter ihm waren Schritte zu hören, leise Schritte auf den weißen Steinen, die die Pfade zwischen den Rasenflächen und Bäumen des Gartens der Häuser markierten. Er senkte den Blick, halb im Fenster vor dem einsamen Wanderer in diesen frühen Morgenstunden verborgen.

Sie. Natürlich war sie es. Er hatte es gewußt, auch wenn er es vielleicht nicht hatte zugeben wollen. Die Sonne war noch nicht über den Wall geklettert, und so wanderte sie in Schatten, in ihren eigenen Gedanken versunken. Ein Gewand aus sanften Weiß spielte um ihre Gestalt, unterstrich den Eindruck, den sie hinterließ, den Eindruck aus Kälte und Winter, schön, doch unerreichbar fern wie eine Blume, verborgen unter dem Schnee eines ganzen Jahrs.

Unwillkürlich fragte Faramir sich, wann er sich so vollständig und unrettbar verloren hatte. Sein Herz spürte das nahende Ende, unentrinnbare Finsternis, die sich um ihn schloß, bis aller Raum zum Atmen verloren war. Sein Herz spürte die Leere, die nur die Ankündigung weiterer Opfer war, die kommende Tage bringen würden. Und doch, etwas in ihm weigerte sich, aufzugeben. Er wagte nicht, es zu benennen, fürchtete, es würde dem bloßen Gedanken fliehen, zart und unmöglich wie es war, doch es existierte, in der Luft hängend wie ein kunstvoller Spruch.

Ich verliere mich...

Verliere mich... schließlich und endlich...

Er war kein Narr, natürlich. Er hatte Merrys Worten zugehört, seinen Worten, und noch deutlicher dem, was er nicht gesagt hatte. Die Zeit hatte ihn gelehrt, zu erkennen, was nicht innerhalb seiner Reichweite lag, und dies galt mit Sicherheit für die Dame Rohans.

Aragorn...

Sein Blick wanderte ein weiteres Mal ab, ostwärts wo, irgendwo, der König Gondors dem Schicksal entgegentrat. Kein Wunder, daß er es war, der der so hoch in der Gunst der Dame stand. Er hatte den König nur für einige, wenige Augenblicke gesehen, doch erinnerte er sich an die Hand, die ihn vom Ende allen Seins zurückgeholt hatte. Er war ein König, nach allem, was Faramir sagen konnte, und er würde ihm niemals neiden was seines war. Auch wenn dies hieß, daß sich die Schatten noch enger um ihn schließen würden...

Und so falle ich...

Die Sonne hatte die Wand schlußendlich erklommen, ergoß warmes, goldenes Licht in den Garten. Ihr Haar fing das Funkeln ein, glitzerte wie gesponnenes Gold in der Morgensonne. Sie hielt in ihrem Schritt inne, um das Gesicht in die vorsichtige Wärme des frühen Frühjahrs zu heben, ihre Gestalt aufrecht und stolz, der Kopf leicht in den Nacken gelegt, als sie ihre Züge der Sonne darbot. Er erwartete halb, Tau auf ihrem Gesicht zu finden, als sie sich umdrehte, Eis, das geschmolzen wurde, während bitterer Frost langsam schwand, doch dort war nichts als der blasse Ausdruck eines vorsichtigen Friedens auf ihren Zügen. Er fragte sich, ob es eine Sonne gab, die sie würde wahrhaft wärmen können.

Sie erblickte ihn, bevor er sich in die Schatten zurückziehen konnte, ihre Brauen hoben sich überrascht, als sie seiner gewahr wurde. Und dann, vorsichtig, als würde sie ihrer selbst nicht trauen, berührte ein Lächeln ihre Lippen, zart wie der erste Morgentau. Ein vorsichtiges Lächeln, und doch veränderte es ihr Gesicht, als Frost der vollen Blüte des Frühlings wich.

Sein eigenes Lächeln glomm auf, bevor er es auch nur begriff, und in diesem Moment wußte er, warum er noch hoffte, warum er noch atmete, welche Wolken auch immer den östlichen Himmel verdunkeln mochten.

Ihre Blicke trafen sich einen Lidschlag lang, bevor sie sich in formellem Gruß verneigte, formeller, als er es sich von ihr wünschen würde, und doch beantwortete er die Geste mit einer eigenen, kleinen Verneigung, ein höfischer Reflex, angeübt von Kindesbeinen an. Er wußte nicht, ob er über die Reaktion, die eine Kindheit am Hofe Gondors verursacht hatte, überrascht, froh oder verärgert sein sollte.

Ein letzter Gruß ihres Lächelns und sie wandte sich ab, schritt weiter durch den Garten und überließ ihn seinen eigenen Gedanken, als er sich langsam wieder entspannte.

Ich verliere mich...

Valar... sprecht zu mir... wie kann etwas, das mich zerstören wird, gleichzeitig so richtig sein..?