Die Sonne ist fort...

Eowyn, Schildmaid Rohans, stand inmitten der blühenden Frühlingsblumen im Garten der Häuser der Heilung, blickte herum und spürte den Frost.

Die Sonne ist fort... für immer?

Ein Frösteln durchlief sie, schüttelte sie heftig und sie verschränkte die Arme vor der Brust auf der Suche nach einer Wärme, die ihr in dem Moment zu entfleuchen schien, in dem sie sie ersehnte. Die letzten Tage hatten den Beigeschmack eines letzten Abschiedes getragen, eine letzte Herrlichkeit vor dem Ende, und als sie zu den grauen Wolken aufblickte, schien das Ende bereits gekommen. Es war noch früh, die kühle Morgenluft glitt durch ihr Gewand als wäre es nicht vorhanden, während irgendwo hinter den endlosen Wolken Mordors die Sonne tapfer aufging.

Wenn sie noch aufgeht...

Sie war früh aufgestanden, so wie immer, auch ihre Krankheit hatte diese Gewohnheit nicht brechen können.

Die Morgensonne Rohans war nichts als Herrlichkeit, doch Morgen in Gondor schien nichts als Schmerz bereitzuhalten.

Sie nahm ihren Weg wieder auf, den sie unterbrochen hatte, ohne zu wissen warum. Es war vergebens, zu versuchen, ihre Sorgen irgendwo in diesen Gärten zu lindern, denn Ungeduld und die immer näher schleichende Kälte, die vom Ende zu sprechen wünschte, schienen allgegenwärtig zu sein. Die Stille ihrer eigenen Gedanken hielt sie gefangen, und die Hufschläge wichen zurück, ließen sie zurück, allein, nackt und bloß, und auch der letzte Hoffnungsschimmer war fort.

Als würde ich mich selbst verlieren...

Sie schloß die Augen, nur für einen Augenblick. Die Zeit schlich vorüber, an eine Schildkröte gemahnend, die sich der unmöglichen Aufgabe stellte, eine endlose Grasebene zu durchqueren, und die Dunkelheit hatte begonnen, an ihr zu nagen, ihre Entschlossenheit zu erschüttern. Der Drang der ersten Tage ihrer Gefangenschaft war verloren, der Drang zu rennen und zu jagen, der Drang den Wind zu spüren und dem Klang der allgegenwärtigen Hufschläge zu lauschen, sich dem wilden Ritt der Rohirrim anzuschließen, und sei es zu ihrer aller Zerstörung.

Der Wind, der mit ihrer Seele zu spielen wußte, war nur noch die leiseste Brise, kaum noch merklich gegenüber der gähnenden Stille, die die Hufschläge in der Schildmaid hinterlassen hatten.

Wir sind die Pferdeherren, und Reiten ist Leben...

Das Dogma ihrer Kindheit, erst in den letzten Tagen dieser Welt gebrochen, nun, da die Dame der Goldenen Halle im Schatten einer Steinstadt verloren war.

Und so bin ich nun wahrhaft tot...

Sie fragte sich, ob es ihr Herz erleichtern würde, auf die Mauer zu steigen und auf die Ebene zu blicken, die die Menschen hier die Pelennorfelder nannten, und dahinter auf den Schatten Mordors, doch sie entschied sich dagegen. Dieser Schmerz würde den Teil von ihr trösten, der ein Reiter war, der Teil von ihr, der sich nach Freiheit sehnte.

Doch der blasse Vogel, der nun durch die Gärten schritt, hatte sein Gefängnis beinahe angenommen.

Sie fragte sich wo Faramir war. Er war niemals so früh wie sie hier anzutreffen, doch es war beinahe Zeit für ihn, in den Garten zu kommen um mit ihr zu sprechen.

Sie würde nicht zugeben, daß ihm vielleicht gelingen könnte, was die Stadtmauern Gondors nicht mehr vermochten, denn dies würde sie der Frage gegenüberstellen, warum er es konnte. Und dieser Frage fühlte sie sich nicht gewachsen.

Sie hatten die letzten Tage in angenehmer Kameradschaft verbracht, ohne daß der eine dem anderen zu nahe getreten wäre, und die anfängliche Feindseligkeit hatte sich zu etwas gewandelt, daß man, wenn schon nicht Freundschaft, so doch Sympathie zweier Seelen in derselben Not nennen konnte. Es stimmte, daß mit ihm zu sprechen die Dämonen in Schach hielt, ihre eigenen so wie seinen, wenn sie seinen Gesichtsausdruck wenn er mit ihr sprach richtig deutete.

Sie war ehrlich genug zu hoffen, daß er bald kommen würde, und der kalte Wind, der sie beutelte, ließ sie zittern. Sie kannte die Kälte, Gondor war wesentlich wärmer als Edoras, doch die Gewänder, die man ihr gegeben hatte, waren dünn, eher passend für den Hof von Minas Tirith als für eine Schildmaid. Sie konnte nicht umhin, den feinen, zarten Stoff des weißen Kleides zu bewundern, doch sie sehnte sich nach der feingesponnenen Wolle, das besser für den Kampf gegen die Kälte geeignet war.

"Edle Dame?"

Sie hielt inne, die Arme, die immer noch um ihren Oberkörper geschlungen waren um sich warm zu halten, sanken langsam hinab zu ihren Seiten und sie richtete sich auf, bevor sie sich umwandte. Sie hatte die Stimme sofort als die erkannt, auf die sie, ob sie es zugab oder nicht, gewartet hatte, doch sie vertraute ihm bei weitem nicht genug, um ihm zu zeigen, daß sie seine Ankunft freute. Und so schenkte sie seiner Gegenwart nur die nötige Anerkennung mit einem Nicken, als sie sah, daß er einige Schritte von ihr entfernt stand, sie mit dem ihm eigenen ruhigen Respekt musternd, ein Ausdruck, der niemals zu wanken schien, als er ein vorsichtiges Lächeln wagte.

"Edler Herr Faramir", entgegnete sie mit einem Nicken ihres Kopfes. "Es ist gut, Euch zu sehen." Ihre Stimme blieb formell und höflich, um nicht zu zeigen, daß sie meinte, was sie sagte, auch jenseits der Höflichkeiten, die die Etikette verlangte. Er nickte, und sein Blick schien unter ihren Worten etwas von seiner Vorsicht zu verlieren. "Ich kann sicherlich dasselbe sagen, edle Dame."

Er ging einige Schritte auf sie zu, zögernd, als wüßte er nicht genau, was er tun solle. Ein Bündel blauen Stoffes hing über seinem rechten Unterarm und er trug es mit großer Vorsicht, auch wenn es ihm für den Moment nicht bewußt schien. Eowyn fröstelte, als eine weitere Böe des kalten Nordwindes sie mit seinem eisigen Atem streifte, und sie schlang ihre Arme wieder um den Oberkörper auf der Suche nach Wärme.

"Edle Dame, Ihr friert...", bemerkte Faramir leise das Offensichtliche.

"Es geht mir gut." Stolz verbat ihr die Ehrlichkeit, dem Gondorianer, dem, der zu jenem Volke gehörte, das die Rohirrim nur zu oft dünnblütig nannten, dünnblütig und nicht stark genug für das rauhe Wetter Rohans endloser Ebenen, gegenüber zuzugeben, daß das Wetter auch ihr Unbehagen verursachte. Ein Lächeln erhellte Faramirs Züge, vorsichtig, leise, wußte er doch, daß er sich immer noch in gefährlichen Gewässern bewegte.

"Dennoch würde ich Euch bitten, diesen Umhang zu tragen, edle Dame, und wenn schon nicht gegen die Kälte, so um mir einen Gefallen zu tun..."

Eowyn musterte ihn mißtrauisch, als er ihr den herrlichen, blauen Stoff entgegenhielt. Es war schwer zu sagen, was er im Schilde fühlte, und die Ruhe seiner Augen verriet nichts außer einem leichten Lächeln, das auch ihre Lippen erreichte. Es war wahrhaftig kalt, und sie hatte nicht das Herz, ihm die Bitte abzuschlagen. Sie hatte dies oft genug zu den verschiedensten Gelegenheiten in den letzten Tagen getan, und der Schmerz in seinen Augen war nur zu deutlich gewesen. Sie wußte nicht genau, wie sie ihre Beziehung zum Truchseß Gondors nennen würde, doch sie wollte ihm keinen Kummer bereiten.

"Dann werde ich es tun", sagte sie leise und streckte die Hand aus, um den Umhang zu nehmen. Ihre Finger berührten die seinen, als sie den Umhang nahm, und aus den Augenwinkeln bemerkte sie einen fast erschrockenen, schwer zu deutenden Ausdruck auf seinem Gesicht, der beinahe sofort wieder verschwand. Nur einige Zeit später bemerkte sie, daß ihre Haut dort, wo er sie berührt hatte, mit eine seltsame Wärme prickelte, die keine Ursache kannte.

Langsam faltete Eowyn den Umhang auseinander, verblüfft, als sie seiner Herrlichkeit gewahr wurde. Er hatte die Farbe einer tiefen Sommernacht und silberne Sterne waren um Hals und Saum gestickt, glitzernd im Sonnenlicht, das nur schwach die dunklen Wolken durchschien, die über der Stadt wie ein drohender Feind hingen. Verblüfft über das Geschenk, das so herrlich und königlich schien, wandte sie sich zu Faramir um, um den Grund hierfür zu erfahren. Sie erhaschte seinen staunenden Gesichtsausdruck, ein Lächeln, das zu zerbrechlich für den Augenblick schien, wie ein flüchtiger Duft im Wind.

"Wo habt Ihr ihn her?" fragte sie neugierig. Schnell senkte er den Blick zu Boden, wie er es oft tat, wenn er zu ihr sprach, doch welche Entfernung auch immer seine Geste zwischen ihnen hervorrufen mochte, wurde von der Wärme seiner Stimme mehr als aufgewogen.

"Er gehörte einst meiner Mutter..." Sie erwog, das Geschenk abzulehnen, denn atemberaubend schien es in seiner Bedeutung und Größe. Faramir hatte nur selten von seiner Mutter gesprochen in ihren zahlreichen Unterhaltungen, während sie durch die Gärten spazierten, doch wann auch immer das Thema aufgekommen war, war seine Bewunderung und Liebe für Findulias in der Luft wie ein elfischer Zauber. Sie konnte nicht verstehen, wie sie ein solches Geschenk verdient haben mochte, doch in jedem Falle, so riet ein Teil von ihr, wäre es nicht besonders klug, es abzulehnen.

Seltsamerweise war es derselbe Teil, der sich geehrt fühlte, und - noch seltsamer - froh.

"Ich weiß nicht, was ich sagen kann um Euch zu danken", sagte sie schließlich und erlaubte sich ein vorsichtiges Lächeln. Faramir hob den Blick um sie anzusehen.

"Tragt ihn einfach, ich bitte Euch. Das wäre schon... mehr als genug."

Zögernd gehorchte sie seinem Wunsch, und als der Mantel sich langsam auf ihre Schultern senkte, konnte sie seine Wärme beinahe noch im selben Augenblick spüren, wie sie den Frost aus ihren Knochen vertrieb. Es war wahrhaft ein herrliches Kleidungsstück, schwer und warm, das sogar dem Wind trotzte. Einer Eingebung folgend, die sie nicht wirklich verstand, verbeugte sie sich sanft vor Faramir, ein unausgesprochener Dank, der mit einem ehrlichen Lächeln belohnt wurde.

"Es ist mein Vergnügen, Eowyn, wahrhaftig mein Vergnügen..." Er hielt ihr einladend seine Hand entgegen, beinahe überschwenglich. "Werdet Ihr mit mir auf die Stadtmauern von Gondor gehen, edle Dame?"

Sanft ließ Eowyn ihre kalten Finger in seinen zur Ruhe kommen. Seine Hand war noch warm von dem Schutz des Umhangs, in dem sie sich bis vor kurzem befunden hatte, und er führte sie die Stufen hinauf, bis beide stehen blieben wo sie die letzten Tage schon so oft gestanden hatten und hinaus auf die endlosen Ebenen zu ihren Füßen blickten.

Stille senkte sich auf ihre Schultern, eine Stille, unangenehm nicht wegen der Gesellschaft, sondern aufgrund des Mantels der Bedrohung, der sich um sie zu legen schien, so wie sie dort standen. Eowyn bebte, sogar unter dem Sternenumhang, und Faramir, der dies bemerkte, blickte sie besorgt an.

"Wonach haltet Ihr Ausschau, Eowyn?" fragte er, wohl wissend, daß die Frage vergebens war, doch eine Antwort ersehnend.

Sie wußte, daß nicht Neugierde ihn fragen ließ, sondern das Bedüfnis, sich sprechen zu hören, sie sprechen zu hören, so daß ihre Stimme Wahrheit zu der Wirklichkeit hinzufügen konnten, die um sie herum bebend zu stürzen drohte. Sie dankte ihm lautlos dafür, das vollbracht zu haben, was ihr nicht gelungen war. Und doch brachte seine Frage ihren Blick zurück zu den Ebenen, und ihre Worte waren leise.

"Liegt nicht das Schwarze Tor in dieser Richtung?" fragte sie, sanft, als ihre Gedanken hinfortreisten zu diesem Ort vollkommener Zerstörung, vollkommenen Todes, wo ihr Bruder war, ihr Bruder und... er. "Und muß er nun nicht dort angelangt sein? Sieben Tage sind es, seit er fortritt."

Faramir wußte, daß sie recht hatte. Er kannte Ithilien wie seine eigene Hand, und er hatte ihren Weg verfolgt, so gut er es konnte. Und doch...

Sie dachte an ihn.

"Sieben Tage..." Er nickte, und es erforderte fast unmenschliche Anstrengung, seine Stimme ruhig zu halten. Er wußte daß Hoffnung ebenso vergebens wie Worte war, denn was sie nicht sehen wollte, konnte keines seiner Worte ans Licht bringen - und die Valar mochten wissen, daß er es versucht hatte, nicht nur bei ihr, auch bei anderen. Doch das Schicksal hatte ihn gelehrt, daß manches Übel keine Heilung kannte, ein solches war, so fürchtete er, die Liebe der Weißen Dame für jemanden, der weit jenseits ihrer Reichweite war... so weit wie sie von seiner...

Alles näherte sich dem Ende...

Und am Ende aller Dinge war nichts mehr wichtig. Und so sprach er weiter, immer noch sanft, immer noch vorsichtig, als er sich den unglaublichen Luxus der Ehrlichkeit erlaubte.

"Doch denkt nicht schlecht von mir wenn ich Euch sage, daß sie mir Freude und Schmerz gleichermaßen gebracht haben, wie ich sie nie zu kennen geglaubt hatte. Freude, Euch zu sehen, doch auch Schmerz, denn nun sind Angst und Zweifel dieser schweren Zeit wahrhaft finster geworden. Eowyn, ich würde diese Welt nicht enden sehen, oder so bald verlieren, was ich fand..."

Er beobachtete ihr Gesicht angespannt, und ein leises Stirnrunzeln schlich sich auf ihr Gesicht. Einige Zeit lang ließ sie seine Worte auf sie wirken, und unausgesprochen huschten sie zwischen ihnen hin und her. Sie war nicht sicher, ob er sich ihrer lustig machte, doch sein Tonfall schien die Illusion wahrer Gefühle zu tragen, einer ausgestreckten Hand gleich. Und sie fühlte seinen Blick schwer auf ihr ruhen.

Weit ferne erinnerte ein Fetzen von trappelnden Hufschlägen sie an Freiheit, den grundlegenden, überwältigenden Instinkt eines Pferdes, zu rennen und zu fliehen, allem Bösen mit dem endlosen Donnern entlang endloser Ebenen zu begegnen. Etwas in ihr drängte sie, nachzugeben, sich umzuwenden und zu flüchten, doch sie tat nichts dergleichen, sind doch die Instinkte der Tiere nicht dazu da, Menschen zu bestimmen.

"Zu verlieren, was Ihr fandet, edler Herr?" fragte sie vorsichtig und fürchtete sich, geschmeichelt und verängstigt zu gleichen Teilen. "Ich wüßte nicht, was Ihr in diesen Tagen gefunden haben könntet, das Ihr verlieren könntet." Sie zog sich zurück, langsam, auf festeren, sichereren Boden, und doch konnte sie sich nicht überwinden, ihn zurückzustoßen, wie sie es für gewöhnlich bei einer solchen Aussage tun würde. Der Schmerz in seinen Augen, so sehr er ihn auch zu verbergen suchte, mochte mehr sein, als sie tragen konnte, denn sie konnte sich selbst ebenso darin sehen.

"Doch kommt, mein Freund, laßt uns nicht davon sprechen. Laßt uns überhaupt nicht sprechen! Ich stehe auf einer schrecklichen Klippe, und es ist vollkommen dunkel im Abgrund zu meinen Füßen, doch ob Licht hinter mir ist, kann ich nicht sagen. Denn noch kann ich mich nicht umwenden. Ich warte auf den Schlag des Schicksals."

Kurz schloß Faramir die Augen, denn er wußte genau, wovon sie sprach. Die Luft schien mit Gefahr und Angst wie übersättigt, als hielte alles, was lebte, seinen Atem an, um auf Kunde aus dem Osten zu warten, wo all ihre Hoffnungen und Ängste lagen, wo Zerstörung so real war wie das Blut in ihren Adern.

"Ja", flüsterte er und fühlte, wie recht sie hatte. "Wir warten auf den Schlag des Schicksals."

Und während sie warteten, legte sich wieder Stille auf sie, und die Luft wurde dichter, schien an Substanz zu gewinnen und der kalte Nordwind erstarb, und ließ sie aller Luft beraubt, aller Gedanken beraubt, allen beraubt, das sie daran erinnern würde, das sie noch lebten. Die Welt atmete nicht mehr, und die Sonne ebensowenig, und ihr Licht küßte die Länder unter ihr nicht mehr, verloren irgendwo in der Luft und den Wolken, als die Welt davor stand, ewig zu fallen.

Nichts mehr blieb als die endlose See der Stille, nichts Wirkliches, das sie erinnern würde, wie man atmete, wie man sprach, wie man lebte, und das einzige, das noch wirklich zu sein schien war die Wärme ihrer Finger, verschränkt ohne daß sie es bemerkt hatten, einander festhaltend wie das einzig wahre Ding der Welt.

Und dann begann das Herz der Welt wieder, zu schlagen.

"Es erinnert mich an Numenor", flüsterte Faramir, und beinahe brach seine Stimme.

"Numenor?" So seltsam, so unpassend klangen seine Worte, und Eowyn stellte fest, daß ihre Stimme bebte, ebenso wie sie selbst, vor Anstrengung, Schmerz und Kälte.

"Ja", flüsterte Faramir, als ob die verwundete Luft keinen Klang lauter als dieses Flüstern ertragen würde ohne einfach zu zerfallen. "An das Land Westernesse das versank, und von der großen, dunklen Welle, die über grüne Länder und über Hügel kletterte, unentrinnbare Dunkelheit. Oft träume ich davon." So wahr, so passend waren seine Worte, daß Eowyn spürte, wie ihre Bedeutung ihr Herz in Eisesgriff hielt. Sie verstärkte den Griff ihrer Finger um seine, klammerte sich an die einzige Wärme um sie herum, suchte und wünschte es, tat einen Schritt auf ihn zu, und seine Wärme erreichte sie, die Kälte hinfortzujagen.

"Also denkt Ihr daß Dunkelheit kommt?" fragte sie und fühlte, wie er gegen ihren Rücken Luft holte, fragte sich, wie es wohl geschehen war, daß sie so nah vor ihm stand. Doch dieses eine Mal war es ihr gleich, denn die Kälte war noch zu nah, und zu verlockend, viel zu verlockend war die Wärme seiner ruhigen Stärke. "Unentrinnbare Dunkelheit?"

"Nein", sagte Faramir, immer noch sanft, und in seinen Augen war ein fast zärtlicher Ausdruck, als er auf sie herabblickte, wie sie sich vorsichtig gegen ihn lehnte, kaum berührend und doch, beinahe näher als er ertragen konnte, viel näher, als er zu hoffen gewagt hatte. Sie wandte sich halb um, um ihn anzublicken, und keiner von ihnen fand die Stärke, den Blick zu brechen, und so sprach er weiter, gefangengenommen von der Surrealität dieses Augenblickes, die alle Gedanken und Ängste für einen Augenblick hinfortjagte, und nichts, nichts war wichtig. "Es war nur ein Bild meiner Gedanken. Ich weiß nicht, was geschieht. Mein wacher Geist sagt mir, daß ein großes Unheil geschehen ist und wir am Ende aller Tage stehen. Doch mein Herz verneint dies und all meine Glieder sind leicht, und Hoffnung und Freude überkommen mich, die keine Vernunft verneinen kann. Eowyn, Eowyn, Weiße Dame Rohans, in dieser Stunde kann ich nicht glauben, daß es eine Dunkelheit gibt, die ewig ist."

Seine Stimme trug ein sanfte Zittern und sie wurde mit jedem Wort stärker und intensiver. Seine Augen hielten die ihren immer noch gefangen, und keiner von ihnen konnte den hinfortsehen. Sie hätte die Welt in diesen Augen finden können, in diesem einen Augenblick, denn sie sah dort Hoffnung und Verehrung, von der sie gedacht hatte, sie haben diese Welt längst verlassen. Wie ein Schock durchfuhr es sie, in diesem einen Augenblick absoluter Ehrlichkeit, den Faramir ihr eröffnete, der begierige Ausdruck in seinen Augen, den sie niemals zuvor gesehen hatte und niemals vergessen würde. Und mit einem Male schien es ihr, als wüßte sie, warum sie Finduilas' Mantel trug.

Er holte tief Luft, als schmerze ihn etwas oder als habe er beinahe etwas getan, das er zu vermeiden suchte, und schließlich brach er den Blick und schloß die Augen. Der Verlust des Blickes war deutlich spürbar, und während sie es noch bedauerte, kaum verstehend, was geschehen war, fühlte sie seine Lippen, die ihre Stirne streiften, mehr eine Ehrerbietung denn ein Kuss und doch... sie vermeinte seine Hände sanft auf ihren eigenen zittern zu fühlen.

Als die Mauern der Welt zerbrachen...

Und während Mordor fiel und Mittelerde wieder zu atmen begann, noch während die Großen Adler durch die Lande streiften und stolz Kunde zu allen Enden der Erde brachten, wagten sie nicht zu atmen, wagten sie nicht zu sprechen, denn alles hätte den Zauber zerstört, der ihnen ein Geschenk versprach, das für sie nicht sein konnte...