Banner...
Wie ein Fluß aus Farben in einer See aus Weiß und Grau...
Es scheint als brächte der neue Tag all die Farben, die wir längst verloren glaubten...
Ein wehmütiges Lächeln berührte seine Lippen, und er senkte den Kopf, halb eine Niederlage anerkennend, die er selbst nicht ganz begriff, halb in etwas, das beinahe Verblüffung war, Verblüffung über die Schnelligkeit, mit der die Stadt sich von vollkommener Verzweiflung zu absoluter Freude gewandelt hatte. Selbst jetzt, nur kurz nach Mittag, huschten Melodiefetzen durch die Luft und küßten Steine wie Banner, lachten um die Wette in der herrlichen Sonne, unberührt von Wolken seit die Dunkelheit im Osten gefallen war. Immer noch feierte Minas Tirith?
Der Alptraum vergangen, der Traum ist da
Seine Hände umklammerten den kalten Stein unter seinen Fingern, als müsse er die Wirklichkeit unter den Wellen des Glücks finden, als ob diese Stunde, die den ersten freien Atemzügen gehören sollte, die diese Stadt sich je hatte erlauben können, nicht mehr Wahrheit in ihrer Wirklichkeit trug als die Stunden auf den Stadtmauern Gondors, als die Schwärze sich vor ihm öffnete.
Doch der Stein war kalt unter seinen Fingern, und er fröstelte in der Sonne. Die Stärke Gondors vermochte nicht mehr zu trösten, kein Trost in Stein und Marmor. Seine Erinnerung gewährte ihm den leisesten Hauch von Wärme unter seinen Fingern, den flüchtigen Eindruck einer Hand, die seine nahm, doch der Wind riß es hinfort, um es hinunter zu den Bannern Gondors zu wehen, zu den tanzenden Farben im Ostwind.
Er lächelte, mehr zu sich selbst als über irgend etwas bestimmtes und hob den Kopf, um hinauszublicken, hinter die Stadtmauern wo, irgendwo hinter Hügeln und Ebenen, der König sich in seinem Sieg sonnte. In Cair Andros war der Triumph vollständig und das Licht ohne Makel, wo die Helden des Schwarzen Tores in Ruhm und Herrlichkeit feierten.
Er sehnte sich nicht danach, bei ihnen zu sein. Herrlichkeit war niemals etwas für Faramir gewesen, den zweiten Sohn des Truchsessen, und er hatte sie niemals ersehnt.
Und doch...
Und doch schrie sein Herz nach den Bannern und Zelten, dem fröhlichen Reigen der Soldaten Rohans und Gondors, nach dem Ort, an dem alte Allianzen in neuem Licht strahlten
Nach dem Ort, an dem du bist
Die Worte schienen lächerlich, selbst in seinen Gedanken. Denn sicherlich war die Dame dorthin gegangen, wo ihr Herz war, bei ihrem Bruder und ihrem König, bei Eomer und Aragorn?
Aragorn...
Bald würde das Banner Elessars die Weiße Stadt krönen, sein Banner neben allen wehen, die schon im Winde flogen, um das reinste und erste ihrer aller zu sein. Und die Weiße Dame?
Greife nicht nach Dingen, derer du nicht wert bist!
Er wirbelte herum, und sein Herz vergaß in diesem Augenblick, daß er nichts als das leere Studierzimmer sehen würde, der Tisch, der Holzstuhl, hart und ungemütlich, vergaß, daß der, der diese Worte einst sprach, nicht hier war, um sie erneut zu sprechen.
Doch Geister bleiben, wenn der Körper längst verschwand...
"Edler Herr?"
Die Geister vergangener Zeiten verblassten und ließen einen sonnendurchfluteten Raum zurück, wo das Tageslicht die fernen Winkel in der Nähe der Tür nicht erreichten, wo gerade ein junger Page stand, die Brauen gerunzelt in unwillkürlicher Besorgnis als er seines Truchsesses ansichtig wurde.
"Ja?" Seine Stimme war ruhig wie immer, und schnell fand ein Lächeln den Weg zurück auf seine Züge. Die Gewohnheit von Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit verjagte die Gedanken und ließ ihn erleichtert zurück.
"Der Leiter der Häuser der Heilung ist hier und erbittet eine Audienz", antwortete der Junge und verbeugte sich.
Faramir runzelte die Stirn, aber nickte, und eine einladende Geste bat seinen Besucher fast automatisch herein.
"Ja, bitte, kommt doch."
Er wußte nicht einmal, daß seine Gegenwart die Schatten zurückbringen würde... und mehr..
Es gab einiges, von dem er gedacht hatte, daß der Leiter mit ihm besprechen wollte. Die Wunden der Schlacht von Gondor waren immer noch tief, und daß der Truchseß dem finsteren Atem Mordors entkommen war hieß nicht, daß dies auch auf alle anderen zutraf. Die Häuser waren immer noch voller Patienten, und mehr als einer stand immer noch auf der Schwelle des Todes. Das wußte er, und er hatte sein Bestes getan, um die Not zu lindern, hatte die Reserven der Stadt beinahe aufgebraucht um denen zu helfen, die noch verwundet von der Schlacht waren. Nicht viel mehr hatte er tun können in solch kurzer Zeit als dies, und das Sammeln von Neuigkeiten aus verschiedenen Teilen des verwüsteten Landes, um zu wissen, wie tief genau die Wunden Gondors waren.
Doch war dies nicht, warum der Leiter der Häuser gekommen war, und so fragte Faramir sich, ob er vielleicht einen anderen Grund vorgezogen hätte für den unerwarteten Besuch. Denn die Neuigkeiten von Eowyn brachten Schmerz zurück, Schmerz, Angst und eine Hoffnung, die er sich selbst nicht erlaubte, so daß er zerrissen zurückblieb und sein Frieden des Morgens am Boden lag.
Doch, wie konnte er nicht auf die Worte hören, die von den Qualen einer Dame sprachen, der er nichts als Glück wünschte?
"Ich werde sehen, was ich tun kann", entgegnete er auf die besorgten Worte des Mannes hin, tiefempfundener Ernst in seinen Augen, und eine Unruhe, die sich nur darin zeigte, daß er den silbernen Ring der Truchsessen an seiner Hand wieder und wieder drehte. "So bald ich kann."
Wie anders die Welt geworden ist....
Sie staunte in Ehrfurcht über die Weiße Stadt in Farben, über die Banner im Wind über Minas Tirith, über den warmen Ostwind, der ihr Haar streichelte in einem vergeblichen Versuch, den bitteren Frost zu verjagen.
Und doch, ich bleibe stets dieselbe
Und immer noch stand sie auf den Mauern der Stadt, blickte über die endlosen Ebenen und Hügel. Manchmal sah sie einen Reiter an den Stadtmauern ankommen, und ein freundlicher Wind brachte ihr Fetzen des Hufgeklappers hinauf dorthin, wo sie stand und es ließ sie unberührt.
Die Pferde sind fort...
Und genauso war es mit dem Drang nach Freiheit, den Drang nach irgend etwas, als Tage in einer endlosen Reihe vorbeizogen, einer nach dem anderen. Lange schon hatte sie vergessen, sich etwas zu wünschen, vergessen, Anteil zu nehmen.
Rohan? Worte im Wind...
Sie hörte Schritte auf den verwitterten Stufen hören, die sie für gewöhnlich herbrachten, schnelle Schritte, schwere Stiefel, wie ihr Bewußtsein rein gewohnheitshalber bemerkte. Doch alles, was der Besucher sehen würde, war ein weißer Geist im Wind, oder überhaupt nichts, und so würde er sich umwenden und ihr den Frieden lassen, der nicht wirklich war.
"Eowyn?!"
Etwas in der Stimme berührte die bittere Kälte, und eine leise Erinnerung an Wärme brachte Schmerz in ihr kaltes Herz. Sie fand nicht die Kraft, sich umzudrehen, doch ihr Blick verließ die Ebenen, die sie nicht mehr riefen.
"Mein Freund...", sagte sie und meinte es, lächelte, bevor sie sich dessen bewußt war. "Was tut Ihr hier um diese Zeit?" Sie bemerkte, daß sein Atem ein wenig schneller als gewöhnlich ging, und sein Blick wanderte besorgt über sie, immer noch in seiner vorsichtigen Art, als wollte er den Grad der Verheerung ermessen, in dem sie sich befand. Offensichtlich hatte er sich beeilt, und flüchtig fragte sie sich, welcher Wind ihn hierhergebracht hatte.
Verletzt Euch nicht, edler Herr. Die, die Ihr sucht, reitet schon lange mit dem Wind...
"Eowyn?" Er schüttelte sanft den Kopf und beobachtete sie aus einer Entfernung, die aus irgend einem Grunde unnatürlich schien. Er schien ihr beinahe wie ein Gespenst, das unvermittelt Einlaß in ihre Träume gefunden hatte. "Warum bleibt Ihr hier, und geht nicht zu den Feiern in Cormallen, jenseits von Cair Andros, wo Euer Bruder Euch erwartet?" Ein leises Stirnrunzeln zeigte sich auf seinem Gesicht.
Sie brach den Blickkontakt, sah zurück über die weiten Ebenen zu den Feldern, die sie nicht erspähen konnte, zu einer Welt, die sie verlassen zu haben schien. Und doch, ein Teil dieser Welt war zu ihr gekommen und erbat nun ihre Aufmerksamkeit. Solcherart gezwungen, ihren Gedanken Form zu geben, fühlte sie sich zerrissen. Denn jeder der Gründe, die sie hätte nennen können, klang wie nichts als die halbe Wahrheit.
"Wißt Ihr es nicht?" Ausweichen, die älteste aller Waffen. Und doch war da die Hoffnung, daß irgendwo in seiner Antwort die Lösung auf ihre eigene Frage verborgen lag.
Er trat einen Schritt näher, ohne sie zu bedrängen. Es kümmerte sie kaum.
"Es könnte zweierlei Gründe geben, doch welcher der wahre ist, weiß ich nicht."
Sie schüttelte den Kopf, fühlte sich vage verärgert und fragte sich, warum es wichtig war. Sie wandte ihren Kopf, um ihn forschend anzublicken, suchte nach der Antwort, die sie zu hören gewünscht hatte in seiner Haltung, doch sein ruhiges Lächeln verriet nicht, was er dachte.
"Ich mag keine Rätsel. Sprecht deutlich!"
Für einen Augenblick tragen sich ihre Blicke und er nickte. Ihr blieb nichts übrig, als sich zu fragen, ob er das "Nun gut", das sie gehört zu haben glaubte, gesagt hatte oder nicht.
"Dann, wenn Ihr es so wollt, meine Dame, entweder Ihr geht nicht, weil nur Euer Bruder nach Euch sandte, und den Herrn Aragorn, Elendils Erben, in seinem Triumphe zu erblicken würde Euer Herz nicht leichter machen. Oder Ihr geht nicht, weil ich es nicht tue, und Ihr meine Nähe wünscht. Und vielleicht aus beiden Gründen, und Ihr wißt selbst nicht genau, welchem Ihr den Vorzug gebt." Sie schloß ihre Augen und lauschte seiner Stimme, seinen Worten, und der Wind nahm sie auf, erwies ihr jedoch nicht die Gnade, sie hinfortzuwischen. Denn er hatte nicht unrecht. Das hatte er nie.
Laß mich gehen, Faramir... laß mir meinen Frieden...
Ich wage den Schritt nicht, den du mich gehen sehen willst
"Eowyn, liebt Ihr mich, oder nicht?"
In seiner Stimme war ein Ton, der beinahe an Verzweiflung erinnerte, eine fiebrige Angst, die er nicht vollständig verbergen konnte. Sie bezweifelte, daß sie es überhaupt gehört hätte, hätte sie ihn nicht so gut gekannt. Und doch hing sie noch in der Luft, Spielzeug des Windes so wie die Banner, ein Geist, mehr nicht.
Und doch, da war ein Hauch von Stolz, eine Erinnerung an donnernde Hufe, die in den Bergen widerhallten, letztes Erbe der stolzen Tochter Rohans.
"Ich wünschte, daß ein anderer mich liebte."
Aus den Augenwinkeln sah sie ein müdes Lächeln auf seinen Lippen.
"Ich weiß", sagte er, schmerzlich, und verfiel in Schweigen, neben sie tretend, und blickte so wie sie hinaus in die Ebenen. Und als er sprach, war es sanft, beinahe zärtlich, als gestehe er einen großen Fehler ein, den er nur seinem geheimen Freunde anvertrauen konnte.
"Ihr sehntet Euch nach der Liebe des Herrn Aragorn. Denn er war hoch und mächtig, und Ihr wünschtet Euch Ruhm und Ehre, und weit über die gemeinen Dinge hinausgehoben zu werden, die über die Erde krabbeln. Und, wie ein Heerführer einem jungen Soldaten, schien er Euch bewundernswert. Und das ist er, ein König unter den Menschen, und der Größte dieser Zeit." Er schloß die Augen und fuhr müde mit der Hand darüber, nahm einen tiefen Atemzug dessen Grund sie nicht erspüren konnte. Doch dann, als er sich zu ihr zurückwandte, wurde seine Stimme mit jedem Worte stärker, und sein Blick blieb fest.
"Doch als er dir nur Verständnid und Mitleid gab, dann wünschtest du, nichts zu haben als einen tapferen Tod in der Schlacht. Sieh mich an, Eowyn!"
Und das tat sie, gerufen allein durch die Macht seiner Stimme. Sein Blick hielt ihren gefangen, und sanft nahm er die Zügel des wilden Pferdes, das sie war, nicht schmerzvoll, doch bestimmt, und er fuhr fort zu sprechen, gewandt in seinen Worten, so wie er es immer gewesen war.
"Zürne nicht das Mitleid, das nur das Geschenk eines freundlichen Herzen ist, Eowyn! Doch Mitleid ist es nicht, daß ich dir biete. Denn du bist eine Dame, hoch und würdig, und du hast dir Ruhm errungen, der nicht vergessen sein wird, und du bist schön, mehr als selbst die Worte der Elfen je sagen könnten. Einst habe ich deinen Schmerz bemitleidet, ja. Doch nun, wärst du ohne Schmerz, ohne Angst, ohne Makel, wärst du die glückliche Königin Gondors, ich würde dich immer noch lieben. Eowyn, liebst du mich nicht?"
Hufschläge aus der Ferne....
Sie zitterte beim Klang seiner Stimme, zitterte ob der plötzlichen Gnade eines wieder eröffneten Brunnens, einer neu geschmiedeten Macht, der ersten, zarten Blüte nach bitterem Frost. Ihr Herz öffnete sich ihm wie es sich der Illusion öffnen würde, die Freiheit genannt wurde, öffnete sich dem Versprechen eines zerbrochenen Käfigs und eines Rittes, wie er freier nicht sein konnte.
Wann habe ich sie verloren?
Sie badete im Donner der dargebotenen Freiheit und nur langsam begriff sie, daß sie nicht zu den endlosen Ebenen, sondern in seine Augen blickte, und doch änderte dies nicht, was sie sah. Kaum bemerkte sie das entzückte Erstaunen, daß Sorge und Entschlossenheit in seinen Augen abgelöst hatte, und noch weniger konnte sie dies mit dem Sturm verbinden, der in ihr tobte, als der Käfig in Stücke zerbrach.
Und als sie sprach, bebte ihre Stimme in Verwunderung.
"Ich stehe in Minas Anor, dem Sonnenturm, und sieh da! Der Schatten ist fort! Ich werde keine Schildmaid mehr sein, noch mit den Reitern mich messen, noch Freude nur in Schlachtengesang finden. Ein Heiler will ich sein, und lieben was lebt und nicht öd ist."
Sie lachte über die Freiheit in ihren Worten, lachte mit dem Wind und dem Ritt durch blühenden Wald.
"Keine Königin will ich mehr sein..."
In Stein und Marmor... niemals frei...
Und doch, der Käfig in Scherben
Er machte einen letzten Schritt auf sie zu, schnell, wie mehr von Instinkt denn Verstande getrieben, und das Lächeln verwandelte sein Gesicht, als die Freiheit ihn ebenfalls erreichte.
"Das ist gut", lachte er, und Erleichterung durchfloß ihn als ein Damm brach, von dem er nicht einmal gewußt hatte. "Denn ich bin kein König. Doch ich werde die Weiße Dame Rohans heiraten, wenn sie dies wünscht. Und wenn sie es wünscht, dann laß uns über den Fluß gehen und in glücklicheren Tagen im schönen Ithilien leben und dort einen Garten pflanzen. Alles dort wird in Freude wachsen, wenn die Weiße Dame kommt."
Das Versprechen war längst in seinen Augen, und sein Herz, Gefangener seiner Angst wie stets, verließ das Gefängnis ohne Bewachung. Sie lächelte über die vollkommene Erleichterung in seinem Gesicht, teilte sein Erstaunen über ein Geschenk, von dem sie niemals etwas gewußt hatten.
"Also muß ich mein eigenes Volk verlassen, Mann von Gondor? Und wirst du dein stolzes Volk über dich sagen hören: Schaut dort, den Edlen, der sich eine wilde Schildmaid aus dem Norden gezähmt hat. Gab es denn keine Frau Numenors, die er hätte wählen können?"
Kaum daß sie sprach, wußte sie, daß sie scherzte. Und kaum daß er lachte, den Kopf über ihre Worte schüttelnd und mit jeder Geste nickend, als er näher trat, wurde Winter zu Frühling und Blut zu Leben.
"Das werde ich."
Unausgesprochen wurde eine Frage gestellt und beantwortet, als der Truchseß von Gondor sich vorbeugte, um die Weiße Dame zu küssen, in einem Wirbel aus Glück und unvertrauter Freiheit, eingenommen und verzaubert von der Offenbarung von Blumen im Winter.
Und so laß mich auf ewig fliegen
So daß ich immer, immer finde nach Haus
ENDE
