Titel: Harry Potter und der Bund des Falken

Autor: Luka

Altersbeschränkung: 12

Disclaimer: Die vorliegende Geschichte ist eine FanFiction zu Harry Potter. Dies zu schreiben macht in erster Linie mir Spaß und liegt fern jedes kommerziellen Gedankens. Dies zu lesen soll allen Spaß machen, die eine neue Geschichte von Harry Potter haben wollen. Sie sollen das tun können ohne eine müde Mark auszugeben. Alle Charaktere gehören Joanne K. Rowling, bis auf die, die in der Geschichte von mir entwickelt wurden und die nicht von JKR stammen. ( So z.B. Henri Perpignan, Llyr, Gwenaela, Imelda Mortescue, die Brüder, Bruder Bertrand, Vater Edgat und Frère Antoine, auch die Druiden der Druidenuniversität und der Compte)

1. Ein neuer Anfang

Die Straße wurde enger und holperiger. Rattle, Pferdepfleger und Chauffeur auf Perpignans Place fuhr nun um einiges langsamer und versuchte, die größten Schlaglöcher zu umkurven. Schon vor einer halben Stunde war der alte Bentley von der Staatsstraße abgebogen. Wo anfangs noch einige kleine Weiler und Gehöfte den Weg säumten, schien die Welt hier nur noch aus düsteren Fichtenwäldern zu bestehen. Endlos hoch ragten die geraden Stämme in die Höhe und ließen nur einen kleinen düsteren Spalt, in dem sich das, was hierzulande noch „Straße" genannt wurde, mühsam das enge Tal hinauf winden konnte.

Henry Perpignan nickte dem jungen Mann, der ihm gegenüber im Fond des alten Wagens saß, freundlich zu.

„Aufgeregt?", fragte er leise.

Harry schüttelte den Kopf. Nein, aufgeregt war er nicht. Er hatte die letzten Minuten damit verbracht, an einen ähnlichen Anfang zu denken, der inzwischen acht Jahre zurück lag. Sein Schulanfang in Hogwarts, der Schule für Zauberei. Harry Potter, dem seine Eltern die begnadete Gabe der Magie vererbt hatten, war nun sieben Jahre in diese Schule gegangen und hatte alles gelernt, was ein Zauberer für sein alltägliches, oft ziemlich eigenartiges Leben benötigte.

Harry war damals als Waisenkind überraschend vom Wildhüter der Schule, einem riesigen Menschen namens Rubeus Hagrid abgeholt worden. Dieser hatte ihn gegen den Willen der Pflegefamilie nach Hogwarts gebracht und war Harry zum Freund geworden.

Für Harry begann damals eine Zeit voller Wunder, denn bis zum Alter von 11 Jahren war er als vollkommen normaler Junge im Hause der Familie seiner Tante Petunia aufgewachsen. Er war nicht traurig, von dieser Familie wegzukommen; zu schlecht waren seine Tante, sein Onkel Vernon Dursley und sein Cousin Dudley mit ihm umgegangen. Sie konnten es einfach nicht akzeptieren, dass Harry anders, nämlich ein Zauberer war.

Langsam wurde die Straße steiler. Immer wieder musste der Bentley enge Spitzkehren durchfahren. Der Tag neigte sich dem Ende zu. Zwar war noch ein blauer Streifen Himmels zu sehen, an dem hoch über ihnen wie rosa Watte die kleinen, von der untergehenden Sonne beschienenen Wolken hingen. Aber man spürte deutlich, dass jetzt, Anfang Oktober es wieder früh dunkel wurde und alles in der Natur sich für den Winter bereit machte.

„Ist es noch weit?", fragte Harry in die Stille hinein, die trotz des gedämpften Motorbrummens im Fond herrschte.

„Wir haben es bald geschafft.", antwortete der feine, alte Mann mit einem Seufzer. „Auch wenn ich fast nicht möchte, dass wir ankommen."

Harry nickte stumm. Er griff nach einem Glas mit bernsteinklarer Flüssigkeit, führte es an seine Lippen und nippte. Eine wohlige Wärme breitete sich in seinem Mund aus. Seit seinem achtzehnten Geburtstag hatte er immer wieder von dem ausgezeichneten Whiskey probiert, den Henry ihm geschenkt hatte. Henry... er hieß Henri Perpignan, war ein älterer, sehr wohlhabender Herr, der ein Gut in der Nähe der schottischen Grenze bewohnte. Henry, der seinen Namen englisch aussprechen ließ, denn kaum ein Engländer schaffte die französische Betonung, war ebenfalls Zauberer. Er war allerdings ein Zauberer mit ganz speziellem, wirklich nicht alltäglichem Wissen, wenn man bei Zauberei denn von Alltäglichkeit reden konnte. Er war Druide.

Was verband diese beiden so unterschiedlichen Menschen, die in dem Auto saßen und einer Straße, durch den dunklen ardennischen Wald folgten? Sie waren Freunde, aber es verband sie mehr, als bloße Freundschaft. Sie waren fast wie Großvater und Enkel. Harry musste eines Tages, zu Beginn seines fünften Schuljahres vor dem schrecklichsten und verbrecherischsten Zauberer fliehen, den die Menschheit in diesem Zeitalter gesehen hatten. Lord Voldemort, in dem Glauben, der Erbe eines vor tausend Jahren wahrhaft mächtigen Zauberers und Mitgründers Hogwarts, war schon bestrebt, Harry zu töten, als er ein kleines Baby war. Die Liebe seiner Eltern hatten Harry das Leben gerettet, ihn aber um eine behütete Kindheit gebracht. Voldemort hatte seine Eltern kaltblütig ermordet, war aber aus einem unerfindlichen Grund an Harry gescheitert und selber fast gestorben. Seit diesem Tag trug Harry eine blitzförmige Narbe auf seiner Stirn, die jeder Zauberer in Britannien kannte.

Viele Jahre hatte es gebraucht, bis Voldemort wieder ins Leben zurückgekehrt war. Es waren vierzehn schöne und sorgenfreie Jahre für die Zaubererwelt. Aber als der dunkle Lord wieder einen lebenden Körper bewohnte, war auch seine finstere Macht wieder da. Seit jenem Tag der Flucht war Harry nur an zwei Orten auf der Welt sicher. Hogwarts war durch einen besonderen Zauber und den Schulleiter Professor Dumbledore geschützt. Der andere Ort war das Anwesen von Henry Perpignan und den Schutz dort bot die Macht der Druiden. Henry hatte Harry bei sich aufgenommen und ihm Beistand gewährt, als Voldemort versucht hatte, sie zu überfallen. Über die Jahre war eine tiefe Freundschaft zwischen ihnen entstanden.

Henry Perpignan hatte es vollkommen übernommen, für Harry so etwas wie eine Familie zu sein. Dafür war Harry ihm unendlich dankbar, denn es war ihm nicht nur möglich geworden die verhassten Dursleys endgültig hinter sich zu lassen, er konnte auch bis zum Anfang der Studienzeit mit seinem Paten Sirius Black zusammen leben, der auch heute noch wider besseren Wissens vom Zaubereiministerium als Anhänger Voldemorts gesucht wurde. Henry hatte auch ihm Unterschlupf gewährt. So war es gekommen, dass Harry die schönsten Jahre seines Lebens dort verbracht hatte.

Die Straße erreichte das Ende des Tals. Sie führte nun über einen Sattel, um gleich dahinter wieder in einem ebenso düsteren Tal zu verschwinden. Für einen kurzen Augenblick konnte man einen herrlichen Ausblick über die Landschaft genießen. Die Sonne streifte gerade den Horizont und schickte warmes Licht über die dunklen Fichtengipfel der belgischen Wälder. In der Ferne deuteten Lichtungen menschliche Ansiedlungen an.

„Gleich werden wir da sein.", murmelte Henry gerade noch hörbar. „Es wird still werden, auf Perpignans Place, wenn Du das ganze Semester in La Valle bist."

„Wir werden doch hoffentlich auch Weihnachtsferien bekommen, oder?"

Henry lächelte milde.

„Wir feiern nicht Weihnachten, Harry. Erinnere Dich daran, was ich Dir erzählt habe. Die Christen haben unser Lichterfest für ihre Zwecke entfremdet."

Nach einer kurzen Pause, in der er blicklos in den vorbei ziehenden Wald starrte, sah er Harry an und fuhr fort:

„Wir haben damals an der Druiden-Universität das Lichterfest im Kreise unserer Kommilitonen gefeiert. Ich nehme an, dass es heute noch so ist. Es würde Deinem Ansehen schaden, wenn Du der Feier fern bliebest."

„Es ist anscheinend alles anders, als in Hogwarts...", sagte Harry enttäuscht.

„Du bist erwachsen geworden, Harry. Alles verändert sich, nichts bleibt gleich. Manchmal hat man das Gefühl, es wird schlechter, dann wieder meint man es wird besser. Es ist ein Werden und Vergehen. – Ich denke, nach dem Lichterfest können wir eine kleine Reise nach England organisieren."

Harry lächelte dankbar.

Mit einem Mal war das Tal breiter geworden und mündete in einen länglichen Kessel, von Felsen eingerahmt, die wie Figuren aus dem Wald der Hänge ragten. Fast in der Mitte des Kessels ragte ein Felsenrücken aus hellem Quarzgestein wie eine geschwungene breite Mauer aus dem Talboden, auf der sich die Zinnen und Türme einer großen Burg erstreckten. Wie ein Raubvogel klammerte sie sich an den Felsen und schützte ein Dorf mit kleinen weißen Häusern, die sich am Fuße des Burgberges zwischen einen Bach und den Felsrücken zwängten.

Der Wagen fuhr gerade über eine letzte Anhöhe, von der aus man einen wunderbaren Blick auf die Burg und das Dorf hatte. Henry stand auf und klopfte an die Scheibe, die den Fond vom Chauffeur trennte.

„Halte bitte kurz an, Rattle!", sagte er und dann, zu Harry gewandt: „Komm, setz Dich neben mich."

Harry tat, wie ihm geheißen. Er hatte gegen die Fahrtrichtung gesessen und sich umgewandt, als er ein Aufleuchten in Henrys Gesicht wahrnahm. Erstaunt hatte er über die Schulter in das Tal gesehen.

„Schau Harry", sagte Henry und wies mit der Hand auf die Burg, „Das wird in den nächsten Jahren Dein Zuhause und Deine Lehrstätte sein. Burg Rocheblanc"

Harry ließ seinen Blick über die Burg schweifen. Stolz ragte sie über dem Tal empor, lang und schlank, wie ein Kreuzfahrschiff. Eine gewaltige Bruchsteinmauer stützte mehrere, unterschiedlich hoch gelegene Höfe, die von steingrauen, schiefergedeckten Häusern mit grün-weißen Fensterläden umfasst wurden. Im Zentrum der Anlage, welches zugleich den höchsten Punkt der Feste bildete, stand ein hoher, gotischer Bau, der an eine Kirche ohne Turm erinnerte, und auf dessen Dach sich eine einfache, weiße Fahne im leichten Abendwind bewegte. An den beiden Enden und an den Längsseiten verteilten sich sechs mächtige Wehrtürme, nicht viel höher als die Mauer, aber im oberen Teil mit Schießscharten bestückt, die es ermöglichten von der Burg aus rundum das ganze Land mit Kugeln zu bestreichen.

Henry erklärte seinem jungen Freund die Anlage mit leuchtendem Glanz in den Augen. Er war lange Jahre Student an der einzigen Druidenuniversität Westeuropas gewesen und kannte jeden einzelnen Stein.

„Das Gebäude in der Mitte", erklärte er „beinhaltet die Bibliothek und den großen Hörsaal. Hinter den hohen Fenstern, im alten Rittersaal ist die Aula. Dort wird auch das Lichterfest gefeiert. Der hintere Hof ist das Dorf. Es heißt so, weil dort die Studenten wohnen. Jeder hat eine kleine Wohnung, die Erstsemester unten, in den Gewölben. Siehst Du die kleinen, vergitterten Fenster in der Mauer? Je länger Du da bist, desto weiter hinauf wirst Du ziehen."

„Gibt es auch Mädchen?", fragte Harry. Er wusste selbst nicht, wieso ihm gerade diese Frage eingefallen war.

Henry grinste.

„Ja es gibt auch Mädchen...", antwortete er sinnierend. Er erinnerte sich an die Zeit zurück. Gesichter tauchten vor seinem geistigen Auge auf. „Leider nicht genug. Aber unten in La Valle gab es zu meiner Zeit wahre Schönheiten."

„Lass uns fahren", meinte Henry nach einer kleinen Weile, in der sie beide gedankenverloren in das Tal hinab geschaut hatten. Henry war in Erinnerungen versunken, Harry dagegen begann eine Vorstellung zu bekommen, was der Rahmen seines zukünftigen Lebens, zumindest für die nächsten drei oder vier Jahre, sein würde. Während sie von der Anhöhe entlang der südlichen Talseite herunter fuhren, wanderten seine Gedanken zurück nach Hogwarts.

In den letzten drei Jahren war es erstaunlich ruhig in seinem Leben zugegangen. Seine Beziehung zu Hermine war mehr oder weniger über den ganzen Zeitraum dahin gedümpelt. Oft hatte er den Eindruck, dass sie nur mit ihm gegangen war, weil sie die Freundschaft nicht gefährden wollte. Das war ihm natürlich sauer aufgestoßen und immer wieder durchzuckte ihn etwas, das er jetzt, im Nachhinein, als Eifersucht werten würde. Das hatte der Beziehung nicht besonders gut getan. Schließlich war es Harry, der keine Lust mehr auf Beziehungsprobleme hatte. Diese endlose Diskussionen gingen ihm auf die Nerven. Eines Tages hatte er alle Mut zusammen genommen und Hermine vorgeschlagen, dass sie sich trennen sollten. Zu seinem Erstaunen stellte er eine große Erleichterung bei ihr fest. In den folgenden Wochen schien aller Streit wie weggeblasen. Gemeinsam mit Ron, ihrer beider Freund seit dem ersten Schuljahr hatten sie sich auf die Abschlussprüfung in Hogwarts vorbereitet.

Mit Beginn der Ferien war ihr Weg jedoch plötzlich auseinander gegangen. Hermine hatte wohl nie die intensive Verbindung zu den Druiden gefunden, die Harry zuteil wurde, auch wenn ihr das Lernen der alten Formeln ungeheuren Spaß bereitete. Auch Ron, der nach seiner Aufnahme in den Bund zunächst mit Begeisterung dabei war verlor bald das Interesse an dem zusätzlichen Lernstoff. Zwar besuchten beide regelmäßig Perpignans Place, nahmen an allen Festen und Ritualen teil, aber im Gegensatz zu Harry orientierten sie sich mehr an der Gesellschaft der Zauberer, in der sie – zumindest Ron – aufgewachsen und verwurzelt waren. Hermine war zu sehr moderner Mensch, als dass sie sich auf die staubigen Formeln, wie sie es nannte, konzentrieren mochte. Die Druiden, so mächtig und wichtig sie auch seien, würden doch nur in der alten Zeit leben und nicht dem Neuen aufgeschlossen sein. Ihr hülfe das druidische Wissen nur bei ihrer eigenen Ausbildung zur Hexe weiter, wäre aber nicht ihr Lebensinhalt geworden. So redete sie seit einem halben Jahr.

Interessanterweise war genau das mit jemandem geschehen, von dem es Harry anfangs niemals vermutet hätte. Sein ewiger Gegner Draco Malfoy, der wahre Erbe von Salazar Slytherin hatte, nachdem ihm diese Bürde gegen Ende des fünften Schuljahres bewusst geworden war, unbändigen Wissensdurst entwickelt. Das hatte dazu geführt, dass er trotz heftigsten Widerstandes von Harry in den Bund der Druiden aufgenommen und ständiger Gast im Hause Perpignans Place wurde.

Harry hatte damals maßgeblich dazu beigetragen, dass Draco sein Erbe zurück bekam, wofür Draco ihm nicht unbedingt dankbar war, denn es bedeutete eine Verantwortung für den Jungen, die er nie haben wollte. Harry hatte es auch nicht freiwillig getan. Die Druiden hatten ihn – man muss nicht sagen, gezwungen, so doch wenigstens von der Wichtigkeit seines Mitwirkens überzeugt.

Das riss Draco aus seiner Familie, genauer gesagt riss es ihn von seinem Vater Lucius los, der von Voldemort als Werkzeug zur Überwachung und Unterdrückung von Dracos Mutter und von Draco benutzt wurde. Das allein war zu Dracos Entsetzen der Grund, warum sein Vater seine Mutter geheiratet hatte und warum er selbst überhaupt lebte.

Nachdem er zunächst sehr verstört gewesen war und eine Aussprache mit seinem Vater gesucht hatte, musste er feststellen, dass seinem Vater nichts an ihm lag. Im Gegenteil, Dracos Vater versuchte, ihn zu töten. Voldemort hegte allerdings einiges Interesse an ihm, dem er allem Anschein nach sein Leben zu verdanken hatte. Erst im sechsten Schuljahr auf Hogwarts, als Lucius Malfoy nun nicht nur versuchte, Harry seinem Herrn in die Hände zu treiben, sondern auch Draco zusehends von ihm bedrängt wurde, war Draco auf Harry zugegangen, hatte ihm zähneknirschend sein Leid gestanden und ihn um Hilfe gebeten.

Draco war ein intelligenter Junge und er konnte eins und eins zusammenzählen. Als er noch in seiner Familie gelitten war, hatte er einige wichtige Informationen aufgeschnappt und war darüber im Bilde, wo Harry seine Ferien verbrachte. Auch wenn es niemand genau wusste, wurde doch im Kreise der Todesser, wie sich die Anhänger Lord Voldemorts nannten, von einem Geheimbund und von Druiden gemunkelt, was den Versammelten immer wieder den Schrecken ins Gesicht malte. Draco hatte auch die Berichte seines Vaters über den Angriff der Todesser mit Spannung verfolgt, allerdings seinem damaligen Interesse folgend, Harry Schaden zugefügt zu wissen. Wie sehr hatte er sich überwinden müssen, Harry nun anzusprechen und ihn diesmal ohne Zutun anderer um Hilfe zu bitten. Aber sein Leid war unerträglich geworden.

Im Laufe der folgenden zwei Jahre waren sich Draco und Harry näher gekommen. Nein, man konnte nicht sagen, dass es Freundschaft war, dazu lagen zu viel Streit und schlechte Erinnerungen zwischen ihnen. Aber Draco behandelte Harry nicht mehr wie einen Aussätzigen, wie ein Schlammblut. Die Todesser bezeichneten einen Mischling aus einem Zauberer und einem Muggel mit diesem Schimpfwort. Muggel nannte man diejenigen Menschen, die nicht zaubern konnten, und das war die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung.

Harry begann, sich für Draco zu interessieren, allein schon aus dem Aspekt heraus, dass er der Erbe von Salazar Slytherin, der schillernsten Gestalt unter den vier Gründern von Hogwarts war. Slytherin hatte sich mit den Dreien fast Eintausend Jahre vor Harrys Schulbeginn über die strategische Richtung der Schule gestritten und sich schließlich von den Anderen getrennt.

Salazar Slytherin war Druide. Er war sehr konservativ und vertrag die Meinung, dass nicht reinblütige Zauberer keinen Zutritt zu dieser Schule haben sollten. Damit stand er im krassen Gegensatz zu den anderen Gründern. Heute verstand Harry den Ansatz seines Denkens. Er hatte bei Henry einiges über die Druiden erfahren. Slytherin wollte nicht generell Halbblütige von der Lehre ausschließen. Er wollte eine Eliteschule gründen, in der nur die Besten der Besten lernen sollten, und in der nicht nur das moderne Zaubern, sondern auch das alte druidische Wissen vermittelt werden und in deren Verbindung eine Kaste der mächtigsten Zauberer der Welt entstehen sollte. Er wollte der Bewahrer des alten Wissens sein, sah die Gefahr des Vergessens, wenn nur noch die moderne Zauberei gelehrt wurde, und versuchte dem entgegenzusteuern.

Draco wurde in den Bund der Druiden aufgenommen und war damit ein Bruder geworden, der auf der gleichen Stufe stand, wie Harry. Wissbegierig sog er alles auf, was er über die Druiden erfahren konnte. Zwischen Harry und Draco entstand so etwas wie ein Wettbewerb, wer nun am schnellsten lernte und mehr von dem Wissen in sich aufnahm. Nur, im Gegensatz zu Hogwarts war es keine böse Konkurrenz, sondern Sport.

‚Ob Draco schon angekommen ist?', fragte er sich. ‚Vielleicht ist es gut, dass Hermine und Ron hier nicht studieren. Sie würden es nicht ertragen können, dass ich mich mit ihm abgebe.'

Sie hielten am Fuß des Quarzrückens auf einem kleinen Platz, der durch ein Schild als Besucherparkplatz für Kurzparker ausgewiesen wurde. Von hier aus kam man nur zu Fuß, oder, wer einen entsprechenden Zugang hatte, durch einen Stollen mit Lastenaufzug in die Burg.

Jetzt erst, als er aus dem Wagen gestiegen war, erkannte Harry, dass der eigentlichen Burg ein Felsen vorgelagert war. Auf dem stand ein mächtiges, befestigtes Torhaus, welches über eine abenteuerlich anmutende Zugbrücke mit der Burg verbunden war. Dazwischen klaffte eine tiefe Spalte im Fels, seltsam präzise hineingeschnitten, als hätte man den Stein mit einer riesigen Axt gespalten. Das weiß schimmernde Gestein war durchzogen mit schwarzgrauen und rostroten unregelmäßigen Linien. Es war so glatt und hart, dass keine Pflanze, kein Grashalm oder Busch in der Wand halt gefunden hatte. Wo andere Burgen im Laufe der Jahrhunderte von üppigem Grün umwuchert wurde, durch dass der Felsen eher zu ahnen war, stand die Burg Rocheblanc eigenartig und unwirklich mitten in dem Tal.

„Wir werden nun voneinander Abschied nehmen müssen.", riss Henry seinen jungen Ordensbruder aus dessen Betrachtungen. Harry wandte sich um. „Ich werde nicht mit hinauf kommen können, das ist zum Semesterbeginn nur den nahen Verwandten gestattet."

Harry nickte langsam. Ein Schauer glitt über seinen Rücken. Hier war also niemand, der ihm die ersten Schritte erleichtern würde. Damals, in Hogwarts, war es Hagrid, der dafür sorgte, dass die Schüler heil aus dem Hogwarts-Express in das Schloss gebracht wurden. Das gab etwas Zutrauen und Versöhnung für die jungen Schüler, die oft das erste mal für längere Zeit von ihrem Zuhause getrennt waren.

Stumm nahm Harry die Hand des alten Mannes.

„Danke, Henry, dass Du mich hergebracht hast." Sie sahen einander an. Henry lächelte. Er versuchte damit seine Wehmut zu verdecken.

„Ich wünsche Dir einen guten Start, Harry. Schreib mir, wie Deine ersten Tage waren, versprichst Du mir das?"

„Ja."

Er umarmte Henry flüchtig. Das war das Höchstmaß, was er anderen - außer vielleicht Hermine – an Nähe zugestand. Dann schulterte er den Rucksack, nahm den Koffer auf, den alten Koffer, mit dem er schon nach Hogwarts gekommen war, und griff mit einer Hand nach seinem Besen, seinem alten Feuerblitz, mit dem er so viele Meilen geflogen war. Ohne sich umzudrehen begann er, den steilen, geschotterten Weg hinaufzusteigen, der ihn zum Torhaus führte. Nachdem er ein kleines Stück des Wege geschafft hatte, drehte er sich noch einmal um. Henry und Rattle standen neben dem Auto und sahen ihm nach. Rattle hatte die eine Hand auf die Fahrertür gelegt. Als Harry zu ihnen hinunter sah, winkten beide. Harry winkte zurück. Dann wandte er sich wieder dem Weg zu.

Es dauerte eine Weile, bis er schwer atmend und schwitzend vor dem geschlossenen Tor der Burg stand. Er hatte sich keine Blöße geben wollen und war ohne Pause und ohne seine Schritte zu verlangsamen hinaufgeschritten. Viel weiter hätte es nicht sein dürfen, denn er merkte, dass seine Knie zu zittern begannen. Er sah in das Tal hinunter. Der Parkplatz war leer. Als er seinen Blick der Straße folgen ließ, sah er, wie der grüne Bentley sich am Hang hinauf bewegte.

Harry versuchte, seinen Herzschlag und die Atmung zu beruhigen. Er setzte sich auf einen der großen Steine, die links und rechts neben dem Tor in die Mauer eingelassen waren und das Fundament für den Torbogen bildeten. Den Koffer stellte er zwischen seine Füße. In dem Augenblick knarrte das Tor. Es schwang auf und eine junge Frau kam heraus. Hinter ihr schloss sich das Tor automatisch. Sie bemerkte Harry nicht und ging leichten Schrittes in Richtung Tal. Unweigerlich bekam Harry einen Hustenreiz, dem er nachgeben musste. Sie blieb stehen und drehte sich um.

Harry hielt sich die Hand vor den Mund und sah sie etwas dämlich an, was ein leises, glucksendes Lachen bei ihr hervorrief. Sofort versuchte Harry etwas intelligenter drein zu blicken, was allerdings durch einen erneuten Hustenreiz verhindert wurde. Das gab ihr Zeit, Harry zu betrachten, und, als sie zu dem Schluss gekommen war, dass er ihr gefiel, stellte sie mit unschuldig heller Stimme fest:

„Guten Abend. Sie sind neu hier."

Sie sprach Gälisch, die Stamm- Sprache der Druiden, die Harry in den letzten zwei Jahren leidlich zu sprechen gelernt hatte. Harry schluckte den Husten mühsam herunter und nickte.

„Auch erstes Semester?", fragte sie.

Wieder nickte Harry. Er wusste nicht, was er sonst hätte tun sollen.

„Sie scheinen stumm zu sein.", fuhr sie freundlich lächelnd fort.

„Äh, nein!", Harry schüttelte den Kopf. „Äh, ja."

Sie kam langsam näher.

„Nein? Ja?" Sie hatte ins Englische gewechselt. Offensichtlich hatten die wenigen Worte von Harry ausgereicht, um ihr zu sagen, woher er kam. Nach einem kurzen Augenblick den Nachdenkens meinte sie: „Falsche Reihenfolge, nehme ich an."

„Ja." Harry spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. Ihr Glucksen zeigte ihm, dass sie es bemerkt hatte, was ihn nur noch verlegener machte. Dafür, dass die Sonne untergegangen war, hielt sich noch ein beträchtlicher Anteil Tageslicht.

„Sie haben auch einen Namen, stimmt es?", bohrte sie.

„Natürlich...Harry...Potter!"

„Ach, Sie sind Harry Potter? Mein Onkel sagte mir, dass Sie auch hier studieren. Ich bin Imelda Montescue. Mein Onkel dürfte Ihnen als Llyr bekannt sein."

Jetzt konnte auch Harry ein zaghaftes Lächeln hervorbringen. Er stand auf und streckte ihr etwas unbeholfen die Hand hin.

„Tut mir leid, sonst bin ich nicht so. Aber es ist alles so neu für mich...", versuchte er zu erklären.

„Verstehe ich.", antwortete sie mit einem gewinnenden Lächeln. „Jetzt muss los. Ich wollte noch ins Dorf hinunter. Ich habe mich mit einer Studentin verabredet, die ich gestern kennen gelernt habe. Sie ist auch im ersten Semester. Vielleicht sehen wir uns morgen?"

„Oh ja, bestimmt!", nickte Harry.

Wieder lächelte sie und zeigte eine Reihe blitzend weißer Zähne.

„Dort geht es übrigens hinein." Sie zeigte auf das Tor. „Beim ersten mal musst Du noch an der Glocke ziehen. Du solltest Dich beeilen, sonst musst Du die Nacht hier draußen verbringen."

Damit drehte sie sich um und wanderte den schmalen, steilen Weg hinunter ins Tal. Harry musste grinsen. Sie schien ziemlich kess zu sein. Zuerst tat sie förmlich, siezte ihn und dann sagte sie plötzlich ‚Du'. Nun ja, wenn sie Druidische Hexe war, dann klang das Sie eher seltsam. Druiden und druidische Hexen verwandten immer das Du. Harry fühlte sich von ihr um den Finger gewickelt, konnte aber keinen Grund finden, warum es ihm unangenehm sein sollte. Er sah ihr noch einen Augenblick nach, sah, wie ihr Zopf im leicht wiegenden Gang hin und her schwang. Er lächelte vorsichtig hin und her gerissen zwischen der Angst, sie könnte es sehen und dem Wunsch, sie würde sich umschauen. Gerne würde er ihr noch einmal in das hübsche Gesicht schauen.

Abrupt riss er sich los. Er ging zu der Kette hinüber, mit der man die Glocke läuten konnte. Als er an ihr zog, ertönte von innen zu seiner Überraschung ein silberheller Klang von vielen kleinen, in Quinten auf einander abgestimmten Glöckchen. Bald schon hörte er schlurfende Schritte und wenige Augenblicke später wurde das Tor nach Außen aufgeschoben.

Heraus trat ein steinalter, buckliger Druide in einem weißen Gewand. Sein faltiges Gesicht wurde von ein paar dünnen, fast schneeweißen Haarzotteln umrahmt und so schütter wie sein Haupthaar war auch sein Bart. Unter den buschigen, ebenfalls schneeweißen Augenbrauen blickten jedoch zwei hellwache Augen auf Harry.

„Ah, wieder ein Neuer!", krächzte der Alte auf Gälisch. „Wie ist denn Dein Name?"

„Ich heiße Harry Potter."

„Ach, der junge Potter. Bist angekündigt worden. Hast ein paar mächtige Freunde, was?"

Harry zuckte mit den Schultern. Sicher, Henry und Llyr waren Leute, die weitreichende Beziehungen im Orden pflegten. Llyr leitete die Ordensburg, aber Harry hatte nie das Gefühl gehabt, das sei eine wesentlich andere Stellung, als die, welche Professor Dumbledore inne hatte. Dieser war der Leiter von Hogwarts, sicher ein bekannter Zauberer, ein von vielen Zauberern verehrter Zauberer, aber mächtig? Dracos Vater Lucius Malfoy schien mächtig zu sein, denn er war reich und hatte viele offenbar mächtige Freunde, wie den Henker McNair.

„Ich seh' schon, bist kein Freund von vielen Worten.", meinte der Alte. „Ist eine gute Eigenschaft. So, jetzt komm."

Er griff sich den Koffer, wehrte sich entschieden gegen Harrys Versuch, ihm den Koffer wieder abzunehmen, denn dieser war schwer und Harry traute dem Greis nicht zu, ihn weit zu tragen. Aber der Alte schob seine Hand mit erstaunlicher Energie beiseite und schritt durch das Tor. Harry nahm seinen Rucksack und den Besen und eilte hinterher. Kaum hatte er einen langen, gewölbten Gang betreten, schlug das Tor zu und er mächtige Riegel schob sich wie von Geisterhand bewegt zu.

„Wenn ich Deinen Namen eingetragen und eine Wohnung für Dich ausgesucht habe, werde ich Dich mit einem Erkennungszauber belegen. Damit kannst Du durch Deine Gedanken das Tor steuern. Öffnen, schließen oder Verriegeln, ganz wie Du willst.

Die stimme des Druiden hallte in dem Gang. Er führte durch das ganze Torhaus, war immerhin eine Strecke von fast zwanzig Metern bedeutete, die sie auf unebenem Boden in nun fast vollkommener Dunkelheit zurück legen mussten. Harry griff nach seinem Zauberstab und flüsterte „Lumos". Ein kleiner Lichtpunkt leuchtete an seiner Spitze auf und warf einen spärlichen Lichtkegel auf den Boden.

Der Alte kicherte.

„So was habe ich noch nie gebraucht. Na ja, wirst Du noch lernen."

Unmittelbar traten sie ins Freie, als sie den Gang passiert hatten. Sie gingen nun auf einer Holzbrücke, die an schweren Ketten hing und über einen schier endlosen Abgrund führte. Den Grund konnte man nur noch schwach erkennen. Harry verzichtete darauf, hinab zu leuchten. Er war froh, dass es bereits dämmerte, in solchen Höhen fühlte er sich nur sicher, wenn er auf einem Besen saß. Auf der anderen Seite führte der Weg wieder in einen Tunnel, der diesmal in den blanken Felsen gehauen war und vom Licht des Zauberstabes weiß schimmerte. Der Weg führte nun noch einmal steil hinauf, wieder waren es viele hallende Schritte, bis sie plötzlich in einem von Fackelschein beleuchteten Hof standen.

Mitten in diesem Hof ragte ein zierlich anmutender gotischer Bau auf, den Harry sofort als das zentrale Hörsaalgebäude erkannte. Der Druide lief nun behände über das Gras des Hofes. Er öffnete eine kleine Seitenpforte, die in eine Stube führte, welche man als eine Art Sekretariat bezeichnen konnte.

Harry blieb vor einer Theke stehen. Der alte Druide war durch eine Klappe in den Raum hinter der Theke geschlüpft und hatte sich an einen Schreibtisch gesetzt.

„So, mein Junge!", sagte er bestimmt. Er schlug einen großen ledergebundenen Band auf, suchte ein freies Pergament, tauchte eine Feder in das offene Tintenfass und sah Harry an. „Jetzt wollen wir Dich einmal einschreiben. Name?"

„Den wissen Sie doch schon...", antwortete Harry schüchtern.

„Lass das Sie! Wir sagen alle Du zueinander. Wenn Du mit dem Sie anfängst, dann denkt man hier schnell, dass Du Dich für etwas besseres hältst. Name?"

‚Was für ein Stinkstiefel!', dachte Harry. Er entschloss sich, einfach zu antworten. Er wollte sich nicht gleich am ersten Tag mit einem der Druiden hier anlegen.

„Harry Potter.", sagte er.

„Alter?"

„Neunzehneinviertel."

Der Alte schaute kurz auf und grinste zufrieden.

„Wohnhaft?"

„Perpignans Place, Nähe Newcastle, England."

„Bisherige Ausbildung?"

„Vom sechsten bis zum elften Lebensjahr St. Mathews Grundschule in London, vom elften bis zum achtzehnten Lebensjahr Hogwarts, Schule für Zauberei."

„Das interessiert mich nicht, Junge. Was hast Du beim alten Perpignan gelernt?"

Harry musste nachdenken. Er hatte von Henry einiges gelernt, einige Zauber und Formeln und einige Tränke zu brauen, Pulver und Räucherwerk anzumischen. Er hatte viele Geschichten über die Druiden gehört.

„Hmmm...", machte er und hob die Schultern. „Weiß nicht, eine ganze Menge, aber nichts so äh, ja... einige Tränke, Pulver, Formeln..."

„Aha, Grundlagen also. Ist ja immerhin schon etwas." Der Druide schrieb alles in das Buch.

„Wie sieht es aus mit der Natur? Kennst Du die Zusammenhänge?"

Harry schüttelte den Kopf. Gut, er kannte einige Pilze und wusste, was man daraus machen konnte.

„Die Götter?"

Wieder musste Harry mit dem Kopf schütteln. Der Alte sah ihn nachdenklich an.

„Verstehe.", sagte er plötzlich um einiges freundlicher. „Du hast eine menge Ärger am Hals gehabt, habe ich gehört. Da gab es wichtigeres zu lernen. Nehme an, dass Du einige Formeln zur Verteidigung gelernt hast!"

Harry nickte.

„Na wunderbar, damit sparst Du Dir das Vorbereitungsseminar. Aber Du hast einiges nachzuholen. Morgen um Acht ist übrigens die Erstsemesterbegrüßung. Du solltest nicht fehlen."

Der Druide legte die Feder in die dafür vorgesehene Glasschale. Er stand auf, ging zu einem Regal, das mit Büchern und Akten in scheinbar völligem Chaos zugestellt war und griff zielsicher nach einem Ordner. Er blätterte darin herum, dann stellte er den Ordner wieder in das Regal, wobei er einen ganz anderen Ort nahm und setzte sich wieder an den Schreibtisch.

„Wir nehmen die 314, das ist gleich neben der 721. Dann bist Du in der Nähe Deiner Freunde."

„Freunde?", fragte Harry überrascht.

„Ja, da sind noch mehr aus England angekommen. Vermute mal, Du kennst sie alle. Morgen um Acht treffen sich die Erstsemester in der großen Aula. Das ist hier im Haus, auf der anderen Seite findest Du den Eingang."

Dann kramte der alte Druide in einem Schrank.

„Ach, da habe ich noch eines.", sagte er, holte aus den Tiefen des Schrankes ein gebundenes Heft hervor, blies oberflächlich den Staub herunter und reichte es Harry.

Das wirst Du brauchen. Es ist ein Vorlesungsverzeichnis. Du suchst Dir die Vorlesungen heraus und besuchst sie. Sie sind nach Semestern sortiert. Am besten fährst Du, wenn Du Dich an den Plan hältst, der am Ende jedes Kapitels eingezeichnet ist. Du kannst nich alle Vorlesungen besuchen, zumindest in den höheren Semestern, Da musst Du Dich dann für den einen oder anderen Zweig entscheiden. Morgen nach der Begrüßung ist die erste Vorlesung „Allgemeine Magiekunde". Die solltest Du unbedingt besuchen."

Harry nickte stumm. Er nahm das Heft und schlug es auf. Schon auf der ersten Seite standen Fächer wie „Runenkunde I" und „Druidische Formeln". Auch die Vorlesung „Allgemeine Magiekunde" fand er. Für das zweite Semester war und „Runenkunde II" vorgesehen und der Kurs „Beschwörungsformeln der Elementarmagie" setzte die bestandene Prüfung in „Druidischen Formeln" und die Vorlesung „Allgemeine Magiekunde" voraus. Am Ende jedes Kapitels war in Blöcken fein und sauber aufgezeichnet, welche Vorlesung und welches Seminar an welchem Tag statt fand und Farben kennzeichneten Fächer, die eine gleiche Spezialisierung verfolgten und parallel zu anderen Fachgebieten liefen.

„So, jetzt werde ich Dir Deine Wohnung zeigen und dann mach ich Schluss für heute. Ich glaube kaum, dass noch einer kommt."

Harry blickte auf. Er warf den Rucksack, den er auf die Theke gelegt hatte wieder über die Schulter. Dann hob er den Koffer auf, bevor der Alte danach greifen konnte, und griff nach seinem Besen.

„Ach, gut, dass Du daran denkst.", krächzte der Druide, kam an die Theke und griff nach dem Besen. Ehe Harry reagieren konnte, hatte der Alte ihm den Besen aus der Hand gewunden und in einen Schrank gestellt.

„Ey, Moment mal...", sagte Harry entrüstet.

„Der Besen ist hier verboten. Keiner darf auf dem Universitätsgelände herum fliegen. Wenn Du das Gebäude verlässt, kannst Du ihn jederzeit zwischen neun Uhr morgens und neun Uhr abends wiederhaben. Mach Dir mal keine Sorgen, er kommt nicht weg und fegen werde ich damit auch nicht."

Das war so bestimmt gesagt, dass es Harry die Sprache verschlug. Was sollte das? Er konnte sich durchaus an Verbote halten. Wenn er sie brach, dann nur, weil es unabdingbar, sozusagen Gefahr im Verzug war.

„Ich kann meinen Besen auch selber wegschließen...", versuchte er noch einmal.

„Papperlapapp, Anweisung von Oben." Der Alte hob die Klappe in der Theke, bückte sich nach dem Koffer, den Harry verblüfft wieder abgestellt hatte und verschwand durch die Pforte der Stube. Harry lief hinterher. Er folgte dem Druiden, der mit erstaunlicher Geschwindigkeit vorantrabte, durch einen Anzahl verwinkelter Gassen, bis sie auf einem gepflasterten Hof ankamen. In der Mitte stand ein Brunnen, der ein tollartiges Wesen darstellte, aus dessen Mund ein dünner Strahl Wasser in ein rundes Becken plätscherte. Steinerne Fackeln erhellten den Hof. Harry nahm an, das es Öllichter waren, die durch kleine Leitungen versorgt wurden. Unter kunstvoll beschnittenen, uralten Platanen konnte er Bänke und Tische sehen. An einer der Sitzgruppen saßen ein paar in graue Gewänder gehüllte Studenten und unterhielten sich

„Komm!", rief der Druide von einem kleinen Tor aus, das in das Innere eines der umliegenden Häuser führte.

„Du hast glück, mein Junge.", meinte der Druide, als Harry ihm die Treppe hinunter folgte. „Für Euch Engländer ist im ersten Untergeschoss reserviert. „Erstsemester kommen gewöhnlich immer in den Keller. Dort gibt es nur kleine Luken, durch die wenig Licht fällt. Ihr habt eine tolle Aussicht. Tja, wenn man mächtige Freunde hat...So, hier ist es."

Sie standen vor einer kleinen eichenen, mit schwerem Eisen beschlagenen Tür, die selbständig aufschwang, als der Druide sie mit dem Finger berührte.

„Sie ist auf Dich geeicht. Nur Du kannst sie von Außen öffnen. Ja gut, ich natürlich auch. Jede Tür, durch die Du gehen darfst, öffnet sich, wenn Du sie berührst. Öffnet sich eine mal nicht, dann weißt Du, dass du durch diese Tür bestimmt nicht gehen darfst. Na dann. Dein neues Zuhause."

Harry musste sich ein wenig bücken, als er durch die Pforte in das Wohnzimmer seines Appartements trat. Direkt gegenüber der Tür fand er zwei mit grünweiß gestreiften Fensterläden verschlossene Fenster. Im Kamin prasselte ein Feuer, verbreitete an dem kühl gewordenen Oktoberabend eine angenehme Wärme, und an den Wänden hingen die gleichen steinernen Fackeln, kunstvoll aus dem weißen Quarzit geschlagen und gespeist aus der gleichen geheimnisvollen Quelle, wie die Lichter auf dem Hof.

Es sah sauber und ordentlich aus, durchaus mit einem Hauch von romantischem Luxus. So standen vor dem Kamin zwei lederbezogene. hochlehnige Sessel vor einem Tischchen mit einem Intarsienspielbrett. Auch wenn die Einrichtung auf den ersten Blick karg aussah, hatte sie doch Stil. Harry sah sich um. Der Koffer stand auf dem Teppich, der einen Teil des Holzdielenbodens bedeckte. Von dem Druiden war keine Spur. Er hatte sich lautlos zurückgezogen.

Harry ging langsam durch den Raum, fünf Schritte, dann stand er vor einer Tür, die in einen kleinen Flur führte. Dort gingen wieder drei Türen ab, eine in sein Schlafzimmer, das wesentlich kleiner war, als das Wohnzimmer, aber durchaus mit dem gleichen Charme eingerichtet war. Eine andere Tür führte zu einer Nasszelle, bestehend aus Dusche, Waschbecken und Toilette, klein und eng zwar, aber edel gefliest und sehr sauber. Die Dritte Tür führte zu einer winzigen Küche, die neben einer spartanischen Koch- und Spüleinrichtung und einem Hängeschrank mit Geschirr immerhin noch Platz für einen Tisch bot, den man nebst zwei Sitzgelegenheiten von der Wand herunter klappen konnte.

‚Wer muss das wohl alles sauber halten?', fragte er sich. ‚Ob es hier auch Hauselfen gibt?'

Er holte seinen Koffer, warf ihn aufs Bett und begann, seinen Inhalt in den Schrank zu räumen. Auf Henrys Rat hatte er keines der Zauberbücher aus Hogwarts, sondern eine Reihe ausgesuchter Bände aus Henrys Bibliothek mitgenommen. Henrys Schneider hatte außerdem einige graue Studentenroben angefertigt, die hier als Kleidung tagein tagaus getragen wurden. Neben einiger Unterwäsche, Hosen, Pullovern und Socken kam sein Besenpflegeset zum Vorschein. Er hatte es einmal von Hermine zum Geburtstag geschenkt bekommen.

‚Eigenartig, dass man hier nicht fliegen darf.', dachte er. Morgen nach dem Unterricht würde er sich den Besen abholen und draußen im Tal ein paar Runden drehen. Hier war es doch um einiges anders, als in Hogwarts. Er vermisste die Atmosphäre der Gemeinschaftsräume und der Schlafsäle, auch wenn man es dort sehr schwer hatte, wollte man mal für sich allein sein. Aber es musste wohl sein, dass sich in seinem Leben immer mal wieder etwas änderte. Vielleicht war das hie ein wichtiger Schritt in die Selbständigkeit.

Harry dachte an Ron Weasley. Was machte er wohl gerade in London? Er wollte versuchen, einen Job im Ministerium zu bekommen. So zu werden, wie Percy, dieser Streber, der seinen Vorgesetzten nachlief, dass er selbst ihnen schon auf die Nerven ging, hatte er nicht vor. Percy war sein älterer Bruder, nicht sein ältester, er hatte ganze fünf ältere Brüder und eine kleine Schwester, die nun ins siebte Schuljahr ging. Aber das Ministerium erschien Ron am ehesten geeignet, einen sicheren und vielleicht doch interessanten Job zu bekommen. Insgeheim träumte er von einem Posten als Zauberagent, der gegen die dunkle Magie kämpfte. Mut hatte er, das war auch Harry klar, aber mit dem Zaubern würde er in der Position nicht so weit kommen. Wahrscheinlich würde er einen ähnlich verschrobenen Posten wie sein Vater bekommen, der die Abteilung für den Missbrauch von Muggelartefakten leitete. Harry würde Ron sehr vermissen. Er war und blieb sein bester Freund. In den Ferien hatte er gerne ein paar Tage im Fuchsbau, im Hause der Weasleys verbracht. In den nächsten Semesterferien würde er einfach wieder hin fahren und Ron besuchen.

Harry überlegte, ob er noch hinaus gehen sollte, um Kontakt zu den anderen Studenten aufzunehmen, die sich in der Sitzecke des Hofes aufhielten. Er entschied sich dagegen. Er fühlte sich müde. Das Reisen mit dem Auto war anstrengend. Er konnte aber verstehen, dass Henry ihn nicht auf den üblichen Wegen der Druiden durch die Dome geschickt hatte. Das war eine Art zu Reisen, wie es mittels Kamin-Netzwerk unter den normalen Zauberern gerne genutzt wurde. Henry wollte einfach noch ein wenig Zeit mit seinem Schützling verbringen. Dafür hatte er gerne die Strapaze auf sich genommen, sechs Stunden mit der Fähre nach Oostende und von dort aus über schlechteste Straßen mitten in die Ardennen zu fahren.

Harry setzte sich in einen der Sessel am Kaminfeuer und legte seine Füße auf das Tischchen. Er dachte an seine seltsame Begegnung mit Imelda Montescue. Sie hatte ein so offenes uns sympathisches Gesicht. Sie war nicht unbedingt eine Schönheit, aber er fühlte sich durch ihre ganze feminine Art auf unbestimmbare Weise angezogen. Es gelang ihm nicht, sich an ihre Stimme zu erinnern, er wusste nur, dass sie unangenehm war, wie es ihm bei einigen der Mitschülerinnen auf Hogwarts aufgefallen war. ‚Sie ist auch im ersten Semester.', fiel ihm ein. ‚Dann werde ich sie ja morgen wiedersehen. Immerhin kenne ich schon jemanden. Wie einfach war das doch damals, im Hogwarts-Express.'

Seine Gedanken wanderten in die schöne, alte Zeit. Es war die Zeit des allerhöchsten Glücks, das er je empfunden hatte. Der Alptraum in seiner Pflegefamilie war zu Ende, er hatte neue Freunde und... er war Zauberer! Bis zu diesem denkwürdigen Tag, an dem er von Hagrid aus dem alten Haus auf der Insel geholt wurde hatte er höchstens einmal davon geträumt, zaubern zu können. Nie wäre es ihm eingefallen, dass es einmal Wirklichkeit würde. Er schloss die Augen. Bald sah er die Bilder seiner Freunde vor sich. Ohne es zu bemerken, war er eingeschlafen.