Kapitel 3

Reden ist Silber – Schweigen ist Gold

Zum Abend hin war es unerträglich schwül geworden und eine bleierne Müdigkeit hing über Hogwarts.

Das Abendessen in der großen Halle war soeben beendet worden und die Schüler schlichen förmlich zum Ausgang.

Hermine hatte am Nachmittag schleunigst ihre Hausaufgaben erledigt und danach versucht ein wenig Schlaf nachzuholen.

Da fast alle Schüler am See gewesen waren, hatte sie zwar im Schlafraum Ruhe gefunden, mit einem Ohr hatte sie allerdings auch ständig das Lachen und Kreischen der anderen gehört und so fühlte sie sich immer noch nicht wirklich erholt.

Ron und Harry hatten während des Essens versucht herauszufinden was eigentlich mit ihrer Freundin los war.

Erst dieses eigenartige Verhalten im Unterricht, dann die Unterredung (wie Hermine es genannt hatte) mit Snape und schließlich war sie auch noch den ganzen Nachmittag unauffindbar gewesen.

Die beiden mussten ja schier sterben vor Neugier.

Draußen auf dem Flur hatten sie ihr dann auch regelrecht aufgelauert.

„Hermine wo warst Du denn? Jetzt erzähl doch mal, was hat Snape denn bei eurer „Unterredung" gesagt? Hat er dir die Zunge rausgerissen oder warum bist du so schweigsam?"

Hermine lächelte ihre Freunde flüchtig an.

„Ach Ron. Ich hab einfach keine Lust drüber zu reden. Ich bin schrecklich müde. Ich habe letzte Nacht schlecht geschlafen. Am besten gehe ich jetzt ins Bett, dann bin ich morgen sicher wieder fit."

Sie lächelte beide noch einmal kurz an und wollte dann an ihnen vorbei die Treppe zum Gryffindor-Turm hoch.

Eine piepsige Stimme hielt sie zurück.

Melly, die Hauselfe fuchtelte mit einem Brief in der Hand vor ihr herum.

„Miss Hermine Granger, ich habe eine Nachricht für Sie. Wichtig! Wichtig!"rief sie aufgeregt.

Hermine runzelte die Stirn.

Eine Nachricht für sie? Seit wann bekamen Schüler Nachrichten von Hauselfen zugestellt?

Das war eigentlich meistens den Lehrern vorbehalten, weil es sich um hausinterne Angelegenheiten handelte.

Neugierig nahm sie dem kleinen Wesen den Brief ab und sah sich den Umschlag an.

Kein Absender, stellte sie fest.

Lediglich ein Wort zierte den Umschlag. Dieses eine Wort jedoch schien sie regelrecht anzuspringen:

VERTRAULICH, stand dort in großen Lettern ohne jeglichen Schnörkel.

Eine Ahnung über den Absender stieg in Hermine auf und genau das schien auch der Zweck dieses einzelnen Wortes zu sein.

Harry und Ron durften auf keinen Fall erfahren von wem dieser Brief stammte.

„Von wem ist der?"fragte Ron auch sofort.

„Hermine, mach doch mal auf!"forderte Harry.

Sie wartete bis Melly sich endlich nach endlosem Verbeugen und Knicksen zurückgezogen hatte und öffnete dann vorsichtig den Umschlag.

Mit zwei Fingern zog sie das darin enthaltene Blatt heraus und drehte sich beim Entfalten so, dass die Jungs ihr nicht über die Schulter sehen konnten.

Ihre Augen überflogen kurz den Text und ihre Ahnung wurde durch die Unterschrift bestätigt.

Als sie merkte wie Harry und Ron um sie herumgingen um ebenfalls einen Blick auf den Absender werfen zu können klappte sie das Blatt schnell zusammen und rief etwas lauter als beabsichtigt:

"dachte ich's mir doch. Ein Irrtum! Der Brief ist gar nicht für mich. Da hat Melly aber einen großen Fehler gemacht. Der Brief ist für Professor Snape. Ihr wisst ja wie er ist. Wenn der erfährt, dass Melly ihn falsch überbracht hat, reißt er ihr bestimmt den Kopf ab. Ich bring ihn mal lieber schnell selbst zu ihm."

Harry und Ron standen da wie vom Donner gerührt.

„Äh, der ist für Snape?"fragte Ron verwirrt.

„Ja, ja für Snape." stammelte Hermine jetzt.

„Von, äh Professor Dumbledore," fügte sie hinzu.

Irgendwie musste sie die beiden loswerden. Also wieder mal die Flucht nach vorne, entschied sie.

Sie schwenkte den Brief vor deren Nasen und fragte:

"Wollt ihr nicht mitkommen wenn ich ihn Snape bringe?"

Ron und Harry hatten auf einmal wichtige Dinge zu erledigen.

„Ne Hermine, ich glaube es reicht wenn einer zu ihm geht. Das geht ihm ja eh bloß auf den Nerv wenn wir da alle vor seinem Kerker rumhängen. Außerdem muss ich noch meinen Aufsatz zu ende machen," sagte Harry eilig.

Ron, dem nichts besseres einfiel, beschränkte sich auf ein:"Ja, genau! Ach, ich helfe dir beim Aufsatz, Harry."

Die beiden verschwanden schnell in die andere Richtung.

Hermine seufzte.

Was für ein Glück, dass sie die beiden so gut kannte.

Sie hatte gewusst, dass sie auf keinen Fall freiwillig zu Snape gehen würden.

Genau dorthin musste sie aber nun. Nicht etwa weil dieser Brief für ihn gewesen wäre, sondern weil eben jener Brief von ihm stammt und er sie gebeten, oder dem Tonfall nach eher befehligt hatte, dass sie ihn noch heute abend in seinen Privaträumen aufsuchen sollte.

Hermine spürte eine eigenartige Mischung aus Angst und Neugier in ihrem Bauch.

Sie war noch nie in Snapes Privaträumen gewesen. Eigentlich war sie noch in gar keinem Privatraum eines Lehrers gewesen. Aber wenn sie auf einen neugierig war dann mit Sicherheit auf Snapes.

Sie kannte die Witze, die unter den Schülern kursierten. Wie etwa den, dass der Zaubertranklehrer auf einer Folterbank schlief. Oder dass in seinem Vorratsschrank Einmachgläser mit toten Reptilien standen. Genauso wie die Vermutung, dass seine Zimmer keinen Wasseranschluss hatten und ihm deshalb die Möglichkeit sich die Haare zu waschen oder gar zu duschen, verwehrt bliebe.

In ein paar Minuten würde sie wissen wie es bei ihm aussah.

Sie steckte den Brief in ihren Umhang und ging eilig die Stufen zu den Kerkern hinunter.

Als sie unten im dunklen Flur ankam verging ihr das Gefühl der Neugierde allerdings etwas.

Sie stellte fest, dass es ein großer Unterschied war zum Unterricht mit einer Menge lärmender Mitschüler hier herunterzukommen oder am Abend, völlig mutterseelenallein. Irgendwie gruselte sie sich nun.

Die Fackeln im Gang leuchteten träge vor sich hin, als hätten sie selbst Angst die Dunkelheit hier unten zu stören.

Hermine ging nun langsam und vorsichtig zur Tür, die sie noch nie durchschritten hatte.

Sie bemerkte mit einem mal, dass sie auf Zehenspitzen ging und ihr Atem ungewohnt flach war.

'So etwas idiotisches,' schoss es ihr durch den Kopf.

'Vor was habe ich eigentlich angst? Schließlich hat er mich selbst zu sich gerufen. Dann sollte ich mich nicht fühlen wie ein Eindringling'.

Beherzt klopfte sie nun an die Kerkertür.

Nur wenig später wurde sie schwungvoll geöffnet und Snape sah sie finster an.

Hermine wollte etwas sagen. Sie öffnete den Mund, aber dann streikte plötzlich ihr Gehirn und kein anständiger Satz wollte sich formen.

Das schien jedoch auch nicht nötig zu sein, denn Snape bedeutete ihr mit einer Handbewegung dass sie eintreten sollte.

Sie folgte ihm hinein in den spärlich beleuchteten Raum.

Im ersten Moment war sie irritiert. Dieser Raum war so völlig anders als sie erwartet hatte.

Er sah irgendwie so normal aus.

Sie sah einen Schreibtisch, der den Raum dominierte, dahinter ein großes Bücherregal, aber ebenso gab es eine Couch und einen Sessel mit einem kleinen Tisch davor und daneben einen Kamin.

Bei den heißen Temperaturen, die zur Zeit draußen herrschten empfand sie die Kühle des Raumes als sehr angenehm. Im Winter jedoch war der Kamin sicher sehr von Nöten, dachte Hermine und fröstelte bei diesem Gedanken unwillkürlich.

Dennoch beneidete sie ihren Lehrer beinahe um diese Räumlichkeiten, denn er hatte sicher zur Zeit nicht das Problem vor Hitze nicht schlafen zu können.

Teppiche dämpften ihre Schritte und an den Wänden hingen einige Bilder. Es waren vergrößerte Fotografien, wie sie feststellte. Ausschließlich Landschaften.

Sie erkannte auf einigen das Umland von Hogwarts, andere mussten in Gegenden aufgenommen sein, die sie noch nie zuvor gesehen hatte.

Hermine hatte sich nie gefragt was ihr Lehrer wohl in seinem Urlaub unternahm.

'Noch so ein Witz' schoss es ihr durch den Kopf. Die Schüler glaubten, Snape würde sich während ihrer Ferien in einen Sarg legen und schlafen bis die Schule wieder los ging.

Ihr Lehrer war inzwischen zu seinem Schreibtisch gegangen und wies auf den Stuhl, der davor stand.

Hermine setzte sich zögernd.

Sie konnte nicht widerstehen und wandte den Kopf nach rechts zu dem Regal das dort stand.

Darin befanden sich mehrere alte Fotoapparate. Sie glaubte zu wissen, dass manche von ihnen durchaus als Antiquität anzusehen waren.

Leider erstreckte sich ihr Wissen darüber nicht soweit, dass sie einordnen konnte ob sie wertvoll waren oder nicht.

Sie erkannte aber auch in einem Fach darüber Fotoapparate die durchaus neuerem Datums waren. Mehrere Objektive lagen gut verpackt daneben. Ein Stativ lehnte neben dem Regal an der Wand.

Snape, der gemerkt hatte dass sie verblüfft seine persönlichen Gegenstände betrachtete, räusperte sich um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen.

Sofort schaute sie schuldbewusst zu ihm.

Etwas zu schnell für ihn, denn es dauerte den Bruchteil einer Sekunde ehe er seinen sonst immer gegenwärtigen genervten Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte, den er seinen Schülern entgegenbrachte.

Hermine wartete gespannt was er ihr zu sagen hatte.

Der Professor hatte sich offenbar schon eine kleine Rede zurechtgelegt, denn er begann nun ohne Umschweife.

„Miss Granger, Sie sollen wissen, dass es nicht meine Idee war, was ich Ihnen nun mitteile. Es ist Anweisung von Professor Dumbledore. Ich habe ihm mein Problem erläutert und kam nicht umhin Ihre Beteiligung von letzter Nacht zu erwähnen. Professor Dumbledore hat mir zugesichert mit mir zusammen an einer dauerhaften Lösung zu arbeiten. Er ist jedoch für die nächsten 2 Wochen nicht in Hogwarts, da er an einer wichtigen Schulleiterversammlung in Prag teilnehmen muss.

Bis dahin bin ich bemüht einen Trank zu kreieren, der mein Schlafwandeln hoffentlich unterdrückt. Professor Dumbledore wird, wenn er wieder hier ist, einige Sicherheitszauber des Schlosses so modifizieren, dass es mir nicht mehr möglich sein sollte im Schlaf Gegenzauber zum öffnen meiner Tür zu sprechen, sondern nur in wachem Zustand. Dies wird jedoch eine ebenso schwierige Aufgabe wie das Brauen eines Zaubertrankes. Denn bislang gibt es keinen Präzedenzfall und wir werden Wochen brauchen um die Erfolge zu testen.

Nun werden Sie sich sicher fragen warum ich Ihnen - einer Schülerin - das alles erkläre. Es ist mit Sicherheit nicht weil ich mich so gerne mit Ihnen unterhalte..."

„Sicher nicht..." murmelte Hermine.

Nun schien Snape das erste Mal seit seiner langen Rede aus dem Konzept zu sein.

„Ich, äh, also wie gesagt, die Idee stammt von Professor Dumbledore und eigentlich hatte ich ihn gebeten es Ihnen zu erklären, aber er war der Meinung Sie würden ihm das nicht glauben und so muss ich Sie selber bitten..."

Hermine war nun sichtlich irritiert. Dumbledore dachte Hermine würde ihm nicht glauben? Wie sollte sie sich anmaßen dem Schulleiter etwas nicht zu glauben. Aber das eigentlich Unfassbare war, dass Snape sie um etwas bitten wollte. Seit wann bat er um irgendetwas?

Seine schwarzen Augen funkelten sie böse an. Anscheinend sollte sie gar nicht erst auf den Gedanken kommen eine Schwäche bei ihm festzustellen, auch wenn er sie um etwas bitten musste. Seine Stimme blieb denn auch unbeugsam als er sagte:

„Es gibt nur eine Möglichkeit meine nächtlichen Ausflüge in der nächsten Zeit sicher zu unterbinden. Ich muss eingeschlossen werden.

Professor Dumbledore hätte das natürlich selbst übernommen, da er aber wie gesagt leider nicht anwesend ist und Sie bereits in die Sache eingeweiht sind, hielt er es für das Beste wenn Sie das für die nächsten zwei Wochen übernehmen würden.

Natürlich könnte ich auch Mr. Filch fragen, oder einen der anderen Lehrer, oder jemanden aus Hogsmeade..."

Hermine schmunzelte nun:"Oder einen anderen Schüler. Harry zum Beispiel..."

Snape stutzte.

Seine Augen schienen Blitze zu schicken als er sagte:

„Die Sache darf niemand erfahren. Nur darum kommen sie in den Genuss – und das ist es zweifellos für sie, nicht wahr – einen Lehrer in seinen Räumen einzusperren!"

„Es würde mir bei niemandem mehr Freude bereiten als bei ihnen, Sir," bestätigte Hermine nun freimütig.

Der Professor zog einen Mundwinkel in die Höhe, was bei ihm wohl einem Lächeln am nächsten kam.

„Dachte ich mir doch," sagte er durch die Zähne geknirscht.

„Es gibt aber noch ein Problem, das wir unbedingt erörtern müssen," sagte er nun wieder in seiner Lehrerstimme.

Hermine war gespannt was als nächstes kam. Dieses Gespräch war bisher schon sehr merkwürdig verlaufen.

„Tee?" fragte Snape auf einmal völlig aus dem Zusammenhang heraus.

Hermine wusste im ersten Moment nicht was an „Tee" für ein Problem sein sollte das man noch erörtern musste, bis sie realisierte dass ihr Lehrer sich auf einmal auf seine Gastgeberrolle besann.

„Äh, gerne," erwiderte sie knapp.

Snape erhob sich und verschwand durch eine Tür die Hermine bisher noch gar nicht aufgefallen war.

Sie wollte gerade einen Blick hindurch werfen, als er auch schon wieder zurückkam mit einem Tablett in der Hand, worauf sich eine kleine Teekanne, zwei Tassen, Löffel und Kandiszucker befand.

Vorsichtig stellte er das Tablett auf seinem Schreibtisch ab. Dann schenkte er eine Tasse ein und stellte sie vor Hermine ab.

Nachdem er seine eigene Tasse gefüllt hatte begann er zu sprechen.

„Nun, wie Sie ja durch einige unglückliche Zufälle erfahren haben, arbeite ich als Spion für Professor Dumbledore. Es ist also zwingend notwendig, dass ich an den Todessertreffen teilnehme. Da ich zur Zeit nicht zum Vertrautenkreis von Lord Voldemort gehöre reicht es aus, wenn ich die Treffen an Neumond besuche.

Nächste Woche ist es wieder soweit. Es versteht es sich also von selbst, dass Sie dann auf keinen Fall meine Türe verschliessen dürfen. Ich werde Sie daran erinnern."

Hermine nickte.

„Was ist wenn Sie an diesem Abend schlafwandeln? Dann werden Sie gar nicht merken dass er Sie ruft, oder?"

Snape hatte sich mehrere Kandis gegriffen und in seiner Teetasse versenkt. Obwohl er stets Dumbledores Süßigkeiten mit einem angeekelten Gesicht ablehnte, schien er seinen Tee sehr süß zu trinken.

Der Lehrer rührte mit Hingabe in seiner Tasse herum als er sagte:

„Das kann nicht passieren, ich pflege mich an solchen Abenden nicht einmal schlafen zu legen."

Hermine fiel auf einmal ein, dass er an den Unterrichtstagen nach Neumond noch schlechter gelaunt war als sonst. Nun kannte sie auch den Grund dafür.

Er hatte also in den Nächten davor kein Auge zugemacht und war zudem noch der Willkür von Voldemort ausgesetzt, der sonstwas mit ihm angestellt hatte. Dennoch war er an den folgenden Tagen immer pünktlich zum Unterricht erschienen und außer einer verdammt schlechten Laune hatte man ihm nichts angemerkt.

Snape schien in ähnliche Gedanken versunken zu sein.

Schließlich hob er die Tasse an den Mund und nahm einen Schluck Tee.

Fast hätte er ihn zurück in die Tasse gespuckt.

'Hm, wohl doch zu süß' dachte Hermine.

Aber statt belustigt zu sein, war sie auf einmal sehr beunruhigt.

Wenn ihr Lehrer durch dieses Gespräch derart aus dem Konzept geriet, dass er seinen Tee ungenießbar machte, war dies sicher kein gutes Zeichen.

Sie trank nun auch vorsichtig einen Schluck von dem heißen Getränk und war immer noch in Gedanken versunken als er sie ansprach.

„Professor Dumbledore hat es abgelehnt, dass Sie die Tür mit einem Zauber verschliessen dürfen. Das Risiko, dass ich diesen brechen würde, war ihm zu groß. Wir werden also auf Muggelmethoden ausweichen müssen."

Mit diesen Worten öffnete er eine Schublade an seinem Schreibtisch und holte einen messingfarbenen Schlüssel hervor.

„Dies ist der Schlüssel für meine Tür. Verlieren Sie ihn bloß nicht. Ich besitze nur diesen einen.

Also kann ich, wenn Sie von aussen abgeschlossen haben, höchstens noch die Tür aufbrechen.

Das wiederum sollte mir in schlafendem Zustand jedoch unmöglich sein. Zwingen Sie mich bitte nicht, dass ich so eine drastische Maßnahme in wachem Zustand durchführen müsste."

Hermine war sprachlos. Sie versuchte ihre Gedanken zu ordnen.

Er war gezwungen, ihr seinen Schlüssel auszuhändigen, musste sie bitten ihn einzuschliessen und natürlich auch wieder herauszulassen. Er musste sich fühlen wie ein Tier, das auf die Güte eines anderen angewiesen war.

'Ach nein, du übertreibst,' dachte sie dann bei sich. 'Immerhin kann er ja die Tür aufbrechen wenn er will'.

Aber das Aufbrechen der Tür wäre für jeden ein klares Zeichen, dass hier irgendetwas nicht stimmte.

Erst jetzt wurde ihr klar dass sie, wenn sie zustimmte, eine echte Verantwortung tragen würde.

Aber blieb ihr überhaupt die Möglichkeit abzulehnen?

Sie würde damit nicht nur Snapes Groll auf sich ziehen, sondern Professor Dumbledore wäre sicher sehr enttäuscht von ihr.

Außerdem hatte Snape sie ja gebeten – hatte er eigentlich?

Nachdenklich drehte sie den Schlüssel in ihren Händen hin und her.

Sie musste daran denken wie Snape ihr heute mittag eben diese Hände verbunden hatte. Dank seiner Hilfe waren keine Spuren der Verletzungen zurückgeblieben.

Hatte sie ihm dafür eigentlich richtig gedankt? Und was wichtiger war – hatte er es überhaupt erwartet?

Nein, dieser Mann half ohne eine Gegenleistung zu erwarten und sie würde ihm auch helfen ohne ein großes Dankeschön zu erwarten.

„Sie können sich auf mich verlassen. Ich werde Ihnen die Tür morgens Punkt sieben öffnen. Äh, wann soll ich Sie denn Abends einschließen?"

Snapes Mundwinkel gingen eine Spur nach unten.

„Nun, da Sie um zehn spätestens im Gryffindorturm sein müssen ist es wohl logisch, dass Sie meine Tür kurz vorher verschließen müssen. Ich werde mit Mr. Filch sprechen, dass er in den nächsten zwei Wochen die Inspektionsrunden allein übernehmen muss."

„Hm, gut..." murmelte Hermine.

Plötzlich fiel ihr ein, was sie unterschwellig schon die ganze Zeit an diesem Plan gestört hatte.

„Ähm, was ist denn wenn irgendetwas mit Ihnen ist?"

Snape zog die Augenbrauen in die Höhe.

„Was soll denn mit mir sein?" fragte er erstaunt.

Hermine spürte wie sie rot wurde.

„Naja, ich meine wenn Sie krank werden. Oder sich verletzen. Es kann ja auch sein, dass Sie Nachts von jemandem gerufen werden. Von einem der Lehrer, wenn es Probleme gibt, oder...vielleicht doch von Lord Voldemort. Dann sind Sie eingeschlossen. Wollen Sie dann wirklich die Tür aufbrechen? Ich meine, wenn Ihnen etwas passiert ist, sind Sie dazu vielleicht gar nicht mehr in der Lage."

Snape betrachtete sie eingehend, dann schnaubte er mehrfach, was wohl einem Lachen gleichkam.

„Sie sind um mich besorgt?" fragte er spöttisch.

Hermine, die nun merkte dass ihre Gesichtsfarbe noch einen Ton dunkler wurde, gab sich gleichgültig.

„Nein, es ist ja nur dass ich dann sozusagen die Verantwortung trage."

„Sie sagten doch, Sie wollen nicht mehr Babysitter spielen – dann tun Sie es auch nicht!" fuhr Snape sie an.

„Aber mit Lord Voldemort haben Sie Recht. Es wäre verheerend für den Orden des Phönix, wenn mir der Lord noch mehr misstrauen würde, als er es ohnehin schon tut. Vermutlich würde er, falls ich nicht erscheine wenn er mich ruft, beim nächsten Treffen kurzen Prozess mit mir machen und dann wäre ein wichtiges Instrument für den Orden verloren."

Hermine glaubte ihren Ohren nicht trauen zu können.

Da saß dieser Mann und bezeichnete sich selbst als Instrument, um das man nur trauern würde weil man es nicht mehr benutzen könnte.

Ohne darauf zu achten dass sie bereits wieder rot wurde, sagte sie mit festem Blick in seine Augen:

„Nur damit Sie es wissen. Ich habe eben gelogen. Ich sorge mich tatsächlich um Sie. Wenn Sie Ihren Mitmenschen auch nicht das geringste Mitgefühl zukommen lassen, muss ich Ihnen sagen dass das auf andere nicht zutrifft. Niemand will, dass Ihnen etwas zustösst."

Der Lehrer saß da wie vom Donner gerührt.

Seine Maske war für einen Moment von ihm abgefallen und in seinen Augen stand Schmerz.

Dann versteinerte sich seine Miene wieder als er sagte:

„Sie wissen so gut wie ich, dass die meisten meiner Schüler jubeln würden, wenn ich das Zeitliche segne. Und dem Rest wäre es vermutlich einfach egal. Also bitte, sparen Sie sich Gefühlsduseleien für diejenigen auf, die sie brauchen."

Hermine schüttelte resigniert den Kopf.

Er hatte ja mit der Vermutung was seine Schüler anging Recht.

Aber hatte dieser Mann wirklich niemanden der ihm nachtrauern würde?

Dumbledore sicherlich. Aber der Schulleiter war ja auch unendlich nachgiebig und geduldig was seinen Schützling anging. Kein anderer Mensch konnte es mit so einem Ekel wie Snape aushalten.

Hermine wurde plötzlich wütend.

„Sie wollen doch gehasst werden. Immer drangsalieren Sie alle. Und da wundern Sie sich, dass niemand Sie mag?"

Snapes Gesichtsausdruck war nun unergründlich.

„Genau Miss Granger. Ich kümmere mich um niemanden und genau das erwarte ich auch von meinen Mitmenschen. Niemand soll sich um mich kümmern. Sie sollen nur meine Tür ab- und aufschliessen. Nichts weiter. Es verpflichtet Sie zu nichts. Sie brauchen noch nicht einmal einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden. Ist das zuviel für Sie?"

Er war im Laufe der Zeit immer lauter geworden. Den letzten Satz hatte er gebrüllt.

Hermine war zusammengezuckt über seinen Wutausbruch.

Er wollte also gar nicht vermisst werden. Auch gut.

Aber so einfach war das nicht. Das Mitgefühl, das in Hermine aufgestiegen war, wurde durch seine Wut nur noch verstärkt.

Zeugte es nicht eher bei ihm von übertriebener Sorge um seine Mitmenschen, wenn er nicht wollte dass jemand um ihn trauerte.

'Jetzt ist es aber gut Hermine,' schalt sie sich selbst.

Snape ist die große Ausnahme. Jeder Mensch will verstanden und geliebt werden. Er nicht!

Er hat es Dir gesagt! Und außerdem kann es Dir ja auch völlig egal sein!'

„Nein, das ist nicht zu viel für mich. Also was ist jetzt mit Voldemort?" fragte sie so gelangweilt wie möglich.

Der Lehrer hatte sich inzwischen wieder etwas beruhigt.

Er schien einen Moment zu grübeln.

„Nun, eine Art Erkennungszeichen wäre nicht schlecht," murmelte er mehr zu sich selbst.

„Erkennungszeichen?" hakte Hermine nach.

Jetzt sah er sie an.

„Ja, geben Sie doch mal ihren Zauberstab."

Hermine holte ihn unter ihrem Umhang hervor und gab ihn an Snape.

Dieser beäugte ihn kritisch.

„Hm, der hat nicht allzuviel Macht, aber ich denke das sollte doch klappen," sprach er wieder mit sich selbst.

Hermine war verärgert. Was sollte das heissen, 'er hat nicht allzuviel Macht.'

Ihm war aber schon klar, dass es sich um einen Schülerzauberstab handelte, oder?

Sie sah ihm kritisch zu, wie er den Zauberstab in der Hand wog und spürte ein eigenartiges Gefühl, fast so als würde er nicht ihren Stab, sondern sie selbst so genau in Augenschein nehmen.

Immerhin war ein Zauberstab ein sehr persönlicher Gegenstand.

Wahrscheinlich war es einem Zauberer wie ihm sogar möglich von dem Zauberutensil auf Hermines Charakter zu schließen.

Gebannt versuchte sie in seinem Gesicht zu lesen.

Er hielt den Stab jetzt senkrecht und sprach einen Zauber, den Hermine noch nie gehört hatte.

„So," sagte er dann zufrieden, „damit wäre auch dieses Problem gelöst. Sollte ich wirklich Hilfe benötigen - aus dem einen oder anderen Grund," dabei sah er sie kurz versöhnlich an, „dann wird ihr Zauberstab in rötlichem Licht schimmern. Unauffällig genug um niemanden zu verwirren, aber doch genug um Sie aufmerksam zu machen."

Für ihn schien dieses Thema beendet zu sein und er reichte Hermine ihren Zauberstab wieder über den Schreibtisch zurück.

Sie nahm ihn verdattert entgegen und sah nach, ob man einen Unterschied feststellen konnte.

Da sie nichts erkennen konnte, steckte sie ihn ein, dabei knirschte sie jedoch durch die Zähne:"Nett dass Sie vorher gefragt haben, bevor Sie meinen Zauberstab verhexen."

Snape überhörte die Kritik geflissentlich.

„Ich denke unsere Unterredung ist hiermit beendet. Es ist schon spät geworden. Gehen Sie bitte unverzüglich in Ihren Turm. Falls Sie jemand rügen sollte, weil Sie noch auf den Gängen unterwegs sind, können Sie sich gerne auf mich berufen."

Damit bedeutete er ihr sich zur Tür zu begeben.

Hermine war immer noch verwirrt wegen all der Dinge die er ihr gesagt hatte und die sie nun vor sich hatte.

Sie konnte sich auf ihn berufen falls sie Ärger bekam, dachte sie irritiert.

Als sie die Hand auf der Klinke hatte, wandte sie sich wieder zu ihm um und sagte:

„Sie sind doch nicht etwa um mich besorgt?"

Snape stutzte.

Konnte diese Person nicht einmal seine Räume verlassen ohne persönlich zu werden.

„Nein," knirschte er dann hervor.

„Gehen Sie nun und vergessen Sie nicht abzuschliessen," war das einzige was er noch hinzufügte.

TBC