Kapitel 9
Es ist nicht gut, alles zu sehen, alles zu hören...
Snape hatte kurz nach ihrem ernsten Gespräch vorgeschlagen dass sie zurück zum Schloss gehen sollten.
Er war sehr wortkarg gewesen. Hermine hatte ebenfalls kaum gesprochen. Hin und wieder hatte sie ihn nachdenklich beobachtet.
Sie wusste was die Todesser taten. Das Bild, wie Snape jemanden folterte oder tötete war erschreckend real.
Sie verstand warum er sein Leben mit niemandem teilen wollte. Aber sie verstand ebenso dass niemand sich darum bemühen wollte sein Leben mit ihm zu teilen. Diese Art von Schuld war kaum zu vergeben. Auch wenn er nicht aus freiem Willen handelte, so war er dennoch ein Folterer und Mörder.
Es war so verrückt.
Nun, da sie ihn von einer anderen Seite kannte, war das Wissen um seine Rolle beim dunklen Lord um so belastender für Hermine.
Snape schien dies zu spüren. Er hatte wohl endlich was er wollte, sie war verunsichert. Vielleicht würde sie wieder lernen ihn zu hassen. War es nicht das was er von ihr verlangte?
Er war stehengeblieben und sah sie lange und durchdringend an. „Sie scheinen wieder vollständig genesen zu sein. Warum gehen Sie nicht schon heute abend zurück in Ihren Turm? Madam Pomfrey hat bestimmt nichts dagegen. Sie können sie ja heute abend fragen",sagte er.
Hermine zögerte nicht lange. Sie schüttelte den Kopf. „Nein," sagte sie entschieden. „Eine Nacht werden Sie mich schon noch ertragen."
Er nickte kurz und schwieg. Sie war erstaunt wie schnell er nachgegeben hatte.
„Vielleicht sollten Sie dann besser Ihre Tür verriegeln," sagte er und hob eine Augenbraue an.
Hermine lachte kurz. „Vielleicht sollten Sie sich direkt neben mich ins Bett legen. Ich meine die Wahrscheinlichkeit dass Sie sich dann morgens auf der Couch wiederfinden ist relativ groß."
Er schnaufte ein paar mal durch die Nase, was einem Lachen ziemlich gleichkam.
„Sobald Professor Dumbledore wieder da ist werden wir hoffentlich eine dauerhafte Lösung finden. Wenn der dunkle Lord von meinen nächtlichen Spaziergängen erfährt wird es nicht lange dauern bis er herausfindet dass es Nebenwirkungen des Gegenmittels sind. Er ist ohnehin schon misstrauisch was die Wirkung seiner Droge auf mich angeht."
Hermine nickte nachdenklich.
Als sie wiederum unbemerkt ins Schloss zurückgekehrt waren hatte Hermine nicht einen Gedanken daran verschwendet dass sie eigentlich in ihren Turm hätte zurückkehren können.
Wie selbstverständlich war sie ihm in seine Räume gefolgt. Als sie ins Schlafzimmer ging um sich für Poppys Abenduntersuchung wieder das Nachthemd anzuziehen lag ein Zettel auf ihrem Bett.
Mit bangem Herzen nahm Hermine ihn und begann zu lesen: Liebe Hermine,
da ich dieses Wochenende zu meinen Eltern fahre wollte ich deine Untersuchung etwas vorverlegen. Wie ich sehe scheint es dir ja wirklich wieder gut zu gehen, da ich dich hier eigenartigerweise nicht antreffe. Du darfst heute schon wieder in deinen Turm zurückkehren.
Ein schönes Wochenende,
melde dich am Montag bei mir im Krankenflügel für eine Abschlussuntersuchung.
Liebe Grüße,
Poppy.
Auf dem Nachttisch befand sich bereits Hermines Abendessen.
Auf einmal stand Snape im Türrahmen. „Ich werde dann mal in die große Halle gehen," sagte er.
Hermine faltete schnell den Zettel zusammen. „Ja, klar. Ähm, Madam Pomfrey war schon da. Sie hat mir das Abendessen gebracht und schreibt ich könne morgen wieder in meinen Turm." 'Jetzt bloß nicht rot werden,' dachte Hermine.
Snape nickte ernst. „Hat sie sich nicht gewundert wo Sie sind?" fragte er dann.
Hermine druckste herum. „Ja...schon...aber uns wird schon eine gute Erklärung einfallen...oder wie wäre es mal mit der Wahrheit?"
„Hm, ja, warum nicht?" sagte Snape, klang dabei aber seltsam unsicher.
„Es wird Ihrem Ruf schon nicht allzusehr schaden," sagte Hermine. „Außerdem hat sie vielleicht auch eine Schweigepflicht von der wir Gebrauch machen können."
Snape sah skeptisch aus. „Als Krankenschwester? Ich weiß es wirklich nicht. Aber je weniger Aufhebens wir darum machen, desto schneller wird sie es vergessen. Ich geh dann mal..."er hob zum Gruß kurz die Hand und verschwand.
Hermine hatte ein etwas schlechtes Gewissen weil sie ihn angelogen hatte. Außerdem würde sie am Montag auch Poppy anlügen müssen. Egal, dass wäre es ihr wert noch eine Nacht mit ihm zu verbringen. Sie schluckte.
Wie hörte sich das denn an? 'Hermine, die Pferde gehen etwas mit dir durch,' dachte sie amüsiert.
Sie zog die Sachen aus und das Nachthemd an und ging ins Bad. Ein kritischer Blick in den Spiegel zeigte ihr dass der Sonnenbrand nun kaum noch zu erkennen war. Das Abschuppen der Haut war dank Poppys Salbe auch erträglich.
'Nächste Woche werde ich siebzehn,' dachte sie. 'Fast schon erwachsen, endlich.'
Ihr Blick wanderte im Bad umher.
Sie öffnete einen Schrank neben dem Spiegel und spähte hinein. Ein Nassrasierer lag darin, eine Zahnbürste und verschiedene Töpfe mit cremigem Inhalt. Da sie ohne Beschriftung waren hoffte sie dass Snape immer in der Lage war zu unterscheiden in welchem der Rasierschaum und in welchem die Zahnpaste war.
Sie schmunzelte kurz bei der Vorstellung einer Verwechslung. Dann nahm sie vorsichtig den Rasierer aus dem Schrank und sah sich die Klingen an. Schwarze Bartstoppel hafteten daran. Automatisch fuhr sie mit dem Zeigefinger darüber. Ein kurzer Schmerz bewies ihr ihre Dummheit. Blut drang aus der Fingerkuppe und benetzte die Klinge.
„Mist," murmelte sie und drehte das Wasser auf um den Rasierer abzuspülen.
Dann legte sie ihn vorsichtig zurück. Ihren Finger hielt sie unter den kalten Wasserstrahl bis der Schmerz nachließ. Während dem Händeabtrocknen fiel ihr Blick auf seinen Bademantel der nun wieder an der Tür hing. Sie zögerte, dann warf sie alle Skrupel beiseite und nahm ihn vom Haken. Als sie hineinschlüpfte wusste sie dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte.
Snape war ja erst vor ein paar Minuten gegangen. Sie würde den Mantel bevor er zurückkam wieder an den Haken hängen. Er würde nichts merken. Hermine vergrub ihre Nase abermals in dem dunklen Stoff und atmete tief ein. Es war betörend. Sie kuschelte ihre Wange in das Material und ihre Gedanken gingen auf eine sinnliche Reise. Dass der Mantel viel zu lang war störte sie nicht im Geringsten. Im Gegenteil, so konnte sie ihren ganzen Körper damit regelrecht umschlingen.
Völlig benommen von Snapes Geruch ging sie zurück ins Schlafzimmer. Sie ließ sich rückwärts auf das Bett fallen und schloss die Augen. Ein Tagtraum nach dem anderen schlich sich in ihren Kopf und sie vergaß alles um sich herum...
„Bin wieder da...Hermine? Was machen Sie da?" war das nächste was sie hörte.
Diese Stimme hatte auch in ihren Tagträumen gesprochen. Zärtlich, erotisch sogar!
Aber jetzt klang sie irgendwie nüchtern. Hermine riss die Augen auf. Verdammt, sie war eingeschlafen. Und nun war genau das passiert was sie unbedingt hatte vermeiden wollen. Er sah sie auf dem Bett liegen – in seinem Bademantel!
Sie setzte sich schnell auf und wollte etwas sagen, aber ihre Stimme versagte. Snape stand da und sah auf sie hinab. „Wie ich sehe haben Sie ein Verhältnis mit meinem Bademantel," sagte er mit seltsam brüchiger Stimme.
„Ich...ich..." begann sie und brach dann wieder ab.
„Er steht Ihnen gut," sagte er und setzte sich neben sie.
Hermines Herz drohte stehenzubleiben. Sie sah ihn nur an, unfähig etwas zu erwidern. Er hob langsam die Hand und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Hermine hatte den Atem angehalten. Seine Augen blickten in die ihren und zum ersten mal fiel ihr auf wie warm das Dunkle darin sein konnte. Snapes Hand wanderte von ihren Haaren zu ihrer Wange und er legte den Daumen an ihre Lippen und fuhr die Konturen damit nach.
Unfähig sich auch nur zu rühren genoss sie seine Zärtlichkeit während irgendwo in ihr drin ein Sturm zu toben begann.
Durch das Hämmern ihres Herzens hörte sie seine Stimme, die nun leise aber sehr eindringlich sprach:
„Sie sind noch sehr jung Hermine. Was immer Sie in mir sehen, Sie werden bald erkennen dass es nur eine Illusion war. Sie werden einem jungen Mann begegnen, dem Sie viel zu geben haben. Ich hoffe dass Sie nicht enttäuscht werden. Von mir wären Sie es...ich habe Ihnen nichts zu bieten. Außer Schmerz und Leid. Seien Sie klug und halten Sie sich in Zukunft von mir fern."
Kaum hatte er zu ende gesprochen nahm er seine Hand weg, stand auf und verließ das Zimmer. Hermines Gedanken fuhren regelrecht Karusell. Sie war ihm so nah und doch unendlich weit von ihm entfernt. Sie vergrub den Kopf in ihren Armen und begann zu weinen.
Die Nacht verlief ohne weitere Zwischenfälle.Hermine war nach einiger Zeit eingeschlafen. Als sie am morgen erwachte wanderte ihr Blick auf die andere Seite ihres Bettes. Er lag nicht neben ihr.
Als sie ihre Sachen gepackt und sich umgezogen hatte klopfte sie an die Wohnzimmertür. Auf eine gemurmelte Erwiderung von ihm betrat sie den Raum und sah ihn an seinem Schreibtisch sitzen.
Die dunklen Ringe unter seinen Augen waren ihr Beweis genug warum er diese Nacht nicht geschlafwandelt war.
Sie fühlte sich sehr beschämt. Wäre sie doch bloß schon gestern wieder in ihr eigentliches zu hause zurückgekehrt. Es hätte einen peinlichen Zwischenfall verhindert und ihn nicht um seinen Schlaf gebracht.
Hermine schnitt es ins Herz ihn so erschöpft zu sehen. „Ich gehe jetzt zurück in meinen Turm. Vielen Dank für alles." Sie wartete auf irgendeine Erwiderung von ihm, aber er schwieg. „Ähm, ich schließe Sie dann heute abend ein," fügte sie lahm hinzu.
Er sagte immer noch nichts. Dann öffnete er eine Schublade und holte ihren Zauberstab hervor. Hermine schlug sich gegen die Stirn. Wie hatte ihr das passieren können? Als sie ihre Sachen gepackt hatte war ihr nicht einmal aufgefallen dass ihr Zauberstab nicht dabei war.
Er hatte ihn an sich genommen. Eigentlich erwartete sie eine Zurechtweisung von ihm wegen ihrer Unachtsamkeit, aber nichts dergleichen geschah.
„Ich wollte ihn so verwandeln dass er einen Piepston von sich gibt wenn ich möchte dass Sie mir die Tür aufschließen, aber dann habe ich gedacht dass es nicht gut ist da Sie ja in einem Schlafsaal schlafen in dem noch einige ihrer Mitschülerinnen sind."
„Ist doch egal...mir wird schon eine Ausrede einfallen. Könnte ja ein Muggelwecker sein," sagte Hermine.
Snape nickte kurz.„Mir ist was besseres eingefallen. Aber ich brauche dazu Ihr Einverständnis..."
„Das ist ja mal was ganz neues," sagte Hermine und es klang überraschend bissig.
Er taxierte sie kurz.
„Nun lassen Sie schon hören," sagte sie dann nachgiebiger.
„Also es handelt sich um eine Projektion...auf Ihrer Netzhaut."
Hermine sah ihn entgeistert an. „Das klingt irgendwie sehr...naja, gefährlich," sagte sie zögernd.
„O.K. Vergessen Sie es einfach," sagte er und hielt ihr den Zauberstab hin.
Sie nahm ihn nicht. „Erklären Sie es mir," forderte sie. Er zog den Stab zurück und legte ihn vor sich auf den Tisch. „Sie müssen das nicht. Schließlich werde ich ohnehin keine Hilfe benötigen. Wir lassen es einfach so. Sie schliessen mich ein und morgens schliessen Sie wieder auf. Fertig!"
Hermine wurde ärgerlich. „Ist gut. Trotzdem möchte ich dass Sie es mir erklären!"
Er schnaubte. Dann siegte der Lehrer in ihm. „Also gut. Das funktioniert folgendermassen: Ihr Zauberstab hat von mir ein Signal eingezaubert bekommen das von mir gesteuert werden kann. Allein durch die Kraft meiner Gedanken kann ich ihn aktivieren. In diesem Fall sendet er ein Signal auf Ihre Netzhaut. Es ist so hell dass Sie es in jedem Fall bemerken werden ohne dass jemand anderes irgendetwas bemerkt. Selbst im Schlaf würden Sie es sehen können. Aber es funktioniert nur wenn der Zauberstab es einmal in Ihre Netzhaut eingebrannt hat. Dies ist nicht schmerzhaft. Und ausserdem kann es wieder rückgängig gemacht werden. Darauf habe ich natürlich geachtet. Aber wie gesagt Sie müssen das nicht tun...es ist auch nicht notwendig."
Hermine nickte langsam. Alles war vorbereitet. Die Entscheidung lag allein bei ihr. Mit einer schnellen Bewegung nahm sie ihren Zauberstab vom Tisch und hielt ihn sich selbst vor das Gesicht. Ein Blitz traf ihre Augen und sie sah einen roten gewaltigen Drachen vor ihren Augen auflammen. Dann verschwand er wieder und alles war als ob nie etwas gewesen sei. Sie sah ihren Lehrer zögernd an. Seine Miene war undurchdringlich.
„Danke," sagte er dann plötzlich und erhob sich.
„Sie sollten jetzt gehen." Hermine nickte verwirrt und packte ihren Zauberstab in die Tasche. Dann ging sie zur Tür und öffnete sie. Sie wandte sich noch einmal zu ihm um.
Er war ihr nicht zur Tür gefolgt. Aber sein Blick ruhte auf ihr.
„Wenn es nach mir geht werden Sie dieses Zeichen niemals wieder sehen. Machen Sie sich also keine unnötigen Sorgen. Schliessen Sie meine Tür abends ab und morgens wieder auf. Nur noch gut eine Woche Hermine, dann sind Sie mich los..."
Hermine nickte betreten.
Dann schloss sie die Tür hinter sich und eilte den Gang entlang und die Treppen nach oben in ihr wirkliches Leben zurück.
TBC
