Part IV: Silent feelings

Es war mitten in der Nacht, als Tyson mit einem lautlosen Schrei aus seinem unruhig gewordenen Schlaf hochfuhr. Schon die Stunde zuvor hatte er sich ruhelos hin- und hergewälzt, gefangen wieder einmal in einer seiner Visionen der Zukunft. Nun war er wach, doch nicht etwa beruhigt.

Dunkelblaue Augen blickten gehetzt und mit großer Pein in ihren seelenvollen Tiefen in das ihm im ersten Augenblick unbekannte Zimmer hinein, bevor Tyson sich erinnerte, daß er ja bei Kai Zuhause übernachtete. Tief durchatmend legte sich der junge Mann die rechte Hand auf die Brust, um seinen rasenden Herzschlag wieder zu normalisieren.
Tyson spürte das unkontrollierbare Zittern, das seinen schlanken Körper beben ließ wie ein loses Blatt in einem Gewittersturm, aber er war nicht in der Lage, sich wieder zu beruhigen. Noch zu lebendig waren die Bilder, die er während seiner Traumvision 'gesehen' hatte – zu sehr fürchtete er, eben diese Bilder könnten grausame Realität werden.

Ungezählte Minuten lang saß der Blauhaarige zitternd auf der Couch, auf das Kai ihn am Abend gebettet hatte und kämpfte um seine Beherrschung, sein emotionales Gleichgewicht. Er wußte, genau jenes würde er nämlich bald am dringendsten brauchen. Sein Gleichgewicht.
Aber mehr noch – er brauchte einen Halt. Etwas, was ihm genug Kraft gab, diese Prüfung, welche ihn erwartete – die seine Geburt ihm auferlegt hatte – durchzustehen.

Und wie magnetisch angezogen, blieben Tysons Augen an Kais ruhig schlafender Gestalt hängen. Der Ältere hatte sich in dem Sessel nahe der Couch zusammengerollt und wirkte völlig entspannt. Kai schlief so ruhig, daß Tyson spürte, wie unwillkürlich auch er wieder ruhiger wurde. Gelassenheit und innerer Friede strahlten von seinem Teamchef aus, woben ein Netz aus Sicherheit um den Blauhaarigen, welcher dieses unbewußte Geschenk seines Freundes dankbar annahm.

Vorsichtig, um Kai nicht aufzuwecken, bewegte sich Tyson und erhob sich geschmeidig von der Couch. Instinktiv griff der blauhaarige junge Mann nach der Decke, mit welcher Kai ihn zugedeckt hatte und breitete sie dann über den Älteren. Als er dabei in einem unbewußten sanften Streicheln leicht Kais Arm berührte, glitt wie ein Schatten ein Lächeln über dessen Züge.

Tyson sah das Lächeln und fühlte, wie Wärme in seinem Herzen erblühte. Kai war so schön, wenn er völlig entspannt war und nicht versuchte, seine Gefühle hinter einer Maske zu verbergen. Die Sanftheit des Älteren hatte Tyson am vorigen Abend sehr geholfen, auch wenn die Sorge hinter Kais Handlungen ihn zuerst etwas überrascht hatte.
Sich neben dem Schlafenden hinkniend, blickte Tyson seinem Teamcaptain sinnend eine Weile einfach nur beim Ruhen zu, bevor er sanft mit einer Hand über dessen Gesicht strich und flüsterte: "Mögen deine Träume friedlich und wunderschön sein, Kai. Ich bitte die Mächte, daß sie dir immer wohlgesonnen sein mögen, dich stets behüten und vor Unheil bewahren...denn vielleicht... vielleicht bin ich bald nicht mehr in der Lage, dir länger beizustehen."

Bei diesem Gedanken fuhr ein scharfer Schmerz durch Tysons Herz und seine Stimme versagte. Er brauchte eine Weile, bis er weitersprechen konnte. Kai mit tieftraurigen, dunklen Augen ansehend, fuhr Tyson leise fort: "Ich wünschte, ich könnte dir erzählen, was in der Zukunft lauert, Kai. Doch dann wärest du ebenso in Gefahr... mein Geheimnis könnte dich vielleicht zu einem grausamen Schicksal verdammen.
Dabei ist es mein größter Wunsch, daß du glücklich bist, Kai. Du hast schon so viel Schmerz erfahren...so viel ungerechtfertigte Härte und Leid durchstehen müssen – ich würde ohne zu zögern meine ganze Macht dafür geben, daß du sicher bist und glücklich leben kannst. Du sollst nicht mehr leiden, melethron. Nie mehr."

Mit diesen Worten strich Tyson Kai zärtlich das Haar aus dem Gesicht und hauchte ihm einen Kuß auf die Stirn, bevor er wisperte: "Schlaf, Kai. Und träume süß."
Dann richtete sich der junge Mann wieder auf, richtete die Decke noch ein wenig, damit sie Kais muskulöse Gestalt wärmend einhüllte und drehte sich dann herum, um mit lautlosen Schritten durch das dunkle Zimmer auf das große Fenster zuzutreten.

Er bemerkte nicht, wie sich karmesinrote Augen langsam öffneten und ihn mit einem nachdenklichen Ausdruck nachblickten. Kai war in dem Moment aufgewacht, in dem Tyson sanft die Decke über ihn breitete und dann leise zu ihm zu sprechen begann. Er hatte sich seltsam geborgen in Tysons unmittelbarer Nähe gefühlt und daher den Anschein aufrechterhalten, daß er tief und fest schlief.

Es war noch zu ungewohnt für ihn, derartig zu empfinden, daß er nicht wußte, wie er sich Tyson gegenüber hätte verhalten sollen, wenn er zugab, wach zu sein. Daher hatte er gleichmäßig und ruhig weitergeatmet und Tyson zugehört bei dem, was der Blauhaarige ihm in so melancholischem Tonfall anvertraute.
Es tat Kai weh, daß Tyson glaubte, er müsse dieses Geheimnis tief in sich verbergen, um niemandem zu schaden. Doch gleichzeitig war ihm auch klargeworden, daß Tyson ihn – und ihre drei Freunde – nur schützen wollte. Schützen vor dem, was ihn bedrückte...was er auf sich selbst zukommen sah.

Das war so typisch für seinen jüngeren Freund, daß Kai am liebsten geseufzt hätte. Doch im selben Moment war es gerade diese Sorge, die Tyson für alle seine Freunde empfand, welche Kais Zuneigung für ihn weiter verstärkte.
Wechselnde Gefühle durchströmten den jungen Mann mit dem blaugrauen Haar, als er nun mit den Augen Tysons Gestalt dabei folgte, wie sich der jüngere Blader mit unbewußter Anmut seinen Weg durch das tiefschwarze Zimmer suchte.

Kai wunderte sich, wie es Tyson möglich war, sich so sicher zu bewegen, trotz der Dunkelheit...es war, als könne der Blauhaarige die Hindernisse fühlen, bevor er mit ihnen zusammenstieß. Eine Fähigkeit, die Tyson im normalen Leben selten demonstrierte – im Zusammensein mit ihren Freunden war er manchmal fast ein wenig tolpatschig.
'Noch etwas, was Tyson von seinem wahren Ich verbirgt', fuhr es Kai durch den Sinn.

Als er seinen Freund schließlich in den sanften Mondschein treten sah, welcher durch das Fenster hereinfiel, stockte Kai für einen Moment der Atem. Tyson wirkte fast ätherisch, wie das silberne Mondlicht ihn mit einer weichen Aura umgab und die schlanke Gestalt umfloß. Das mitternachtsblaue Haar floß offen über Tysons Rücken und glänzte seidig im auf die weichen Strähnen fallenden silbrigen Licht.
Auch die Kleidung, welche Kai Tyson ausgeliehen hatte, trug harmonisch zu dem wunderschönen Anblick bei. Das Silbergrau der Hose sowie der Weste nahm die Strahlen des Mondlichtes ebenso auf wie das weiße Shirt – zusammen ließ es Tyson von innen heraus leuchten. Eine geheimnisvolle Macht ging von dem Blauhaarigen aus, die Kai unwillkürlich anzog.

Dann seufzte Tyson kaum hörbar auf und lehnte den Kopf gegen die kühle Glasscheibe, als müsse er seine Gedanken beruhigen oder brauche Halt. Und im nächsten Moment strahlte ein neues Licht auf, als Kai ein zweites Mal Zeuge wurde, wie Dragoon – ohne von Tyson explizit wie während eines Beyblade-Matches gerufen worden zu sein – aus seinem Blade erschien und sich ohne Zögern um den schlanken Körper seines menschlichen Partners wand.

Das Mondlicht fing sich in dunkelblau glänzenden Schuppen und dunkelblau schimmerndem Haar, ebenso wie in den grauweißen Teilen von Dragoons Panzerung, als der Drache seinen mächtigen Schädel auf Tysons Schulter ablegte und leise grollte.
Kai war unwillkürlich fasziniert von der wilden Schönheit, die Tyson und sein geliebtes Bit-Biest gemeinsam ausstrahlten... wild nicht in bedrohlicher Form, sondern ihre ungezähmte, aber von Freundlichkeit und Güte geleitete Kraft.
Sie strahlten Harmonie, aber auch Magie aus.

Eine Einheit aus Stärke, die nicht nur physisch, sondern auch emotional war. Dieses Bild würde Kai nie wieder vergessen, da war sich der junge Mann ganz sicher. Und er wollte es auch nicht mehr vergessen, denn er fühlte sich tief in seiner Seele davon berührt, daß er, wenn vielleicht auch ungewollt, Zeuge von etwas derart Schönem werden durfte.

Ohne sich zu regen, verfolgte der Teamcaptain der Bladebreakers in den nächsten Minuten, wie Dragoon Tyson aufmunternde 'Worte' zugrollte, bis der Blauhaarige plötzlich lächelte und den Kopf gegen den Schädel seines Drachen legte.

"Danke, Freund meiner Seele", wisperte Tyson Dragoon dann zu. "Du weißt, was ich fühle...nur dir allein ist bewußt, wie schwer die Verantwortung wirklich ist... wie groß meine Angst zu versagen. Und dennoch stehst du mir treu zur Seite, Sturmgeborener...dafür danke ich dir aus tiefster Seele."
Tyson seufzte auf.

"Kai macht sich Sorgen und gibt soviel von seiner sonstigen Zurückhaltung für mich auf, damit ich ihn an meinen Problemen teilhaben lasse...ich fühle mich schuldig, daß ich mich nicht traue, sein Geschenk mit der ganzen Wahrheit zu erwidern. Er hätte es verdient, sie zu wissen...doch gleichzeitig habe ich Angst, ihn damit in Gefahr zu bringen, Dragoon.
Ich würde es nicht verkraften, würde ihm – oder meinen anderen Freunden – etwas zustoßen, weil ich zu schwach bin, mich meinem Schicksal zu stellen. Und ich habe Angst, wie sie alle reagieren würden, wüßten sie, wer ich wirklich bin. Was ich bin."

Tyson wandte Dragoon seinen Kopf zu und sah dem weisen Drachen mit verzweifeltem, bittenden Blick in die stahlblauen Augen.
"Was meinst du, würden sie es verstehen? Mehr noch, würden sie verzeihen? Bei mir bleiben, trotz der Gefahr, in die sie sich begeben würden? Dürfte ich das überhaupt verlangen, nachdem ich ihnen die Wahrheit so lange vorenthalten habe? Es wäre egoistisch, doch ich...ich brauche sie.
Ich brauche sie mehr, als ihnen bewußt ist. Ihre Freundschaft, ihre Stärke...ihre Liebe. Sie machen mich stark, vielleicht sogar stark genug, um das Schicksal zu wenden und das Unheil aufzuhalten."

Erneut seufzte Tyson tief auf und Dragoon grollte mitfühlend. Der weise, alte Drache spürte die Seelenqual seines menschlichen Gegenstücks und versuchte alles, was in seiner nicht geringen Macht lag, ihn zu trösten.

Doch Dragoon war im Gegensatz zu Tyson bewußt, daß Kai sie – wie schon auf dem Kreuzfahrtschiff – beobachtete und ihrer 'Unterhaltung' lauschte. Und dem Drachen war das nur Recht, den er wußte, wie viel Tyson an Kai lag – und er konnte auch die sich langsam entwickelnden tiefen Gefühle von Kai für seinen menschlichen Partner spüren.
Dragoon wollte, daß Kai von Tysons Ängsten wußte, damit der Ältere begriff, wie sensibel die Seele unter dem starken, fröhlichen Äußeren des Blauhaarigen war. Wie verletzlich. Kai sollte erkennen, daß sein Freund viele Eigenschaften besaß, die ihn besonders machten...dennoch aber genauso fühlte wie ein ganz normaler Mensch. Ein Mensch, der Hilfe und Verständnis für den großen Kampf benötigte, in den er bald ziehen würde. Ziehen mußte.

Und Kai begann zu begreifen, während er Tysons Geständnis Dragoon gegenüber zuhörte. Was er zu ahnen begonnen hatte, als Tyson am Abend weinend in seinen Armen zusammenbrach, gewann an Klarheit nach dessen Worten. Und Mitgefühl und tiefe Freundschaft wallten in dem älteren Blader auf, daß Tyson so unsicher war, wie sie ihm gegenüber reagieren würden, wenn er ihnen sein Geheimnis schließlich enthüllte. Doch er würde das Versprechen nicht brechen, welches er seinem schlafenden Freund gegeben hatte – er würde sich nicht von ihm abwenden – egal, was geschah.

Dragoon spürte Kais Entschluß und grollte zufrieden in sich hinein, doch als der Teamchef der Bladebreakers sich regen wollte, um Tyson seine Hilfe nochmals durch Worte anzubieten, brachte der Drache ihn mit einem Blick aus stahlblauen, weisen Augen zum Erstarren. Kai war völlig gefangen in dem Leuchten der alten Augen des Bit-Biests und spürte, daß Dragoon die Zeit für diese Handlung noch nicht für gekommen hielt.
Jetzt war erst einmal wichtig gewesen, daß er begriff. Zuerst zögerte Kai, da er Tyson gern getröstet hätte, doch dann nickte er Dragoon zu und überließ es für's Erste dem Drachen, ihrem Freund Beistand zu leisten.

Tyson hatte von ihrer Interaktion nichts mitbekommen, da er zu tief in seinen eigenen Gedanken versunken war, welche ihn schon seit Tagen plagten. Die Visionen fraßen an seiner Seele, ebenso wie die Furcht vor der Zukunft. Dragoons Unterstützung gab ihm unendlich viel Kraft, doch Tyson hoffte, auch
von anderer Seite Hilfe zu bekommen.

Er schrak leicht zusammen, als Dragoon auf einmal gedämpft zu singen begann. Für fremde Ohren mochte der Gesang des Drachen seltsam klingen, doch für Tyson war es eine wundervolle Melodie. Dragoons leises Grollen klang wie ein sanftes Gewitter und erinnerte Tyson an den Tag, an dem sie sich das erste Mal getroffen hatten. Nicht ihre erste physische Begegnung, sondern das Treffen ihrer Seelen vor vielen Jahren.

Damals war der junge Mann auf der Suche gewesen nach einem Teil von sich selbst, den er bis dahin stets schmerzlich vermißt hatte – und hatte während einer seiner Wanderungen plötzlich den Gesang des Drachen vernommen, der ihn wie magisch anzog. Und dann hatte er Dragoons Geist mit dem seinen berührt, als er instinktiv den antwortenden Gesang anstimmte. Ihr gemeinsames Lied hatte sie auf ewig aneinandergebunden, als sie spürten, daß sie einen Seelenpartner in dem anderen gefunden hatten.

Ein sanftes Lächeln breitete sich bei der Erinnerung an jenes überwältigende Erlebnis auf Tysons Zügen aus, bevor er leise in das Lied einstimmte. Sein melodischer, warmer Bariton mischte sich mit dem tiefen Baß von Dragoon und gemeinsam webten sie eine Geschichte von Freundschaft und geteilter Seelenkraft.
Mit der Zeit wurde Tysons Stimme kräftiger, als er in der beruhigenden Welt der Musik versank.

Er hatte es schon immer geliebt, der Melodie des Windes zu lauschen, dem Rascheln der Blätter in den Wäldern seiner Heimat, dem Sprudeln der klaren Wasser...überall gab es Musik. Das Wispern in den Blättern der Bäume erzählte eine jahrtausendelange Geschichte, während das helle Singen der Vögel von immer wiederkehrender Jugend sprach.
Und so hatte es Tyson seit frühester Jugend geliebt, seine Stimme den Melodien der ihn umgebenden Umwelt harmonisch hinzuzufügen und damit seine eigene Geschichte preiszugeben, wissend, daß er dort akzeptiert wurde, wie er war. Musik war für den Blauhaarigen eine Zufluchtsstätte, die ihm niemand rauben konnte, wie hart das Schicksal auch mit ihm umsprang. Es heilte die Wunden, die das Leben ihm schlug und tröstete ihn in düsteren Stunden.

Völlig versunken in sein Lied merkte Tyson nicht, wie Dragoon verstummte und Kai ihn mit großen Augen ansah. Der Teamchef der Bladebreakers fühlte sich an die wunderbare Melodie erinnert, die sein jüngerer Freund den Tag zuvor während des Gewitters auf seiner Flöte gespielt...doch ihn jetzt singen zu hören mit so viel tiefempfundenem Gefühl trieb Kai fast die Tränen in die Augen.
So viele Gefühle schwangen in jedem einzelnen sanften Ton mit...Trauer, Angst, Unsicherheit...aber auch innere Stärke, Freude, Liebe am Leben. Tysons wundervolle Melodie erzählte, was ihn bewegte.

Schweigend lauschte er und versuchte zu verstehen, was sein Freund mit seinem Lied ausdrückte. Und ein wenig gelang es ihm auch, denn Kai ließ sein Herz lauschen, nicht seinen Verstand. Etwas, was Tyson ihn gelehrt hatte. Horche mit dem Herzen und du wirst begreifen, was deine Freunde dir sagen wollen.

Schließlich aber hüllte ihn die sanfte, leicht melancholische, jedoch wunderschöne Melodie völlig ein und lullte ihn zurück in einen ruhigen Schlaf, ohne daß Kai es überhaupt mitbekam. Denn trotz der Schwermut, welche tief in der Melodie mitschwang, war das Lied, welches Tyson sang, voll innerer Schönheit und Kraft. Es zeigte – von dem Blauhaarigen unbeabsichtigt – die Stärke seiner Seele und seines Herzens.
Und dies hüllte Kai in solche Geborgenheit und Wärme, daß dieser sich völlig entspannte und daher einschlief, während er Tyson lauschte. Etwas, was ihm noch nie zuvor passiert war in seinem Leben.

Daher war es auch verständlich, daß Kai verwirrt blinzelte, als er Stunden später durch die Sonnenstrahlen, die ihm über das Gesicht kitzelten, erwachte. Dann erinnerte er sich an den vergangenen Abend und das, was er mitten in der Nacht miterlebt hatte. Unwillkürlich flog sein Blick zur Couch, wo er Tyson schlafend vorzufinden erwartete. Doch der Blauhaarige war nirgends im Zimmer zu entdecken, was Kai beunruhigte, so daß der junge Mann hastig aufsprang und nach seinem Freund zu suchen begann.

Schließlich fand er ihn in der Küche, wo Tyson mit Molly sprach und die mütterliche Frau durch seine natürliche Freundlichkeit und Ausstrahlung bezauberte. Molly hatte selbst mehrere Kinder und spürte, daß den Jungen etwas bedrückte und ihn offensichtlich sehr traurig machte, obwohl seine warmen dunkelblauen Augen sie voller Schalk anfunkelten, als er ihr mit lebendigen Gesten von den Erlebnissen seines Teams während der vergangenen Weltmeisterschaften im Beybladen erzählte.

Die Stärke, die in ihm wohnte, war Tyson gar nicht bewußt, folgerte Kais Haushälterin mit viel Menschenkenntnis. Doch sie hatte mitbekommen, wie Kai auflebte, wenn Tyson in seiner Nähe war – wie sich unmißverständliche Sanftheit in die sonst leicht reserviert blickenden karmesinroten Augen schlich, wenn ihr Blick auf dem Blauhaarigen landete.
Kai hatte sich durch die Freundschaft mit Tyson – und auch dem Rest der Bladebreakers – sehr verändert, dies konnte Molly ohne Schwierigkeiten erkennen. Und sie erkannte auch, daß die Gefühle des jungen Mannes, dem sie den Haushalt führte und den sie wie eines ihrer eigenen Kinder ins Herz geschlossen hatte, langsam tiefer als Freundschaft zu gehen begannen.
Eine gute Entwicklung, sagte sie sich.

Für beide – sowohl Tyson als auch Kai. Sie brauchten einander, auch wenn sie sich vielleicht dieser Tatsache noch nicht völlig bewußt waren. Sie ergänzten einander perfekt, selbst wenn sie auf den ersten Blick wie die größten Gegensätze wirkten, die es geben konnte. Innerlich waren sie die zwei Hälften eines Ganzen.

Daher lächelte Molly auch leise in sich hinein, als sie Kai bemerkte, der in der halbgeöffneten Tür zur warmen Küche stand und seinen blauhaarigen Freund mit einem von ihm unbemerkten sanften Gesichtsausdruck dabei beobachtete, wie er den Teig für Blaubeerpfannkuchen vorbereitete.

Kochen und backen war – ebenso wie bei Kai – nicht unbedingt Tysons Stärke, doch der junge Mann wußte von der geheimen Vorliebe seines Teamcaptains für Blaubeerpfannkuchen. Daher hatte er Molly gebeten, daß sie gemeinsam welche backen würden – als kleines Dankeschön für Kais Hilfe und Verständnis am vorigen Abend.

Molly hatte nur zu gern zugestimmt, einerseits weil sie stets gern etwas tat, um dem zu ernsten jungen Mann mit dem blaugrauen Haar eine Freude zu bereiten. Andererseits spürte sie jedoch auch, daß Tyson tiefergehendere Gründe für seine Bitte hatte. Und...sie hätte dem Jungen sowieso nichts abschlagen können, wenn er sie mit seinen tiefblauen Augen so bittend ansah.
Da war etwas an Tyson, was ihm sofort einen Platz in Mollys Herzen gesichert hatte.

Als Tyson gerade den Teig für das zweite Blech mit Pfannkuchenteig auf dem Backblech verteilte, klingelte auch schon der Backofen, um anzuzeigen, daß die erste Ladung köstlicher Pfannkuchen fertig war. Tyson blickte auf und lächelte freudig, als Molly das Blech dampfender Pfannkuchen aus dem Ofen nahm und vor ihm auf dem Tisch abstellte, bevor sie ihm das zweite aus der Hand nahm und dann in den Ofen schob.

"Hmm, lecker", murmelte Tyson und schnupperte genüßlich.
Auch Kai in der Tür roch den köstlichen Duft und spürte, wie hungrig er auf einmal war. Er hatte keine Ahnung, wie Molly und Tyson ausgerechnet auf die Idee gekommen waren, Blaubeerpfannkuchen zu backen – doch er würde einem seiner Lieblingsgerichte nicht aus dem Weg gehen. Die Küchentür leise weiter aufschiebend, ging er mit lautlosen Schritten auf Tyson zu, der ihn nicht kommen sah, da er gerade die heißen Pfannkuchen zum Abkühlen auf einen Teller legte.

Doch obwohl Kai von hinten an seinen Freund herantrat, schien dieser seine Gegenwart zu spüren, denn er drehte sich plötzlich um und lächelte Kai dann strahlend an. Als es in den ozeanblauen Augen bei seinem Anblick so freudig aufblitzte, stockte Kais Herz für einen Schlag, bevor es plötzlich viel schneller zu schlagen begann als zuvor.

Tysons Lächeln war immer etwas Besonderes für Kai gewesen, selbst, als er noch nicht zugelassen hatte, selbst Freundschaft für den Blauhaarigen zu empfinden. Doch nun ließ das Gefühl und die Freude in eben diesem Lächeln seines Freundes ihm innerlich warm und ein wenig schwindlig werden.

Unfähig, nicht auf die Geste Tysons zu reagieren, lächelte Kai sanft zurück und setzte sich dann schweigend an den Küchentisch, auch, weil seine Beine unter der Macht der Emotionen, die Tyson unbewußt in ihm auslöste, weich wurden.
Während Tyson Kai daraufhin gleich mehrere der Blaubeerpfannkuchen auf einem Teller hinschob und dieser einen hungrigen Blick auf seine Lieblingsspeise nicht unterdrücken konnte, beobachtete Molly schweigend und mit einem leicht amüsierten Lächeln die Interaktionen der beiden jungen Männer.

Sie waren so unglaublich süß zusammen, jeder instinktiv darauf bedacht, den Anderen zu erfreuen. Der eine durch das Wissen um eine als geheim geltende Sucht nach Blaubeerpfannkuchen, der Andere durch das langsame Zulassen seiner Gefühle.
Ein wirklich schönes Paar. Und wie geschaffen füreinander.

Molly genoß es, die beiden an ihrem Küchentisch sitzen zu haben und dabei zu beobachten, wie sie sich unterhielten. Es erstaunte sie schon ein wenig, wie Kai aus sich herausging in Tysons Gegenwart, während er die ihre fast vergessen zu haben schien und sich völlig auf seinen Freund konzentrierte.

Die Beiden hatten mittlerweile fast die Hälfte der Blaubeerpfannkuchen aufgegessen, wobei Kai ebenso zugelangt hatte wie Tyson. Doch der ältere Blader hatte einfach nicht widerstehen können beim Anblick des herrlich duftenden Gebäcks, das einem das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ.

Dann schlug plötzlich die große Standuhr auf dem Flur und Kai blinzelte ein wenig erstaunt, als ihm klarwurde, daß es schon fast Mittagszeit war.
Als er aber murmelte: "Es ist schon elf...", schreckte Tyson so plötzlich zusammen, daß ihm fast die Kaffeetasse aus der Hand fiel.
"Elf?", entfuhr es ihm ebenso erstaunt Kai zuvor.

Seine Augen weiteten sich in Verblüffung, bevor er zur Bestätigung auf die Küchenuhr blickte und dann auf einmal hektisch von seinem Stuhl aufstand. "Opa bringt mich um", entwich es dem Blauhaarigen, als er sah, wie spät es war. "Ich muß los...verdammt, ich bin spät dran...dafür läßt er sich bestimmt etwas Gemeines einfallen, wie letztes Mal...", konnte Kai Tyson murmeln hören, als der Blauhaarige hastig den Tisch umrundete und dann durch die Küchentür verschwand.

Kai blinzelte verblüfft durch die plötzliche Hektik seines Freundes und tauschte einen Blick mit Molly, die ebenfalls zwischen Erstaunen und Amüsement hin- und herschwankte angesichts des plötzlichen Aufbruchs des Blauhaarigen. Anscheinend hatte er im Gespräch mit Kai völlig die Zeit vergessen, nahm sie an.

Kai kam zu einem ähnlichen Ergebnis und erhob sich langsam, um in den Flur zu treten. Sekunden später hörte er Tyson die Treppe herabkommen und auf ihn zueilen. Ein leichtes Gefühl von Enttäuschung durchfuhr den Teamcaptain der Bladebreakers, als er bemerkte, daß Tyson wieder seine eigenen Sachen trug, die über Nacht getrocknet waren. In dem Grau und Weiß der von ihm geliehenen Sachen hatte Tyson Kai besser gefallen, doch er behielt diese Meinung für sich.

"Entschuldige die Panik, Kai", sagte Tyson während er sich seine Schuhe anzog. "Doch Opa hatte für heute früh mal wieder ein Extra-Training angesetzt und er kann echt gemein werden, wenn ich dazu zu spät komme. Dann jagt er mich erbarmungslos eine Stunde länger und den Drill kann ich heute wirklich nicht gebrauchen. Daher beeile ich mich besser, um nicht ganz zu spät im Dojo anzukommen."

Kai lehnte inzwischen mit einem leichten Lächeln im Gesicht am Türrahmen zur Küche und schüttelte nun den Kopf, bevor er sagte: "Typisch für dich, Tyson. Pünktlichkeit ist eine Tugend, das müßtest du doch inzwischen wissen, mein Freund. Kein Wunder, daß dein Großvater zu solchen Mitteln greift, wie dir Extra-Training zu geben. Das sollte ich vielleicht auch mal wieder machen, unser Blade-Training war etwas lasch in letzter Zeit... und gestern habe ich es sogar ausfallen lassen, da ist ein Extra-Training wohl wirklich angemessen."
Ein kleines Teufelchen tanzte in den karmesinroten Augen und Kai konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als Tyson ihn für einen Moment geschockt anstarrte angesichts dieser Aussichten.

Ein Stöhnen entwich dem Blauhaarigen und er meinte flehentlich: "Hab Gnade, Kai! Noch mehr Training als das, was Opa mir heute sicher aufhalsen wird, überstehe ich nicht! Das kannst du mir nicht antun...", jammerte er übertrieben.
Kai grinste nur teuflisch, während er sein Lachen nur noch mit Mühe zurückhalten konnte. Tyson erkannte dies und schmollte, bevor er sagte: "Das war nicht nett, Kai...mich so zu erschrecken. Ich dachte schon, du hättest wirklich vor, uns Extra-Training aufzudrücken."

"Wir werden sehen", lächelte der Ältere und fühlte sich gut angesichts des freundschaftlichen Neckens, welches zwischen ihm und Tyson ausgebrochen war. Diese Seite an dem Blauhaarigen war er gewohnt und er gab vor sich selbst auch zu, daß er diese Eigenschaft von Tyson mochte. Oberflächlich gesehen
mochte sein Freund manchmal dadurch ein wenig kindisch wirken, doch Kai wußte, er tat dies nur, um seine Freunde aufzuheitern.

Als Tyson sich schließlich zum Gehen wandte, zeigte sich jedoch plötzlich wieder ein Teil seines anderen – wahren? – Ichs als der Blauhaarige Kai mit einem Mal in eine sanfte Umarmung zog und sich an den Älteren drückte. Kai war zu überrascht von ihrer plötzlichen Nähe und den Auswirkungen, die dies auf ihn hatte, als daß er zu einer Reaktion hätte fähig sein können. So schloß er nur automatisch die Arme um Tyson und ließ ihn gewähren.

Der jüngere Blader genoß für einige Augenblicke Kais wohltuende Wärme und die Akzeptanz, welche sein Teamchef ausstrahlte, bevor er seine Umarmung um Kai lockerte und diesen dankbar ansah. "Ich danke dir, Kai", flüsterte er. "Danke für deine Güte. Das werde ich dir nicht vergessen." Mit diesen Worten löste sich Tyson von dem Älteren, drehte sich um und eilte mit raschen Schritten davon.

Kai hingegen konnte sich für eine geraume Weile nicht bewegen und sah nur blicklos auf die Stelle, an der Tyson eben noch gestanden hatte. Er fühlte die Wärme, die Tysons Körper so nah an dem Seinen ausgestrahlt hatte, die Arme, die ihn so fest und sicher gehalten hatten. Sein Herz klopfte schon wieder in einem viel zu schnellen Takt und Gefühle von ungewohnter Heftigkeit durchströmten ihn.

Kai hätte nicht sagen können, wie lange er dort gestanden hatte, ohne zu bemerken wie die Zeit verging. Erst, als Molly ihm sanft die Hand auf die Schulter legte, schreckte er auf. Die Haushälterin lächelte ihn mütterlich an, als sie Kai zusammenzucken sah, als wäre er abrupt aus einer völlig anderen Welt gerissen worden.

Sie hatte die Umarmung gesehen, welche Tyson Kai geschenkt hatte und auch registriert, wie Kai darauf reagierte. Und als Tyson schließlich nach seinen leisen Worten fast flüchtete, hatte sie Kai beobachtet, wie dieser etwas verloren und verlassen wirkend vor sich hinstarrte. Das leichte Rot auf seinen Wangen und der verträumte, sanfte Ausdruck auf seinem Gesicht und vor allem in seinen Augen ließen Kai so jung wirken.
Und hoffnungslos verliebt.
Genauso wie Tyson.

Molly wußte, obwohl Tyson es gut zu verbergen verstand, daß der Blauhaarige seinem Teamcaptain sein Herz geschenkt hatte. Sie hatte es während des Gesprächs der Beiden am Küchentisch deutlich spüren können – es lag in jeder Geste des Bladers. Wie seine Augen leuchteten, wenn er Kai ansah. Wie er unbewußt die Nähe und Aufmerksamkeit des Älteren suchte. Sein strahlendes Lächeln, welches eine sofortige Antwort auf Kais Züge lockte. Etwas, was sonst niemand schaffte.

Hier hatten sich zwei Herzen gefunden und miteinander verbunden, auch wenn ihre Besitzer noch nicht soweit waren, es dem Anderen auch zu gestehen. Für einen aufmerksamen Beobachter war es aber klar ersichtlich.

Jedoch war Molly auch klargeworden, daß Tyson große Probleme mit sich herumtrug und sie wollte sichergehen, daß Kai deswegen etwas unternahm. Seine Sorge um seinen Teamgefährten war am Vorabend deutlich geworden, als er sich um diesen gekümmert hatte. Doch Molly wollte Kai nochmals ermuntern, Tyson zur Seite zu stehen – bei was auch immer den Blauhaarigen belastete.

Daher wurde der leicht amüsierte Ausdruck in ihrem Gesicht bei dem Anblick, wie Kai verlegen erröte, als er sie bemerkte, wieder ernster und sie sagte: "Paß auf ihn auf, Kai. Er braucht dich."

Die verlegene Röte wich angesichts dieser bittenden Worte aus Kais Zügen und er drehte den Kopf kurz in Richtung der Tür, durch die Tyson verschwunden war. Dann blickte er Molly wieder an und sie sah die Entschlossenheit und den Beschützerinstinkt in den karmesinroten Augen des jungen Mannes.

Kai würde alles für Tyson tun, wurde Molly bewußt, als sie die Emotionen in Kais Augen sah. Er würde ihn beschützen.
Und Sekunden später bestätigten Kai dies. "Das werde ich. Er ist nicht allein und das weiß er auch. Wenn Tyson bereit ist, von seinem Problem zu erzählen, werde ich ihm zur Seite stehen. So, wie er es von Anfang an immer getan hat."

Kais Worte klangen wie ein Schwur – und das waren sie auch.

Das war's für dieses Mal auch schon wieder. Im nächstes Kapitel kommt dann endlich (?) die Erklärung für Tysons Traurigkeit und Angst. Was glaubt ihr, wie werden seine Freunde reagieren? Wird Kai sein Versprechen halten?
Wartet es ab – oder besser, schickt mir ein Kommi! Dann schreibe ich auch ganz schnell weiter!

Herzlichen Dank für die Reviews für das letzte Chap! Und Rah-chan, auch wenn Tyson und Tala ein wirklich passendes Bruderpaar wären (Ideen kriegt), wird mein Lieblings-Rotschopf in dieser Geschichte jedoch keinen Auftritt haben. Sorry!

Bis demnächst,

Dragon's Angel