Die gestandenen Männer zögerten erst einen Moment, als wäre die ganze Affäre nur
ein kranker Witz, um die niedergeschlagene Stimmung zu verbessern und somit
endlich ein paar Siege im Spiel der Könige zu erhalten, aber nach ein paar
Sekunden faßte sich einer von ihnen, ein schokoladenbrauner Inder mit einem
brilliantweißem Turban, ein Herz.
"Ich öffne den Kanal, Sir." Sofort klang aus den Lautsprechern der verhaßte
Akzent, den die loyale Dienerin ihrer Majestät so verabscheut, nicht weil die
Lippen, von denen die Worte rollten deutsch waren, sondern weil die Lippen
eigentlich verrottet und würmerzerfressen in einem der vielen östlichen
Massengräbern verfaulen sollte.
"Und? Haben sie es sich überlegt, General?" "General? Ich wußte gar nicht, dass
sie so eine Wertschätzung, für mich hegen, Herr Major." "Ah, das Fräulein
Hellsing! Wie schön, dass sie ihren dummen Stolz überwinden konnten und doch wie
ein zivilisierter Mensch-"
"Ironie des Schicksals, dass gerade sie vom Menschsein reden." Sagte die ledige
Frau in Ton so trocken, wie der 7. Kontinent, so spöttisch, dass selbst ein
Buddha daran zerbrochen wäre.
"Manchmal sind die Monster auch die besseren Menschen." "Sie haben doch gar
keine Ahnung, was es bedeutet, Mensch zu sein. Sie haben ihr altes Leben doch
mit Freuden hingeben, um ein Nichts zu sein." "Nicht Mensch, nicht Untoter,
sondern mehr. Ich und meine Männer haben erreicht, was ihnen immer verschlossen
sein wird. Wir haben mehr Kraft, mehr Geschicklichkeit, mehr Wissen erhalten und
was noch viel wichtiger ist: wir haben Zeit erhalten." "Zum welchem Preis? Sie
haben so viel verloren, was sie nie wieder haben können. Wechselt man einmal die
Seite des Flusses, so läßt sich keine Brücke über ihn mehr spannen." "Das ist
auch gar nicht nötig, wenn man Schwimmen kann. Ich habe eine wahre Wasserratte
aus ihren Reihen bei aufgesammelt. Sie wissen, wen ich meine?"
"Selas! Sie haben das Mädchen!!" Die Blauäugige konnte es nicht, dass ihr
Erzfeind einen ihrer besten Soldaten in seinen Klauen eingeschlossen hatte, wie
eine Fliege, über deren Schicksal man verträumt sinnierte. "Nun ja. Als Mädel
würde ich sie nun wahrlich nicht betrachten, aber ich schlage vor, sie
genehmigen uns einen korrekten Landeplatz, damit wir unsere Vorräte auffüllen
können."
"Was für Vorräte?" Lady Hellsing ahnte schon, in welchen Seitenarm des
apokalyptischen Meeres diese Vorräte tendierten und was für eine Freude es dem
rundbäuchigen Nationalsozialisten es bereiten musste, sie sprichwörtlich bluten
zu sehen. "Schaffen sie mir eine halbe Tonne Deuterium ran, sowie 50 Kilo
spaltbares Plutonium. Und was am wichtigsten ist: Meine Kameraden und ich sind
hungrig!"
In ihrem Hals spürte sie ein Würgen, als würde sie eine unappetitliche Mahlzeit
zurückhalten, die ihre Flora und Fauna abgebrannt hatte und sich nun einen neuen
Wald in Kalifornien zum Stillen ihres Hungers suchte.
"5 Kilometer nördlich von London ist ein Stützpunkt der Royal Air Force, ich
werde ihr Erscheinen durchgeben." "Ich warne sie, meine Dame. Sollte man uns mir
Blei verwöhnen, werde ich das "Mädel" mit meinem Dolch an der Kehle liebkosen."
Wie kommen sie nur auf die Idee, Major?"
Die Schülerin der Finsternis konnte förmlich die Vertrautheit ihres Vaterlandes
spüren, auf dem sie geboren wurde, lebte und starb, und wieder lebte, gleich
einem Phoenix sich aus der Asche ihres alten, schwachen Seins erhebend und nach
den Sternen der Ewigkeit greifend, die früher so fern schienen und nun jeden
Raum ihres verdammten Geistes erfüllte. Aus einem unerfindlichen Grund flackerte
in ihrem Bilde der Gedanke vorläufiger Sicherheit auf, doch die wohltuende
Illusion wurde kurz darauf von den mahnenden Hand der Logik und dem erhobenen
Finger der Tugendhaftigkeit zerstört, welche sie davor warnten, die Sinne vom
scheinbar festen Schutz betören zu lassen. Und trotzdem breitete sich in ihr
Vorfreude aus, als mit jeder Zelle ihres Körpers das Aufsetzen der Zigarre
empfand. Sie hatte während des Fluges über die Nordsee fortwährend die
Befürchtung, dass der große Bruder aus der neuen Welt sich eines seiner
Feuerzeuge nehmen, sein es B2-Bomber oder F22 gewesen, und sich vom Rauch der
großen Tabakware in einen Rausch des Sieges versetzten lassen würde.
POCH! POCH! POCH! Klopfte es an der Tür und Selas wußte, dass dies nicht eine
höfliche Frage um Einlaß war, sondern ein klares Zeichen ihrer Freundin mit der
verkauften Seele, dass sie herauskommen sollte, um die aufgehende Sonne auf dem
Rollfeld zu begrüßen. Das Bett wurde vom seiner geringen Bürde entlastet,
während es zarte Schritte Richtung Tür auffing, um kurz darauf ein nicht
vorhandenes Quietschen geölter Scharniere und die von einer schnellen Bewegung
gen Himmel einer zarten, blassen Hand zerrissenen Luft zu hören.
"Sieg Heil! Guten Morgen, Leidensgenossin des Schreckens, die du das Licht haßt
und es doch jetzt aufs Neue erblicken musst, willst du den Zorn des Verachteten
sänftigen!" "Muss ich wirklich raus? Ich hasse die Sonne, warum kann ich nicht
warten bis ihr eure Vorräte aufgefüllt habt?" Der Tochter der Nacht behagte es
ganz und gar nicht, sich von den geliebten Sternen unter ihrer Führerin Luna dem
grellen Feuerball zu stellen und suchte so nach Ausflüchten, um der Konfrontation
zu entgehen.
"Dein Erscheinen wird geradezu verlangt. Ich fürchte, es ist unumgänglich."
Formten Rips zu einer bitteren Miene verzogene Lippen, als ob ihr ein Stück Eis
im Magen die Gedärme erfrieren ließe.
Rip wand sich um und Selas folgte ihr enttäuscht stöhnen, nicht mit
Schmetterlingen, sondern Wespen im Bauch, die ihr Innerstes verschandelten. Im
Gegensatz zum vorigen Abend waren nun die Gänge und Sitzecken leer und beim
erhaschten Blick in eine der Kabinen konnte Selas erkennen, dass alle bis auf
den letzten Winkel aufgeräumt und geordnet waren, als sei es nie anders gewesen,
wobei sie die Frage quälte, „ist das wirklich immer so?"
Die Frauen betraten den Fahrstuhl unter strengen, liedlosen Augen eines wahren
Löwenbändigers, der da einst von oben herab als einziger das öffentlich wohl
geordnete, gewollt chaotische Sein lenkte und in sein Können verliebt, sich
erdreiste, es mit der ganzen Welt aufzunehmen. Ein Schatten nur war geblieben,
doch so schwarz, dass keine Sonnenblume in ihm hätte Leben finden können, und
wäre sie die Bombe selbst gewesen.
Die Schwarze betätigte einen der zahlreichen Knöpfe, was die Tür sich
schließen und den Zug anfahren ließ, bis er endlich am Bahnhof "Unterstes
Stockwerk" ankam, wo bei die beiden Nosferatu in eine ebenso kahle Ebene wie
zuvor in den Domeszielen traten,, auf einen in ihren Augen brennenden Lichtfleck
zu. Der Schützling Karl Marias versank zuerst in der leuchtenden Masse,
furchtlos dem volkstümlichen Todfeind aller Untoten entgegen tretend. Selas
zögerte anfangs, doch faßte sie sich schließlich doch ihr schwach schlagendes
Herz und sprang in die Fluten, wissend, sie würde nicht verbrennen und doch sich
ängstigend aus einer Quelle so tief in ihrer Seele, dass sie sie nicht mehr
erblicken konnte und sich einfach mit dem Fakt abgab.
Grelles Licht zwang sie zu Anfangs die Augen unter vorgehaltener Hand und
blinzelnden Lidern zu verbergen ehe sie sich daran gewöhnte und ihre Umgebung
von der Treppe, einem Podium gleich, zu mustern. Der deutsche Hans hatte sich zu
beiden Seiten in zwei gewaltige Blöcke formiert, die schwarzen Stiefel glänzend,
der Reichsadler auf der grünen Uniform und die Kreuze auf dem perfekt gefalteten
Armband prangernd. Nur einer paßte nichts ins Bild, paßte nicht ins Blut, paßte
nicht in der Ideologie und grinste doch sorglos, als würden all die Schäferhunde
um ihn ruhen.
"Alucard!!!" rief Selas froh, ihren alten Meister nach so vielen Monaten wieder
zu sehen und flog fast die Treppe hinunter, um sich nur Sekunden später um
seinen Hals zu schmeißen und an sich zu drücken.
"Eine schöne Zeit gehabt, Fräulein Polizisten?" Der Prinz der Leere hauchte so
schwach in das Gehör seiner einstigen Schülerin, dass selbst die umstehenden
Patrioten nichts verstehen konnten, was ihnen jedoch nicht einmal das kleinste
Zeichen von Unbehagen aufs Antlitz lockte. "Schön war es erst wieder als ich die
Heimat betrat." Vlad legte ihr eine Hand um die Leiste und begann mit der
anderen ihr goldnes Haar zu streicheln, das bis dahin von keinem Friseur je
gebändigt wurde und noch immer jedem Kamm trotzte. "Weil du solch eine Liebe zum
Empire hegst?" "Nein, weil ich hier die finde, die mir etwas bedeuten."
Flüsterte sie mit verschlossenen Augen zurück in sein Ohr, welches von der
windgepeitschten schwarzen Masse, auch Mähne genannt, wild umspielt wurde, als
hätte es seinen eigenen Willen. "Aber du wurdest hier auch freudig aufgenommen,
weniger ein Kriegsgefangener als ein Ehrengast. Befindet sich unter ihnen
niemand, dem du dein Vertrauen schenktest?"
"Mein Vertrauen vielleicht, aber nicht mein Herz..."
"Habt ihr euch amüsiert, Meister Alucard? Seit ihr wieder dem Ruf der Schlacht
gefolgt?" rollte die Zunge des des Krieges nie müde werdenden Soldaten, dessen
Gier nach Feuer und Eisen nie gesättigt werden würde, sollte die Hölle selbst
sich wie eine Flutwelle aus Blut und Alpträumen über die Welt ergießen. Niemals
würde das sinnlose Grinsen vom Angesicht dieses Mannes weichen, an dessen
Irrsinn vor 20 Jahren beinahe eine ganze Nation zerbrach und die Erde tränkte.
Kein Windhauch durchfuhr an diesem Abend das Haar des Schutzstaffelführers, um
ihn den Öl- und Schwarzpulvergestank heraus zu blasen, weil für ihn die Zeit
still stand und nicht mehr behelligte, denn er war der Major, ein Zerrbild eines
Menschen, der dem Monster in ihm selbst erlag und so nun durch die Lande
streifte, nach Tod und Elend hungernd. Selas wich vom dunklen Fürsten in seinen
Schatten, berauscht von der Hitze, dass das verkrustete Blut am Mantel ihres
Meisters in ihr entfachte, während dieser lächelte, die klamme, trockene
Winterluft einatmete und zu dem alten Feind hinzu trat.
"Der Tot folgt mir, nicht ich dem Tod" sprach Alucard fast stumm.
"Jedoch führt ihr euer Ross zu jeder Straße, die mit Leichen gepflastert wurde.
Gibt es gar zwei eurer Art? Oder seid ihr bereits einmal eurem Handwerk an der
Saint nachgekommen?" lachte der Major leise.
"Nein, aber der Mensch versucht noch immer, mich zu übertreffen." Zerkratzte
Alucards Wort die eingetretene Nacht.
"Und ward ihr ein guter Meister für eure Lehrlinge?"
"...nein."
