Die Gründung des Ordens versetzte Lily für kurze Zeit in Hochstimmung. Während der Arbeit im St Mungo's summte sie oft zufrieden vor sich hin und freute sich darüber, etwas gegen den Dunklen Lord auszurichten. Doch die Freude währte nicht lange; nur wenige Tage nach dem Treffen in Hogwarts verschlimmerte sich der Zustand von Mrs Potter rapide, und sie musste in das Hospital eingeliefert werden. Da sie an einer Muggelkrankheit litt, wurde Lily, die einzige Muggelgeborene im ganzen Haus, in den zweiten Stock versetzt um sie zu pflegen. Ihr wurde jedes Mal das Herz schwer, wenn sie das eingefallene, graue Gesicht betrachtete, welches einst so rund und fröhlich gewesen war. James und Mr Potter kamen oft, um sie zu besuchen, und saßen über Stunden an ihrem Bett, aber meist war sie von schmerzlindernden Zaubern so benebelt, dass sie die beiden kaum erkannte. Sie litt oftmals an Übelkeitsanfällen und musste sich erbrechen, gleichzeitig schwand ihr Appetit, und sie wurde immer dünner. Ihr Zustand verschlechterte sich von Tag zu Tag, und obwohl Lily und ihre Helfer taten, was sie konnten, war ihnen klar, dass sie Mrs Potter nicht wirklich halfen; sie konnten ihr nur den Weg bis zum Tod erleichtern.

Gut zwei Wochen waren vergangen, seit der Orden sich zum ersten Mal zusammengefunden hatte. Seitdem hatte sich in Sirius leben nicht viel, aber immerhin ein wenig geändert. Er war zweimal mit James im Krankenhaus gewesen, und während sein bester Freund am Bett seiner Mutter weilte, hatte Lily ihn vor der Tür mit bedrückter Stimme über ihren Zustand aufgeklärt. Er hatte mit einigen Leuten aus dem Orden unauffälligen Kontakt, und nach anfänglichem Misstrauen gegenüber seiner Familie hatten sich erste Freundschaften zwischen ihm, Dorcas Meadows und Dädalus Diggle gebildet.

Am Tag, nachdem Sally Potter ins St Mungos eingeliefert wurde, trieben sich einige Mitglieder des Ordens, unter ihnen auch Sirius und Frank, am Bahnhof Kings Cross herum, um einen Blick auf die Schüler zu haben. Unangenehmer Weise trafen sie dort auf Mr und Mrs Black, die Regulus zum Bahnhof gebracht hatten. „Was machst du denn hier?"zischte seine Mutter böse und starrte ihn mit stechenden Augen an. Während Peter nervös einige Schritte zurück trat, lächelte Sirius nur leutselig und zuckte die Schultern. „Ich hatte Sehnsucht nach euch", erwiderte er spöttisch, bevor er und Peter sich trollten, um nicht weiter aufzufallen.

Es war nichts Besonderes geschehen, und Sirius erwartete, bald Neues vom Orden zu hören. Er werkelte in seiner Wohnung herum und traf sich ab und an zum Brunch mit Claire. Es machte ihm unglaublichen Spaß, mit ihr über Magie und „Übersinnliches"zu sprechen, ohne dass sie wusste, dass er ein Zauberer war. Er liebte die Vorstellung davon, wie sie wohl gucken würde wenn sie herausfände, dass er ein echter Zauberer war. An diesem Abend stand er gerade in seiner Küche und machte sich einen Tee, als etwas hinter ihm zischte. Er kannte das Geräusch, denn er hatte es schon einmal im Zusammenhang mit Fawkes gehört. Mit prickelndem Nacken wandte er sich um. Im Küchenkamin flammte ein Name in Feurigen Buchstaben auf:

Marlene McKimmon

Sirius wusste, was das bedeuten musste, denn dieses Verfahren hatten sie in Hogwarts durchgesprochen. Er griff nach seinem Umhang und warf ihn sich über die Schultern, bevor er, den Zauberstab nur halb darunter verborgen, hinausstürzte und apparierte.

Einen winzigen Augenblick später tauchte er an einem Ort viele Kilometer entfernt wieder auf. Er kannte diesen Ort nicht, er war noch nie vorher hier gewesen, aber als er aufsah und ein mächtiges Haus mit üppigen Blumenbeeten und einem eleganten Gartenzaun entdeckte, wusste er, dass hier die Familie McKimmon wohnte. Sein Blick flog über das große, von der Abendsonne beschienene Haus, die fein gearbeitete, leicht geöffnete Haustür, die altmodischen Lampen und den geschwungenen Kiesweg zu der Treppe, wo schon drei weitere Ordensmitglieder standen. Dann wanderte sein Blick hinauf zu dem mit dunklen Schindeln gedeckten Dach - und zu dem boshaften grünlich leuchtenden Dunklen Mal, das darüber schwebte.

Er eilte zu den anderen Ordensmitgliedern, während er noch merkte, dass hinter ihm weitere Personen, unter ihnen James, apparierten, und mit gezogenen Zauberstäben stürmten sie das Haus. Drinnen rührte sich nichts. Sie standen in einem mit Holz verkleideten Salon, der Brandspuren aufwies. Eine Tür zur Rechten stand einen Spalt offen. „Bleibt zusammen! Keiner geht allein!"bellte Moody, der zusammen mit Frank im Auftrag des Ministeriums gekommen war. Sie teilten sich auf. Sirius' Gruppe nahm die linke Tür. Dahinter führte eine Treppe hoch, die allerdings zerbrechlich und mitgenommen wirkte, obwohl das Haus ansonsten gut in Stand gesetzt schien. „Marlene!"rief Gideon Prewett neben Sirius. „George! Seid ihr zuhause?"Er erhielt keine Antwort. Sie erreichten das obere Ende der Treppe und traten auf einen kleinen Flur. James öffnete leicht zögerlich die erste Tür, und sie gingen hinein. Sie standen in einem Kinderzimmer. Offensichtlich gehörte es einem Mädchen, denn an den Wänden hingen Poster von den Hobgoblins, auf dem Bett saßen eine ganze Reihe von Kuscheltieren, und auf dem Boden lagen Puppen verstreut. Eines war allerdings keine Puppe. Entsetzt rannten die drei Männer auf das Mädchen zu, das mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden lag. Mit verzerrtem Gesicht drehte Gideon Prewett sie um. Sie war tot; auf ihrem hellblauen Umhang zeichneten sich Blutspuren ab, und an ihrer Haut sahen sie, dass sie vor ihrem Tod mit Flüchen gefoltert worden war. Sie war noch warm; der Mord konnte nicht lange her sein. Ihre blauen Augen starrten weit geöffnet ins Leere, und die Blonden Haare, die sie von ihrer Mutter hatte, hingen schlaff über ihr Gesicht. Sirius schluckte schwer. „Nächstes Zimmer?"fragte er, und stellte fest, das seine Stimme erbärmlich klang. Hieran war nichts Glorreiches, was er für den Orden tun konnte; es war grausam. Das gute Gefühl, dass er beim Gedanken an ihre Verschwörung hatte, war verflogen. Mit zitternden Beinen stand er auf. Ohne einen weiteren Blick auf das Mädchen zu werfen, eilten sie in das Zimmer nebenan.

Es war ebenfalls ein Kinderzimmer, und in ähnlicher Lage wie das Mädchen fanden sie seinen Bruder vor. Der kleine Junge mochte gerade mal fünf gewesen sein. Seine unnatürlich verdrehten Glieder und die Blutlache ließen Sirius mit vor dem Mund gepresster Hand hinausstürmen und sich aus dem Fenster hinaus in den Garten übergeben. James folgte ihm dicht auf.

Als sie wieder nach unten kamen, trafen sie auf die anderen Mitglieder des Ordens, die gekommen waren. „Wir haben Marlene und ihren Mann George gefunden", knurrte Moody. Remus freundliches Gesicht war düster verzerrt. Er und Frank führten sie in das Wohnzimmer. Sirius spürte, wie sein Magen erneut rebellierte, als er die rundliche, blonde Frau erblickte, die er noch vor vierzehn Tagen quicklebendig in Hogwarts angetroffen hatte. Die Grübchen in ihren Wangen waren verschwunden, und die Augen waren leer und kalt, und sie trug eine Miene des Grauens. Ihren Mann George, den Sirius noch aus ihrem Laden in der Winkelgasse erinnerte, fanden sie nur wenige Meter entfernt im Durchgang zur Küche. Er hielt seinen Zauberstab noch umklammert, aber er hatte seine Familie nicht retten können. Den Spuren nach zu Urteilen hatte das Ehepaar McKimmon wenigstens einen Todesser beseitigen können, aber er war von seinen Leuten mitgenommen worden. Schweigend verließen Remus und Sirius das Haus. Hier gab es niemandem mehr, dem sie helfen konnten.

Wenig später saßen sie niedergeschlagen draußen vor dem Haus und fragten sich, wie das hatte passieren können. Wusste Voldemort etwa schon von dem Orden? Oder war der Mord an der Familie McKimmon nur Zufall gewesen? Schon vor dem Treffen in Hogwarts hatten Marlene und George öffentlich gegen Voldemort propagiert, und sie hatten schon einige Warnungen erhalten. Aber anscheinend hatten sie sie nicht ernst genug genommen; sonst wären sie noch am Leben. Remus und Sirius sprachen leise, während sie sich darüber wunderten, wie schnell der Tod das Leben ablösen konnte.

Lily, die zu dem Zeitpunkt gearbeitet hatte, erfuhr schnell von dem Vorfall und war schockiert. Nach außen hin ließ sie sich nichts anmerken, aber der Mord traf sie tief. Marlene McKimmons Tod dämpfte die Europhie der Ordensmitglieder deutlich, und als sie sich das nächste Mal trafen, herrschte weitaus gedrücktere Stimmung als beim ersten Mal. Sie waren bei weitem nicht mehr so sicher, viel ausrichten zu können, aber Dumbledores Worte baute sie schnell auf, und als Lily spät Abends zusammen mit Alice, Frank und den Maraudern zurückkehrte, spürten sie wieder das brennende Gefühl in sich, nur diesmal stärker.

Doch die Arbeit im St Mungos zog Lilys Stimmung immer tiefer herunter, obwohl es ihr Traumberuf gewesen war. Oftmals versorgte sie Leute, die Opfer von Tätlichen Angriffen der Todesser geworden waren, aber die meiste Zeit verbrachte sie mit Mrs Potter. Zuhause erzählte sie nichts von ihrer Arbeit, nichts von der Situation in der Zaubererwelt, nichts vom Orden. Ihre Eltern fragten nicht, wenn sie manchmal noch spätnachts nach London apparierte, wenn es Mrs Potter wieder schlechter ging. Sie hatte James versprochen, seiner Mutter zu helfen, doch jetzt stellte sie fest, dass sie es nicht konnte. Oftmals sprach sie mit Mrs Potter und unterhielt sie, oder sie saß einfach nur an ihrem Bett und hielt ihre Hand. Das zerbrechliche, dünne Geschöpf in dem großen Krankenhausbett schien nicht mehr viel Menschliches an sich zu haben. Sie zerfiel zusehends, und mit ihr schien es auch mit Mr Potter bergab zu gehen. Aus dem einstmals stolzen Mann war eine gekrümmte, ärmliche Gestalt geworden. Gut einen Monat nach dem Mord an Marlene McKimmon ging Lily mit schnellen Schritten den Korridor zum Zimmer von Mrs Potter entlang, während ihr hellgrüner Umhang hinter ihr herwehte. Vorsichtig öffnete sie die Tür und trat mit einem freundlichen Lächeln ein, während sich in ihr alles zusammenzog. Sie schob die Vorhänge beiseite und ließ die frische Morgensonne ein, aber Sally Potter sah nicht hin. Sie hatte in letzter Zeit eine gute Phase gehabt, und fast glaubte Lily, dass sie wieder gesund werden würde. Sie hatte einige Muggelmedikamente angewandt, obwohl sie bezweifelte, dass sie halfen. Mrs Potter hatte weniger Schmerzlindernde Zauber gebraucht, und jetzt sah sie Lily mit wachem Blick an. Lily setzte sich an ihr Bett und ergriff ihre Hand. „Wie geht es ihnen heute, Sally?"fragte sie warmherzig. Die kranke Frau sah sie mit tief liegenden Augen an. „Heute geht es mir gut", sagte sie mit rauer Stimme. „Dann hoffen wir mal, dass es ihnen morgen genauso geht", sagte Lily mit falscher Fröhlichkeit. Mrs Potter schüttelte den Kopf. „Morgen geht es mir nicht gut", widersprach sie, aber diesmal war ihre Stimme nur ein Flüstern. Sie drückte Lilys Hand. „Ich möchte, dass du meinen Mann und James rufst, Lily. Ich möchte mich von ihnen verabschieden." Lily wurde blass. „Mrs Potter... das- das- ich meine, wie kommen sie darauf, dass-" „Lily", unterbrach sie Mrs Potter. „Ich hatte in Wahrsagen immer die besten Noten. Und selbst wenn ich sie nicht hätte, wüsste, ich was kommt. Tu mir den Gefallen und hole sie. Und- kümmere dich um meinen Jungen, ja?"Sie ließ ihre Hand los. Lily schluckte und stand auf. „O-okay, Mrs Potter", stammelte sie. Dann verließ sie das kleine Zimmer. Sally Potter sah ihr einen Augenblick nach, offensichtlich in Gedanken verloren. Als Lilys Schritte verklungen waren, öffnete sie die Schublade ihres Nachtschrankes und holte ihren Zauberstab hervor. Ein leichter Schwung genügte, dann hielt sie Pergament und Feder in der Hand. Während ihr Geist die letzten Wochen über oft verwirrt und abwesend gewesen war, erreichte sie heute wieder ihre alten Maßstäbe. Ihr Verstand war glasklar, und mit schneller, ordentlicher Schrift begann sie das Pergament zu füllen. Dann rollte sie es zusammen und versiegelte es, bevor sie es zusammen mit ihrem Zauberstab im Nachtschränkchen verstaute und Die Feder verschwinden ließ. Als sie die Schritte ihres Mannes erkannte, dicht gefolgt von denen von Lily und James, ließ sie sich in die Kissen zurück sinken. Die Erschöpfung fuhr ihr zurück in die Glieder, und sie hatte das Gefühl, ihr Körper wäre bleischwer. Die Tür öffnete sich, und Lily ließ James und seinen Vater ein, bevor sie sich still und mit einem schmerzlichen Lächeln zurückzog. Es war Zeit, Abschied zu nehmen.