Der Tod von Mrs Potter veränderte James Leben im Grahlhof drastisch. Die Friedliche Atmosphäre schien mit seiner Mutter gegangen zu sein. Sein Vater zog sich vollständig zurück und kam nur zum Essen aus seinem Zimmer. Er erschien kränklich und gebeugt und sprach kaum noch ein Wort.

Da er immer noch keinen Beruf gewählt hatte, verbrachte James die meiste Zeit wohl oder übel für sich in dem großen Stillen Haus, in dem er auch hätte allein sein können, denn der Hauself und sein Vater ließen sich nicht blicken.

Sirius hatte inzwischen eine lose Anstellung gefunden, bei der er gerade genug verdienen konnte, und so hatte er wenig Zeit für seinen besten Freund. Lily arbeitete härter denn je und vergrub sich in die Welt der magischen Heilmittel. Wenn sie sich sahen, dann schien sie ihm oft müde und erschöpft, und obwohl er sich nach ihr sehnte, wollte er sie nicht mit seinen Sorgen belasten. Allein Remus war noch da, und die beiden begannen, sich die Zeit damit zu vertreiben in den sich herbstlichen Wäldern herumzuwandern und sich eine bessere Zukunft auszumalen.

Während jede Jahreszeit sich anscheinend zu übertreffen versuchte und mit bunten Farben und würzigen Gerüchen lockte, versank die Zauberergemeinschaft in immer tieferem Dunkel. Solange James nicht draußen war, auf seinem Besen durch die Luft sauste oder sich anderweitig ablenkte, versank er in düsterer Stimmung und wurde immer deprimierter. Zuhause hielt er es nicht aus. Bei den wenigen Malen, wenn er mit seinem Vater zusammentraf, gerieten sie aneinander und stritten sich heftig.

Natürlich trauerte auch er um seine Mutter. Natürlich vermisste er sie. Aber trotzdem war er der Meinung, weiter leben zu müssen. Er hatte das Gefühl, auszutrocknen, wenn er zuhause war. Als würde ihm seine Lebenskraft entzogen werden. Er nahm Aushilfejobs an, Tätigkeiten, die eigentlich weit unter seinem Niveau waren. Er wusste, er hätte ins Zauberministerium gehen können, denn er war nicht dumm, aber dort wäre er nicht weit gekommen. Voldemorts Leute hätten dafür gesorgt, dass er in so einem winzigen Schreibtischbüro vergammeln würde, so wie Peter.

Alleine die Ordenstreffen waren irgendwie ein Lichtblick. Wenn sie alle beisammen waren, Pläne schmiedeten, ab und zu auch miteinander lachten und scherzten. Aber Voldemort Schatten war lang genug, um James Leben immer weiter zu verdunkeln.

Sirius lief unruhig in seiner Wohnung hin und her. Es kotzte ihn alles an. Sein billiger kleiner Job, der ihn gerade ausreichend ernährte. Die Anschläge. Die Ungewissheit, was morgen passieren würde. Das Unglück, dass sich in Großbritannien ausgebreitet hatte. Das niemand etwas dagegen tun wollte, und niemand sich traute, sich zu wehren.

Dazu kam, dass er in letzter Zeit öfter an December denken musste. Ihnen beiden war letztes Jahr klar gewesen, dass sie nur eine begrenzte Zeit gehabt hatten. Sie hatte schließlich nach Amerika gewollt, und er hatte gewusst, dass er sie nicht davon abhalten konnte. Er hatte es auch gar nicht gewollt. Wenn er genauer darüber nachdachte, dann hatte er sie noch nicht mal geliebt. Sie waren Freunde gewesen, gute Freunde, die ab und zu miteinander schliefen.

Er schätzte ihre Meinung sehr, liebte ihr trockenes Wesen und teilte ihre Begeisterung für seltsame Sachen. Aber geliebt? Nein, sicher nicht. nut gemocht. In letzter Zeit wanderten seine Gedanken aber oft zu ihr. Sie hatte sich nicht mehr gemeldet, was er als Zeichen nahm, dass es ihr gut ging. Vermutlich war sie da drüben hoch beschäftigt. Da, wo es keinen Voldemort und keine Todesser gab.

Ob sie immer noch Lamia Herbae, das Vampirkraut, nahm? Als sie sich voneinander verabschiedet hatten, war sie auf jeden Fall noch nicht davon losgekommen. Ja, dieses Kraut... Sirius starrte aus dem Fenster. Es konnte einen ablenken und zeitweilig vergessen lassen, was um einen herum passierte, oder man nahm alles klarer wahr. Verführerisch und gefährlich, aber wenn man damit umgehen konnte...

Sirius eilte zu seinem Kleiderschrank. Von einer plötzlichen Eile gepackt wühlte er einen weiten, schwarzen Umhang heraus und zog ihn an. Seinen Zauberstab steckte er ein, ebenso wie einige andere Dinge, die er aus seinem Elternhaus mitgenommen hatte. Nachdem er sich versichert hatte, dass im Treppenhaus reine Luft herrschte, trat er hinaus auf den Flur und apparierte.

Sirius zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht. Es regnete und war kalt, aber das ließ sich nicht ändern. Ungeniert schritt er die Stufen hinab zu der schmalen Straße, die von der Winkelgasse abzweigte. Selbst wenn ihn jemand sah, es würde ihn keiner erkennen. Er erinnerte sich an das, was ihm seine Eltern immer eingeschärft hatten und verlangsamte seine Schritte etwas. Nicht umgucken, nicht unsicher wirken.

Irgendwo in den Schatten hinter ihm und zu seinen Seiten lungerten dunkle Gestalten herum. Sirius kümmerte sich nicht um sie, denn sie würden ihm kaum gefährlich werden. Solange er die Kapuze tief genug herunter gezogen hatte...

Das nasse Pflaster der Nocturngasse war glitschig unter seinen Füßen. Er dachte lieber nicht daran, was hier schon alles vergossen worden war. Er schlang seinen Umhang enger um sich und ging mit langen Schritten weiter. Bald darauf hatte er sein Ziel erreicht. Das schmutzige und unleserliche Schild über der Tür deutete daraufhin, dass es sich um ein Wirtshaus handelte.

Ohne seine Kapuze abzunehmen, ging Sirius zur Bar. Der Wirt, ein hagerer Mann mit stechenden Augen, wandte sich ihm mit finsterem Gesicht zu. „Was willste?"

„Feuerwhiskey. Und Cupido", antwortete Sirius und schnaufte sich die Regentropfen von der Nase. Der Wirt nickte und verschwand. Sirius fuhr sich übers Gesicht und sah sich dann unauffällig um. Mehrere Tische waren besetzt, obwohl es noch nicht einmal dämmerte. Die meisten Gestalten sahen nicht sehr vertrauenserweckend aus und waren in mehr oder weniger düstere Gespräche vertieft. Niemand kümmerte sich um ihn. Sirius wandte sich wieder um. Kurz darauf kam der Wirt aus dem Hinterzimmer wieder. Ihm folgte ein junger Mann, schmuddelig gekleidet und pockennarbig. Er grinste Sirius an und beugte sich über den Tresen, während der Wirt den Whiskey besorgte. Als er das Glas vor ihm hinstellte, zog er die Augenbrauen hoch. „Wie steht's mit einem Gläschen für deinen guten alten Cousin Charley?"

Sirius zog ebenfalls die Augenbrauen hoch und orderte einen weiteren Whiskey. Charles Cupido war zwar nur weit, weit entfernt mit ihm verwand, aber es reichte, um ihn zur Familie zählen zu können. Kaum hatte sein Cousin sein Glas erhalten, zeigte er sich gesprächiger. „Was willste?"fragte er, in genau dem Ton wie es der Wirt getan hatte. Sirius senkte leicht die Stimme. „Lamia Herbae. Aber nur das Beste, was du hast."

Cupido grinste amüsiert. „Kannste es denn auch bezahlen?"Sirius griff in die Tasche und ließ ein paar Goldmünzen aufblitzen. Sein Gegenüber nickte befriedigt. „Lässt sich einrichten. Erst das Geld, dann die Ware."Das ging Sirius zwar gegen den Strich, aber er konnte es nicht ändern. Er schob ihm das Geld zu. „Alles, was ich dafür kriege."Cupido prüfte es auf Echtheit und warf ihm dann mehrere sauber abgepackte Päckchen hin. „Ist erstklassiges Zeug", teilte er ihm mit. „Gerade aus Rumänien gekommen. Das Zeug, was ich sonst so verkauf, ist nichts dagegen. Guck dir das an."Er zog feixend ein weiteres Päckchen heraus. Es war schmuddeliger als die, die Sirius gerade eingesteckt hatte, und ein unangenehmer Geruch ging davon aus. Obwohl es ihn irgendwie anekelte, grinste Sirius. „Wenn davon jemand drauf kommt, dann muss der ja schon ziemlich durch sein", bemerkte er locker. Cupido lachte auf. „Ganz genau! Das kaufen nur die, deren Hirne so verdreckt sind dass sie von dem guten Zeug einen Herzschlag bekommen würden."Er gluckste vor sich hin und wischte sich mit dem Handrücken über die Nase. „Weißte, ich hab auch noch mehr. Ich hab..."Jetzt senkte er die Stimme merklich. „Ich hab auch so ein Muggelzeug. Wesentlich sanfter als die netten Blätter, die du da gerade eingesteckt hast, aber ganz lustig mal zur Abwechslung. Weißte, normalerweise geh ich damit nich' so hausieren, is' schließlich von Muggeln, aber dir kann ich das ja sagen, du hängst ja mit solchen rum..."Sirius Gesicht versteinerte sich, und überrascht stellte er fest, dass Cupido ihn erschrocken ansah. Er spürte ein merkwürdiges prickeln im Nacken und wollte sich umdrehen, doch es war zu spät. Noch bevor er die Hand im Nacken spürte, wusste er, dass er nicht ihn angesehen hatte, sondern auf das, was hinter ihm war.

„Black? Was tust denn du hier?"schnarrte eine Stimme. Sirius schluckte und drehte sich zu Lucius Malfoy um, der ihn selbstgefällig anlächelte. Cupido verdrückte sich eiligst und ließ sein halb leeres Glas auf der Theke stehen. „Malfoy? Wusste gar nicht dass du dich in so einen Ort hineintraust. Ist das nicht unter deinem Niveau?"antwortete er gelassen. Malfoys Gesicht verzog sich. „Du solltest lieber mal überlegen, was unter deinem Niveau ist", zischte er. Sirius holte tief Luft. „Lass das mal meine Sorge sein, Malfoy. Ich kann das gut genug selber einschätzen." Er griff nach seinem Glas und trank es aus, während er seinen Gegenüber nicht aus den Augen ließ. Der Whiskey brannte in seiner Kehle, aber das ignorierte er. Die beiden stämmigen Männer neben Malfoy sahen ihn teilnahmslos an. „Weißt du Black", bemerkte Malfoy mit glatter Stimme, „Man hört so einiges über deine Familie. Und dadurch machen sich die Blacks nicht gerade beliebter in so gewissen Kreisen. Sie sollten lieber besser acht geben."Obwohl Sirius am liebsten seinen Zauberstab gekrallt und Malfoy zum Teufel gejagt hätte, wusste er, dass das äußerst dumm wäre. Niemand wusste, wo er war, außerdem befand er sich hier auf feindlichem Terrain. Keiner würde ihm zur Hilfe kommen. Und auch wenn er sich durchaus seiner Zauberkünste bewusst war und sich einiges zutraute, alleine gegen die Nocturngasse kam er nicht an. Das glaubte noch nicht einmal er selbst.

„Du kannst dir sicher sein, Malfoy", sagte er mit ruhiger Stimme, „dass meine Familie auf der richtigen Seite steht."Der Magen drehte sich ihm um, als er das sagte, und seine Augen wanderten zu Malfoys Arm. Der Blonde bemerkte den Blick und lächelte kalt. Mit einer nachlässigen Handbewegung schob er, wie aus versehen, seinen Umhang nach oben, sodass Sirius das dunkle Mal erkennen konnte.

„Das ist auch gut so Black", sagte er. „Denn wir behalten euch im Auge." Zu Sirius Überraschung machte er eine rasche Kopfbewegung und verließ dann grußlos die Bar. Er hatte schon die ganze Zeit über hier sein müssen, und Sirius ärgerte sich maßlos, dass er ihn nicht bemerkt hatte. Erst, als Malfoy verschwunden war, bemerkte er, wie angespannt er war. Er wollte hier keine Zeit mehr verschwenden. Er hinterließ ein paar Sickel für den Whiskey auf dem Tresen, etwas mehr, als nötig gewesen wäre, und ging.

Zuhause schälte er sich aus seinem dunklen Umhang. Am liebsten würde er ihn in Flammen aufgehen lassen, denn er hatte das Gefühl, Schmutz klebte daran. Er hatte die dunkle Seite die richtige Seite genannt! Wenn das herauskam! Er hatte nur sich selbst schützen wollen, aber wenn so etwas auch anderen zu Ohren kam... zum Beispiel jemandem aus dem Orden... Sirius schluckte. Seine Vertrauenswürdigkeit wäre dahin.

Erschöpft und wütend auf sich selbst begab er sich in sein Badezimmer, die glitzernde Grotte. Er spielte einen Augenblick lang mit dem Päckchen in seiner Hand herum, dann öffnete er es. Der bekannte Geruch strömte ihm entgegen. Er überlegte kurz, dann machte er sich an die Arbeit. Anstatt die Kräuter als Tee aufzukochen, rollte er sie mit einem dünnen Blatt Papier auf und zündete sie an. Während er es sich im Schneidersitz auf dem Boden gemütlich machte, betrachtete er durch das Fenster den Sonnenuntergang und machte mit jedem Zug, den er inhalierte, einen weiteren Schritt in seine ganz Private Dunkelheit.

James fuhr sich frustriert durch die Haare. Lily, die ihm gegenüber saß, sah ihn ausdruckslos an. Er griff nach ihrer Hand und drückte sie, aber abgesehen davon, dass ihre Finger sich ganz leicht um seine schlossen, reagierte sie nicht.

„Wir haben in letzter Zeit wenig Zeit füreinander gehabt", bemerkte er. Sie kniff die Lippen zusammen. „James, ich musste arbeiten. Es tut mir leid, wenn ich nicht für dich da sein kann, aber du hast keine Ahnung, was im Krankenhaus los ist. Wenn du nur einmal dorthin kämst, dann würdest du mich verstehen."„Lily, ich weiß ja, dass dir das wohl der ganzen Menschen am Herzen liegt", verteidigte er sich, „aber- aber ich denke einfach, du arbeitest zu viel."Seine Stimme stockte leicht. Er hatte sich lange überlegt, ob er ihr das sagen sollte.

„Und ich denke, du arbeitest vielleicht zu wenig", erwiderte sie kühl. „Denn wenn du es tun würdest, dann würdest du merken, dass das nicht mehr so wie in der Schule ist, wo man halt die Hausaufgaben mal sein lässt und sich stattdessen ein lustiges Leben macht."

„Lily, darum geht es mir ja gar nicht", erwiderte er aufgebracht. „Es ist nicht so, dass ich nicht arbeiten will, es ist nur so, dass ich nichts finde! Glaub mir, ich würde alles tun, um nicht zuhause sein zu müssen. Es ist grässlich dort! Mein Vater verfällt immer mehr zum Zombie, und ich kann gar nichts dagegen Tod, seid Mums Tod ist alles anders geworden! Es ist..."„Tut mir leid, James", unterbrach ihn Lily und wischte sich müde eine Haarsträhne aus der Stirn, während sie ihm ihre andere Hand entzog. „Aber ich glaube, du solltest mal daran denken wie schlecht es anderen geht. Natürlich ist schlimm was mit deiner Mutter passiert ist, und es tut mir genauso Leid wie dir. Da hast du mein vollstes Mitgefühl! Aber denk daran, wie gut es dir ansonsten geht! Du musst nicht um dein Leben fürchten, du kommst aus einer reinblütigen Familie. Du hast genug zu Essen, du hast genug Geld, du hast ein Zuhause. Sei mal nachsichtig. Es gibt viele Leute, denen es viel schlimmer geht!"„Lily, du verstehst mich nicht-" „James! Ich sehe jeden Tag Opfer der dunklen Seite, Menschen, deren Leben zerstört wurde. Ich habe in den letzten Wochen mehr Tod gesehen, als ich es ertragen kann, und ich arbeite Tag und Nacht, um ihnen das, was ihnen geblieben ist, erträglicher zu machen. Ich sorge dafür, dass es ihnen wieder gut geht, und das macht mich müde und fertig, und deshalb kann ich mir jetzt deine Sorgen nicht anhören!"„Du willst es ja auch gar nicht", sagte er leise und verbittert. „Du hörst mir überhaupt nicht richtig zu."

„Wenn du jetzt beleidigt sein willst, bitte. Tut mir leid, aber ich bin echt todmüde, und geschafft. Ich weiß noch nicht einmal, warum ich überhaupt noch hergekommen bin, ich muss morgen schließlich früh raus! Du kannst jetzt machen was du willst, aber ich gehe jetzt nach Hause!"Sie stand auf. „Wir sehen uns frühestens am Wochenende, vorher habe ich keine Zeit."Kochend vor Wut sah James ihr nach, als sie ging.

Er hielt es nicht mehr aus zuhause. Seit gut drei Monaten verfiel seinVater immer mehr. Und in ihm kochte die Wut auf Lily, und dass sie sich so verhielt. So hatte er sich sein Leben nach der Schule wirklich nicht vorgestellt! Energisch machte er die Tür zur Küche auf und stürmte hinein. Fast erschrocken blieb er stehen, als er seinen Vater entdeckte, der sich nach Tagen mal wieder aus seinem Zimmer getraut hatte.

Er sah schlimmer aus als je zuvor.

James fasste sich ein Herz. Lily wollte ihn nicht anhören und ihm Ratschlag gegen, und Sirius war auch nicht zu erreichen. So musste er also selbst endlich etwas tun, so wie Remus es ihm schon vor Wochen geraten hatte.

„Dad." Er trat einen Schritt auf seinen Vater zu und berührte ihn am Arm. Das war ihre erste Berührung, seit sie sich am frischen Grab seiner Mutter umarmt hatten. Sein Vater wandte sich langsam zu ihm um.

„Was gibt es?"fragte er mit brüchiger Stimme. James sah einen Augenblick lang nieder, um sich auf seine Worte zu besinnen, dann setzte er zum sprechen an. „Dad- das kann so nicht weiter gehen mit dir", sagte er sanft. Sein Vater sah ihn aus tief liegenden Augen schweigend und traurig an. Er räusperte sich.

„Du- ich weiß, wie hart Mums Tod dich getroffen hat. Ich meine, ich vermisse sie auch. Wahnsinnig. Aber deshalb kannst du jetzt nicht einfach aufhören. Du machst nichts mehr- du sprichst nicht mehr, du lebst ja kaum noch!"

„Wofür soll ich denn noch leben?"fragte sein Vater verbittert. James presste die Lippen aufeinander. „Für dich! Mum hätte nicht gewollt, dass du- dass du so zusammenklappst. Sie hätte-"

„Du weißt nicht, was sie gewollt hätte!"erwiderte sein Vater ungewohnt heftig. „Und jetzt kann sie gar nichts mehr wollen! Dafür ist es zu spät! Sie ist gegangen und hat nichts mehr hier gelassen, für dass es sich zu bleiben lohnt!"

„Und was willst du jetzt tun?"fragte James, und seine Stimme wurde lauter. „Dich in deinem Zimmer verkriechen bis du vor Trauer stirbst? Oder eher vor Hunger? Du isst ja nichts, du trinkst nichts! Du wartest einfach nur ab und verwest bei lebendigem Leibe! Du-"

„Sprich nicht so mit mir!"bellte sein Vater. „Ich kann tun was ich will! Und du kannst überhaupt nichts daran ändern! Für mich gibt es nichts mehr, und damit musst du dich abfinden!"

James starrte ihn einen Augenblick lang schweigend an. „Schön!" fauchte er dann. „Ich werde mich damit abfinden. Und ich werde nicht länger hier bleiben und dir dabei zusehen, wie du langsam stirbst. Meine Hilfe brauchst du dazu nicht! Das kannst du ja auch alleine!"Er stürmte aus der Küche. Er erwartete, ja, wünschte sich fast, dass sein Vater ihm etwas hinterher rief. Ihn aufforderte, zurück zu kommen. Oder schimpfte.

Aber es blieb still.

In seinem Zimmer angelangt suchte er die wichtigsten Dinge zusammen, stopfte sie alle in seine Tasche und sah sich noch einmal um. Sein Zimmer, das sein Leben lang sein Zuhause gewesen war. Er atmete tief durch, und dann apparierte er zu Sirius Wohnung.

Als sein Freund ihm die Tür öffnete, fiel er ihm erschöpft und erleichtert zugleich entgegen.

Lily strich sich ihr Kleid noch einmal glatt, bevor sie bei James klingelte. Sie wollte sich für ihr Verhalten von vor zwei Tagen entschuldigen. Sie wusste, dass sie sich hässlich benommen hatte, und jetzt tat es ihr Leid. Je mehr sie darüber nachgedacht hatte, umso stärker sehnte sie sich nach James und danach, sich in seine Arme zu kuscheln.

Sie klingelte. Eine ganze Weile lang passierte nichts, und als sie schon dachte, es wäre niemand zuhause, vernahm sie ein leises rascheln, bevor die Tür sich öffnete.

Fast wäre sie erschrocken zurück gesprungen, als sie Mr Potter erblickte. Sie hatte ihn lange nicht gesehen, und seine drastische Wandlung erschreckte sie zutiefst. „Ha-hallo Mr Potter", sagte sie mit unsicherer Stimme. Sie wagte nicht, danach zu fragen wie es ihm ging. Das war nur zu offensichtlich.

„Ist- ist James da?"Mr Potter gab ein heiseres Geräusch von sich, und seine geröteten Augen sahen sie dumpf an. „James ist nicht mehr hier", sagte er mit rasselnder Stimme. Sie blinzelte verwirrt. „Wie, er ist nicht mehr hier?"fragte sie erstaunt. Mr Potter seufzte, und erhörte sich tief unglücklich an. „Er ist gegangen. Wir- wir hatten eine Streit."Das Sprechen schien ihm schwer zu fallen, und die ganze Gelegenheit regte ihn auf. „Er ist furchtbar wütend geworden, und dann- und dann- er ist gegangen und-"Er hielt inne und hustete, während er sich mit einer Hand am Türrahmen festhielt. Lilys Hände schossen vor und hielten ihn, als er taumelte. „Mr Potter? Mr Potter!"Sie schob einen Arm um seine Schultern und fühlte entsetzt seine schmalen, zusammengefallenen Schultern. James hatte nicht übertrieben, als er ihr von zuhause erzählt hatte. Und sie hatte nicht zuhören wollen!

Mr Potter atmete heftig, und seine Augen begannen unkontrolliert hin- und herzurollen, bevor er einen Hustenanfall bekam. Er krümmte und schüttelte sich, während Lily nach ihrem Zauberstab tastete. Och plötzlich ergriff er ihre Hand. „Lily, Mädchen!", sagte er heiser, und es schien ihn große Kraft zu kosten. Sie drückte seine Hand und sah ihn schmerzvoll an. Er keuchte. „Sag- sag James, dass es mir Leid tut. Aber ich kann nicht mehr."Lily machte den Mund auf, um etwas zu sagen, aber der in den letzten Wochen so stark gealterte Mann hörte sie nicht mehr. Er hatte sich auf den Weg zu seiner Frau begeben.

James starrte mit versteinertem Gesicht auf den Sarg, der in die Grube hinunter zur letzten Ruhestätte seiner Mutter gelassen wurde. Innerhalb eines halben Jahres hatte er beide Elternteile beerdigen müssen.

Hinter ihm standen seine Freunde, die Marauder, und Lily. Frank und Alice waren auch gekommen, und irgendwo im Hintergrund hielten sich auch noch weitere Mitglieder des Ordens auf. Viele Menschen waren zu David Potters Beerdigung gekommen, noch mehr als zu der seiner Frau. Er war ein beliebter Ministeriumsmitarbeiter gewesen, bevor er in den Ruhestand ging, und er hatte viele Freunde gehabt.

James weinte nicht. Seine Trauer war wie ein schwerer Felsbrocken in ihm drin, massiv und steinhart. Er spürte, wie sich ein paar zarte Finger in seine Hand schoben. Lily trat neben ihn und sah ihn an. „Es tut mir leid, James", sagte sie leise und senkte den Kopf. Sie hatten schon vorher lange miteinander geredet, und ihr vorhergegangenes Verhalten war vergessen. Die sanften Worte waren auf ihren Vater bezogen. Er schluckte und nickte, im Moment nicht zu Worten fähig. Dann schlang er die Arme um sie und hielt sie fest, hielt sie für die Ewigkeit und suchte in seiner Trauer bei ihr nach Trost. Er spürte die Hände seiner Freunde auf seinem rücken, ihre leisen, guten Worte, Lilys Wärme, Lily.

„Was tust du jetzt, James?"fragte Lily, als sie hinterher im kalten Wind vor dem Grab von James Eltern standen. „Ziehst du zurück in den Grahlhof?"Er nickte schwer. „Ich muss jetzt den ganzen Nachlas regeln. Das Haus gehört schließlich jetzt mir", sagte er dumpf. Sirius, Peter und Remus hielten sich ebenso wie die anderen im Hintergrund. Lily hob die Hand und strich ihm über die Wange. „Würde es dir helfen, wenn ich dann bei dir bin?" fragte sie leise. „Du kannst nicht alleine in diesem großen Haus wohnen."James sah sie stumm an, und er spürte, wie sich seine Kehle voll Schmerz und Dankbarkeit zusammenzog. Wortlos zog er sie an sich und atmete ihren Duft ein. „Danke", flüstere er. Zur Antwort küsste sie ihn zärtlich auf den Mund.

Kurz darauf wurden sie gestört. Es war Emmeline Vance, die ebenfalls bei der Beerdigung anwesend gewesen war. „James, Lily", sagte sie leise. Die anderen Ordensmitglieder horchten ebenfalls auf. Sie zeigte ihnen eine goldene Phönixfeder. „Caradoc Dearborn ist verschwunden, und in seinem Geschäft ist alles voll Blut."Sie starrten die schöne, goldene Feder an. „Nicht schon wieder", sagte Remus leise. Entschlossen griff James Lilys Hand. „Das wird nicht noch einmal vorkommen", sagte er fest. Sie sahen seinen Gesichtsausdruck, und für den Moment glaubten sie ihm.