Im Morgengrauen

Disclaimer: Personen und Orte in meiner Geschichte gehören Prof. Tolkien. Ich leihe mir alles nur aus und gebe es unbeschadet Herrn Prof. Tolkien wieder zurück.

Inhalt: Fürst Imrahil wird einige Tage vor der Hochzeit von Faramir und Éowyn entführt. Die Söhne des Fürsten bitten den jungen Truchseß um seine Hilfe. Éowyn bringt zunächst Verständnis für Faramirs Handeln auf, doch dann taucht Denethors Schwester Denedreth in Minas Tirith auf und versucht, das junge Paar durch Intrigen auseinander zu bringen. Und Korazir, der Häuptling der Haradhrim, der Imrahil in seine Gewalt gebracht hat , hat noch eine Rechnung mit Faramir offen. Dieses Mal scheint es ganz eng für unseren Helden zu werden....

Kapitel 1: Entführung im Morgengrauen

Dol Amroth, wenige Monate nach dem Ringkrieg:

Die Sonne war noch nicht ganz aufgegangen, als Fürst Imrahil sein edles Roß Ondoher bestieg, um mit seinem alten Freund Lanthos auf die Jagd zu gehen. Im Gegensatz zu seinen Söhnen liebte er es, im Morgengrauen Rotwild zu jagen.

Elphir, der älteste Fürstensohn, erwachte von dem Hufgetrappel unten im Schlosshof. Er sah schlaftrunken zum Fenster hinaus und lächelte, als er seinen Vater mit Lanthos davonreiten sah.

Imrahil und Lanthos ritten Richtung Wald, der in der Nähe des Schlosses lag. Lanthos war seit Jahren Imrahils engster Berater am Fürstenhof.

„Ich bin froh, dass dieser unselige Krieg gegen Mordor endlich vorbei ist", sagte Imrahil unbeschwert. „Nun macht mir die Jagd in den Wäldern auch wieder richtig Freude".

„Ihr habt recht, mein Fürst", erwiderte Lanthos lächelnd. „Es ist bestimmt ein halbes Jahr her, seit wir zum letzten Mal auf der Jagd waren".

Imrahil lachte und trieb seinen Hengst schneller voran. Seine langen, schwarzen Haare flogen im Wind und seine grauen Augen sprühten vor Tatendrang. Lanthos sah ihm neidisch nach. Er war genauso alt wie der Fürst, 55 Jahre. Doch Imrahil sah man sein Alter wegen seines fast reinen numenórischen Blutes nicht an. Auch seine elbische Abstammung war unverkennbar. Seine Züge waren ebenmäßig und schön. Deswegen wurde er vom Volk auch „Imrahil, der Schöne" genannt. Lanthos dagegen war schon ergraut und seit einiger Zeit plagte ihn die Gicht in den Fingern. Er wusste, dass er in einigen Jahren Imrahil nicht mehr zur Jagd begleiten konnte, und das wurmte ihn jetzt schon. Warum waren die Valar so ungerecht und gaben dem Einen die ewige Jugend, während der Andere früh zum Altern verdammt war? Seine Freundschaft zu Imrahil war in letzter Zeit ziemlich abgekühlt. Der Fürst selbst schob dies auf seine lange Abwesenheit, als er im Ringkrieg mit seinen Schwanenrittern Gondor gedient hatte. Diese Jagd wollte der Fürst in erster Linie dazu nutzen, um seine langjährige Freundschaft zu Lanthos wieder aufzufrischen.

Die Pferde ließen sie auf einer Waldlichtung zum Grasen stehen. Dann marschierten sie durch das Unterholz zu ihrem Hochstand. Von dort oben schossen sie immer das Wild mit Pfeilen ab. Während sie sich dem Hochstand näherten, bekam Lanthos allmählich ein schlechtes Gewissen. Hasste er den Fürsten wirklich so sehr, dass er ihn an den Feind verraten musste? Imrahil hatte ihn immer gut behandelt. War ein Beutel Gold das tatsächlich wert?

Ja, sagte ein innere Stimme zu Lanthos. Mit dem Gold kannst du selbst ein mächtiger Mann werden und brauchst nicht länger vor Imrahil zu katzbuckeln.

Lanthos' Gedanken wirbelten durcheinander und er blieb plötzlich stehen.

„Was ist los, mein Freund?", fragte der Fürst erstaunt.

„Laßt uns umkehren, Fürst Imrahil", sagte Lanthos leise. „Ich fürchte, heute ist kein guter Tag zum Jagen".

„Du sprichst in Rätseln, Lanthos", lächelte Imrahil kopfschüttelnd. „Natürlich werden wir heute Erfolg bei der Jagd haben. Ich rieche das Wild ja schon förmlich".

„Nein, Fürst", lehnte Lanthos kleinlaut ab. „Laßt uns gehen. Dort oben auf dem Hochstand lauern Haradhrim auf Euch".

„Seit wann kannst du hellsehen?", lachte der Fürst auf. „In dieser Gegend gibt es keine Haradhrim".

„Mein Fürst", begann Lanthos von Neuem und packte Imrahil am Unterarm. „So glaubt mir doch!"

„Lanthos, Lanthos", seufzte Imrahil müde lächelnd. „Ich fürchte, du bist krank. Sag' mir, wie du darauf kommst, dass Haradhrim unseren Hochstand besetzt halten".

„Ich habe einen großen Fehler gemacht", gestand Lanthos endlich und senkte zerknirscht das Haupt.

Korazir, der Anführer der Haradhrim, sah vom Hochstand missmutig auf die beiden Männer herab, die im Wald standen und miteinander diskutierten.

„Ich glaube, Lanthos hat uns verraten", flüsterte Thenar, ein Begleiter von Korazir, seinem Häuptling zu.

„Ich habe dem alten Narren von Anfang an nicht getraut", knurrte Korazir wütend.

Er legte einen Pfeil auf die Bogensehne. Seine Männer sahen erwartungsvoll zu, was er nun tun würde.

„Schnell, lasst uns fliehen", drängte Lanthos seinen Herrn ängstlich.

„Ich kann es immer noch nicht glauben, dass du dies getan hast", sagte Imrahil fassungslos. „Habe ich dich so schlecht behandelt, Lanthos?"

In diesem Moment traf den Fürsten ein Pfeil seitlich in den Oberschenkel. Der Fürst sackte zu Boden.

„Oh nein!", stieß Lanthos entsetzt hervor und versuchte Imrahil wieder auf die Beine zu ziehen.

„Könnt Ihr noch laufen, mein Herr?"

Während sich Lanthos zu Imrahil niederbeugte, traf ihn ein weiterer Pfeil in den Rücken. Erstaunt riß er die Augen auf und brach tot über den Fürsten zusammen.

Vorsichtig begann Imrahil sich unter der Leiche seines ehemaligen Freundes hervorzuschieben, doch dann sah er auch schon die scharlachrotgekleideten Männer mit dem schwarzen, struppigem Haar herannahen. Er tastete nach seinem Schwert. Doch Korazir trat es ihm aus der Hand.

„Rühr dich nicht vom Fleck!", befahl der Haradhrim-Häuptling barsch, der das Westron mit einem harten Akzent sprach.

Thenar und Akhra hatten derweil die Pferde geholt. Sie banden den toten Lanthos auf eines der Rösser. Während Imrahil gefesselt wurde, schrieb Korazir einige Sätze auf ein Stück Pergament, welches dann auf dem Pfeil, der immer noch in Lanthos' Rücken steckte, befestigt wurde.

Imrahil sah entsetzt dabei zu. Höhnisch lachen trieben die Haradhrim das Pferd mit seinem toten Reiter davon.

„Was habt ihr mit mir vor?", fragte der Fürst gepresst.

„Ich will dein ganzes Gold – und Faramir!", erwiderte Korazir mit einem bösen Lächeln.