gil-estel und Leonel : Euer Wunsch ist mir Befehl. Ich habe jetzt mal ein Kapitelchen mit Fürst Imrahil eingefügt. Ich hoffe, es gefällt euch.
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Kapitel 10: Imrahils Flucht und Éomers Rache
Fürst Imrahil erging es währenddessen gar nicht gut. Seine Bewacher zogen mit ihm kreuz und quer durch Ithilien. Ohne Korazir wirkten sie irgendwie ziellos. Der Häuptling hatte ihnen gesagt, sie sollten so schnell wie möglich aus der Gegend von Henneth Annûn verschwinden. Er selbst wollte dort auf seine Krieger warten, die Faramir als Gefangenen mitbringen wollten. Irgendwo an der Grenze zu Mordor wollten sie sich dann wieder treffen. Den ganzen Tag hatte der Fürst kaum etwas zu essen und zu trinken bekommen. Die Zunge klebte ihm schier am Gaumen.
Korazir wäre sicher damit nicht einverstanden, dass sein Gefangener Hunger und Durst litt. Doch der Anführer der Südländer war nun mal nicht da. Imrahil ahnte, dass er eine Gemeinheit gegen Faramir plante. Hoffentlich befand sich der junge Truchseß noch in Freiheit! Voller Sorge dachte der Fürst auch an seine eigenen Söhne. Sicherlich begleiteten sie seinen Neffen, falls er bereits etwas unternahm. Aber so wie Imrahil Faramir kannte, würde der Truchseß alles daran setzen, um ihn zu befreien. Imrahil lächelte traurig: Faramirs Hochzeit stand unmittelbar vor der Tür. Er hatte sich darauf gefreut. Eigentlich wollte er jetzt um diese Zeit bereits mit seiner Familie in Minas Tirith sein, um Faramirs und Éowyns Hochzeit mitvorzubereiten.
Wehmütig dachte Imrahil an die Krönungsfeierlichkeiten vor wenigen Monaten zurück. Wie sie alle miteinander gefeiert hatten und glücklich gewesen waren.
Ein Haradhrim stieß Imrahil unsanft an.
„He, du da, setz' dich hin! Wir schlagen hier unser Nachtlager auf."
„Kann ich etwas zu trinken haben?"fragte der Fürst höflich.
Der Haradhrim lachte dreckig.
„Natürlich!"
Er schleifte den gefesselten Mann zu einem nahen Wildbach und drückte seinen Kopf unter Wasser. Imrahil hielt erschrocken die Luft an. Was hatte der Kerl vor? Wollte er ihn tatsächlich ertränken? Verzweifelt begann der Fürst sich zu wehren, soweit es seine Fesseln erlaubten. In letzter Sekunde, bevor ihm die Sinne schwanden, riß ihn jemand an den Haaren nach oben. Imrahil hustete und würgte. Japsend sank er ans Ufer. Die Haradhrim begannen miteinander zu streiten. Imrahil merkte plötzlich, dass seine Fesseln sich durch die Nässe zu lockern begannen.
Die Haradhrim stritten immer lauter. Offensichtlich ging es nicht nur um ihn, sondern sie schienen auch uneins zu sein, wie es weitergehen sollte. Imrahil gelang es inzwischen, die Fesseln abzustreifen. Er spähte vorsichtig zu den Südländern hinüber. Sie gestikulierten wild und waren mit sich selbst beschäftigt. Langsam ließ sich Imrahil in das Wasser gleiten. Er war ein guter Schwimmer und Taucher. Schließlich war er am Meer aufgewachsen. Er tauchte sofort unter und begann ein Stück unter Wasser zu schwimmen. Die Strömung des Wildbaches trug ihn schnell fort. Als er wieder auftauchte, war er bereits ein ganzes Stück von seinen Bewachern entfernt. Schnell tauchte er wieder unter und schwamm weiter. Erst als er einen Krampf im Bein bekam, stieg er ans Ufer. Von den Haradhrim war nichts mehr zu hören und zu sehen. Imrahil lächelte listig. Dass es so einfach sein würde zu fliehen, hätte er nicht gedacht. Rasch begab er sich in den Wald. Die Dunkelheit bot ihm zusätzlich Schutz. Er musste so schnell wie möglich nach Minas Tirith.
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Éowyn und ihre Begleiter hatten es an diesem Tag bis zum Leuchtfeuerberg Amon Dîn geschafft. Dort schlugen sie ihr Nachtlager auf. Isilya versuchte verzweifelt, aus ihrer Herrin irgendetwas herauszubekommen. Doch Éowyn sagte ihr kein Wort. Schweigend saß sie am Feuer und starrte in die Flammen. Vor einigen Tagen war sie noch so glücklich mit Faramir gewesen und jetzt schien alles vorbei zu sein.
Plötzlich meldete ein Wachposten, dass sich ein Reitertrupp nahte. Erschrocken fuhr Éowyn hoch und ließ alles zu den Waffen greifen. Auch sie zog ihr Schwert. Es konnte sich ja um versprengte Haradhrim handeln. Vielleicht war es auch Faramir, wie Éowyn im Stillen hoffte.
Doch es waren Rohirrim. Als Éowyn ihren Bruder erkannte, machte ihr Herz einen Sprung und sie eilte dem jungen König entgegen.
Éomer war mehr als erstaunt, als er seine Schwester hier in der Wildnis erblickte. Nach einer herzlichen Begrüßung, erkundigte er sich danach, was vorgefallen war. Éowyn nahme ihren Bruder beiseite und sprach mit ihm. Éomer war der einzige Mensch, den sie blind vertrauen konnte. Ob sie Faramir jemals wieder vertrauen konnte, wusste sie nicht.
Der junge König ballte wütend die Fäuste.
„Wenn Faramir mir das nächste Mal begegnet, kann er sich auf was gefasst machen!", drohte er mit gedämpfter Stimme.
„Sei leise!"mahnte Éowyn erschrocken.
„Ich will nicht, dass du nach Rohan zurückreitest,"erklärte Éomer streng. „Wir gehen beide zurück nach Minas Tirith und warten, bis Faramir zurück ist."
„Ich halte es in dieser scheußlichen Stadt einfach nicht mehr aus!"stieß seine Schwester bedrückt hervor. „Ich will diese Denedreth nicht noch einmal sehen."
„Du bist mit dem Hexenkönig fertiggeworden, da wirst du doch mit dieser alten Muhme auch zurechtkommen,"wunderte sich Éomer.
„Das mit dem Hexenkönig war etwas ganz anderes,"erwiderte Éowyn wehmütig lächelnd. „Diese Frau kämpft mit Waffen, denen ich mich wohl nicht erwehren kann. Vielleicht hat sie recht: ich bin nur eine wilde Schildmaid, welche die Sitten Gondors nicht versteht."
„Wir lassen uns von diesem feinen Adelsleuten nicht unterkriegen!"meinte ihr Bruder kopfschüttelnd. „Wo wären sie jetzt, wenn Rohan im Ringkrieg nicht gekommen wäre? Diese Leute sollten uns eigentlich die Füße küssen."
Sein Wut auf Gondor wuchs.
„Wir reiten jetzt weiter – und du wirst mitkommen!"beschloß er.
Éowyn zauderte, aber sie gehorchte dann doch ihrem Bruder. Sie liebte ja Faramir immer noch und vermisste ihn schrecklich.
Das Nachtlager wurde abgebrochen und Éowyn Gefolge schloß sich den Rohirrim an.
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Faramir und seine Gefährten hatten mit den beiden Gefangenen die Wälder Ithiliens verlassen. Vor ihnen lag der Pelennor im Mondlicht. In Osgiliath hatten sie von den Soldaten, die dort stationiert waren, Pferde erhalten. Sie würden noch in dieser Nacht Minas Tirith erreichen.
Korazir hatte im Ärmel seines roten Gewandes einen winzigen Dolch versteckt. Man hatte ihm jetzt die Hände um den Sattelknauf gefesselt, damit er sich besser auf dem Pferd halten konnte. Er merkte, dass er mit dieser etwas leichteren Fesselung besser an den Mini-Dolch herankam.
Es dauerte nicht lange, und er spürte den Dolch in den Händen. Er konnte nun beginnen, unauffällig an seinen Fesseln herumzusäbeln. Zu allem Unglück sollte ihm auch noch ausgerechnet Éomer zur Hilfe kommen.
„Seht, da vorne reiten Rohirrim!"rief Damrod plötzlich überrascht.
Auch Faramir erblickte jetzt den Reitertrupp, der von Norden her Richtung Minas Tirith ritt.
Der junge Truchseß erkannte im Mondlicht das Banner Éomers.
„Schnell, lasst uns zu ihnen hinreiten!"rief er erfreut.
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Éomer sah die die kleine Gruppe zuerst. Er griff misstrauisch zu seinem Schwert. Éowyn starrte mit blassem Gesicht auf die nahenden Reiter.
„Das ist Faramir," hauchte sie tonlos.
„Der kann jetzt was erleben,"zischte Éomer und ritt grimmig auf seinen Schwager in spe zu.
Faramir war inzwischen von seinem Pferd abgestiegen und erwartete nichtsahnend die Ankunft des jungen Königs. Er lächelte sogar. Doch sein Lächeln erstarb, als er Éomers wutverzerrtes Gesicht sah.
Der Rohirrim hielt ganz dicht vor Faramir sein Pferd an und sprang aus dem Sattel.
Éowyn ahnte schlimmes und sie trieb Windfola voran.
„Éomer, sei gegrüßt!"rief Faramir und versuchte, freundlich zu bleiben.
Der König ging wutschnaubend auf ihn zu und versetzte ihn einen Kinnhaken. Faramir hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass ihn Éomer attackieren würde. Der Schlag streckte ihn nieder. Benommen und erstaunt rieb er sich das schmerzende Kinn.
„Éomer, was tust du da?"keuchte er.
Der junge König packte Faramir grimmig an seiner Lederrüstung. Mablung und Damrod hatten längst zu den Waffen gegriffen, um ihren Herrn zu verteidigen. Sie drängten Éomer weg von Faramir.
„Hört sofort auf, bitte!"schrie Éowyn mit schriller Stimme.
Nun griffen auch die Rohirrim-Soldaten ein, um ihren König zu schützen.
Jeden Augenblick konnte Blut fließen.
Faramir rappelte sich auf und ging auf Éowyn zu.
„Kannst du mir erklären, was los ist?"
Ein Rohirrim-Krieger bedrohte ihn mit seinem Schwert.
„Bleibt weg von der Herrin, wenn Euch Euer Leben lieb ist, Truchseß!"
„Weg mit den Schwertern!"befahl Éowyn und sah Faramir ernst an.
„Ich habe heute Maegweth gesehen."
„Maegweth?" wiederholte der junge Truchseß erstaunt. „Wer soll das sein?"
Éomer platzte der Kragen von neuem.
„Jetzt spielt er auch noch den Unschuldigen! Ich wette, er hat Angst vor uns."
Mablung und Damrod schäumten vor Wut und griffen wieder zu ihren Schwertern.
„Hört auf damit!"rief jetzt auch Faramir. „Das hat doch alles keinen Zweck. Es liegt anscheinend ein großes Missverständnis vor."
„Missverständnis?" fragte Éowyn mit bitterem Lächeln. „Dieses Missverständnis ist weiblich und sehr hübsch. Denedreth hat mir heute deine Geliebte, die du eigentlich heiraten wolltest, vorgestellt."
„Denedreth!"stieß Faramir schockiert hervor. „Du glaubst das doch nicht etwa, meine liebste Éowyn?"
„Was hätte Denedreth davon, mich aus Minas Tirith wegzuekeln?"fragte Éowyn unter Tränen.
„Sollte es ihr nicht gleich sein, wen du heiratest?"
Faramir dachte fieberhaft nach, wo er diesen Namen Maegweth schon einmal gehört hatte. Anborns Tochter, schoß ihm plötzlich durch den Kopf.
„Ich kann dir das erklären, Éowyn,"sagte Faramir aufgewühlt.
„Korazir ist weg!" schrie Damrod in diesem Moment.
„Verdammt!"fluchte Faramir auf.
„Was wolltest du mir erklären?"fragte Éowyn, während ihr die Tränen in die Augen schossen.
Faramir konnte unmöglich länger mit ihr reden: wenn Korazir die Flucht gelang, war Imrahils Leben wohl entgültig verwirkt. Der Haradhrim-Häuptling durfte auf keinen Fall seine Männer erreichen. Damrod und Mablung ritten ihm bereits hinterher. Faramir durfte seine Gefährten nicht im Stich lassen.
