Disclaimer: Alle Figuren und Orte in meiner Story bis auf Lyraen (OFC) gehören Tolkien. Mir gehört nichts.

Kapitel 1: Pen-Anaith

10 Jahre vor dem Ringkrieg:

„Zieh dein Schwert, sonst ist es aus mit dir!"rief der fünfzehnjährige Junge wutentbrannt. Lyraen lächelte und zog elegant ihr Schwert aus dem Gürtel. Fast lässig parierte sie den Hieb ihres jüngeren Bruders.

„Wie machst du das bloß?"rief Lluth enttäuscht. „Du bist doch nur ein Mädchen."

Lyraens überlegenes Lächeln erstarb auf ihren Lippen. Warum war sie nur in den Körper einer Frau geboren worden? Ihr allergrößter Wunsch war, Kriegerin in Gondors Heer zu werden.

„Lyraen, wo steckst du denn schon wieder? Du sollst mir doch beim Waschen helfen!"

Das war ihre Mutter. Rasch legte die achtzehnjährige Lyraen den Schwertgürtel ab und eilte zurück ins Haus.

„Du hast dich schon wieder mit dem Schwert geübt,"tadelte Reaveth ihre Tochter. „Du bist kein Mann. Wie oft soll ich dir das noch sagen? Ist es denn ein Wunder, dass du immer noch unverheiratet bist, wenn du ständig mit einem Schwert herumläufst?"

Lyraen presste trotzig die Lippen zusammen. Ihre Mutter hatte keine Ahnung davon, wieviel Freier Lyraen schon abgewimmelt hatte. Sie war das schönste Mädchen in Pen-Anaith, einem kleinen Dorf in der Nähe von Minas Tirith. Aber Lyraen wollte einfach nicht heiraten: sie wollte Kriegerin werden, und keine Ehefrau, die zum Kinderkriegen und Haushaltführen verdammt war. Sie nahm wütend den Korb mit der Schmutzwäsche und ging hinunter zum Fluß. Die Sonne würde gleich hinter den Mindolluin untergehen. Lyraen starrte auf die Weiße Stadt, die in Sichtweite lag und träumte mal wieder mit offenen Augen.

„Lyraen, nun mach' schon!"zischte Maradé ihrer Freundin zu, die ebenfalls zum Anduin gekommen war, um zu waschen.

Lyraen seufzte und kniete sich neben Maradé nieder. Dann tauchte sie ein verschmutztes Laken in das kühle Wasser und legte das Waschbrett auf ihre Knie.

Minuten später hörten die beiden Mädchen im nahen Wald Kampfeslärm. Maradé klammerte sich ängstlich an ihre Freundin.

„Was ist da nur los?" flüsterte sie tonlos.

„Wahrscheinlich sind Soldaten aus Minas Tirith mit Orks zusammengetroffen,"erwiderte Lyraen gefasst. „Rasch zurück ins Dorf!"

In Windeseile packten die Mädchen ihre Waschkörbe und liefen zurück nach Pen-Anaith. Die Bewohner waren neugierig aus ihren Häusern gelaufen. Viele hatten ebenfalls mitbekommen, dass in der Nähe ein Kampf stattfand. Einige Männer hatten ihre Schwert und Bogen geholt. Lyraen tat das Gleiche: sie lief in ihr Elternhaus und legte ihren Schwertgürtel um.

„Was tust du da?" rief ihre Mutter entsetzt.

„In der Nähe findet gerade eine Schlacht statt,"sagte Lyraen aufgeregt. „Es ist gut möglich, dass wir bald von Orks überfallen werden."

„Mögen die Valar dies verhüten!"stieß Reaveth entsetzt hervor.

Dann ging sie eilig zu ihren Regalen und legte Kräuter und Verbandsmull bereit. Reaveth war die Heilkundige des Dorfes. Damit verdiente sie ihren Unterhalt und den ihrer Kinder, seit ihr Mann gestorben war.

„Soldaten kommen ins Dorf!"rief Lluth bebend. „Sie haben einen Verwundeten bei sich."

Reaveth und Lyraen liefen aus dem Haus. Dann sahen sie fünf Soldaten auf Pferden, die in das Dorf geprescht kamen. Der vorderste Reiter hielt einen Krieger in seinen Armen, der halb bewusstlos war.

„Habt Ihr hier einen Heiler? Mein Bruder ist verwundet und braucht schnell Hilfe!"rief der Reiter.

„Ich bin die Heilerin von Pen-Anaith!"sagte Reavath laut. „Bringt den Mann in mein Haus!"

Der Anführer des kleinen Trupps brachte seinen Bruder zusammen mit einem anderen Soldaten in das Haus. Die Soldaten nahmen drinnen ihre Helme ab. Lyraen staunte über das rotblonde Haar der beiden Soldaten, die Brüder waren. Solch helles Haar gab es in Gondor ganz selten.

„Könnt Ihr Boromir helfen?"fragte der Rotblonde, der den Verwundeten vor sich auf dem Pferd gehalten hatte.

„Boromir?"staunte Lyraen. „Etwa der Sohn des Statthalters?"

„Genau, und ich bin sein Bruder Faramir."

Lluth stieß vor Begeisterung einen Schrei aus.

„Lluth, wirst du wohl den Mund halten!"rief Reavath ärgerlich ihrem Sohn zu.

Lyraen löste zusammen mit Faramir vorsichtig Boromirs eiserne Rüstung. Der junge Mann war an der rechten Schulter von einer Lanze verwundet wurden.

„Ist seine Verletzung lebensgefährlich?"fragte Faramir besorgt.

„Nein, es ist nur eine Fleischwunde, aber er hat viel Blut verloren,"meinte Reavath mit gerunzelter Stirn.

Lyraen half ihrer Mutter beim Versorgen der Wunde. Lluth brachte derweil Faramir und den anderen Soldaten etwas zu trinken. Nachdem Boromir verbunden war, verbesserte sich sein Zustand etwas. Er war jetzt wieder bei klarem Bewusstsein und verlangte etwas zu essen. Faramir war erleichtert, dass es seinem Bruder wieder soweit gut ging. Glücklich strich ihr ihm über das Haar.

Lyraen brachte Brot, Käse und Äpfel auf den Tisch.

„Mehr können wir Euch nicht anbieten, hohe Herren,"sagte Reavath beschämt. „Wir sind nur arme Leute, die keinen Ernährer mehr haben."

Faramir drückte ihr einige Goldstücke in die Hand.

„Das ist viel zu viel, Herr Faramir", lehnte die Heilerin erschrocken ab. „Soviel bekomme ich im ganzen Jahr nicht."

„Das geht schon in Ordnung,"rief Boromir lächelnd. „Meine Gesundheit ist viel wert."

Reavath verneigte sich und bedankte sich bei den Brüdern.

Boromir machte sich hungrig über das einfache Mahl her und auch sein Bruder langte tüchtig zu.

Während des Essens fiel Faramir das Schwert auf, das Lyraen immer noch an der Seite trug.

„Warum trägst du ein Schwert, Mädchen?"

Lyraen wurde knallrot und schluckte.

„Ich....ich..," stammelte sie verlegen.

„Sie will eine Kriegerin werden!"rief Lluth vorlaut. „Und sie kann sehr gut kämpfen."

„Bist du still, du Tölpel!"zischte Lyraen ihrem Bruder entsetzt zu.

Die beiden jungen Männer sahen sich grinsend an.

„Eine Schildmaid bist du?"fragte Boromir etwas spöttisch.

„Sie ist vollkommen verrückt,"warf ihre Mutter kopfschüttelnd ein.

„Die Rohirrim haben auch manchmal Kriegerinnen in ihren Reihen,"meinte Faramir nachdenklich. „Es gibt Frauen, die mit dem Schwert geschickter sind als Männer."

„Dann teste es aus, kleiner Bruder!"rief Boromir übermütig.

Faramir nickte:

„Gut, das werde ich tun."

Lyraen schlug das Herz bis zum Halse hinauf, als sie mit Faramir nach draußen ging. Sie gingen hinter das Haus, wo sie aus dem Dorf niemand sehen konnte. Boromir und Lluth hingen neugierig am Fenster. Auch die drei Soldaten kamen hinzu und sahen mit verstohlenem Grinsen zu, wie Faramir gegen Lyraen kämpfte.

Das Mädchen hielt sich erstaunlich wacker gegen den jungen Heermeister. Sie parierte immer wieder die heftigen Hiebe. Faramir geriet ins Schwitzen, doch dann gelang es ihm, Lyraen das Schwert aus der Hand zu schlagen. Die Soldaten klatschten begeistert Beifall.

„Das war sehr gut, Mädchen,"sagte Faramir erstaunt und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Oder bin ich so schlecht?"rief er Boromir zu, der feixend am Fenster stand.

Lyraen steckte stolz ihr Schwert ein: sie wusste, dass sie gut gewesen war. Boromir und Faramir waren als die besten Schwertkämpfer Gondors bekannt.

Faramir ging zu Reaveth.

„Gebt mir Euere Tochter! Ich will sie als Kriegerin in meiner Truppe haben."

Der Heilerin fiel erst einmal die Kinnlade herunter.

„Ich weiß, dass Ihr sie in Euerem Haushalt braucht,"fuhr Faramir fort. „Aber ich werde dafür sorgen, dass es Euch in Zukunft an nichts fehlen wird."

„Oh bitte, Mutter!" flehte Lyraen begeistert.

„Was soll ich dagegen sagen,"meinte Reaveth milde gestimmt durch den versprochenen Geldsegen. „Vielleicht ist es tatsächlich deine Bestimmung, Gondor auf diese Weise zu dienen, Tochter."

„Bist du vollkommen verrückt geworden?"raunte Boromir seinem Bruder fassungslos ins Ohr.