Berendis: Faramir scheint wohl vergessen zu haben, dass er immerhin der Vorgesetzte des
Mädchens ist. Mal sehen, ob er sich im nächsten Kapitel zusammenreißen kann. Ich denke, dass die beiden Brüder, auch wenn sie sehr zusammenhielten, schon mal ab und zu Knatsch hatten. Und dass Boromir vielleicht eher zur Eifersucht und zu Neid neigte als Faramir.
Leonel: Jaja, der Kuß. Doch Faramir sollte die Konsequenzen bedenken... Und wie gesagt, selbst die besten Brüder haben mal Streit.
Melleth: Faramir glaubt eben an Lyraens Fähigkeiten. Sie kann Gondors Heer wirksam verstärken, auch wenn sie nur ein Mädchen ist. Faramir ist weitsichtiger als so mancher Heerführer Gondors, Boromir inklusive.
§§§§
Kapitel 7: Eine harte Entscheidung
Boromir suchte nichtsahnend seinen Bruder auf. Er wollte noch kurz etwas mit ihm besprechen. Natürlich hatte er nicht mitbekommen, dass Lyraen zu ihm gegangen war.
Er kam gerade hinzu, als Faramir seinen Mund auf den des Mädchens legte und sie zu küssen begann. Fassungslos blieb er stehen: das konnte, das durfte nicht sein!
Faramir hatte die Augen beim Küssen geschlossen und konnte ihn daher nicht sehen. Boromir überlegte kurz, ob er einschreiten sollte, aber schließlich entschied er sich dafür, sich dezent zurückzuziehen. Er würde später mit seinem Bruder ein Wörtchen reden.
Faramir erwachte wie aus einer Trance: er wusste nicht, wie lange er Lyraen geküsst hatte. Erschrocken ließ er das Mädchen los.
„Verzeih!" hauchte er kaum hörbar.
Lyraen sah ihn erstaunt an. In ihren Augen konnte Faramir die Liebe zu ihm sehen.
„Was gibt es da zu verzeihen? Ich weiß jetzt, dass du genauso fühlst wie ich, Faramir. Ich liebe dich und ich weiß, dass du mich auch liebst."
Faramir sah das Mädchen schockiert an.
„Du irrst dich, Lyraen. Ich liebe dich nicht. Ich hätte das nicht tun dürfen. Ich habe mich für einen Moment gehen lassen. Deine Umarmung tat mir gut. Ich war schon lange nicht mehr mit einer Frau zusammen. Es ist einfach so über mich gekommen. Verzeih mir!"
Er ließ Lyraen stehen und eilte aus der kleinen Grotte hinaus zu den anderen. Lyraen traten die Tränen in die Augen. Hatte sie sich so sehr in Faramir geirrt? Sein Kuss vorher war sanft und nicht stürmisch gewesen. Warum hatte sie nur so sehr das Gefühl gehabt, dass auch er etwas für sie empfand. Sie musste unbedingt mit ihm noch einmal reden, wenn sich dafür eine Gelegenheit bot.
Boromir sah, wie Faramir mit blassem Gesicht aus der Höhle herauskam. Er merkte, dass sein Bruder irgendwie irritiert wirkte. Boromir beschloß jetzt, Klartext mit ihm zu reden. Er packte Faramir unsanft an der Schulter:
„Komm mit, kleiner Bruder, wir haben etwas zu besprechen."
„Nein, jetzt nicht," wehrte dieser impulsiv ab.
„Ich habe alles gesehen," betonte Boromir.
Faramir sah ihn an, als ob er einen Geist gesehen hätte.
„Du hast...was?"
„Dich und Lyraen beim Küssen!" zischte Boromir leise seinen Bruder zu. „Soll ich noch deutlicher werden?"
Faramir schüttelte den Lockenkopf. Boromir packte ihn am Arm und zog ihn zur Höhle hinaus. Sie gingen ein Stück den Berg hinunter, in die Nähe des Verbotenen Weihers.
Als sie außer Sichtweite waren, begann Boromir zu sprechen.
„Sag mal, hast du komplett den Verstand verloren, Bruderherz?"
Faramir senkte schuldbewußt das Haupt.
„Wahrscheinlich. Ich wünschte, es wäre nie geschehen."
„Hast du deswegen Lyraen mitgenommen?" fragte Boromir fast boshaft. „Um dich an ihrem gutgebauten Mädchenkörper in den kalten Nächten von Henneth Annûn zu wärmen?"
„Um Eru willen, nein!" rief Faramir entsetzt aus. „Lyraen wollte ich mich trösten. Sie konnte es nicht sehen, dass ich mit dir Streit habe. Sie umarmte mich, und da konnte ich mich einfach nicht beherrschen und musste sie küssen."
„Was ist nur in dich gefahren?" meinte Boromir kopfschüttelnd. „Du bist doch sonst so vernünftig. Ich erkenne dich nicht wieder."
Faramir setzte sich auf den Felsboden und seufzte laut. Sein Bruder sah, wie ihm die Tränen über die Wangen liefen.
„Was ist mit dir los?"
„Ich glaube, ich ertrage das alles nicht länger," stieß Faramir unglücklich hervor. „Vaters Haß und unsere Zwistigkeiten. Wenn niemand auf der Welt mehr zu mir hält, was für einen Sinn hat mein Leben dann noch? Und dieses Mädchen liebt mich. Wie sie mich ansieht. Ihre Augen. Noch nie hat jemand für mich so tief empfunden."
„Aber das ist doch Unsinn!" regte sich Boromir auf. „Du weißt ganz genau, dass ich immer zu dir halte. Bitte vergiß unseren Streit!"
„Diese Sache mit Gandalf, das nagt doch noch an dir," fuhr Faramir leise fort. „Seine Worte schmerzen dich noch immer."
Boromir kniete jetzt vor seinem Bruder nieder und legte ihm die Hände auf die Schultern.
„Es tat mir damals sehr weh, was er da gesagt hat. Aber ich habe die Sache aus meinem Gedächtnis gestrichen, weil ich weiß, dass Gandalf dir nur helfen wollte. Ich bin dir in keinster Weise deswegen neidisch oder böse. Das musst du wissen."
Faramir lächelte jetzt endlich und er umarmte seinen Bruder glücklich.
Boromir stand dann auf und sah ihn ernst an.
„Wegen Lyraen musst du nun eine Entscheidung treffen: entweder geht sie, oder ihr beide. Dieser Feldzug ist zu wichtig und du als Heerführer darfst dich nicht von der Liebe einer Schildmaid ablenken lassen. Kapierst du das?"
Faramir erhob sich und holte tief Luft.
„Gut, dann muß Lyraen nach Minas Tirith zurück."
§
Lyraen hatte sich inzwischen zum Schlafen bei den anderen Waldläufern hingelegt. Sie war tieftraurig, dass Faramir ihre Gefühle nicht erwiderte. Die Tränen rollten ihr über die Wangen.
Plötzlich wurde sie sanft gerüttelt. Es war Faramir, der sich über sie beugte. Seine Miene war ernst und bedrückt zugleich.
„Du musst aufstehen,"sagte er mit gedämpfter Stimme.
Hinter ihm standen zwei bewaffnete Waldläufer: Bergil und Marond.
„Die Beiden geleiten dich nach Minas Tirith zurück," meinte Faramir tonlos. „Mit viel Glück werdet ihr vielleicht unterwegs keinem Ork begegnen."
„Warum muß ich zurück?" fragte Lyraen mit zitternder Stimme.
„Du weißt, warum," erwiderte Faramir und sah sie durchdringend an. „Es tut mir leid. Ich habe als Heerführer versagt."
„Nein, das hast du nicht," sagte Lyraen kopfschüttelnd. „Für seine Gefühle kann niemand etwas."
„Leb wohl!" sagte Faramir nur noch und ließ sie stehen. Er gab den beiden jungen Männern, die Lyraen begleiten sollten, Anweisungen, denn sie sollten von Denethor möglichst nicht gesehen werden.
„Ihr werdet euch rasch in die Quartiere begeben und nur dem dortigen Hauptmann Meldung machen. Ist das klar?"
§
Lyraen verließ zusammen mit den beiden Waldläufern Henneth Annûn. Sie waren noch in der Nacht aufgebrochen. Es war keine einfache Wanderung. Überall konnten Orks lauern. Einige Male mussten sich die drei in den Büschen verstecken, da versprengte Ork-Banden in den Wäldern herumstrichen.
Als Lyraen Osgiliath in der Ferne erblickte, atmete sie erleichtert auf. Auch Bergil und Marond waren froh, die Stadt zu sehen. Die Beiden waren nur einige Jahre älter als Lyraen.
„Kommt, lasst uns schnell in die Stadt eilen!" rief Marond übermütig.
Da geschah es! Die Drei wurden leichtsinnig und passten nicht mehr auf. Plötzlich zischten Orkpfeile aus den Büschen. Bergil stürzte getroffen nieder. Geistesgegenwärtig zog Lyraen ihr Schwert und Marond griff zu seinen Bogen. Etwa zwanzig Orks stürmten brüllend aus dem Unterholz. Es waren eindeutig zu viele Feinde. Lyraen kämpfte tapfer mit ihrem Schwert und spürte kaum, dass sie am Oberarm verwundet wurde. Zwei Orks konnte sie wieder niederstrecken und auch Marond wehrte sich seiner Haut, so gut es ging. Erst schoß er mit dem Bogen, dann griff er ebenfalls zum Schwert. Immer mehr Feinde drangen auf die
Doch dann nahte die Rettung:
Reiter aus Osgiliath, die in der Nähe patrouilliert hatten, kamen den Waldläufern zur Hilfe. Rasch waren die Orks vertrieben.
„Ich danke Euch, Hauptmann Ondoher," sagte Marond erschöpft.
Lyraen war bei Bergil niedergekniet. Der Pfeil war tödlich gewesen: der junge Mann hatte keine Chance gehabt. Sie weinte leise.
„Eine Frau bei den Waldläufern?" wunderte sich der Hauptmann.
Lyraen errötete und stand langsam auf.
„Ich bin eine Schildmaid Gondors," erklärte sie stolz.
„Welchem Kommando untersteht Ihr?" wollte Ondoher wissen.
„Dem Kommando von Heermeister Faramir," erwiderte Lyraen etwas ungehalten.
Ondohers Verhalten wirkte ziemlich arrogant.
„Sehr erstaunlich," sagte der Hauptmann leise. „Ich wette, der Truchseß hat das nicht abgesegnet."
„Seht Ihr nicht, dass sie am Arm verwundet ist, Hauptmann?" fragte Marond empört. „Sie muß dringend in die Häuser der Heilung."
„Dann sollten wir nicht länger zögern," meinte Ondoher süffisant lächelnd.
